Was ist neu

Nicht heute

Mitglied
Beitritt
18.11.2004
Beiträge
16
Zuletzt bearbeitet:

Nicht heute

Allein saß ich auf der Parkbank und das Wasser tropfte von meinen Haaren. Der Regenschirm lag unberührt neben mir. Ich beachtete ihn nicht. Zu tief war ich in meinen Gedanken versunken. Was war schief gegangen? Diese Frage stellte ich mir schon die ganze Zeit. Nannte man das Schicksal? Ich hatte immer gedacht, dass jeder sein Schicksal selbst bestimmte und sein Leben selbst in die Hand nahm. Aber da hatte ich mich wohl geirrt.
Zuerst meine Mutter, dann mein Vater, mein Bruder. Und wann war ich an der Reihe? Ich war mir dessen bewusst, dass jeder Mensch einmal zu gehen hatte, aber warum kam immer alles so unerwartet? Ich bin nie davon ausgegangen, dass der Tod so plötzlich kommen könnte.
Nächstes Jahr, nächsten Monat, nächste Woche, sogar morgen, ja. Aber noch nicht heute.
Kein Mensch geht davon aus, noch am selben Tag zu sterben. Keiner. Und doch geschah es immer wieder. So wie heute.

Ich war zu Hause gewesen und hatte ferngesehen, als es an der Tür klingelte. Als ich hinging, um zu öffnen, sah ich bereits von weitem die Uniform des Mannes durch das Glas.

Und jetzt saß ich also hier und dachte zum hundertsten Mal darüber nach, warum das alles geschah und warum es ausgerechnet mich nicht getroffen hatte. Ich stand auf und ging den breiten Weg entlang. Trotz des Regens waren einige Menschen hier und schlenderten mit aufgespannten Schirmen durch den Park.
Mit welcher Willkür sich der Tod seine Opfer suchte. Alte Menschen, junge Ehepaare, kleine Kinder. Kein Entkommen.
Welchen Sinn hatte mein Leben, wenn alle Menschen, die ich liebte, nicht mehr hier waren? Meine Familie, meine Freunde. Alle waren fort. Ich wollte auch fort. Wollte nicht mehr weiter, nicht ohne sie. Ich wollte bei ihnen sein. Und so verließ ich den Park.

Ohne es richtig zu merken, kam ich schließlich zur Brücke. Der reißende Strom zehn Meter unter mir rief mich zurück in die Wirklichkeit. Jetzt oder nie. Ich stieg über die Brüstung, klammerte mich fest und sah nach unten. Vielleicht doch besser nie. Oder zumindest später.
Jedenfalls nicht jetzt, nicht so. Ich zitterte, als ich zurück auf die Straße kam.
Nein, heute nicht. Vielleicht morgen, nächste Woche, nächsten Monat oder in einem Jahr.
Den Wagen bemerkte ich erst, als die Reifen quietschten und ich dem Himmel ein Stück näher kam. Aber ich spürte keinen Schmerz, während alles um mich herum immer dunkler wurde.
Der Tod kommt immer unerwartet.

 

Hier jetzt also meine zweite Geschichte. Ich hoffe mal, dass sie euch gefällt (vielleicht besser als die erste?) und freue mich auf Kritik, egal, wie sie ausfällt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Brynn,

es wird immer Menschen geben, die in relativ kurzer Zeitspanne den Verlust mehrerer geliebter Menschen hinnehmen müssen. Für mein Gefühl hast du die Tragik und die Emotionen, die einen dann beschleichen, den verzweifelten Schmerz, trotz der gewählten Innenperspektive deines Prots, aber nicht richtig eingefangen. Nur die Fakten zu nennen reicht da leider nicht. Deine Geschichte hätte gern länger sein dürfen, hätte die Stationen des Todes gern aufnehmen dürfen, die sich wiederholenden Nachrichten. Dann wäre die Tendenz, über die Brücke zu gehen, vielleicht nachvollziehbar gewesen. So empfand ich sie nur als Ausflucht aus der Geschichte, bevor sie sich dem Schmerz gestellt hat. Das war mir ein bisschen zu blass.

Zwei Details noch

Zu tief war ich in meine Gedanken vertieft.
Zu sehr war ich in meine Gedanken vertieft
oder
Zu tief war ich in meine Gedanken versunken
Trotz des Regens waren einige Menschen hier und schlenderten mit aufgespannten Regenschirmen durch den Park.
mit aufgespannten Schirmen (da du den Regen sonst zwei Mal in einem Satz hast)


Lieben Gruß, sim

 

Hallo Brynn

Deine Geschichte ist rein vom Thema her ergreifend, allerdings hättest du die Gefühle, die der Protagonist hat, den Schmerz und Kummer etc., besser Beschreiben können, ausführlicher.

Der Plot ist recht interessant, wenn auch ein wenig abgegriffen. Hier wirkt er ein wenig hölzern und holprig, was auf das oben beschriebene Problem zurück zuführen ist.

Alles in allem ist deine Geschichte nicht schlecht, sie wäre ausbaufähig. Ein wenig mehr Farbe, mehr bildliche Beschreibungen, und es könnte ganz gut werden.

Zum Schluss noch eine Anmerkung:

"Zu tief war ich in meine Gedanken vertieft." -> zu tief vertieft, etwas komische Wortwahl, fast gar ein Oxymoron. Könntest "vertieft" mit "versunken" austauschen, dass liest's sich auch ein wenig flüssiger! :)

gruss visakhapatnam

 

Hallo Brynn,

ich finde das Ende deiner Geschichte sehr schön.
Dein Erzählstil erinnert mich ein weig an den von "American Beauty". Der, wie sich herausstellt, tote Erzähler spricht aus dem Jenseits zum Leser. Das ist sehr schön.
Und wenn ich doch anfangs sagte, mir würde der Schluss gefallen, passt ein Wort im drittletzten Satz nicht in die Geschichte; es ist das "geschleudert". Ein "sanfteres" Wort würde hier meiner Meinung nach einen besseren Effekt erzielen. "Geschleudert" passt einfach nicht zur vorherigen Wortwahl deines Erzählers.
Die Geschichte könnte auch hier vielleicht noch etwas länger sein. Schließlich muss der Leser die Situation nicht nur etwas, sondern ganz nachvollziehen können.
Dennoch gefiel mir deine zweite Geschichte.

 

Danke erstmal für die kleinen Verbesserungsvorschläge, im Nachhinein ist mir auch aufgefallen, dass es reichlich merkwürdig klingt an einigen Stellen. Was die Länge meiner Geschichte angeht liegt es wahrscheinlich daran, dass ich manchmal einfach etwas schreibfaul bin, um Handlungen weit genug ausarten zu lassen, aber ich gelobe Besserung.
Anubis, du sagst, das Wort "geschleudert" klingt zu hart. Dem stimme ich absolut zu, leider fällt mir kein passender Ersatz ein. Kannst du mir also vielleicht (oder auch irgendjemand anderes) einen guten Vorschlag machen, wie man diese Situation "sanfter" ausdrücken kann?

Danke,
Brynn

 
Zuletzt bearbeitet:

Den Wagen bemerkte ich erst, als die Reifen quietschten und ich in die Luft geschleudert wurde.

Ich hätte eine nette Metonymie im Angebot :

Den Wagen bemerkte ich erst, als die Reifen quietschten und ich dem Himmel ein Stück näher kam.

Ist auch im wörtlichen Sinne gut zu verstehen. Was hälst du davon ?

Fehler im Text :

fern gesehen -> ferngesehen
von Weitem -> von weitem

 

Hallo Brynn,

deine Geschichte hat mir gefallen.

Der Schmerz kommt sehr gut rüber. Da er aber noch nicht so ausgeprägt zu sein schien, hatte ich den Eindruck, dass der Prot. selbst noch nicht richtig begriffen hat, was eigentlich passiert ist. Das es erst später anfängt richtig weh zu tun.
Gerade das hat die Geschichte so außergewöhnlich gemacht.

Das Ende war natürlich sehr traurig und beweist quasi die traurigen Philosophien des Prot. Ich fand dieses Ende um so bedrückender, als das er sich ja bewusst gegen den Tod entschieden hatte und es weiter versuchen wollte.

Was mir ein bissl unlogisch erschien war, dass er seine Freunde, seine Familie etc. alle auf einmal verloren haben soll. Was könnte das für ein Unfall gewesen sein? Eine ganze Familie kann leicht ausgelöscht werden - mittels Autounfällen, einem Hausbrand oder so - aber der ganze Freundeskreis gleich mit dazu??

Einiges an Textzeugs:

Ich war nie auf die Idee gekommen, davon auszugehen, dass der Tod so plötzlich kam.

Idee ist eigentlich etwas ideeles und "von etwas ausgehen" auch. Insofern könntest du dir eines von beiden sparen. Vielleicht: Ich bin nie davon ausgegangen, der Tod könnte so plötzlich kommen.
Dann sparst du dir auch die Wortwiederholung.

Kein Mensch ging davon aus, noch am selben Tag zu sterben.

Ist natürlich Geschmackssache, aber mir würde der Satz in der Gegenwart besser gefallen. Zum einen, weil es eine "immer gültige Aussage" ist und zum anderen, weil er damit mMn eine stärkere Wirkung bekommt.

LG
Bella

 

Danke nochmals für Kritik und auch Vorschläge.
Moonay, deine Idee finde ich wirklich sehr gut, danke dafür und für die Fehler, auf die du mich aufmerksam gemacht hast.
Bella, auch dir danke ich für deine Verbesserungsvorschläge. Was den Verlust von Familie und Freunden angeht: Es war zwar so gedacht, dass die ganze Familie stirbt, also vielleciht bei einem Unfall oder ähnlichem. aber der Verlust der Freunde muss sich nicht zwangsläufig auf den Tod beschränken. Es wäre zum Beispiel auch möglich, dass der Protagonist in dieser Geschichte seine Freunde aus dem Grund verloren hat, weil er sich, durch den Schmerz des Todes der Familie, so sehr zurückgezogen hat, dass er sich vollkommen isoliert hat und dadurch seine Freunde auch "fort" waren.

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom