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08.11.2001
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"Und du hast es verdient!" Sie starrt noch einen Moment lang in den gleißenden Spot, dann fällt mit einem leisen Rauschen der schwere Vorhang zwischen sie und die Menge. Ohne auf sie zu achten, springt er auf, während sie mit dem Messer noch über ihm steht, und zieht die kurze Jacke zurecht. Streicht sich durchs Haar. Sie hat sich kaum bewegt. Nicht einmal das Messer weggeworfen, hinter den Kulissenvorhang. Ihre Augen kommen langsam zur Ruhe nach der blendenden Hektik.
Der Vorhang hebt sich Stück für Stück wieder, das Messer noch in ihrer Hand. Der Zuschauerraum ist jetzt schwach erleuchtet, ein Spot immer noch auf die Bühne gerichtet. Sie kann das Blut pochen hören, in ihren Adern, ihrem Kopf. Wie im Rausch. Die Menge klatscht. Mehr als an den Abenden zuvor. Lauter, leidenschaftlicher. Ohne Bedeutung. Er geht nach vorn. Sie folgt automatisch. Verbeugen, Applaus, Vorhang, noch einmal. Stühlerücken, Schritte, Stille.
Beim zweiten Vorhang greift er nach ihrer freien Hand, zieht sie nach vorn, gemeinsames Verbeugen. Seine Berührung brennt wie Feuer. Sticht in ihre Hand. Die andere krampft sich um den Dolch. Weiße Knöchel, pochendes Blut. Tausend Augen auf sie gerichtet, trotz der Verletzung lächeln. Bis der Vorhang fällt.
Erleichterung und ein schneller Ruck, um ihm die Hand zu entziehen. In Gedanken ist sie schon von der Bühne. Die Schichten abschminken. Das Kleid ablegen, sie selbst sein. Aber der Applaus reißt nicht ab. Ein neuer Lichtstrahl unter dem Vorhang hindurch und wieder nach vorn, verbeugen. Er macht einen Luftsprung, johlt, fasst sie um die Taille und hebt sie vom Boden. Sie fühlt den Schwindel. Das Messer noch in der Hand, inflagranti. Und er hat es verdient. Hat mehr verdient, als sie getan hat. Hat sie nicht verdient.
Der Applaus ihres Lebens und sie zieht sich in einen Kokon zurück. Hinter Make-up, blutroten Lippenstift und ein langes Samtkleid, purpurrot und fließend.

Unmittelbar nachdem der Vorhang sich auf die Bühne legt, reißt sie sich los. Stürmt den Gang hinunter und schlägt die Garderobentür zu. Tausendfach geübte Handbewegungen: Wattebausch, Lotion, lange Striche. Als sie die Farbe aus den Augen reibt, quellen die Tränen heraus. Keine Spur des Rausches geblieben.

Er hatte sie zerstört. Nur Minuten vor dem Vorhang. Nach all den Monaten. Nach den Gefühlen und Versprechen. Den gemeinsamen Plänen. Nur Augenblicke bevor sie hinausgehen mussten, zu ihrem großen Abend, hatte er zu ihr hinuntergesehen und gesagt: "Nachher müssen wir reden." Sein Blick dabei sprach verschlüsselte Bände. Erschreckte sie durch und durch. Bis zur Pause hatte sie unter Strom gestanden. Wie sie die Worte über die Lippen brachte, war ihr schleierhaft. Warum sie funktionierte, konnte sie nicht erklären. Sie bewegte sich wie in Trance.
In der Pause geht er ihr aus dem Weg, schließt sich in der Garderobe ein. Erst unmittelbar vor dem Vorhang steht er wieder neben ihr. "Tut mir leid, Kleines", seine Stimme klingt rauer als sonst. "Sicher nicht der richtige Augeblick dafür, aber ... was soll’s: Lisa und ich sind ein Paar." Die Bewusstlosigkeit sickert in ihr Hirn wie Regen in ein frisches Blumenbeet. "Wie lange schon?", irgendetwas treibt sie zur Selbstmordfrage. "Zwei Monate oder so", der Tonfall beiläufig und ruhig, während er hinaustritt, der Vorhang schon oben. Die Szene beginnt.
Zwei Monate. Das bedeutet: schon immer. So gut wie immer. Sie hatten sich im September kennengelernt. Als sie mit den Proben anfingen. Also vor drei Monaten und zwei Wochen. Alles war so schnell gegangen. Gutgegangen. Ein Paar auf der Bühne. Zwei Wochen später auch im Bett. Er ist großartig, in beidem.
Ihre erste große Rolle, ihre erste große Liebe. Gemeinsame Wohnung, auch wenn das Wahnsinn ist, nach vier Wochen. Gemeinsamer Durchbruch. Ein Paradestück für zwei. Für sie und ihn. Betrug von Beginn an. Beinahe.
Sein Monolog und ihr Stichwort. Ihre Bewegungen unter Schock. Ferngelenkt. In der dritten Szene sein Geständnis, er habe sie betrogen. Hier sollen ihre Emotionen kochen, übersprudeln. In Mord enden. Während ihr Bühnen-Ich ihn umrundet, einkreist, anschreit, beginnt in ihr der Lavastrom durchzubrechen. Sie hat keine Kraft mehr, ihn aufzuhalten. Während ihre Lippen weiter die Worte des Skriptes formen, funkeln ihre Augen vor Hass und Zorn. Ihre Gesten und Bewegungen werden von ihren Emotionen davongerissen.
Ihr Zorn türmt sich vor ihr auf und entlädt sich in dem Stich in sein Herz. Nicht darin, ihn ins Messer fallen zu lassen, wie im Skript, sondern neun Mal auf ihn einzustechen. In blinder Raserei.
Sie kann ihn atmen hören. Er steht in der Tür zu Garderobe. "Du warst großartig, Kleines! Komm raus, sprich mit den Kritikern. Sie sind alle hier. Die Großen, weißt Du? Mann, bin ich stolz auf Dich, auf uns!"
Langsam dreht sie sich um. Make-up halb über das Gesicht verschmiert. Der Schock ist verraucht, die Wut schwillt an. Er lächelt: "Lass uns feiern, Kleines." Sie sieht ihn bewegungslos an. "Jetzt komm schon!" Sie greift nach der Haarspraydose, trifft die Wand neben seinem Kopf. "Feier doch mit Lisa!", er wird ihre Worte kaum hören. Lacht laut, lauter. Sie dreht sich halb von ihm weg. "Du hast das alles wirklich geglaubt? Lisa? Kleines, sei doch nicht blöd! Sie ist ok, ja. Aber doch nicht... Blödsinn! Du bist doch mein Kleines."
"Warum dann?" Ob sie es sagt, oder er es in ihren Augen liest, ist ihr egal. "Weil du wundervoll bist! Weil dein Spiel so echt war, wie noch nie. Weil es aus der Seele kam. Die Spannung im ersten Teil und der Zorn im zweiten. Kleines, du kommst noch mal groß raus. Und mir hast du es zu verdanken."

Ihm wird schwarz vor Augen, während er begreift, dass die Blumenvase seine Stirn getroffen hat. Sekunden später zerrt sie ihren Mantel vom Haken und steigt über ihn hinweg.
"Und du hast es verdient!"

 

Hallo arc en ciel!

Eine gute Geschichte, eine "alltägliche" Situation in einer neuen Story... gut gemacht!

Mit dem Menschen würde ich glaub ich nie wieder reden !

Liebe Gruesse
Dany

 

hallo arc en ciel!

Da ist Dir eine mitreißende Geschichte gelungen. Du lässt den Leser die Ganze Zeit in der gleichen Spannung wie die Prot, das Ende kommt überraschend und stark. Sehr gelungen, die Verbinung Anfang/Ende durch den einen Satz. Flüssig und gut geschrieben. Ihre Reaktion am Ende, und seine Selbszufriedenheit, die Demütigung...Du bringst das alles sehr gut rüber, toll gemacht!

schöne Grüße
Anne

 

hallo Ihr Lieben!

vielen Dank für das Lob! Ich habe diese Geschichte im Januar geschrieben, aber nie Zeit gefunden, sie abzutippen und zu posten. Das mußte ich jetzt erstmal nachholen.

Lieben Gruß,
Frauke

 

Eine sehr gute Geschichte. Das Ende ist zwar absehbar, die Geschichte leidet darunter jedoch nicht. Allerdings halte ich Alltag für die falsche Rubrik. Wie Du Strasbergs Lehren überspitzt hat das schon etwas satirisches.

Zwei Monate. Das bedeutet: schon immer. So gut wie immer. Sie hatten sich im September kennengelernt. Als sie mit den Proben anfingen. Also vor drei Monaten und zwei Wochen. Alles war so schnell gegangen. Gutgegangen. Ein Paar auf der Bühne. Zwei Wochen später auch im Bett. Er ist großartig, in beidem.

Die Passage hat mich beim ersten mal Durchlesen verwirrt, denn es ist zunächst unklar, ob die Erzählerin über ihre eigene Beziehung zu dem Mann spricht oder über Lisas. Die Sätze wären villeicht besser untergebracht am Anfang des Abschnitts, wo Du schreibst das er sie zerstört hat.

In dem Zusammenhang - klasse Idee, der in anderen Geschichten namenlosen "Anderen" den einzigen Namen in der Geschichte zu verpassen.

Auch wenn es diesmal wieder keine Toten gibt, die Geschichte hat mir um Längen besser gefallen als die letzte, die Du hier gepostet hast.

Kane

 
Zuletzt bearbeitet:

hey Kane!
danke für die Kritik. Die verwirrende Pasage überarbeite ich sobald ich in weniger verwirrter Laune bin, als heute... ;)
Das mit dem Namen fand ich auch eine witzige Nebenepisode. Und ich finde, die anderen beiden brauchen keine Namen.

Als Satire empfinde ich die Geschichte eigentlich nicht .... mag daran liegen, daß ich Strasberg weder kennen, noch seine Lehren überspitzen wollte. Wer ist das und was macht(e) er so?
ich hatte statt Alltag auch R/E in Erwägung gezogen, weil es um einen Gefühlsausbruch in einer Beziehung geht...
Irgendwelche Vorschläge, wo der Text gut untergebracht wäre?

Frauke

PS: wer sagt eigentlich, daß es diesmal keine Toten gab :lol: !

 

Hi Frauke, habs heute morgen schon mal quergelesen, sag später noch was dazu...
lieber Gruß Lord

 

hi

Ich kann mich den Vorrednern nur anschließen, toll geschrieben, die Geschichte liest sich schnell wie das Leben.
Obwohl ich manchmal einen guten Riecher für Pointen habe, wurde ich hier kalt erwischt :)

Der letzte Abschnitt soll vermutlich den Leser mit einem Schmunzeln entlassen, mir war das aber fast eine Wendung zu viel in so kurzer Zeit. Erst der Schock und dann gleich so eine Reaktion, mir fehlt da die vielzitierte kleine Pause, in der die Welt stillsteht.

Irgendwo hast du "Cocon" geschrieben, mir ist Kokon geläufiger, aber das ist nur ne Kleinigkeit.

Liebe Grüße
wolkenkind

 

Hallo arc en ciel,

kann mich meinen Vorgängern nur anschliessen. Spannende Geschichte mit viel Emozionen. Ich habe beim Lesen echt gedacht, jetzt rammt sie ihm jeden Moment den Dolch in den Bauch. Tja am Schluss kam es dann ja wohl doch anders, als der gute Mann gedacht hatte. Das war aber auch eine makabre Art, sie zu Höchstleistungen zu bringen.
Das ist die erste Geschichte, die ich von Dir gelesen habe, und ich muss sagen, sie hat mir sehr gut gefallen, flüssiger Stil und keine Schreibfehler.
Du könntest die Geschichte vielleicht auch in die Rubrik Spannung setzen.

LG
Blanca

 

hi!
danke auch Euch beiden. Über die korrekte Schreibweise von Kokon hab ich auch nachgedacht. Sah beides vernünftig aus. Aber ich editier es dann einfach.
Ich weiß nicht, ob ich mit der Geschichte ohne diese letzte Wendung zufrieden wäre. Denn dann wäre "sie" mir zu passiv geraten. Ich wollte sie überschäumend, emotional, leidenschaftlich und impulsiv darstellen. Für eine Schauspielerin bestimmt keine soooo schlechten oder ungewöhlichen Eigenschaften.

An ein Schmunzeln hab ich allerdings nicht gedacht. Wirkt es so?

Ich war mir bei Spannung nicht sicher, ob es eine zu emotionale Richtung hatte...

Ganz lieben Dank,

Frauke

 

hi arc,

interessante vermischung der realität und der bühne. das ende war für mich nicht absehbar, somit ist die pointe gelungen.
hektisch aber gut geschichte

bis dann

barde

 

hi Barde!
danke schön! ich hab mich schon gefragt, ob man das Ende wirklich vorhersehen kann. Den Eindruck hatte ich selbst nämlich nicht.
Danke für die Bestätigung.

Lieben Gruß,
Frauke

 

so Ihr Lieben!

hab die Sonntagsentspannung für Fehlerkorrektur genutz. Hoffe, ich hab nicht noch was übersehen.

Lieben Gruß,

Frauke

 

Hallo arc en ciel,

auch diese Geschichte ist Dir wieder mal gelungen! Ich konnte die Pointe nicht vorhersehen. Mir fehlte anfangs etwas der Bezug zur Story, aber dann hab ich ihn gefunden und muß schon sagen; Du verstehst Dein Handwerk!

Liebe Grüße,
stephy

 

Eine schöne Geschichte! Unvorhersehbar, spannend, real.
Weiter so! Würde mich mal interessieren wie lange du daran gessessen hast.
Jenny2002

 

hi!

ganz lieben Dank!
Kommentare wie Deine bestätigen mir immer wieder, daß Übung eine Menge hilft ;) die letzten 9 Jahre zahlen sich also aus.
Woran lag es, daß Du erst keinen Bezug zum Text hattest? kann ich da noch was verbessern?

Lieben Gruß,
Frauke

 

hi Jenni!

lieben Dank auch Dir!
wie lange ich daran gesessen habe?
also alles bis zum Abang von der Bühne entstand in einer dreiviertel Stunde in einem Cafe in Boston. Der "Schluß" war dann noch mal eine halbe Stunde.

na, und dann hat es noch eine Weile gedauert, bis ich Zeit hatte, den Text abzutippen.

Was schreibst Du denn so?

Lieben Gruß,

Frauke

 

Hallo!
Ich würde die Geschichte evtl. gern demnächst bei einer Lesung vortragen und die Ursprungsversion ist dafür - wegen der kurzen, verblosen Sätze - nicht so geeinget. Deshalb hab ich alles ein wenig "verflüssigt". Ich wäre für weitere Kritiken dankbar, insbesondere im Hinblick auf eine Lesung.

Lieben Dank!
Frauke

 

Off-stage

"Und du hast es verdient!" Sie starrt noch einen Moment lang in den gleißenden Spot, dann fällt mit einem leisen Rauschen der schwere Vorhang zwischen sie und die Menge. Ohne auf sie zu achten, springt er auf, während sie mit dem Messer noch über ihm steht, und zieht die kurze Jacke zurecht. Streicht sich durchs Haar. Sie hat sich kaum bewegt, nicht einmal das Messer hinter den Kulissenvorhang geworfen. Ihre Augen kommen nach der blendenden Hektik langsam zur Ruhe.
Der Vorhang hebt sich Stück für Stück wieder, das Messer liegt noch in ihrer Hand. Der Zuschauerraum ist jetzt schwach erleuchtet und ein Spot immer noch auf die Bühne gerichtet. Sie kann das Blut pochen hören, in ihren Adern, ihrem Kopf. Wie im Rausch. Die Menge klatscht mehr als an den Abenden zuvor. Lauter und leidenschaftlicher. Aber es ist ohne Bedeutung. Er geht nach vorn. Sie folgt automatisch. Verbeugen, Applaus, Vorhang, noch einmal.
Beim zweiten Vorhang greift er nach ihrer freien Hand, zieht sie nach vorn, sie verbeugen sich gemeinsam. Seine Berührung brennt wie Feuer, sticht in ihre Hand, während die andere sich um den Dolch krampft. Weiße Knöchel, pochendes Blut. Tausend Augen auf sie gerichtet, trotz der Verletzung lächeln, bis der Vorhang fällt.
Erleichterung und ein schneller Ruck, um ihm die Hand zu entziehen. In Gedanken ist sie schon von der Bühne. Schnell will sie die Schichten abschminken, das Kleid ablegen und wieder sie selbst sein. Aber der Applaus reißt nicht ab. Ein neuer Lichtstrahl unter dem Vorhang hindurch und wieder nach vorn, verbeugen. Er macht einen Luftsprung, johlt, fasst sie um die Taille und hebt sie vom Boden. Sie fühlt den Schwindel. Das Messer noch in der Hand, inflagranti. Und er hat es verdient. Hat mehr verdient, als sie getan hat. Hat sie nicht verdient.
Es ist der Applaus ihres Lebens und sie zieht sich in einen Cocon zurück. Hinter Make-up, blutroten Lippenstift und ein langes Samtkleid, purpur und fließend.

Unmittelbar nachdem der Vorhang sich auf die Bühne legt, reißt sie sich los. Stürmt den Gang hinunter und schlägt die Garderobentür zu. Tausendfach geübte Handbewegungen: Wattebausch, Lotion, lange Striche. Als sie die Farbe aus den Augen reibt, quellen die Tränen heraus. Keine Spur des Rausches geblieben.

Er hatte sie zerstört. Nur Minuten vor dem Vorhang. Nach all den Monaten. Nach den Gefühlen und Versprechen, den gemeinsamen Plänen. Nur Augenblicke bevor sie hinausgehen mussten, zu ihrem großen Abend, hatte er zu ihr hinuntergesehen und gesagt: "Nachher müssen wir reden." Sein Blick dabei sprach verschlüsselte Bände, erschreckte sie durch und durch. Bis zur Pause hatte sie unter Strom gestanden. Wie sie die Worte über die Lippen brachte, war ihr schleierhaft. Warum sie funktionierte, konnte sie nicht erklären. Sie bewegte sich wie in Trance.
In der Pause geht er ihr aus dem Weg, schließt sich in der Garderobe ein. Erst unmittelbar vor dem Vorhang steht er wieder neben ihr. "Tut mir leid, Kleines", seine Stimme klingt rauer als sonst. "Sicher nicht der richtige Augeblick dafür, aber ... was soll's: Lisa und ich sind ein Paar." Die Bewusstlosigkeit sickert in ihr Hirn wie Regen in ein frisches Blumenbeet. "Wie lange schon?", irgendetwas treibt sie zur Selbstmordfrage. "Zwei Monate oder so", der Tonfall beiläufig und ruhig, während er hinaustritt ist der Vorhang schon oben. Die Szene beginnt.
Seit zwei Monaten. Das bedeutet: schon immer. So gut wie immer. Sie hatte ihn im September kennengelernt, als sie mit den Proben anfingen. Also vor drei Monaten und zwei Wochen. Alles war so schnell gegangen. Gutgegangen. Ein Paar auf der Bühne. Zwei Wochen später auch im Bett. Er ist großartig, in beidem.
Ihre erste große Rolle, ihre erste große Liebe. Gemeinsame Wohnung, auch wenn das Wahnsinn ist, nach vier Wochen. Gemeinsamer Durchbruch. Ein Paradestück für zwei, für sie und ihn. Und ein Betrug von Beginn an. Beinahe.
Sein Monolog und ihr Stichwort. Ihre Bewegungen entstehen unter Schock, wie ferngelenkt. In der dritten Szene macht er sein Geständnis, er habe sie betrogen. Hier sollen ihre Emotionen kochen und übersprudeln. Es soll in Mord enden. Während ihr Bühnen-Ich ihn umrundet, einkreist und anschreit, beginnt in ihr der Lavastrom durchzubrechen. Sie hat keine Kraft mehr, es aufzuhalten. Während ihre Lippen weiter die Worte des Skriptes formen, funkeln ihre Augen vor Hass und Zorn. Ihre Gesten und Bewegungen werden von ihren Emotionen davongerissen.
Ihr Zorn türmt sich vor ihr auf und entlädt sich in dem Stich in sein Herz. Nicht darin, ihn ins Messer fallen zu lassen, wie im Skript, sondern neun Mal auf ihn einzustechen. In blinder Raserei.
Sie kann ihn atmen hören. Er steht in der Tür zu Garderobe. "Du warst großartig, Kleines! Komm raus, sprich mit den Kritikern. Sie sind alle hier. Die Großen, weißt Du? Mann, bin ich stolz auf Dich, auf uns!"
Langsam dreht sie sich um. Make-up halb über das Gesicht verschmiert. Der Schock ist verraucht, die Wut schwillt an. Er lächelt: "Lass uns feiern, Kleines." Sie sieht ihn bewegungslos an. "Jetzt komm schon!" Sie greift nach der Haarspraydose, trifft die Wand neben seinem Kopf. "Feier doch mit Lisa!", er wird ihre Worte kaum hören, denn er lacht laut, lauter. Sie dreht sich halb von ihm weg. "Du hast das alles wirklich geglaubt? Lisa? Kleines, sei doch nicht blöd! Sie ist ok, ja. Aber doch nicht... Blödsinn! Du bist doch mein Kleines."
"Warum dann?" Ob sie es sagt, oder er es in ihren Augen liest, ist ihr egal. "Weil du wundervoll bist! Weil dein Spiel so echt war, wie noch nie. Weil es aus der Seele kam. Die Spannung im ersten Teil und der Zorn im zweiten. Kleines, du kommst noch mal groß raus. Und mir hast du es zu verdanken."

Ihm wird schwarz vor Augen, während er begreift, dass die Blumenvase seine Stirn getroffen hat. Sekunden später zerrt sie ihren Mantel vom Haken und steigt über ihn hinweg.
"Und du hast es verdient!"

 

Hej Frauke,

ich hab grad nur die neue Version gelesen (und bin mir sicher, dass ich die alte auch schon mal kritisiert habe), und muss sagen, dass sie in sich sehr rund geworden ist! Ich kann mir gut vorstellen, dass sie bei der Lesung gut ankommt - und auch, wenn ich die Pointe schon kannte, glaube ich, dass es tatsächlich bis zum vorgesehenen Punktdauert, bis der Zuhörer es durchschaut (ich hab die Erfahrung gemacht, dass Zuhörer sich mehr "berieseln" lassen als Selber-Leser, die denken die ganze Zeit mit und fragen sich "wer wars?").
Derzeit keine Korrekturvorschläge, gut gemacht! Keks? ;)

Lieben Gruß
chaosqueen

 

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