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Nur ein bisschen Sperma
Als sie aufwachte, fand sie sich auf einer Straße laufend wieder. Gerade raste ein Auto laut hupend an ihr vorbei. Sie erschrak und sprang zur Seite, wo sie augenblicklich fast vom nächsten Auto überfahren wurde.
Alles an ihr erschlaffte.
Sie blieb stehen.
Im Club. Sie hatte den Körper dieser Frau angestarrt. Die Muskeln, wie sie sich unter der glatten, falten- und dellenlosen, straffen Haut bewegten, wie bei einem sehnigen Tier. Jede Kontur war zu erkennen. Sie begaffte diesen vollkommenen Körper und konnte an nichts anderes denken, als daran, dass er sie bestimmt lieben könnte, wenn sie nur diesen Körper hätte. Wenn er seine Hände an jede beliebige Stelle legen und Muskeln darunter spüren würde. Hätte sie nur diesen Körper - alles wäre gut. Er würde ihr verfallen, und sie bräuchte nichts zu tun, nur seine entflammte Liebe erwidern. Nicht so wie jetzt, wo sie das Gefühl hatte, er ließ sich herab, mit ihr zu schlafen. Er ließ ihr Gnade zuteil werden, indem er sich in sie versenkte. Fast schamhaft tief vergraben. Und das, obwohl sie so jung war, und er fast schon alt. Aber sie war jung und bedürftig, schlaff und ausgebrannt, erschöpft, verbraucht, nach Liebe bettelnd. Er war vielleicht alt, aber schön, marmorn und leuchtend, voller Leben. Manchmal versuchte sie etwas aus diesem Leben aus ihm heraus zu saugen. In ihres, welches ihr so oft so leer vorkam. Wenn sie es wenigstens mit jemand anderem füllen könnte, wenn schon nicht mit ihr selbst. Aber es gelang ihr nicht.
Er war sich selbst genug. Sein Leben war vollständig, ohne einen anderen Menschen darin. Er brauchte weder ihre Liebe, noch wollte er auch nur ein kleines Stück seiner Liebe an sie verschwenden.
Höchstens etwas Sperma. Nur das. Und sie nahm es, empfing es fast schon demütig; dankbar wenigstens etwas von ihm zu bekommen. Auch wenn alles aufgefangen wurde, bevor es ein Teil von ihr werden konnte. Manchmal war sie versucht, das ganze Sperma zu sammeln, als ob es sich dann potenzieren würde, um am Ende selbst zu Liebe zu gerinnen. So schwer fiel es ihr, die benutzten Kondome wegzuwerfen. So schwer. Als würde sie ein Stück von ihm, ein potentielles Stück Liebe weg werfen. Später, das wusste sie jetzt schon, würde sie sich das sicher vorhalten.
Hätte sie nur die Kondome behalten, dann hätte sie auch seine Liebe.
Aber hatte sie nicht gestern erst zwei Stück in den Badmüll geworfen? Sie ging ins Bad, und ihr Blick blieb an dem Waschlappen hängen, mit dem sie sich heute morgen dann doch, wenn auch voller Widerwillen, seinen Samen abwusch. Als er in der Nacht nach Hause ging, hatte sie eines der benutzten Kondome genommen und den noch warmen Inhalt auf und in ihrem Körper verteilt. Sie wollte sich die Illusion verschaffen, dass er Spuren auf ihr hinterließ. Das schien ihr der einzige Weg zu sein.
So viele Männer waren schon gegangen, ohne Spuren in ihrem Leben zu hinterlassen. Ihr Leben ging immer einfach weiter, als ob niemand da gewesen wäre. Und auch in dem Leben der Anderen blieb kein Kratzer zurück. Sie stellten ihr nur ihre Körper zur Verfügung. Ließen sie damit machen, was sie wollte, aber ihre Seelen, ihre Herzen, die behielten sie für sich.
Sie schnüffelte. Fast schien es ihr, als könne sie ihn noch riechen. Sie widerstand dem Bedürfnis sich vor die Badewanne zu knien und den noch feuchten Waschlappen abzulecken, um seine Hingabe schmecken zu können. Aber unvermittelt bohrte sich eine Gewissheit in ihre Tagträume. Sie hatte den Mülleimer heute morgen geleert! In diesem Moment verselbstständigte sich ihr Vorhaben. Vielleicht war es am Anfang nur ein abstruses, unterschwelliges Bedürfnis, aber ohne dass sie es wirklich realisierte, war es nicht mehr sie, die ihre Gedanken beherrschte, sondern ihre Gedanken dominierten sie. Zwanghaft in dieses mentale Korsett geschnürt, hastete sie die Treppen hinunter in den Innenhof zur Mülltonne. Sie öffnete die Tonne und sah - nichts. Eine Weile heftete sie ihren Blick auf den Boden der Mülltonne, als würde sie nach etwas suchen, was sie abhalten könnte.
Langsam klappte sie den Deckel herunter.
Ihr starrer Blick richtete sich auf die asphaltierte Straße.
Sie begann zu laufen.