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Noch ein Versuch
"Ich wünsche dir ein mit Freude und Liebe erfülltes Leben!" Jürgen umarmte mich zärtlich. Wir frühstückten gemeinsam und ich dachte zurück an die Jahre, die wir nun zusammen lebten und wie damals alles begonnen hatte.
"Es ist doch unglaublich. Ich habe das Deo nur dreimal benutzt."
"Und dann haben wir uns gefunden und die Anziehung ist immer noch da, wie am ersten Abend, oder ..." Jürgen lächelte mich an und ich grinste zurück.
"Und das alles wegen einiger Pheromone, die längst verdunstet sind? Manchmal frage ich mich, ob es nicht doch eine gute Fee war, die mir das Deo geschenkt hat."
"Dann hättest du wohl noch zwei Wünsche frei."
"Ich bin mir gar nicht sicher, ob es wirklich dieses ominöse Deo war, das uns zusammengebracht hat. Wahrscheinlich hätten wir uns auch ohne Hilfsmittel gefunden." Ich schaute Jürgen fragend an.
"Mein liebstes Kläuschen, ich merke schon, dein nächster Wunsch kommt ans Tageslicht."
Na ja, Peter hatte damals gesagt, zu jedem Topf gebe es ein Deckelchen. Aber vielleicht gibt es mehrere Deckel? Doch, ich würde gerne wissen, ob du meine einzige Liebe bist. Aber ich trau mich nicht, denn ich möchte dich nicht verlieren."
"Nun das können wir doch recht einfach ausprobieren. Du hast das Deo doch noch. Wir benutzen es beide. Und entweder entdecken wir uns ganz neu. ..."
"Oder?"
"Lassen wir uns überraschen. Schließlich hast du Geburtstag."
Abends war Herbstball in der Uni-Mensa und so schmissen wir uns in angemessene Klamotten, nachdem wir uns streng nach Gebrauchsanweisung mit dem Wunder-Deo besprüht hatten. Ein früherer Nachbar hatte mich vor drei Jahren überredet, an einem Feldversuch teilzunehmen, von dem die Kosmetikfirma heute aber nichts mehr wissen wollte. Das Deo sollte einem die große Liebe offenbaren und bei mir war es ja auch so gekommen. Aber ob es mehr als eine große Liebe gab? Ich bin eigentlich kein romantischer Mensch denke ich, aber jetzt war ich ganz aufgeregt und sogar erregt, wie ich leicht errötend merkte. Jürgen entging es nicht und er knuddelte mich zärtlich:
"Ich sehe, du bist bereit für dein großes Geburtstagsabenteuer."
Menschen, Lärm, Gerüche. Ich mag keine Menschenansammlungen und laute Fröhlichkeit schon gar nicht. Am liebsten wäre ich umgekehrt und wieder nach Hause gegangen. Aber Jürgen lotste mich zu einem kleinen Tisch in einer Nische, an dem erstaunlicherweise noch zwei Plätze frei waren. Dann besorgte er uns zwei große Spezi. Kaum saßen wir gemütlich, kam eine Kommilitonin aus dem Oberseminar und forderte Jürgen auf, mit ihr zu tanzen. Ich kann nicht tanzen und mag dieses Herumgehopse auch nicht. Manchmal tanzen Jürgen und ich zu Hause engumschlungen zu einer langsamen Melodie, aber so sehr ich Jürgen liebe, ich fühle mich ein wenig eingeengt. Körperliche Nähe macht mir schnell Angst, warum auch immer. Und so war ich ganz froh, dass mein unauffälliges Erscheinungsbild niemanden animierte, mich zum Tanzen zu holen.
Es war warm und meine Spezi neigte sich dem Ende zu. Wo blieb Jürgen? Der DJ spielte ein langsames Stück. Da war er ja, direkt vor mir auf der Tanzfläche in innigem Kontakt mit Katja, die mit uns gemeinsam zwei Vorlesungen besuchte. Die meisten Kommilitonen, mit denen ich zusammen studiere, bleiben mir kaum im Gedächtnis, auswechselbare Figuren im Studienlauf. Aber Katja war mir am ersten Tag aufgefallen. Schlank, lange glatte schwarze Haare, ein großer Mund mit blitzend weißen Zähnen. Ihr Lachen und ihr Gang riefen Erinnerungen hervor. Die älteste Nachbarstochter hatte damals so ausgesehen, als sie ihre fraulichen Attribute bekam und unseren Kinderspielen fernblieb.
Und da tanzte Jürgen mit Katja. Die beiden umarmten sich und zwischen ihnen war bestimmt kein Platz mehr für einige Luftmoleküle. Aber ich stellte erstaunt fest, dass ich gar nicht eifersüchtig war. Gut, ich leide nicht unter überschäumenden Gefühlen und ich hatte bis jetzt keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Aber ich fand es geradezu wunderbar, die beiden zusammen zu sehen. Was war los mit mir? Bevor ich meine unerwarteten Gefühle weiter analysieren konnte, kamen die beiden zu unserem Tisch. Katja lachte mich an, setzte sich neben mich und umarmte mich. "Den nächsten Blues tanze ich mit dir", raunte sie mir ins Ohr. Eigentlich hätte ich jetzt stottern müssen "Ich tanze gar nicht", aber selbst diese Worte fanden nicht den Weg in die Freiheit.
Also tanzten wir zusammen. 'Ich bin fünfundzwanzig und habe noch nie so eng mit einem Mädchen getanzt.' Ich glaube, das waren meine letzten klaren Gedanken, bevor ich mich in ihren dunkelbraunen Augen verlor. Als der Tanz zu Ende ging, wusste ich nicht einmal mehr, ob ich sie nun geküsst hatte, oder nur geträumt hatte. Mir war ein wenig schwindlig, aber Katja führte mich sicher an unseren Tisch zurück, setzte sich neben uns und legte ihre Arme um uns beide. Wir alberten miteinander, wurden aber auch mal ernst und immer, wenn ein langsames Stück kam, tanzten wir. Katja mit mir, ich mit Jürgen, und nachdem am frühen Morgen keine Einzelkämpfer mehr zugegen waren, tanzten wir auch zu dritt. "Da kann man wenigstens nicht umfallen", gähnte ich und Jürgen meinte: "Lass uns nach Hause gehen."
Ich muss sofort ins Bett gefallen und eingeschlafen sein. Als mich die blöde Taube auf unserem Dach weckte, merkte ich dass ich mich gegen alle meine Gewohnheit an Jürgen gekuschelt hatte und in Löffelchenstellung an seinem Rücken lag. Sanft streichelte ich über seine Brust und hielt entsetzt inne. 'Das ist nicht Jürgen!' stöhnte ich innerlich. Aber meinen Fingern war der Schock egal. Sie gingen weiter auf Entdeckungsfahrt und wurden nach den ersten zaghaften Erkundungen immer forscher. Schließlich gab es da viele unbekannte Landschaften zu erstreicheln. Die Gegenden, in die meine Hände vordrangen, wurden erregender und offensichtlich wurden wir erwartet, wie mir ein kleiner Seufzer offenbarte. Bisher hatte ich dieses unerwartete Geheimnis mit geschlossenen Augen erforscht, aber nun öffnete ich sie und schaute über meine Bettnachbarin hinweg. Jürgens Finger streichelten über Katjas Lippen, seine Augen lachten mich freudig an und dann begaben wir drei uns auf eine ausgedehnte Expedition, die bis in den Abend andauerte. Meine Scheu vor engem Körperkontakt hatte sich verzogen und ich genoss es, dass drei Menschen sich so miteinander ineinander verschlingen können.
Es blieb nicht bei dieser Nach-Geburtstags-Feier. Katja zog bei uns ein, wir machten gemeinsam unser Examen, gründeten eine kleine erfolgreiche Firma, die wir von unserem Häuschen aus führen konnten, das wir uns auf dem Lande gekauft hatten. Und es blieb dann auch nicht aus, dass wir an einem Sommermorgen, als wir im großen blumenübersäten und mit Bienengesumm erfüllten Garten frühstückten, uns ansahen und wie aus einem Munde meinten. "Jetzt fehlen nur noch Kinder."
Die folgenden neun Monate waren für uns drei nicht leicht. Für Katja am schwersten, aber im Frühling konnten wir unseren Nachwuchs im Arm halten. Tom und Lena waren zweieiige Zwillinge und von Geburt an unglaublich pflegeleicht. Die Frage, wer nun der Vater sei, war uns nicht wichtig. Aber wenn Jürgen und ich die beiden Kinder Besuchern in unseren Armen präsentierten, riefen alle aus: "Ganz der Vater!"
Nach unseren guten Erfahrungen wollten wir die beiden nicht alleine aufwachsen lassen und erwarteten zwei Jahre später ungeduldig ihre Geschwisterchen. So etwas liegt ja in der Familie und so waren wir nicht erstaunt, dass auch Paul und Anna zweieiige Zwillinge waren. Viel überraschender war für uns, dass unsere Beziehung auch nach diesen Jahren und dem Babystress, der jetzt doch zunahm, so schön blieb, wie an dem ersten Morgen. Oft begaben wir uns auf Entdeckungsreise, während unsere Kinder mit ihrem Kindermädchen die Umgebung erkundeten.
Ach ja, das Deo liegt gut verpackt im Tresor. Vielleicht sind die Wirkstoffe inzwischen abgebaut, aber wir wollen dies auch gar nicht wissen. Auch den dritten Wunsch habe ich gut versteckt. Vielleicht kommt ja ein Tag, an dem wir noch einen Versuch unternehmen werden .