Mitglied
- Beitritt
- 30.01.2005
- Beiträge
- 18
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
nektarinenkerne
Der Nacken tut weh und der BH-Träger schnürt mich in die linke Schulter. Nicht aufwachen! Zu spät. Grau sickert durch die zugezogenen Vorhänge und lässt meine Wangen feucht werden.
Eine halbe Stunde noch, eine halbe Stunde noch alles wegschieben, in den letzten Seiten des angefangenen Buches verkriechen. Welcher Idiot hat eigentlich diesen Stuss erzählt, von wegen Schmerz lässt uns wissen, dass wir noch am Leben sind? Ich fühle mich tot. Wieder ein Stück herausgerissen, wieder im Schneckenhaus, bis der Nächste kommt, um drauf rumzutrampeln.
Ich hasse mich, hasse meine Naivität und mich dafür, dass ich nicht in der Lage bin, ihn zu halten, in der Lage bin überhaupt jemanden zu halten. Ich hab’ s geahnt, nein gespürt, dass es ihm nicht so geht wie mir. Nicht deshalb, weil er sich einfach weggedreht hat, als ich meinen Kopf an seine Schulter gelegt hab. Nicht deshalb, weil er seinen Status immer noch nicht geändert hatte. Nicht weil er mir nie gesagt hat, dass er mich gern hat. Die kleinen Dinge warn’ s: Diese, ein klein wenig zu lange, Umarmung, als er wieder da war aus Köln, als er mich nicht an der Hand genommen hat auf dem Nachhauseweg - so wie Markus seine Freundin. All das! Und ich hab weggesehen und mir die Welt schön geredet. Ein großer rosa Ponyhof.
Mir ist immer noch übel. Ich sollte auch so einen blöden WC-Spüler besorgen. Eine Hand auf dem Magen wank ich zurück in die Küche. Es ist mir absolut scheißegal, ob das Brennen in der Magengrube vom Hunger kommt oder von einer aufkeimenden Magenschleimhautentzündung, obwohl ich auf Letzteres tippen würde.
Natalie schießt mir durch den Kopf. Hat ihre Schuhe abgeholt. Gerade jetzt wünschte ich das alles wäre nie passiert und sie wäre nicht so ein furchtbar aufgeblasener Dickschädel. Ich würde grade sehr viel dafür geben, von ihr in den Arm genommen zu werden.
Gänsehaut. Gut, soll mich doch frieren. Passt besser zu meinem Kern. War es die beginnende Orangenhaut? Die Oberschenkel? Ich schätze es waren die Reiterhosen an den zu dicken Oberschenkeln. Die Erklärung wäre jedenfalls so viel angenehmer, als dass er mich einfach nicht lieben konnte. Nass färbt mein T-Shirt stellenweise dunkelrot und mein Gesicht schwillt wieder an. Ich spüre den Reiz, das sich steigernde Heben und Senken meiner Brust, die sich viel zu weit ausdehnt. Da ist es wieder: Atmen, ohne zu atmen. Ich dachte, ich wäre diesen Mist losgeworden. Papiertüte!
Rauschen in den Ohren, schwarz.
Mein Kopf dröhnt, schmeckt nach Blut: bäh. Übelkeit wallt wieder nach oben, durch die Küche ins Bad.
Vielleicht soll es einfach nicht sein, vielleicht bin ich nicht dazu gemacht. Putze meine Nase mit dem letzten Klopapier und räume auf: die ungewaschenen Teller, herumliegendes Papier, Gläser. Mein Blick fällt auf den Biomüll auf der Spüle. Hätte ich schon längst wegräumen sollen, noch bevor ich zu ihm gefahren bin, noch bevor ich extra wegen ihm und seinem freien Tag blau gemacht hab, noch bevor er mich so zerschmettert hat. Die Nektarinenkerne sehen friedlich aus. Ein wenig braun schon und Fruchtfliegen laben sich an den Resten, aber so zugedeckt mit verwelktem Radieschengrün doch sehr charmant. Sie liegen einfach da und warten darauf kompostiert zu werden, vollkommen zufrieden mit ihrem Dasein als Wurmdünger. Mein Magen knurrt. Ich bin noch da. Schlucke meine Allergietabletten - helfen zwar schon lange nicht mehr, machen aber müde.
Sie sehen so zufrieden aus ... warum kann ich keine Nektarine sein? Abgenagt und weggeschmissen, vollkommen unwichtig, nichtssagend, aber absolut zufrieden mit meiner lächerlichen Existenz.