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Noch ohne Titel
Ich kenne ihre Stimme. Ich kenne auch das Wort „Autotelefon“, dieses Wort, welches diese so bekannte aber durch mein Mobiltelefon so unglaublich entfernt klingende Stimme jetzt schon zum dritten oder vielleicht auch fünften Mal sagt. Liegt es am Mobiltelefon oder ist sie so weit weg? Vor drei Tagen hatte mir diese damals für mich so wunderbar und nah klingende Stimme an meinem Autotelefon noch alles Gute gewünscht und mir Kraft gegeben. Heute habe ich keine Kraft und ich denke auch kein Autotelefon mehr. Nicht schlimm, ich brauche gerade auch kein Autotelefon. Ich brauche auch kein Mobiltelefon, ich lege es einfach weg.
Mein Kopf ist voll, so voll das nichts mehr an meinen Verstand herankommen kann. Oder ist mein Kopf leer, ohne Verstand? Das wäre auch eine Möglichkeit, aber im Moment habe ich keine Lust mir zu überlegen was wahrscheinlicher ist. In einer gewissen Weise hat mein Kopf Gemeinsamkeiten mit meinem Magen. Hier stellt sich mir gerade die Frage, ob er einfach nur unglaublich leer ist oder ob er gar nicht mehr vorhanden ist. Der Gang zum Kühlschrank macht es nicht leichter. Mein Magen flüstert: „Essen, dann komme ich vielleicht wieder“. Mein Verstand scheint „Bier“ zu murmeln. Die Sucht sagt beruhigend: „Zigarette!“ Ich höre auf meine Sucht.
Katharina steht auf dem Zahnputzbecher im Badezimmer. Ein Badezimmer, welches zu dem Zahnputzbecher nicht passt. Passt das Badezimmer zu Katharina? Keine Ahnung. Passt Katharina zu Katharina? Weiß ihre Mutter, dass Katharina auf Analsex und Kokain steht? Würde sie ihre Mutter weniger mögen wenn sie es wüsste? Ist das wichtig für ein richtiges Bild von Katharina? Brauche ich ein richtiges Bild von Katharina? Stopp! Geht mich das etwas an? Muss oder sollte ich darüber nachdenken? Sollte ich überhaupt nachdenken?
Autotelefon? Nein, das kann es nicht sein, ich bin sicher ich habe keins mehr! Kathrin, die Frau zu der wunderbaren Stimme, die so fremd wäre wenn ich jetzt mit ihr sprechen würde, geht mir durch den Kopf. Lautlos ist eine tolle Funktion, jetzt blinkt es nur noch ohne mich zu stören in meinen Gedanken. Will ich überhaupt denken?
Ein Blick auf das Display, es ist Tom, nicht Kathrin. Tom. Mein Chef, mein Kumpel, ich könnte an mein Mobiletelefon gehen, er würde es verstehen. Verstehen das ich drei Tage nicht erreichbar war weil ich eine Auszeit brauchte. Er kennt mich. Nein, er würde es nicht verstehen. Er glaubt er kennt mich. Ich dachte, er kennt mich. Das würde er nicht verstehen. Er würde mich auch nicht mehr kennen. Hat er mich überhaupt einmal gekannt? Er kannte einen Teil von mir. Er hält mich für einen guten Mitarbeiter, für einen überglücklichen, gerade zum Projektleiter auserkorenen Mitarbeiter einer Marketingagentur, für einen Menschen mit einer überdurchschnittlichen Kariere zu der er beigetragen hat, für einen bald glücklich verheirateten Mann mit einer zukünftigen Ehefrau die er selber gerne vögeln würde. Er kennt mich nicht mehr. Ich kenne mich selber nicht mehr und Tom kennt mich schon gar nicht. Er hat mich nie gekannt. Aber Tom ist glücklich, ich bin leer. Ich denke, ich hasse Tom dafür! Eigentlich habe ich Tom schon immer gehasst, mir ist es nur nie aufgefallen. Er war immer nett zu mir, aber jetzt hasse ich ihn weil er Tom ist, weil er ist wie Tom.
„Starrst du oft dein Handy an, ohne zu telefonieren?“ Mir fällt nur „manchmal“ ein. Katharina ist wach und auf dem Weg zu ihrem Zahnputzbecher. Katharina ist eigentlich eine schöne, junge Frau. Nackt ist sie wirklich süß. Kein Vergleich zu Kathrin. Kathrin ist eine bewundernswerte Frau die bis vor drei Tagen perfekt zu mir gepasst hat. Passt jetzt Katharina besser zu mir? Sie ist jung, perspektivlos, ohne ihr Ziel erreicht oder gefunden zu haben. Ich bin auch nicht alt, vielleicht nur ein paar Jahre älter und habe mein Ziel verloren. Hatte ich ein Ziel? War Kathrin, Familie und eine zweite Ehe mit Tom mein Ziel? Ich dachte schon. Eigentlich hasse ich nicht Tom, sondern mich!
„Hast du Papers?“ Katharina muss mich meinen. Sonst ist niemand hier. „Ja, irgendwo“
Bin ich ein schlechter Mensch? Habe ich etwas falsch gemacht? Habe ich die letzten Tage oder mein Leben davor etwas falsch gemacht? Ist Tom ein schlechter Mensch, hat er etwas falsch gemacht? Ist Kathrin ein schlechter Mensch? Nein, das kann gar nicht sein. Nicht Kathrin! Sie hat nur vielleicht etwas falsch gemacht: Mich zu lieben. Kann dass ein Fehler sein? Ich habe sie immer gut behandelt. Kann ich trotzdem ein schlechter Mensch sein?
„Kommst du mal klar, ich warte auf die Papers!“. „Sag das doch…. Kathrin…. sind in meiner Jacke…glaube ich“.
„Ich heiße Katharina, du kommst ja gar nicht mehr klar, Alter!“. Ja, das stimmt wohl, aber ich muss ihr jetzt nicht auch noch recht geben. Ich lege mich lieber auf das Bett, es sieht bequemer aus als der Stuhl auf dem ich aus irgendwelchen Gründen eine unbestimmte Zeit saß. Ein Blick auf den Wecker, es ist 8:39. Grüße an Tom, viel Spaß beim arbeiten. Ich kann nicht arbeiten, bin krank, fühle mich krank. Fühle mich gesund und du bist krank!
10:22. 10:22! 10.22? Habe ich geschlafen? Habe ich in letzter Zeit überhaupt mal geschlafen? Katharina schläft. Ich höre es, sie schnarcht, ganz leise aber sie tut es. Ich werde nüchtern, ich werde mir bewusst wie perfekt alles ist! Ich bin Projektleiter des wohl größten Projektes unserer Agentur dieses Jahr. Kathrin muss so glücklich sein, das hatte sie sich seit einem Jahr gewünscht. Jetzt habe ich es geschafft. Jetzt hat sie es geschafft. Wir werden endlich umziehen in eine größere Wohnung mit Platz für ein Kinderzimmer. Werden wir nicht! Ich kann Gedanken an mein Leben gerade nicht ertragen, ich kann mein Leben nicht ertragen. Ich kann mich nicht ertragen? Kathrin wird so enttäuscht von mir sein! Ich will diesen Gedanken weg haben. Ich will Kathrin weg haben. Kann man aus den Resten auf dem Tisch noch eine Line zusammenkratzen? „Kannst du vielleicht auch leise denken!?“ Kann sie meine Gedanken lesen? Habe ich laut gedacht? Es reicht noch für eine kleine Line. Habe ich mir schon ein Bier geholt oder habe ich das gedacht? Ich habe es schon geholt und auch schon daran getrunken. Ich werde wieder klar. Habe ich die Line schon gezogen? Sie ist weg.
Katharina mag wohl auch Sex im Halbschlaf. Das hat sie mit Kathrin gemeinsam. Hat sie noch mehr mit ihr gemeinsam? Sie riecht anders, Kathrin riecht klarer, weicher. Mag ich es? Nein, im Moment nicht. Ich bin mit einem Plan beschäftigt. Ich habe ihn! Ich werde schlafen, aufwachen und alles wird klar sein. Ganz einfach! Ein perfekter, einfacher Plan.
Der Plan ist aufgegangen. Ich bin wach, alles ist klar. Kathrin ist nicht da. Katharina auch nicht. Die Sonne geht bald unter aber es ist immer noch warm. Es war ein schöner Sommertag. Ich kann mich an schöne Sommertage erinnern. Als ich als Kind im Urlaub am Meer war, gab es viel davon. Danach muss es auch noch welche gegeben habe, aber ich kann mich im Moment nicht erinnern. Alles reicht nach Sommer, wie früher im Urlaub. Sogar hier obwohl nur ein Fenster leicht geöffnet ist.
Auf dem Balkon riecht es noch viel intensiver. Bin ich hier? Ich fühle mich nicht. Habe ich die ganze letzte Zeit nichts gefühlt und mir fällt es jetzt erst auf? Ich kann die warme Sommerluft einatmen und endlich denken. Soll ich zurück? Zurück zu Kathrin und Tom? Ich liebe Kathrin! Habe ich mir gewünscht, springen zu können oder bin ich es schon?