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Nichts zu tun

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09.01.2007
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Nichts zu tun

Verschlafen öffne ich meine Augen und blinzle. Das grelle Tageslicht blendet mich ein wenig. Die Sonnenstrahlen, die durch das geöffnete Schlafzimmerfenster fallen, färben den Raum in ein warmes Orange. Der lauwarme Morgenwind lässt die große Eiche im Vorgarten leise rauschen. Die verschwommenen Ziffern auf meinem Wecker zeigen 11.18 Uhr an.
So spät? Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so lange geschlafen habe. Wie schön. Ausschlafen ist toll.
Ich drehe mich auf den Bauch und beobachte schlaftrunken das sanfte Wehen der Vorhänge, wie sie im Wind tanzen und mit dem reflektierten Licht auf dem Parkettboden spielen. Auf der Straße bellt ein Hund, Kinderlachen, ein Motorroller knattert den Asphaltweg entlang, der Duft von frisch gemähtem Gras liegt in der Luft.

Normalerweise beginnen meine Tage – dank meines Radioweckers – früh morgens mit einem Herz-Kreislauf-Kollaps. Was mich aber für gewöhnlich weniger zum Aufstehen bringt, als vielmehr zum erneuten Einschlafen, da sich mein Körper (so vermute ich) erst von dem Schock erholen muss. Dies hat dann natürlich die Konsequenz, dass ich nach dem zweiten, meist erfolgreichen Alarmschlagen meines Weckers nicht langsam und gemütlich in den Tag starten kann, sondern mich die drängende Zeit praktisch ohne Umwege direkt vom Bett in die Firma peitscht.
Aber heute ist dem nicht so. Heute ist Sonntag. Und ein bezaubernd Sonniger noch dazu. Es ist, als würde die Welt rufen: „Los komm, erleb was, mach was ungewöhnliches, du bist frei!“ Es ist einer dieser Tage, an denen alles Möglich ist. An denen die Welt offen steht und man endlich das tun kann, was man möchte.
Dieser Gedanke lässt meinen Körper für einen kurzen Augenblick angenehm kribbeln und mein Herz beginnt vor Aufregung schneller zu schlagen. Ich kuschle mich grinsend in mein Kissen und schließe genießerisch die Augen.

Draußen singen die Vögel. Es klingt zunächst so, wie es eben immer klingt. Aber je länger ich diesem gewöhnlichen Durcheinander-Zwitschern lausche, desto facettenreicher und exotischer werden diese Töne. Ich höre ganz unterschiedliche Laute und auf jeden dieser einzelnen Laute scheint ein anderer eine Antwort zu sein. Sie unterhalten sich. Ja, tatsächlich!
Mir fällt auf, das einer der Vögel in schiefen, unbeholfenen tönen vor sich hin Trällert und anscheinend vergebens auf Antwort wartet. Keiner der anderen Vögel scheint sein Rufen zu erwidern und ich verspüre einen leichten Anflug von Mitleid. Der arme Kerl. Was kann er schon dafür, dass seine Stimme im Vergleich zu seinen Artgenossen eher kläglich daherkommt. Ich stelle ihn mir vor, wie er einsam auf einem Ast sitzt, sein Köpfchen auf die Seite legt und mit großen, herzerreißenden Augen die anderen, beliebten Vögel beobachtet, wie sie sich angeregt unterhalten. Er bekommt nicht einmal Smalltalk zu Stande. Was bei dieser Stimme aber irgendwie nachvollziehbar ist. Er klingt wie Michal Jackson auf LSD und mit Kehlkopfkrebs im Endstadium.
Wahrscheinlich machen sich die anderen Vögel hinter seinem Rücken über ihn lustig. Ehrlich gesagt, ich wäre mittlerweile auch nicht sonderlich traurig, wenn er sich einen anderen Baum in einem anderen Garten zum Trällern suchen würde. Vielleicht auch in einer anderen Stadt.
Aber egal. Ich kann ohne weiteres über den ein oder anderen misslungenen Ton hinwegsehen. Davon lasse ich mich bestimmt nicht stören.
Ich überlege mir lieber, wie ich diesen ohnehin bereits vollkommenen Tag noch vollkommener gestalten könnte.

Vielleicht ein ausgiebiges Sonnenbad auf meiner neu renovierten Terrasse. Oder ein herrlich entspannendes Buch. Oder ich werfe heute alle Bedenken über Bord und mach mal was total verrücktes.
Ich könnte mit nichts als nur einem Schild bekleidet durch die Fußgängerzone rennen, auf dem in großen Buchstaben geschrieben steht: „Hasch mich, ich bin der Frühling!“ Oder wie wäre es, mit Ballettrock, Gummistiefeln und Bommelmütze den Verkehr in der Innenstadt zu regeln.
Ich muss bei diesem Gedanken über mich selbst schmunzeln. Weniger aufgrund der Vorstellung dessen, als viel mehr wegen der bloßen Idee überhaupt. Wie komme ich nur auf solche Sachen?
Die Wahl fällt jedenfalls auf die Idee mit dem Buch. Dies erscheint mir für den Anfang als Aufregend genug. Allerdings habe ich die drei Bücher, die ich besitze, längst gelesen. Und kaufen kann ich auch keines, es ist ja schließlich Sonntag. Und irgendwie habe ich, wenn ich ganz ehrlich bin, keine rechte Lust stundenlang Bücher zu wälzen.

Eine unangenehme Unruhe macht sich breit. Die Tatsache, dass es scheinbar nichts zu tun gibt, macht mich etwas nervös. Ich drehe mich wieder auf den Rücken und verschränke die Arme hinter dem Kopf. In dieser Stellung kann ich besser überlegen.
Ich könnte die Wohnung putzen! Nein, die Wohnung ist blitzblank gewienert. Helga kommt schließlich zweimal die Woche vorbei um für Ordnung zu sorgen. Und das macht sie auch wirklich sehr gründlich. Sie nimmt dafür aber auch nicht unbedingt wenig. 15 Euro die Stunde. Ich sollte bei Gelegenheit mal darüber nachdenken. Im Moment habe ich aber wirklich wichtigeres zu tun als meinen freien Tag mit Grübeleien zu vergeuden.
In der Firma wartet jede Menge Arbeit auf mich. Berge von unerledigter Arbeit. Da hätte ich jetzt was zu tun. Und es würde mir nicht nur Spaß machen, sondern wäre darüber hinaus auch noch eine wirklich sinnvolle Freizeitbeschäftigung.

Ich sehe auf die Anzeige meines Weckers: 12.27 Uhr.

An einem Wochentag wäre ich in der Funktion der Abteilungsleiterin gerade dabei meine Angestellten in die Mittagspause zu entlassen um endlich in Ruhe arbeiten zu können. Aber die Firma hat ja geschlossen, es ist schließlich noch immer Sonntag. Ach, wie sehr ich meine Arbeit liebe und wie gerne ich jetzt an meinem Schreibtisch sitzen würde. Aber heute? Ich muss der Realität ins Auge sehen: es gibt einfach nichts zu tun!

(Dieser Vogel scheint wirklich nicht zu wissen, was für eine miserable, jämmerliche Vorstellung er ablegt. Ansonsten würde er doch wenigstens ab und zu mal die Klappe halten. Irgendjemand sollte das arme Ding von seinen Qualen erlösen. Wo steckt eigentlich diese verlauste Nachbarskatze?)

Ganz ruhig, nicht aufregen. Ich muss mich schließlich entspannen und genießen. Mal sehen, womit könnte ich mich ablenken… Musik! Musik ist immer gut. Was kommt im Radio? Volksmusik! Nächster Kanal: „Sie sind einsam und wünschen sich endlich ein Partner an ihrer Seite, mit dem sie gemeinsam durchs Leben gehen können?“. Nein. Nächster Kanal: „Candles in the wind von Elton John”? Um Himmels Willen, als wäre der Vogel vor meinem Fenster nicht schon schlimm genug! Also gut, dann eben keine Musik, auch recht.
Wie auch immer. Ich muss schleunigst etwas finden, das mich auf andere Gedanken bringt. Irgendeine sinnvolle Beschäftigung, damit dieser bescheidene Tag schneller vorbei geht. Verdammt! Es muss doch irgendetwas zu tun geben!

Ich halte das nicht aus. Ich halte diesen Tag nicht aus. Ich hasse Sonntage. Sonn-Tag. Keine Ahnung, für wen die Sonne an einem solchen Tag scheinen soll, für mich jedenfalls nicht. Sonntag bedeutet Stillstand. Nichts geht mehr. Ein großes, schwarzes Nichts. In mir drin und um mich herum.

Ich habs! Ich könnte mich anziehen und in das Straßen-Café gegenüber gehen. Ein starker Espresso hat noch keinem geschadet. Der bringt mich sicherlich auf andere Gedanken. Allerdings wartet dort das wahre Grauen. Da sitzen sie nämlich. Die Papis, die stolz ihren verzogenen Kinderchen das schwer verdiente Geld in form von Erdbeereis in den Rachen löffeln. Und die Mamis, mit ihrem vertrottelten Dieses-Glück-wird-ewig-halten-Gesichtsausdruck. Nicht zu vergessen die tattrigen Omis und Opis, die hirnlos dreinschauenden Verliebten, die verzweifelten Singles mit ihren lächerlich verkrampften Flirtversuchen und natürlich nicht zuletzt der gackernde Beste-Freundinnen-Club. Mein Gott, wie sie mich alle anwidern. Diese kleinen Spießer mit ihren Illusionen vom perfekten Glück.
Was bin ich froh, dass der sogenannte Kindersegen und das allseits angestrebte Liebesglück gänzlich an mir vorüber gezogen sind. Nein, ich beneide niemanden um sein kleinbürgerliches Ein-Mann-zwei-Kinder-ein-Haus-und-ein-Passat-Kombi-Leben. Sollen sich doch die anderen von der selbst auferlegten Last ihres ach so perfekten Lebens und den immer tiefer werdenden Decken ihres selbst gebauten Gefängnisses in die Knie zwingen lassen. Ich bin frei! Keine Verpflichtungen auch nur irgendjemandem gegenüber. Kein Mann der großkotzig an meinem Winterspeck rumnörgelt, kein Kind welches mit seinen speckigen Fingerchen geschmolzene Schokolade an den sauber gestrichenen Zimmerwänden verteilt und keine verlogenen Küsschen-links-Küsschen-rechts-Freunde, die unangemeldet in einen gemütlichen Single-Fernsehabend platzen. Alleine bin ich besser dran! Jawohl! Schließlich bin ich so etwas, was man eine Karrierefrau nennt. Selbst wenn ich Kinder, Männer und Freunde wollte, ich hätte keine Zeit für so was. Andere beneiden mich um meinen Erfolg.
Und ich bin jung. Jung und schön. Gut, die 20 habe ich hinter mir gelassen. Aber was solls? Noch ist alles möglich, die Welt steht mir offen. Und die winzigen Falten um meine Augen sind Lachfältchen. – Männer stehen nicht auf Falten!. Ich sollte weniger lachen. – Männer stehen aber auch nicht auf verkrampfte, humorlose Zicken.
Ach, wen interessiert es schon, worauf Männer stehen. Ich brauche keinen Mann. Früher oder später ist er sowieso weg. Wegen einer jüngeren. Wegen einer ohne Falten. Und dann sitze ich wieder hier. Alt, verbraucht, sitzen gelassen – an einem Sonntag.

(Wenn dieser kleine Versager-Vogel nicht bald die Klappe hält, hol ich ihn eigenhändig vom Dach und dreh ihm den Hals um.)

Ich frage mich wirklich, wer mir all das antut. Vergiss dieses nutzlose Wörtchen Schicksal. Irgendwo sitzt nämlich so ein kleines sadistisches Würstchen, hält die Fäden in der Hand und macht sich vor Lachen in die Hose. Genau so ist es! Aber irgendwann werden wir uns über den Weg laufen, du miese Ratte. Und dann rechnen wir ab. Ich bin nämlich nicht schuld, dass alles so beschissen ist. Und ich kann auch nichts dafür, dass es genau genommen nie anders war. Immer der Selbe, nicht enden wollende Mist. Als wäre ich in einer Gott verdammten Zeitschleife hängen geblieben.

Ich weiß ziemlich genau, was ich in meinem Leben nicht haben will. Aber was ist hiermit? Ist es etwa das, was ich mir für mich und mein Dasein vorgestellt hatte?
Wer weiß? Vielleicht hatte ich als Kind nicht den Traum Prinzessin zu werden und mit einem wunderschönen Helden und fünf Kindern an meiner Seite in einem riesigen Schloss zu wohnen und auf ewig glücklich und zufrieden zu sein, sondern strebte ein Leben in selbstgewählter Einsamkeit und nicht enden wollender Depression an. Ja, genau. Vielleicht war es schon immer mein Wunsch gewesen, als faltige 40 Jährige eines Morgens aufzuwachen und zu erkennen, dass das einzige, was mich bisher daran gehindert hat, mich an den Deckenbalken meiner wundervoll dekadenten Galeriewohnung zu erhängen, meine Selbstsucht gewesen ist.

Das ist doch mal eine sinnvolle Idee. Damit lässt sich doch was anfangen. Was wäre denn, wenn ich jetzt einschlafen und nicht mehr aufwachen würde? Einfach so aufhören zu atmen. Einfach aufhören zu existieren. Es würde vermutlich lange dauern, bis man meine Leiche finden würde. Wahrscheinlich erst, wenn die Nachbarn den beißenden Gestank nicht mehr aushalten und die Polizei alarmieren würden.
Die Beisetzung wäre ganz intim. Nur der Priester und ich. Keine verlogenen Grabreden oder geheuchelten Beileidswünsche an die ach so trauernden Hinterbliebenen. Nein, still und heimlich würde ich mich aus dem Staub machen. Es würde kaum einem auffallen.
Nur meinen Angestellten. Ja, sie sind meine Freunde, meine Familie. Sie würden von meinem Ableben Notiz nehmen und vielleicht eine Traueranzeige aufgeben oder ein Rosengesteck auf mein Grab stellen. Eventuell würde sogar die ein oder andere Träne fließen. Krisensitzungen würden einberufen, da die Lücke, die ich in der Firma hinterlassen hätte, nur schwer zu schließen wäre. Es würde zu Entlassungen kommen, da mit mir auch ein enorm großer Anteil des Umsatzes dahingeschieden wäre.
Und dann würden sie meine Aufgaben unter einander verteilen, Überstunden machen und ackern bis zum umfallen. Sie würden gemeinsam die Karre in Null Komma Nichts aus dem Dreck ziehen und Rekordumsätze erzielen. In kürzester Zeit wären sie Marktführer, würden die Firma für einen Millionenbetrag an die Amis verkaufen und sich allesamt zur Ruhe setzen. Und mich hätten sie längst ad acta gelegt und vergessen. Diese undankbaren, speichelleckenden Schmarotzer.

Sie wollen mich also aus dem Weg haben, damit sie groß abkassieren können. Weil ich zwischen ihnen und der fetten Kohle stehe, sie mit meiner bloßen Existenz um den verdienten Luxus bringe. Ihr wollt meinen Tod? Ja, das glaube ich. Das könnte euch so passen. Ihr gottverdammten Aasgeier. Und wisst ihr was? Den könnt ihr haben. Heute, jetzt und hier. Sonntag, 14.41 Uhr. Schlaftabletten liegen neben meinem Bett. Und wisst ihr noch was? Damit habt ihr mir noch einen Dienst erwiesen. Denn endlich hab ich was zu tun (und den Vogel, den nehm ich mit!).

 

Hallo Laura,
Dass dies eine nervige Selbstmordstorys ist, :D erfährt der Leser erst am Ende, obwohl der zynische Unterton darauf schon hinweisen könnte. Letztendlich ist diese Geschichte eher ein Essay, weil wenig bis nichts an Handlung passiert und der Leser nur die unreflektierten Gedanken der Protagonistin "fressen" muss. So erscheint die Erzählerin auch wenig liebenswert, weil sie ihre Mitmenschen und sogar die Tierwelt abwertet.
Ich weiß nicht, ob das dein Ziel war. Aber auf den Leser wirkt das unreif: als ob sich jemand grundlos auskotzt, ohne seinen Anteil daran zu sehen.

Übrigens wird Sonntags kein Rasen gemäht. Es kann also nicht frischgemäht riechen. Nach der Rasenmäherverordnung xyz ist das nicht erlaubt. ;)Außerdem weht um 11.18 Uhr (das ist schon der helle Vormittag) schon kein Morgenwind mehr. ;)

LG
GD

 

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