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Nur ein verdammter Penner

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26.02.2009
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Nur ein verdammter Penner

Früher am Tag hatte er eine Offenbarung. Im Licht des aufgehenden Mondes hieß der Pfarrer ihn willkommen wie einen Bruder und bot Hilfe.
Das Bild hinterließ den Eindruck eines Déjà-vu. Darüber nachzudenken war zu verzwickt. Ein anderer Gedanke hingegen war leicht und versprach Hoffnung: Diese Nacht wollte er keine Flaschen sammeln, sondern ein neues Leben beginnen.
Seine Hand hob die Flasche Korn zu den Lippen. „Nein, ganz so einfach wird es nicht werden“, murmelte er und ließ die Flasche sinken. Es war wichtig, nicht völlig abzustürzen. Sonst bekäme er nicht mit, wie der grelle Tag in erträgliche Dämmerung glitt und er verfehlte den Bruder, seine Pforte zu einem besseren Leben.
Der Tag verlief zunächst wie jeder andere. Er hockte in seinem Verschlag aus Brettern und Pappe auf der Matratze, hielt eine Schnapsflasche in der Hand, dämmerte vor sich hin und wartete auf den Abend.
Als er noch ein gebräuchliches Leben führte, erinnerte er sich so gegen Mittag, hieß Warten kämpfen gegen die Ansprüche der Zeit, die mit unwiederbringlichem Vergehen ständig Taten von ihm forderte, bis zum Leben nichts mehr übrig blieb.
„Vorbei“, sagte er zu sich. Selbst Warten war nun anders. Nach verlorener Schlacht und mit den Taschen voller Zeit, bedeutete es nun kämpfen gegen sich selbst.
Er spürte, wie jeder Teil seines Körpers auf spezielle Weise nach Alkohol fieberte.
Seine Selbstbeherrschung schien ihm schwach wie ein Ackergaul mit entzündeten Gelenken. Er peitschte den müden Klepper aufs Äußerste, das Verlangen in seiner Brust zu zähmen; die lechzende Kehle zu ignorieren, die sich trocken und fordernd in ständiger Schluckbewegung befand; die Hand zu bezwingen, die in einem fort die Flasche Fusel an seine spröden Lippen führen wollte.
Siege waren in letzter Zeit immer seltener geworden. Manchen Abend verschlief er im Vollrausch.
Irgendwann am Nachmittag, während draußen im Licht das Leben sich tummelte, brach sein Klepper zusammen. In seiner Verzweifelung kramte er ein Stück Holz hervor und schob es in den Mund. Er kaute darauf herum bis der Schmerz in seinen vergilbten Zähnen mächtig genug war, den Aufruhr der gierigen Körperteile niederzudrücken. Es half eine Weile, Sieg und Niederlage in Waage zu halten.

Jetzt wankte er, den Blick auf seine ungehorsamen Füße gerichtet, zwischen Kastanienbäumen und Schaufenstern die Straße hinunter.
Vor dem türkischen Gemüseladen blieb er stehen, hielt sich an einem der leeren Auslagentische fest, richtete seinen klapprigen Körper senkrecht aus und schloss die Augen. Mit zittriger Hand strich er seinen hutzeligen Regenmantel glatt, als rechnete er damit, jeden Moment dem Bürgermeister zu begegnen.
Dann hob er den Kopf um ein Wagnis einzugehen. Blinzelnd begutachtete er seinen ärgsten Widersacher, der halb verdeckt hinter einem Dachfirst hervor lugte.
Der abscheuliche Glutball formte mit letzter Kraft lange Schatten, statt ihm mit brennenden Strahlen seine schneeweiße und überaus empfindliche Haut von den Knochen zu pellen und Pfeffer in die roten Augen zu streuen.
Zufrieden führte seinen Blick von dem sterbenden Glutball in den Schatten der Bäume. Dort tanzten brennende Hexen durch schwärzlichen Rauch. „Das schad nix, das vergeht“, murmelte er und setzte dann lauter, mit triumphierendem Tonfall hinzu: „Du hast es wahrhaftig geschafft.“ Und über sein knochiges Gesicht glitt ein Grinsen, als hätte er die Sonne höchstpersönlich niedergerungen.
Mit dem Feixen im Gesicht torkelte er weiter die Straße hinunter, bis sein Blick ein Pärchen schräg gegenüber erfasste. Die Leuchtreklame über ihren Köpfen übergoss sie mit Licht. Mit geschwungenen Buchstaben aus gelben, grünen und türkisfarbenen Neonröhren wirkte sie in dieser unter Sommerstaub ergrauten Einkaufsstrasse wie eine Insel mit karibischem Flair. Doch für seine sensiblen Augen war selbst dieses künstliche Licht zu grell.
Zwinkernd hielt er den Blick auf die Beiden, die dort Angebote im Schaufenster musterten. Sie drehten sich flüchtig zu ihm um. Er sah glänzende, genormte Gesichter.
Ob er die Straßenseite wechseln und den beiden ein paar Cent aus der Tasche leiern sollte, überlegte er. Die Zeit hätte er noch. Doch das Licht der Reklame, in dem sie standen, schien ihn abzuweisen. Aber das ist es nicht allein, dachte er, es ist die die Aura, die sie umgibt. Es näher zu beschreiben fiel schwer.
Alkohol in den Adern vernebelt die Wahrnehmung, soviel wusste er. Aber manchmal, wie eben, kam es ihm vor als bündelte der Weingeist die Sinne und erschuf auf diese Weise eine völlig neue Art von Empfinden, das sich ihm in bildhafter Sprache mitteilte. Und dieses Pärchen dort drüben schien von Verbotsschildern umgeben, auf denen nichts Konkretes stand - so mitteilsam war die in Alkohol gelöste Synergie seiner Sinne leider nicht - aber sie hatten die Form von Stoppschildern und es waren große Ausrufezeichen darauf.
Das konnte seinem Empfinden nach nur eines andeuten: Rückte er den beiden auf die Pelle, bekäme er Scherereien. Also blieb er auf seiner Seite der Straße, dort wo die Schatten tiefer waren. Enttäuschung vertrieb sein Grinsen.
Vorsichtig setzte er sich wieder in Bewegung. Sein Ärger über das Paar waberte wie Kneipengestank durch seine Gedanken und er musste darauf achten, sein Ziel nicht zu vergessen.
Den Weg kannte er. Es lag noch ein gutes Stück die Straße hinunter. Hinter dem Schlüsseldienst mit 24-Stunden-Service und an dem Lebensmittelmarkt vorbei, dort, wo die Krone einer Linde in den Himmel ragte und einen Kies bestreuten Platz überdachte, stand die kleine, aus Natursteinen gemauerte Kirche, verborgen hinter dem Blattwerk der Linde.
Die Turmuhr, mit rostigen Zeigern und Ziffern, so entsann er sich, war wie das Gotteshaus, von der Einkaufsstraße her nicht zu sehen. Im Grunde machte sie das zu einer überflüssigen Maschinerie. Doch jemand sorgte für sie, zog das Uhrwerk regelmäßig auf, und so durfte es arbeiten. Mehr erwünschte er sich auch nicht.

Zwei Glockenschläge quengelten hinter der grünen Masse hervor und breiteten sich in der Abendluft aus, die plötzlich so reglos zwischen den Häusern klemmte, dass er für einen Moment glaubte, sie wäre gar nicht da. Ihm wurde andächtig zumute.
Der schüttere Glockenruf rührte ihn auf glückverheißende Weise. Ein Lächeln hob sein Gesicht. Sein Verstand, allezeit auf der Suche nach einem sicheren Weg durch die Realität, doch allzu oft verführt von rätselhaften Irrlichtern seines eigenen Geistes, zeigte ihm seinen Bruder in strahlendes Licht gehüllt, wie er durch das schwere Eichentor die Kirche verließ und hinaus auf den Platz trat, mit wehendem Talar, langen Schritten und schweren schwarzen Schuhen, die sich unter seinem erwähnenswerten Gewicht knirschend in den Kies drückten, bis zur hölzernen Bank unter der Linde eilte, um dort stehend und mit dargebotenen Armen auf ihn zu warten, bereit für das allabendliche Ritual.
Heute, sagte er sich, wird er seinen Bruder nicht verfehlen, heute wird er sich in seine Arme werfen, in ein neues Leben sinken.
Er lief nun schneller, neigte sein lächelndes Gesicht und achtete darauf, nicht über seine Füße zu stolpern.
„Ein Mensch kann wahrhaftig eine Pforte sein“, flüsterte er und ließ sich von dieser Hoffnung tragen, an dem Schlüsseldienst vorbei und vorbei an dem neuen Lebensmittelmarkt, die Arme nach vorn gereckt, bereit seinen Bruder zu umfangen, für alles zu danken, wieder mit einer Uhr am Arm die Zeit zählen, mit ihr ringen, sie unter Arbeit ersticken, um nie wieder welche zu besitzen. Gute Zeit, nur wer am Ende nichts zum Leben von ihr übrig lässt, ist ein König in dieser Welt.
Seine ungehorsamen doch rastlosen Füße schlurften über den Kies, sein Lächeln suchte den Bruder und fand nur Dunkelheit. Er stürzte haltlos und in Schmerz, der Bruder nur ein Irrlicht.
Ein Mensch kann eine Pforte sein, aber nicht in einer Welt voller Könige. Diese Einsicht ließ ihn aussehen wie ein trauriger Clown mit ungeschminkten Lippen.
Neben der Bank unter der Linde entdeckte er eine Flasche, er kroch darauf zu, nahm sie an, rieb sie an seinem Mantel sauber, kein Glas, gutes Plastik, fette Beute, und spähte schon nach der nächsten.

 

Hallo Asterix,

das wird eine der Kritiken, bei denen ich immer überlege, ob ich sie überhaupt schreibe.
Inhaltlich beschreibst du einen Obdachlosen und an seinen Überlegungen durchaus ein Stück Gesellschaftskritik über unseren Umgang mit Zeit. im ernüchternden Ende lässt du aufgebaute Hoffnung ins Bodenlose stürzen, dem Gedanken kann ich soweit folgen.
Strukturell finde ich irritierend, dass du mit einem Geschehen beginnst, das mit der Geschichte kaum zu tun hat. Du lenkst den Fokus auf eine Begebenheit, die ins Leere läuft, als wolltest du eine andere Geschichte erzählen. Wenn der schwarzgekleidete Mann später noch einmal auftaucht, wird er unheimlich, während im ersten Absatz der Eindruck erweckt wird, die umherhuschenden Gestalten wären unheilvoll. Auch später beeinflussen sie das Geschehen kaum, denn der wirkliche Protagonist kann deshalb nur nicht über die Straße, findet aber trotzdem zu seinem Ziel. Es sei denn, ich habe etwas überlesen und er stößt dieser Gestalt wegen nicht auf seinen Bruder.
Enttäuscht hat mich an dieser Geschichte die Sprache, die für mein Gefühl weder Rhythmus noch Melodie aufweist. Dazu gibt es dann auch eine Menge Anmerkungen:

Ein flüchtiger Blick aus dem fahrenden Auto oder durchs Bürofenster auf dem Weg vom Computer zur Kaffeemaschine, hätte nur den Eindruck erweckt, das dort jemand neugierig und in aller Ruhe durch die Tür in das kleine Geschäft für Elektrogeräte schaut.
Wenn, "dass", des Rhythmus' wegen würde ich aber umformulieren: hätte nur den Eindruck erweckt, jemand schaute neugierig und in aller Ruhe durch de Tür in das kleine Geschäft für Elektrogeräte. Der Konjunktiv 2 ist übrigens auch in der "dass-Konstruktion" zwingend.
Ein aufmerksamer Spaziergänger, falls sein Weg nahe genug heran führte, würde eher spüren, dass da irgendwas nicht stimmt.
Du könntest sogar noch auf "falls" verzichten, dür die Satzmelodie aber auf alle Fälle die Konstruktion mit "würde" vermeiden: Ein aufmerksamer Spaziergänger, führte sein Weg nahe genug heran, spürte eher, dass da irgendwas nicht stimmte. - Auch hier ist der Konjunktiv "stimmte" zwingend.
Er würde bemerken, wie der schwarzgekleidete Mann mit seinen Schuhspitzen auf den Abtreter tippelt und vielleicht sogar, das sein Interesse weniger den Geräten galt, als vielmehr den im Halbdunkel umher huschenden Gestalten.
Im dritten Satz die dritte Konstruktionskombination aus "dass" und "würde". Das ist fürchte ich sprachlich ein wirklich ungeschickter Einstieg.
Er torkelte ... hin und her
"hin und her" ist durch "torkelte" redundant
Trotz seines jämmerlichen Daseins
Bevormundende Wertung des Erzählers.
Es grenzte allerdings schon an Übermut, das er nun auch noch den Auslagentisch losließ
Übermut, dass
und obwohl er sogleich bedrohlich schwankte, es dennoch wagte die Augen zu schließen
und, obwohl
als würde er jeden Moment erwarten dem Polizeichef zu begegnen
hier ist die "würde"-Krücke für den Konjunktiv besonders unsinnig.
als er noch ein gebräuchliches Leben geführt hatte
für wen gebräuchlich?
erschien ihm das warten wie ein aufreibender Kampf gegen die unverhohlenen Ansprüche der Zeit
Tempus: war .. erschienen; das Warten
die mit rastloser Eile und unwiederbringlichen vergehen
Casus: unwiederbringlichem Vergehen
allgemein sehr umständlich formuliert, zitierte Stelle könnte auch ersatzlos gestrichen werden, da "die (scheinbar) ständig Taten ... forderte" für die Aussage ausreicht.
bedeutete warten ein kämpfen gegen sich selbst
Warum den Infinitiv substantivieren (Warten und Kämpfen groß), wenn es doch schon ein Substantiv gibt?
und trieb den müden Klepper aufs äußerste
Äußerste
er könnte weder Betteln noch Flaschen sammeln
betteln
unter Sommerstaub ergrauten Einkaufstrasse
Einkaufsstraße
für seine sensiblen Augen war selbst dieses künstliche leuchten viel zu grell
Leuchten (warum nicht Licht?)
die sich ihm in einer bildhaften Sprache mitteilte
Hast du auch häufiger, im Grunde brauchst du den unbestimmten Artikel nicht: die sich ihm in bildhafter Sprache mitteilte
schreiend roten Warnschildern, auf denen nichts konkretes stand
Konkretes
Das konnte nach seinem Begreifen nur eines bedeuten
Die Häufung deiner Infinitivsubstantivierungen liest sich für mich leider schauerlich. Und das Substantiv hier wäre "Begriff", aber beides finde ich im Kontext nicht passend, denn hier folgt er ja nicht einem Verständnis sondern einem Gefühl.
Wenn er dem Mann zu dicht auf die Pelle rücken würde, bestand die Gefahr, das der Abend und die Nacht nicht nach seinen Bedürfnissen verlief
Mit dem Konjunktiv scheinst du echt Probleme zu haben. Rückte er dem Mann zu docht auf die Pelle, bestünde die Gefahr, dass der Abend und die Nacht nicht nach seinen Bedürfnissen verliefen. (Oder reduzierter: Rückte er dem Mann zu dicht auf die Pelle, verliefen Abend und Nacht ...)
"verliefen" muss in den Plural, da es sich auf zwei Dinge bezieht.
Also besser er blieb auf seiner Seite der Straße
So mit Komma
und er musste sorgfältig darauf achten, das er sein Ziel nicht aus den Augen verlor
achten, dass (aber versuche doch mal, für jede "dass"-Konstruktion eine Alternative zu finden und behalte nur die Unvermeidlichen.
Immerhin lag es noch ein gutes Stück weiter die Straße herunter
hinunter
24 Stunden Service
24-Stunden-Service
und dem neuen Lebensmittelmarkt - einer von diesen typischen, scheinbar über Nacht aus dem Boden gestampften 800 m² Bude im Zigarrenkistenformat
Bezug des Artikels liegt auf Bude, korrekt müsste es heißen: eine dieser typischen, scheinbar über Nacht aus dem Boden gestampften 800 m²-Buden im Zigarrenkistenformat - das liest sich natürlich zu "der Lebensmittelmarkt" nicht galant.
da wo die majestätische Krone einer gewaltigen, uralten Linde
da, wo (dort, wo)
einen mit gelblichen Kies bestreuten Platz überdachte
gelblichem Kies
deren Turmuhr ... eine im Grunde überflüssige Maschinerie darstellte, weil ...
egal, welche Begründung, darstellen ist immer das falsche Verb, weil es beinhaltet: "so tun als ob". Die Turmuhr tut bestimmt nicht, als sei sie eine (überflüssige) Maschinerie
nun mit einem metallischen rasseln
Der (überflüssige) unbestimmte Artikel deutet es an: Rasseln.
Ein einzelner Glockenschlag quengelte hinter der grünen Masse hervor
bei allen Kirchturmuhren sind es meines Wissens zur halben Stunde immer zwei Glockenschläge
klemmte, das man meinen könnte
dass
bereit für das allabendliche Ritual und zugleich darauf hoffend, dass er es nie wiederaufnehmen müsste.
hier wäre "dass" zum Beispiel ganz leicht zu vermeiden, indem du schriebest: darauf hoffend, er müsste es nie wieder aufnehmen.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo Sim,
vielen Dank für deine wertvolle Kritik.
Sichere Pfade sind langweilig. Das ich mit diesem Schreibstil an meine derzeitigen Grenzen stoße, war mir klar. Hatte natürlich insgeheim gehofft, dass es nicht ganz so schlimm ausfällt. Aber das Regal mit den DUDEN-Bänden in der Stadtbibliothek (nur fünf Gehminuten von hier) ist gut gefüllt, und jetzt habe ich Dank dir ein paar Stichworte, denen ich nachgehen kann. Deine Kritik mag dich gequält haben, aber sie wird nicht vergeblich gewesen sein.
+++
Die Gesellschaftskritik zum Umgang mit der Zeit hast du richtig herausgelesen.
Aufgebaute Hoffnung stürzt ins Bodenlose, auch richtig.
Den Bruder gibt es nicht, auch richtig, hat es leider auch nie gegeben, der ist nur hoffnungsvolle Einbildung. Niemand kümmert sich um den Penner. Auch das gehört zur Gesellschaftskritik. Aber …
Dennoch habe ich mich für die Rubrik „Alltag“ entschieden, weil der Protagonist all diese Mängel auf sich bezieht (Zeit) und lenkt (Irrlichter seines verwirrten Geistes) und niemanden eine Schuld zuspricht. Es sind seine Probleme und sein Alltag, der sich ständig wiederholt.
+++
Niemand hat Zeit übrig. So zeigt der flüchtige Blick aus dem Bürofenster eine heile Welt, die nicht existiert. Ein scheinbar harmloser Mann steht in Wirklichkeit Schmiere, während der Laden ausgeraubt wird. Das war der erste Gedanke zu dieser Story. Dann schlurfte mir der verdammte Penner ins Bild. Der Mann faszinierte mich. Von dem kam ich nicht mehr los.
Der schwarz gekleidete Mann vor dem Geschäft hat noch eine weitere Funktion. Er dient dazu, den vom Weingeist verwirrten Verstand des Protagonisten ins Spiel zu bringen, quasi als Vorbereitung auf die Verwirrung mit dem eingebildeten Bruder.
Werde überlegen, wie ich diese Anfangsszenen näher an das Thema bringen kann, sonst fliegen sie halt raus.
Übrigens interessant, das ich bisher in jeder meiner Geschichten eine Szene oder Figur drin hatte, die bei den Kritiken Fragen nach sich zogen. Wirklich seltsam.

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Asterix,

die Verwirrung mit dem ersten Absatz entsteht wohl auch, weil die Blickrichtung nicht stimmt. Soll der beschriebene Mann Schmiere stehen, muss er doch die Straße im Blick haben, nicht in das Geschäft. Stünde er dort unauffällig als wartete er auf jemanden, während hinter ihm die Gestalten im Halbdunkel umherhuschen, käme man leichter darauf, was nicht stimmt. Sein Interesse darf weder den Geräten noch den Komplizen gelten. Dann hast du auch eine Möglichkeit, diesen Mann später genauer wieder einzubinden, wenn dein Protagonist ihn sieht. Denn seine Aufgabe ist es ja, deinen Protagonisten ebenfalls zu sehen, um notfalls die Gestalten im Geschäft zu warnen.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo Sim!

weil die Blickrichtung nicht stimmt
Genau! Warum nicht gleich so?:D
Hab die Fenster-Szene (abgeändert) drin gelassen und die Begegnung mit dem Mann (vor dem Laden) entsprechend abgeändert. Der ist jetzt auch nicht mehr schwarz gekleidet, kann also nicht mit dem "Bruder" verwechselt werden.
Weiterhin sind alle Vorschläge eingearbeitet, und darüber hinaus der Text ordentlich ausgemistet.

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Asterix,

einerseits mag ich die Geschichte, auf der anderen Seite ist sie mir zu vollgepackt, sie erscheint mir mit Bedeutung überfrachtet, wobei ich es nicht wirklich benennen kann. Manche Sätze las ich zwei, drei Mal, bevor ich sie entklammert hatte.

Ich mag dieses Dunkel, was sich als Motiv über die Geschichte zieht, ich mag die Idee, wie er sich von der Sonne abwendet (vom Leben), gemeinsam mit der Einbruchsgestalt (die ich vielleicht nicht als solche lese, die negative Aura aber dann doch spüre/erfahre).
Den letzten Absatz, den finde ich toll. Die Kirche - Symbol der Hoffnung, der Glaube (an den Bruder) - was sich als Trugschluss erweisst. Eine Fata Morgana in seinem Leben.
Was mich massiv stört, ist das Wort Penner in der Geschichte. Einerseits beleuchtest und hinterfragst Du ihn, auf der anderen Seite drückst Du ihm die negativ-belastete, entwertende Bezeichnung auf den Leib. Da geht bei mir irgendwas nicht zusammen.

Textkram:

Ein gehetzter Blick durchs Bürofenster auf dem Weg vom Computer zur Kaffeemaschine, hätte nur den Eindruck erweckt, jemand schaute neugierig durch die Tür in das kleine Geschäft für Elektrogeräte.

Schon den ersten Satz las ich mehrfach, um ihn für mich zu sortieren. Zuviel Unbedeutendes musste ich erst mal aussortieren.
Ich finde auch gehetzt nicht gut an der Stelle, ich weiß, worauf Du hinaus willst, aber es will hier nicht richtig wirken. Flüchtig - träfe es m.M. nach besser.

Ein geruhsamer Spaziergänger, führte sein Weg nahe genug heran, spürte eher, dass da irgendwas nicht stimmte. Er würde bemerken, wie der dunkel gekleidete Mann mit seinen Schuhspitzen auf den Abtreter tippelt und das sein Interesse weniger dem Laden galt, als vielmehr dem Geschehen auf der Straße.

Das ist alles so umständlich ... So von sehr weit weg betrachtet.

Der einzige Spaziergänger aber machte keinesfalls den Eindruck eines aufmerksamen Menschen.

Lass mal den Erzähler hier nicht so Meinungsbildend auftreten ;).

Es gibt Menschen, die für solch Muße keine Zeit haben, ...

Was denn für ne Muße? Sich besoffen am Auslagentisch festzuklammern?

Dann strich er mit zittrigen Händen seinen fadenscheinigen Regenmantel glatt, als könne er jeden Moment dem Polizeichef begegnen, und ging ein Wagnis ein.

Was hat er gegen den Polizeichef? Und der lenkt den Gedankengang des Lesers dann auch bei der Erwähnung des Wagnisses. Dabei geht es ja da gar nicht um etwas Gesetzwidriges.

Endlich ging dieser grelle Tag zuneige.

Ja, das ist wohl so, wenn die Sonne untergeht ;).

Stunde um Stunde hatte er versteckt in seiner dunklen Behausung aus Brettern und Pappe auf der Matratze gehockt, Fusel getankt, ein wenig gedöst und voller Angst ihn zu verpassen, auf diesen Moment gewartet.

Auf seiner Matratze, unter Brettern und Pappe, hat er den Tag verbracht, Fusel ...
Dein Erzähler macht auf mich manchmal den Eindruck, als müsste er über etwas erzählen, wozu er keinen Zugang findet und sich da in Worten windet ...

... bis zum Leben nichts mehr übrig blieb.
Gute alte Zeit.

Warum Absatz?

Heute, nach längst verlorener Schlacht und den Taschen voller Zeit, bedeutete Warten kämpfen gegen sich selbst.

Taschen voller Zeit - das finde ich gut! Kurz und kräftig.

Den einzigen Verbündeten, den er in diesem Kampf gegen die Sucht seiner Körperteile ins Feld schicken konnte, war ein Ackergaul mit entzündeten Gelenken namens Selbstbeherrschung.

Er peitschte den müden Klepper aufs Äußerste, das Verlangen zu bändigen, welches einem Schwarm kribbelnder Heuschrecken in seiner Bauchmitte glich; die lechzende Kehle zu ignorieren, die (sich) trocken und voller Begierde sich (2 Leerzeichen) in ständiger Schluckbewegung befand; seine Hand zu bezwingen, die stets versucht war, die Flasche Fusel an seine spröden Lippen zu führen.

... er könnte weder (2 Leezeichen) betteln noch Flaschen sammeln und hätte dann kein Geld für Fusel, die Lösung jenseits seines Bruders.

Mit den geschwungenen Buchstaben aus gelben, grünen und türkisfarbenen Neonröhren wirkte sie in dieser (2 Leerzeichen) unter Sommerstaub ergrauten Einkaufsstrasse ...

... wie eine Insel mit karibischem Flair. Sofort blinzelte er wieder, für seine sensiblen Augen war selbst dieses künstliche Licht zu grell, und senkte seinen Blick zurück auf den Mann.

Irgendwas an dem Kerl störte ihn, vielleicht die (2 Leerzeichen) Art und Weise wie er herüber starrte.

Es näher zu beschreiben fiel ihm schwer. (2 Leerzeichen) Alkohol in den Adern ...

Aber manchmal, wie eben, kam es ihm vor als bündelte der Weingeist die Sinne und erschuf auf diese Weise eine völlig neue Art der Wahrnehmung, die sich ihm in bildhafter Sprache mitteilte.

???, irgendwie schon klar, aber so richtig auch wieder nicht

u.s.w.
Ich hoffe ich konnte Dir zeigen, was mich an diesem Text aufgehalten hat. Mich befremdet und mir den Zugang erschwerte.

Wenn Dein Erzähler sich mal an den Prot. rantrauen würde, wie im letzten Absatz, dann steckt hier sicher eine schöne Geschichte drin.

Liebe Grüße Fliege

 

Hi Asterix,

am Anfang deiner KG steht eine Beobachtung: ein Mann verhält sich verdächtig vor einem Schaufenster. Den Zusammenhang zum Rest der KG, also dem verdammten Penner, bildet dann der imaginäre Spaziergänger, der aus der Beobachtung des komischen Mannes irgendwelche Schlüsse hätte ziehen können, und dann eben in Gestalt des Penners tatsächlich auftritt, aber nichts mitkriegt wegen Trunkenheit. Dann hält er diesen mysteriösen Mann für einen Bruder(?), geht auf ihn zu, der ist dann aber verschwunden.

Gesellschaftskritik sehe ich keine, abgesehen davon, dass man Alkoholkrankheit natürlich als gesamtgesellschaftl. Problem sehen muss. Alkoholkranke Induviduen sind aber oft sehr eigen, selbst gute staatliche Fürsorge und familiäre Bindungen helfen da manchmal ncihts

Mich irritiert am Anfang die Erwähnung des Bürofensters. Wieso Bürofenster.
hätte man den Mann nicht auch vom Clofenster oder der Straße aus sehen können?
Das Büro ist also irgendwie wichtig. aber wozu?

"Ein Spaziergänger würde bemerken"
Wieso plötzlich ein Spaziergänger?, warum sollte das nicht auch der allw. Erz. aus dem Bürofenster bemerken können. - o.k. der Spaziergänger soll so etwas wie eine elegante Überleitung zum Penner sein, aber wozu so um-&missständlich. Erzähler und Penner reichen doch,
diesen imaginären "Spaziergänger" würde ich weglassen.

Durchgehend finde ich den Stil deiner Geschichte ziemlich gestelzt und gekünstelt geschrieben, weil es wie aus der guten alten Zeit klingen soll (Feldsteinkirchenromantik etc.), aus der der Penner stammt?
so alt kann er garnicht nicht sein

Trotzdem finde ich die Idee gut, die Innenperspektive und die merkwürdigen Visionen eines alten alkoholkranken, romantischen(?) Penners darzustellen.

(äh, … hätte gern netteres geschrieben.)

Gruß Schmidt

 

Hallo Fliege,
hallo Schmidt!

So, endlich steht die neue Fassung.

Habt Dank für eure Anregungen und Kritiken. In irgendeiner Form hab ich alles umgesetzt. Manches ausgebessert, einiges umsortiert, aber auch sehr viel rausgestrichen. Dadurch ist die Story hoffentlich nicht mehr so von „Bedeutungen“ überfrachtet.

Aber manchmal, wie eben, kam es ihm vor als bündelte der Weingeist die Sinne und erschuf auf diese Weise eine völlig neue Art der Wahrnehmung, die sich ihm in bildhafter Sprache mitteilte.
???, irgendwie schon klar, aber so richtig auch wieder nicht
Auch das dürfte jetzt Sinn machen.

Liebe Grüße

Asterix

 

Hej Asterix,

mir gefallen besonders der erste und letzte Absatz, wo er mit sich kämpft, hofft und verliert.
Den Mittelteil finde ich undurchsichtiger, da verliere ich ein wenig den Kontakt zur Handlung, z.B. entstehen durch die blendende Sonne und die Leuchtreklame in meinem Kopf zwei gegensätzliche Bilder, das Pärchen steht nachts vorm Schaufenster, während der Penner tagsüber durch die Straße wandert.

Im ersten Absatz benutzt Du immer wieder den Ausdruck "eine Flasche Fusel", beim ersten Lesen ist mir diese Betonung unangenehm aufgefallen.

Vor dem Türkischen Gemüseladen blieb er stehen
türkischen klein

Der abscheuliche Glutball formte mit letzter Kraft lange Schatten, statt ihm mit brennenden Strahlen seine schneeweiße und überaus empfindliche Haut von den Knochen zu pellen und Pfeffer in die roten Augen zu streuen.
Das Bild erklärt sich mir so nicht, die Penner, die mir bisher begegnet sind, waren alles andere als schneeweiß, schon aus hygienetechnischen Gründen.

Alkohol in den Adern benebelt die Sinne, soviel wusste er. Aber manchmal, wie eben, kam es ihm vor als bündelte der Weingeist die Sinne und erschuf auf diese Weise eine völlig neue Art der Wahrnehmung, die sich ihm in bildhafter Sprache mitteilte. Und dieses Pärchen dort drüben schien von Verbotsschildern umgeben, auf denen nichts Konkretes stand - so mitteilsam war die in Alkohol gelöste Synergie seiner Sinne leider nicht -
Vielleicht liegt es ja auch an meinen (müden) Sinnen aber mich stören diese Wortwiederholungen.

Mehr erwünschte er auch nicht.
Fehlt hier ein "sich"?

Zwei Glockenschläge quengelten hinter der grünen Masse hervor
Glockenschläge kann ich mir einfach nicht quengelnd vorstellen, das widerspricht mMn einfach grundsätzlich ihrem Wesen. Erst recht durch Alkoholkonsum, müssten ihm nicht eher die Ohren abfallen?

Ich hab die Geschichte gerne gelesen. Ich werd jetzt sehr passend und Only a hobo trällernd einkaufen gehen.

Viele Grüße
Ane

 

Hallo Ane,

vielen Dank für deine Beurteilung.
Hab einige deiner Vorschläge gleich kommentarlos übernommen.

mir gefallen besonders der erste und letzte Absatz, wo er mit sich kämpft, hofft und verliert.
Ja, er ist eben nicht „ein verdammter Penner“. Er führt einen harten Kampf. Nach meiner Vorstellung – siehe Textstelle: Das Bild hinterließ den Eindruck eines Déjà-vu. – wiederholt sich dieser Tag ständig.


Den Mittelteil finde ich undurchsichtiger, da verliere ich ein wenig den Kontakt zur Handlung,
DerMittelteil zeigt seine speziellen Probleme und das er einen Schritt weit neben der Realität lebt. Dadurch entzieht er sich (ohne Absicht) dem sozialen Netz.


z.B. entstehen durch die blendende Sonne und die Leuchtreklame in meinem Kopf zwei gegensätzliche Bilder, das Pärchen steht nachts vorm Schaufenster, während der Penner tagsüber durch die Straße wandert.
Der abscheuliche Glutball formte mit letzter Kraft lange Schatten, statt ihm mit brennenden Strahlen seine schneeweiße und überaus empfindliche Haut von den Knochen zu pellen und Pfeffer in die roten Augen zu streuen.
Die Sonne ist bereits halb hinter den Dächern verschwunden und hat kaum noch Kraft.

Vielleicht sollte ich „scharlachrot“ noch hinzufügen, dann wird das Bild (Abenddämmerung) evtl. deutlicher, aber der Satz wirkt dann endgültig mit Adjektiven überladen.
Da werde ich noch drüber nachdenken.


Das Bild erklärt sich mir so nicht, die Penner, die mir bisher begegnet sind, waren alles andere als schneeweiß, schon aus hygienetechnischen Gründen.
Bestimmt ist seine Haut nicht „rein“. Es ist wichtig zu wissen, dass er ein Albino (+ bei Albinismus oft vorhandener Lichtüberempfindlichkeit der Augen) ist. Darum hockt er den ganzen Tag in seiner Behausung.


Glockenschläge kann ich mir einfach nicht quengelnd vorstellen, das widerspricht mMn einfach grundsätzlich ihrem Wesen. Erst recht durch Alkoholkonsum, müssten ihm nicht eher die Ohren abfallen?
Die Kirche ist noch ein gutes Stück entfernt. Kleine Kirche, also kleine Glocke; so stell ich mir das vor. Mit „quengeln“ bin ich auch nicht glücklich. Ich suchte einen Ausdruck, der nicht so sehr einen hellen, klaren Glockenton beschreibt, sondern einen durch Echo (Bebauung) verzerrten, langgezogen auf und abschwellenden … du siehst mein Problem?


Ich hab die Geschichte gerne gelesen. Ich werd jetzt sehr passend und Only a hobo trällernd einkaufen gehen.
Das freut mich.
Ich hoffe, du hattest beim Einkaufen jede Menge Spaß!

Liebe Grüße

Asterix

 

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