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Nicht heute
Allein saß ich auf der Parkbank und das Wasser tropfte von meinen Haaren. Der Regenschirm lag unberührt neben mir. Ich beachtete ihn nicht. Zu tief war ich in meinen Gedanken versunken. Was war schief gegangen? Diese Frage stellte ich mir schon die ganze Zeit. Nannte man das Schicksal? Ich hatte immer gedacht, dass jeder sein Schicksal selbst bestimmte und sein Leben selbst in die Hand nahm. Aber da hatte ich mich wohl geirrt.
Zuerst meine Mutter, dann mein Vater, mein Bruder. Und wann war ich an der Reihe? Ich war mir dessen bewusst, dass jeder Mensch einmal zu gehen hatte, aber warum kam immer alles so unerwartet? Ich bin nie davon ausgegangen, dass der Tod so plötzlich kommen könnte.
Nächstes Jahr, nächsten Monat, nächste Woche, sogar morgen, ja. Aber noch nicht heute.
Kein Mensch geht davon aus, noch am selben Tag zu sterben. Keiner. Und doch geschah es immer wieder. So wie heute.
Ich war zu Hause gewesen und hatte ferngesehen, als es an der Tür klingelte. Als ich hinging, um zu öffnen, sah ich bereits von weitem die Uniform des Mannes durch das Glas.
Und jetzt saß ich also hier und dachte zum hundertsten Mal darüber nach, warum das alles geschah und warum es ausgerechnet mich nicht getroffen hatte. Ich stand auf und ging den breiten Weg entlang. Trotz des Regens waren einige Menschen hier und schlenderten mit aufgespannten Schirmen durch den Park.
Mit welcher Willkür sich der Tod seine Opfer suchte. Alte Menschen, junge Ehepaare, kleine Kinder. Kein Entkommen.
Welchen Sinn hatte mein Leben, wenn alle Menschen, die ich liebte, nicht mehr hier waren? Meine Familie, meine Freunde. Alle waren fort. Ich wollte auch fort. Wollte nicht mehr weiter, nicht ohne sie. Ich wollte bei ihnen sein. Und so verließ ich den Park.
Ohne es richtig zu merken, kam ich schließlich zur Brücke. Der reißende Strom zehn Meter unter mir rief mich zurück in die Wirklichkeit. Jetzt oder nie. Ich stieg über die Brüstung, klammerte mich fest und sah nach unten. Vielleicht doch besser nie. Oder zumindest später.
Jedenfalls nicht jetzt, nicht so. Ich zitterte, als ich zurück auf die Straße kam.
Nein, heute nicht. Vielleicht morgen, nächste Woche, nächsten Monat oder in einem Jahr.
Den Wagen bemerkte ich erst, als die Reifen quietschten und ich dem Himmel ein Stück näher kam. Aber ich spürte keinen Schmerz, während alles um mich herum immer dunkler wurde.
Der Tod kommt immer unerwartet.