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Neues Leben
Überarbeitete Fassung
Der Hintergrund zum Artikel in der Hamburger Morgenpost vom 18.02.2008:
Schulden, Hartz IV, Scheidung: Ex-Unternehmer haust im Wald. Der Einsiedler von Harburg. Der Hamburger Uwe S. (56) hat die Zivilisation hinter sich gelassen und lebt nun im Wald.
„Diamant“, hatte Uwe gesagt, als der Bankangestellte nach einem Codewort gefragt hatte. Lilo hatte dazu genickt; der Diamant stand für die Liebe, Klarheit und Beständigkeit ihres Bündnisses mit Uwe. Der Diamant auf dem Ring an ihrer Hand, den Uwe ihr zu Verlobung geschenkt hatte, glitzerte dazu, als wolle er sagen: wir lassen uns nicht unterkriegen. „Diamant“ wurde nun auch das Codewort für das Bankkonto, das als Sicherheit für alle Fälle gedacht war. Danach hatten sie in Vaduz noch einen Kaffee getrunken und waren dann nach Hamburg zurückgefahren.
Uwe dachte an die Zeit, als Lilo und er, die Firma aufbauten. Es ging Hand in Hand; sie ergänzten sich perfekt. Sie machte die Buchhaltung; er führte die Verkaufsgespräche. Später hatten sie eine eigene Reparaturabteilung; dafür hatten sie einen Elektroniker eingestellt. Er war gut in der Werbung und den Verkaufsaktionen gewesen; Lilo hatte die Übersicht über die Zahlen behalten. Bald hatten sie noch einige Verkäuferinnen und mehr Ladenfläche gebraucht.
Der Waldboden war feucht und roch modrig. Uwe ging mit müden Schritten am Waldrand entlang. Auf seinem Rücken schleppte er einen Militärseesack, in den er seine Habseligkeiten gepackt hatte. In den Händen trug er eine faltbare Einkaufskiste aus blauem Plastik vor sich her, in der er einen Campingkocher, einen Topf, Plastikteller, Becher und einige Lebensmittel aus dem nahen Aldi-Markt verstaut hatte. Die ersten Sonnenstrahlen nach der langen windigen Regenzeit muteten frühlingshaft an, als wäre es schon Ostern und nicht Mitte Februar.
An einem Platz mit großen dichten Tannen machte er halt. Von hier aus konnte er einen weiten Blick über eine Wiese genießen, der Sonne entgegen. Den Weg, den er gekommen war, übersah er ein Stück weit, ohne selbst entdeckt zu werden. Er stellte die Kiste ab, wobei ihm der Seesack über die Schulter auf den Boden rutschte. Dermaßen entlastet hatte er zumindest körperlich ein Gefühl der Erleichterung, als er langsam und sorgfältig die Umgebung musterte. Alles stimmte hier; dies war sein Platz. Zwischen zwei Tannen spannte er eine Leine und schlug eine Plastikplane darüber, die er auf der Rückseite mit dem Gepäck beschwerte. Das würde als Zelt genügen; am Abend würde er sie sorgfältiger rundum beschweren und schließen.
Lilos strenge und rationale Art waren ihm oft auf die Nerven gegangen, so hatten sie sich nicht auf dem engen Raum des Ladens vertragen. Schließlich hatte sie ihm eröffnet, daß sie sich etwas Eigenes aufbauen wolle, weil es für ihre Beziehung besser sei, wenn sie den Bereich der Arbeit getrennt lebten. „Ich tue das für uns“, hatte sie gesagt. Sie hatte in der Nähe ein Modegeschäft übernommen. Die Buchhaltung hatte Uwe einer neuen Angestellten übertragen, die ihm sehr sympathisch war. Sie war mit ihrer weichen, alternativen Art so ganz das Gegenteil von Lilo. Kein enges Kostüm, sondern weite Pullover in blau und lila, offenes langes Haar, einen weichen melancholischen Blick, wo er Lilo immer hart und streng empfand. Bald kamen Lena und er sich näher. Lena war manchmal traurig wegen einer verflossenen Liebe und sah wenig Sinn in ihrem Leben; Uwe riet ihr, in diesem Leben einen Schritt zu machen, notfalls neu anzufangen und etwas ganz Neues zu beginnen. Lena hatte sich an ihn geschmiegt und ihm das Gefühl gegeben, ganz groß und stark zu sein. So fühlte er sich danach immer öfter.
Uwe setzte den Campingkocher in Gang und stellte einen Topf darauf, kramte nach einer Wasserflasche und füllte den Inhalt zur Hälfte in den Topf. Mit der rechten Hand sucht er im Seesack nach dem Glas mit Pulverkaffee. Viele Dinge berührten seine Finger und wollten ertastet werden; lange her, daß er diesen Sinn das letzte Mal benutzt hatte. Manchmal mußte er für einen Augenblick tasten und nachdenken, um herauszufinden, was er gerade gegriffen hatte. So gelangten nacheinander Zucker, Kondensmilch, Prinzenrolle und Pulverkaffee ans Tageslicht.
Seit Lilo gegangen war, war es einem Geschäft nicht gut gegangen. Der Umsatz hatte sich gut entwickelt, aber die Gewinne waren ausgeblieben. Er verstand nicht viel davon und vertraute ganz Lena. Lilo ließ sich selten beim ihm im Laden blicken; sie wohnten noch zusammen, aber wenn die Rede auf sein Geschäft kam, wich er aus, und sie fragte nicht nach. Es war ihm schon zu viel, ihre sorgenvollen Blicke zu ertragen. Schließlich war es unausweichlich, das Geschäft aufzugeben und einen Schlußverkauf zu organisieren.
Mit dem Erlös hatte er mit Lena neu anfangen wollen – weit weg vom Laden, von Hamburg, und - von Lilo. Er hatte zunächst nicht vor, das ihm und Lilo gehörende Geld aus Liechtenstein für den neuen Anfang mit Lena zu verwenden. Aber Lena hatte ihn überzeugt und ihm bedeutet, daß er sich von Lilo lösen müsse und nur noch an ihre, Lenas und Uwes, Zukunft denken dürfe. „Sie oder ich“, hatte sie ihm gedroht. Schließlich hatte er nachgegeben und Lena das Codewort, „Diamant“, verraten, eine Vollmacht erstellt und sie vorausgeschickt, um den Transfer zu beauftragen. Er würde dann nachkommen.
Plötzlich wurde es laut auf der Wiese. Ein kleiner Schwarm Gänse war gelandet; die Gänse stapften aufgeregt umher und erkundeten die Lage. Bald wurden sie ruhiger und setzten sich. Uwe träumte. „N‘ Abend, Kollege“, tönte es plötzlich neben ihm. Er hatte den Förster nicht kommen hören. Dessen Hund umkreiste das Lager und schnüffelte an seinen Sachen, wobei er kein Geräusch machte. Uwe sah in das Gesicht des Försters, das heißt, er versuchte es. Der Mann stand groß im Gegenlicht. Langsam konnte er seine Züge erkennen. Sie schienen nicht unfreundlich.
„Was soll ‘n das hier werden?“, fragte er.
Uwe hatte gedacht, er säße in einem schwer zu findenden Versteck. Er mußte sich besinnen. So schnell sollte seine Auszeit nicht zu Ende sein.
„Ich brauch‘ mal Ruhe und frische Luft“, sagte er.
Etwas besseres fiel ihm nicht ein.
„Probleme?“, wollte der Förster wissen. Das wirkte erleichternd, war es doch ein Signal des Mitgefühls. Uwe nickte.
„Ärger mit deiner Frau?“, fragte der Förster nach.
Uwe nickte, aber nicht so deutlich, daß es als Erklärung reichte.
„Oder mit dem Job?“, setzte der Förster nach. Jetzt nickte Uwe so, daß der Förster zufrieden war, alles geklärt zu haben. Trotzdem wollte er noch etwas wissen.
„Gekündigt?“
„Nein, in Konkurs gegangen“, antwortete Uwe.
„Und dann sitzen sie hier wie ein Habenichts? Als Selbstständiger legt man sich doch was auf die Kante, sollte man meinen“, wunderte sich der Förster. Uwe senkte den Blick. „Paß auf Dein Feuer auf und laß‘ hier keinen Müll, dann geht das klar“, sagte er zum Abschied. Sein Jagdhund hatte schon vorher alles geklärt, was für ihn zu klären war, und wartete, daß es weiterging. Der Förster wandte sich ab und ging. Er hob eine Hand, „Tschüß dann“, sagte er, schon in Richtung des Weges, und war weg.
Uwe goß den Kaffee auf. Langsam versuchte er ihn zu trinken, aber er verbrannte sich die Lippen. Um sich abzulenken, riß er die Keksrolle auf und steckte sich einen Keks in den Mund. Er gab sich dem mehligen Kakaogeschmack hin, als wäre es etwas ganz Kostbares. Dieses Mampfen und der an den Zähnen klebende süße Teig, das weckte die Erinnerung an die Klassenausflüge seiner Schulzeit.
Er war erst eine Stunde hier, aber es schien ihm wie eine lange Zeit. Wie schnell konnte man an einem Ort ankommen, wenn alles stimmte! Um sich an einen Urlaubsort zu gewöhnen, konnten Tage vergehen, für einen neuen Wohnort konnte man Jahre brauchen. Hier war alles so einfach.
Wieder dachte er an Lena. Isle of Man hatte er sich ausgesucht, ein Steuerparadies. Die Motorradrennen, die dort jedes Jahr veranstaltet wurden, hatte er immer schon mal sehen wollen. Dorthin wollte er mit ihr; dann würden sie weitersehen. Er hatte Lena noch gesagt, sie solle das Geld anonym transferieren lassen. Der Bankangestellte würde schon wissen, was gemeint sei.- Uwe versuchte, an etwas anderes zu denken; die Sonne, die ihm warm ins Gesicht schien, half ihm dabei. Uwe auf der Sonnenseite des Lebens – ein bißchen davon war ihm auch hier erhalten geblieben.
Vaduz. Endlich. Lena stieg aus dem Zug. Gestern war sie in Hamburg losgefahren, hatte in München übernachtet und dort morgens einen Zug nach Liechtenstein genommen. Dieser Tag würde ihr neues Leben begründen. Sie hatte einen Termin mit der Bank in Vaduz, 15.00 Uhr, und sie hatte die Vollmacht. Alles war vorbereitet; bis 15.00 Uhr war es noch eine gute Stunde. Sie schritt die Hauptstrasse ab und orientierte sich. Bloß nicht nachher suchen und zu spät kommen. Als sie die Bank gefunden hatte, kehrte sie um; in der Herrengasse fand sie direkt neben der Post das Café „Zum Winkel“. Dem Schild nach zu urteilen war in diesem Haus früher einmal eine Schreinerwerkstatt.
Drinnen war es karg eingerichtet. Sie setzte sich an einen der vorderen Tische. Weiter hinten saßen ein als Banker erkennbarer gepflegter Mann in einem Nadelstreifenanzug und zwei unscheinbare Herren an einem Tisch und unterhielten sich, wobei der Banker eine CD in der Hand bewegte; zwischen ihnen stand ein schwarzer Koffer auf dem Boden. Ansonsten war das Café leer. Die Wirtin kam; sie bestellte einen Milchkaffee und ein Stück Engadiner Nußtorte. Die hatte so etwas solides, nahrhaftes, ehrliches – irgendwie paßte sie zu diesem Tag. Lena genoß jeden Bissen.
Langsam ging sie zur Bank. Hoffentlich ging jetzt alles gut. An der Rezeption nannte sie mit leiser Stimme das Codewort: „Diamant“. Ein Bediensteter nickte, sagte „Ah so, sie sein mit Herrn Sprüngli verabredet“, und begleitete sie zum Fahrstuhl. Sie bekam nicht mit, in welches Stockwerk sie fuhren. Beim Aussteigen aus dem Fahrstuhl wieder die gleiche Situation wie unten: eine große Halle, alles in Marmor, eine großzügige Rezeption. An den Decken Videokameras. Sie wurde an der Rezeption vorbei einen Gang entlang geführt und wie willkürlich in einen der vielen Räume, die daran lagen, gebeten. Darin sollte sie warten. Sie setzte sich auf einen der Lederstühle an den schwarzen Tisch. Eine Dame brachte ihr einen Espresso mit einem winzig kleinen Stückchen Schokolade. Nach ein paar Minuten, die ihr ewig erschienen, kam Herr Sprüngli. Wieder Nadelstreifen.
„Guten Tag. Hatten Sie eine gute Reise?“ Sie nickte. „Der Kontoinhaber hat mit mir telefoniert. Sie haben eine Vollmacht, das Konto zu saldieren“. Lena beeilte sich, die Vollmacht auf den Tisch zu legen. „Gibt es Sicherheitsbedenken?“ Lena verstand nicht. „Sollten wir die Transaktion lieber anonym machen?“ Lena ließ sich erklären, daß man das Geld auch so überweisen könne, das alle Spuren auf den Computern, die auf die Überweisung hindeuten könnten, gar nicht erst entstünden. So sei es unmöglich, nach zu verfolgen, wohin das Geld gegangen sei. Das koste allerdings extra. „Wieviel?“
„3000 Franken.“
Okay, das war die Sache wert.
„Möchten Sie etwas in bar mitnehmen?“
Das war natürlich wichtig, denn wenn sie ihre Flüge und Hotels mit der Karte bezahlte, würde man ja auch verfolgen können, wo sie sei. Sie nickte.
„Wieviel möchten sie mitnehmen?“
„15.000 Euro.“
Der Mann drückte einen Knopf. Sofort schaute die Dame herein, die vorher den Espresso gebracht hatte.
„15.000 Euro in bar bitte.“ Die Dame verschwand.
„Wir überweisen das Guthaben an die von ihnen gewählte Bank auf der Isle of Man. Das Geld wird in einer Stunde dort eingehen. Bitte unterschreiben sie hier.“ Er schob ihr ein vorbereitetes Formular hin. Lena unterschrieb; ihre Hand zitterte. Sie sah, daß der Betrag nicht dem glich, den Uwe genannt hatte. Statt der 400.000 Euro waren es nur 300.000. Angst beschlich sie. Sie fragte nicht nach und ließ sich nichts anmerken. Die Dame kam herein und zählte Lena das Geld vor. 30 große rote Scheine. Der Mann stand auf, Lena griff die Scheine, verstaute sie in ihrer Tasche und stand ebenfalls auf. „Es hat mich gefreut, sie kennen zu lernen. Gute Heimreise“.
Erleichtert und ein bißchen schwindelig taumelte Lena die Straße zum Bahnhof entlang und löste eine Fahrkarte nach Zürich. Von dort würde sie morgen über London zur Isle of Man fliegen und dann – das wußte sie selbst noch nicht genau.
Uwe kramte in seinem Seesack. Irgendwo mußte seine Pfeife sein. Und der Tabak. Nach einer endlos scheinenden Suche hatte er alles hervorgekramt. Wann hatte er das letzte Mal entspannt geraucht, ohne etwas anderes dabei zu tun? Ohne Auto zu fahren, die Nachrichten zu sehen, mit Freunden Skat zu spielen? Einfach nur geraucht und geträumt oder nachgedacht?
Immer wieder hatte er abends im Laden gesessen, Lena hatte sich viele Tage nicht gemeldet, und dann hatte sie eine SMS geschickt: „Lieber Uwe. Habe alles gemacht, wie Du gesagt hast. Es war nicht so viel Geld da, wie Du gesagt hast, aber genug. Vielleicht wegen dem Börsencrash; habe lieber nicht nachgefragt. Aber die Isle of Man war mir doch zu regnerisch. Ich habe das mit dem anonymen Transfer noch ein paar Mal ausprobiert; es klappt ausgezeichnet. Nun sitze ich unter Palmen. Ich danke Dir! Ich fühle mich wie neugeboren!“ Das war ´s; sie hatte nicht geschrieben, wo sie war, und ein weiteres Lebenszeichen war von ihr nicht gekommen.
Seine Ohren begannen sich zu öffnen; er begann, die Vögel zu unterscheiden, auch wenn er sie nicht mit Namen kannte. Er bemerkte ein Eichhörnchen, weil das kratzende Geräusch der Krallen auf der Baumrinde ihn aufmerksam machte. Auch seine Augen weiteten sich. Er beobachtete einige der Gänse, wie sie den Kopf aus dem Gras reckten und die Umgebung im Auge behielten. Er ließ den Blick schweifen. Da sah er auf dem Weg, den er gekommen war, eine Gestalt kommen. „Reger Betrieb hier“, dachte er für sich und fühlte Unbehagen aufsteigen. Die Gestalt kam näher. Es war eine schlanke Frau in einem modischen gelben Mantel, der in der Sonne leuchtete, und einem schwarzen Hut mit breiter, ausladender Krempe. Sie trug schwarze Stiefel mit hohen Absätzen. In der einen Hand trug sie einen Picknick-Korb, der so gar nicht zu ihrem Outfit passen wollte, in der anderen ein Blatt Papier, auf das sie immer wieder blickte.
Ihre Bewegungen waren ihm vertraut, dieses Geschehen war für ihn nur so unwahrscheinlich, daß er lange beiseite schob, daß er diese Person kannte: es war Lilo. Als sie auf hundert Meter heran war, zerknüllte sie das Blatt Papier mit der einen Hand und steckte es in ihre Manteltasche. Nun war ihr Blick frei, nach vorn zu sehen.
Wie selbstverständlich bog sie auf der Höhe seines Versteckes vom Weg ab und ging auf ihn zu.
„Hallo Uwe.“
„Hallo Lilo.“
Sie packte einen faltbaren Stuhl aus, wie ihn Angler und Jäger benutzten; er bestand aus drei Stäben und einem dreieckigen Stück Leinen. Sie setzte sich und nahm ihren Hut ab. Langsam ließ sie ihren Blick über die Wiese schweifen. Dann musterte sie Uwes Behausung.
„Nett hast Du ´s hier.“
Mit einem Blick forderte sie Uwe auf, die blaue Plastikkiste herzustellen. Uwe packte sie aus und legte einige schwere Teile anstelle der Kiste in die Ecke der Zeltplane. Er gab ihr die Kiste. Lilo stellte die Kiste mit dem Boden nach oben auf den Waldboden zwischen ihnen, holte ein Tischtuch aus dem Korb und breitete es über der Kiste aus. Nacheinander kamen zwei große Teakholzbretter, Lachs, Käse, Sektgläser und Baguette zum Vorschein. Sie ordnete alles sicher auf dem viel zu kleinen Tisch an, als würde sie es täglich tun. Zum Schluß zog sie eine Flasche Champagner aus dem Korb, Moët & Chandon ; den hatte Uwe früher gekauft, wenn sie Partys gegeben hatten, lang ist ´s her. Sie öffnete sie absichtlich so, daß es laut knallte, blickte Uwe frech an, während sie den Sekt in die Gläser goß, wobei der Sekt überlief und auf das Baguette und das Tischtuch lief. Sie gab ihm ein Glas und erhob ihres, das immer noch überschäumte, wobei der Sekt über ihre Hände perlte und dabei in der Sonne mit dem Diamantring um die Wette glitzerte.
„Prost!“
„Worauf?“
„Auf dein neues Leben.“
Sie tranken, Lilo blickte zufrieden in die Sonne, über die Wiese, dann nach dem Lachs. Uwe folgte ihrem Blick und rang immer noch nach Fassung.
„Wie hast du mich gefunden?“, platzte es aus ihm heraus.- Sie sagte nichts, aß ein Stück Baguette mit Käse. Mit vollem Mund würde sie nicht antworten; soviel wußte er. Nervös suchte er Halt an seinem Sektglas.
„Seit ich dir vor zwei Jahren ein neues Handy geschenkt habe, weiß ich immer, wo Du bist“, antwortete sie. „GPS“, fügte sie schwärmerisch hinzu und ließ den Blick über den Himmel schweifen, als könne man dort jetzt die vielen kleinen Satelliten sehen, die es ihr ermöglicht hatten, Uwe zu finden. Dabei hatte sie nur auf ihrem Laptop die Position des Handys aufgerufen, das Straßenbild mit dem Satellitenbild verbunden, um sich im Wald orientieren zu können, und das Ergebnis ausgedruckt. Dort, wo Uwes Zelt stand, war ein grüner Pfeil auf dem Bild, das sich jetzt zerknüllt in ihrer Manteltasche befand; es hatte ausgedient.
„Was macht Dein alternatives Wollknäuel?“, fragte sie mit genüßlichem Sarkasmus.
Uwe blickte sie traurig an.
„Ist sie weg?“, setzte sie gespielt mitleidig nach. Er regte sich nicht, aber sein Blick enthielt auch kein Nein. „Isle of Man?“ fragte sie weiter. Jetzt lief sein Gesicht über vor Erregung. Woher wußte sie? Nach ein paar Sekunden enthielt sein Blick ein so trauriges, so verzweifeltes Nein, daß Lilo verstand. Er war verlassen und betrogen worden.
Sie wandte ihren Blick wieder der Wiese zu. Die Sonne senkte sich; es wurde kühl. Dort wo, die Gänse saßen, bildete sich leichter Nebel.
„Cayman Islands“, sagte sie bitter. Jetzt wurde Uwe wach. Sie wußte mehr als er! Nach und nach wirbelte das Räderwerk in seinem Kopf und förderte Bilder zu Tage, sinnige und unsinnige. Lilo hatte nicht nur ihm ein Handy geschenkt, sie hatte auch die Handys für die Firmenangestellten besorgt, darunter war eines in besonders elegantem Design; das hatte er Lena gegeben.
„Ist alles Geld weg?“, fragte sie nach einer Weile. Uwe nickte: „Ja. Alles.“
„Nein nicht alles. Es ist noch etwas da“, entgegnete sie. Jetzt schaute Uwe fragend, flehend zu ihr auf. „Genug für deinen Neuanfang“, beendete sie das Gespräch.-
Lange schwiegen sie nebeneinander.
„Melde dich, wenn du mit dir klar bist“, sagte sie und stand auf. Lilo packte die Sachen ein. Den Lachs und den Käse in die Tupperdosen, das Tischtuch faltete sie zusammen. Die Tupperdosen schob sie zu Uwe. Das Tischtuch legte sie in den Korb.
„Leg´ die Champagnerflasche hinter ´s Zelt, die paßt nicht so ganz zu deiner Inszenierung“, sagte sie, „die muß nicht alle Welt sehen.“ Alle Welt? Uwe blickte nun wieder fragend. „Ich weiß doch, was du brauchst“, antwortete sie spöttisch, wandte sich um und ging.
Uwe wußte nicht, wie lange sie schon weg war. Alles war ihm wie im Traum erschienen, hatte ihm die Klarheit, die Nähe zu sich selbst, die er für einen Augenblick kommen gefühlt hatte, wieder genommen. Ratlos blickte er herum. Links von ihm, wo Lilo entschwunden war, kamen mehrere Männer heran, alle mit schwarzen Lederjacken, alle trugen etwas. Als sie näher kamen, sah Uwe, daß es Kameras waren. Auf der anderen Seite der Wiese hörte er tief brummendes Motorengeräusch. Ein großer hellgrüner Lastwagen schob sich dort auf dem Waldweg voran. Am Ende der Wiese bog er ab und kam jetzt von rechts direkt auf ihn zu. Die Scheinwerfer leuchteten in der Dämmerung. Als der Wagen nah genug war, konnte Uwe die Buchstaben „ndr“ erkennen.