Nelken
Es ist kühl geworden. Mit einem <Klack> fällt die Türe hinter mir in ihr Schloss und fröstelnd erinnere ich mich an die Tage, als mich mein Job fast täglich zu dieser Adresse führte.
Für einen bekannten Blumenversand fahre ich seit fast fünfzehn Jahren nach allen Ecken und Winkeln der Stadt, manchmal darüber hinaus. Nun werden manche zweifelnd die Brauen heben, doch ich mag diese Arbeit. Sie ist ein sicheres Einkommen, denn Blumen sind ein wichtiges Gut für viele und überdies führt sie mich zu Menschen, Orten und Geschichten.
So brachten mich meine Aufträge über Jahre hinweg in jenes Viertel, in dem amerikanische Soldaten mit ihren Familien wohnten.
Hier lebte Herr Wilson seine kleinen Eitelkeiten aus und so hatte ich zwei, manches Mal sogar drei Aufträge die Woche, um ihm frische Nelken vorbei zu bringen, das enge Treppenhaus hinauf in den zweiten Stock, wo an der einheitsweiß gestrichene Tür ein kleiner Kranz aus Getreide befestigt war. Bis heute habe ich nie erfahren, was es mit dieser besonderen Sorte Blumen auf sich hatte, doch einmal seufzte seine Frau in gespielter Verzweiflung und beschwerte sich, dass ihr Mann ohne seine Nelken griesgrämig und unausstehlich zu nichts zu gebrauchen sei.
Natürlich hinterfragte ich nie ernsthaft, weshalb dieser junge, hochgeschossene Mann viel Geld für Blumen gab, doch ließ mich eben jene Begebenheit zumindest stutzen, als einige wichtige Menschen entschieden, dass die Soldaten unserer Stadt abziehen sollten und ihre Zelte weit weg, irgendwo in der Wüste, neu aufzuschlagen hatten.
Morgens las ich jene Meldungen zu einer Tasse Kaffee in der Zeitung, strich mir mein Brot und empfand, zwischen zwei Löffeln des mittelhart gekochten Eies, ein leichtes ziehen in der Magengegend, als meine schweifenden Gedanken einen kleinen Kranz aus getrocknetem Getreide striffen.
In jenen Tagen stapelten sich die Menschen in den Strassen, purzelten übereinander und fühlten eine lange verborgene Macht. Ich vermied es geflissentlich zu jenen Zeiten die Innenstadt zu betreten, denn ich war nie ein sonderlich politischer Mensch gewesen und kümmerte mich selten um die Belange wichtiger Menschen in irgendwelchen Wüsten. Einzig meine Aufträge führten mich dann und wann in die Nähe der gedrängten Massen und so kam es, dass ich mich meist recht unwirsch über sie beschwerte, wenn ich wieder einmal zwischen ihnen gefangen war und meinen Wagen trotz des engen Zeitplanes nicht vor noch zurück setzen konnte.
Doch schließlich hatte auch jene Mode, wie es Moden eben zu eigen ist, ein Ende. Die Massen purzelten nicht mehr übereinander und kein Auftrag führte mich mehr in jene Strasse, in die ich zwei, dreimal die Woche Nelken gebracht hatte. In der Wüste verwelken Nelken.
So vergingen Wochen und Monate, in welchen ich mich über fehlende Beschäftigung nicht zu beklagen brauchte. In der Tat überkommt mich an manchen Tagen ein Gefühl, als verabredeten sich die Liebhaber der bunten Pracht zu einer festlich gefeierten Bestellung, um auf diese Weise die einfachen Fahrer und Blumenboten wie mich erst in gehörigen Stress und sodann um den Verstand zu bringen.
So auch am heutigen Morgen, als mich mein Chef mitleidig dreinblickend mit einer besonders langen Liste empfing. Murrend suchte ich die kürzeste Route heraus, überflog alle Namen und hielt erst inne, als ich die Worte „Wilson“ und „Nelken“ entdeckte.
Das leere Gefühl in meinem Unterleib begleitete mich ebenso den ganzen Tag, wie auch die leichte Übelkeit. Ganz ans Ende meiner Fahrt hatte ich jene Strasse gelegt, obwohl ich schon am späten Vormittag recht nahe an jenem Haus vorbeifuhr.
Schließlich war es Abend geworden, ich stellte den Wagen ab, nahm die Nelken und stieg die Stufen in den zweiten Stock hinauf. Ich weiß nicht wie lange ich den kleinen, getrockneten Kranz aus Getreide betrachtete, ich weiß nicht ob sie geweint hatte, denn ich vermied es sie anzusehen.
Nun stehe ich vor ihrem Haus und die Türe fällt mit einem leisen <Klack> in ihr Schloss. Es ist kühl geworden.