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Oh mein Gott!
Malte war ein hübscher Junge. Er war fünf Jahre alt.
Er hatte große blaue Augen und ein kleines Stupsnäschen.
Er hat immer viel gelacht.
"Ich will das hier nicht machen." Maltes Stimme klang nörglig.
"Du benimmst dich deinem Alter entsprechend. Du weißt, wir mögen das hier nicht.", sagte der Beauftragte mit der Nummer 21398 hart. Die Umgebung verschwamm vor Maltes Augen. Eine Träne rollte ihm über die Wange.
"Mein Rücken tut weh", ningelte er kleinlaut.
"Dir kann hier nichts mehr wehtun, begreif das endlich!" Nummer 21398 war wütend. Malte wusste, dass er zu weit gegangen war. "Wenn du schon so blöd bist und vor ein Auto rennst, dann trag jetzt auch die Konsequenzen!" Nummer 21398 bückte sich und nahm ein großes Stück Staub auf. Nachdem er es in einen übergroßen Beutel gesteckt hatte, fuhr er fort: "Fürs Erste haben wir genug gesammelt. Du kannst gehen." Malte tat, wie ihm geheißen und lief schnell weg, seinen kleineren Beutel, der noch nicht mal bis zur Hälfte mit Wolkenstaub gefüllt war, ließ er stehen. Wie immer, wenn er nichts zu tun hatte, lief Malte ziellos umher. Meistens hatte er die Gegend, durch die er lief, noch nie zuvor gesehen. Er wusste fast immer nicht, wo er war, er wusste nicht, wo er hingehörte und er fand nie irgendwohin zurück. Das war auch der Grund, warum er hier niemanden richtig kannte. Einmal hatte Malte einen Jungen getroffen, der mit Sieben an einer komischen Krankheit gestorben war - den Namen konnte sich Malte nicht merken. Aber auch der war nach kurzer Zeit einfach verschwunden.
Nachdem er eine Weile durch trostlose, weiße Wolkenfelder gelaufen war, landete Malte in einem Park. Er gefiel ihm, er hörte sogar Vögel zwitschern und fragte sich, was wohl mit denen passiert war. Malte dachte, wenn er jetzt noch leben würde, wäre er sicher erschöpft vom vielen Laufen. Also setzte er sich auf eine Art Bank, die mitten in diesem Park stand. Neben ihm saß ein sehr alter Mann, der ihn erstaunt ansah.
"Himmel, Junge, was ist denn mit dir passiert?", fragte der Alte. Malte zuckte zusammen und schaute den Mann an.
"Ich bin von einem Auto überfahren worden.", antwortete er. Dauernd wurde er das gefragt. Er war einer der Jüngsten hier.
"Du Armer ..." Die weisen Augen des Alten schweiften umher, als suchten sie etwas. Malte beobachtete den Mann aufmerksam.
"Woran sind Sie gestorben?", fragte er neugierig.
"Ach, bei mir war es Altersschwäche.", antwortete er.
"Was ist das?" Der Alte lachte.
"Das heißt, ich bin nicht an einer Krankheit gestorben, sondern einfach, weil ich zu alt war für diese Welt."
"Ehrlich?" Malte war überrrascht. Von so etwas hatte er noch nie gehört, dabei war er schon längere Zeit hier. In Tagen konnte Malte diese Zeit nicht ausdrücken, denn die gab es hier nicht mehr. Für ihn gab es sowieso nur noch die Zeit, in der er Wolkenstaub sammeln musste oder die Zeit, in der er frei herumlaufen konnte. Und beides war langweilig.
"Na, mein Junge, worüber denkst du nach?"
"Ich will hier nicht bleiben." Der alte Mann musterte Malte.
"Wo willst du nicht bleiben? Hier im Himmel?" Malte nickte. Er spürte, dass jetzt irgendwas passieren würde. Er hoffte, dass es etwas Schönes war. Doch das Einzige, was geschah, war, dass der Alte aufstand, Malte zuzwinkerte und weglief, als wäre er vom Affen gebissen. Als Malte sich umdrehte, sah er vor sich einen kopfschüttelnden Beauftragten mit der Nummer 423687. Er meckerte vor sich hin und packte Malte am Arm. Dieser wusste, dass es wieder Zeit war, Staub zu sammeln. Dabei war der sowieso überall und kam auch immer wieder.
Aber dieses Mal war die Arbeit anders. Malte musste nicht ganz allein Staub sammeln, es waren viele Leute da. Auch die Umgebung sah anders aus. Da waren nicht nur einfach leere, öde Wolkenfelder wie sonst, nein, die Wolken schienen etwas zu ergeben, eine Art Gebilde. Malte wusste nicht, was es war, aber die Arbeit gefiel ihm plötzlich und er fühlte sich sogar wohl. Diesen Platz befreite er gern vom Wolkenstaub. Zudem sammelte direkt neben ihm ein junges Mädchen Staub.
"Wie alt bist du?", fragte Malte, er hatte ganz vergessen, dass es auch kein richtiges Alter mehr gab. Man erkannte eben an der Hülle der Leute, ob sie alt oder jung gestorben waren. Dieses Mädchen war definitiv sehr jung gewesen, als sie geholt wurde.
"Ich wäre jetzt acht gewesen.", antwortete sie.
"Ihr könnt aufhören mir Staubsammeln!", befahl Nummer 423687. Das Mädchen ließ den Wolkenstaub, den es in der Hand hatte, fallen und klopfte sich die Kleidung ab. Sie trug ein rosa Kleid, Malte vermutete, dass sie in diesem Kleid gestorben war.
"Wie heißt du?", fragte er, immer noch von ihrem Kleid fasziniert.
"Antje", antwortete sie.
Antje nahm Malte mit in eine Art Quartier und sagte ihm, dass er dort bleiben könne. In der folgenden Zeit machte Malte die Arbeit mehr Spaß, er sammelte Staub mit Leuten, die er kannte und mochte, allen voran Antje.
Einige Zeit später - er hielt sich immer noch in dem Quartier auf, in dem auch Antje wohnte -, traf Malte den alten Mann wieder, der sich so feige vor dem Wolkenstaubsammeln gedrückt hatte. Dieser kam freudig überrascht auf ihn zu und begrüßte ihn.
"Wie geht es dir so, Kleiner?", fragte er und kicherte.
"Ganz okay", antwortete Malte.
"Ich wollte dir bei unserer letzten Zusammenkunft noch etwas sagen, mein Junge."
"Äh ..." Malte hatte nicht alle Worte, die der Mann gesagt hatte, verstanden, aber er verstand sowieso noch nicht viel. Und er würde es auch nie mehr tun können.
"Hör mal, es gibt einen Weg, wie du zurück auf die Erde kannst.", erzählte der Alte aufgeregt.
"Wirklich? Was muss ich dafür tun?" Malte war sich gar nicht sicher, ob er jetzt noch hier weg wollte. Er hatte ein neues Zuhause gefunden, er hatte Freunde gefunden und er hatte Antje kennen gelernt. Trotzdem war er gespannt, was der alte Mann als Nächstes sagen würde.
"Weißt du, du hast keine große Chance. Meistens klappt es nicht. Wenn es schief geht, wirst du nie wieder hierher zurückkehren können, du wirst verbannt. Aber vielen ist es das Risiko wert. Außerdem wird dein Gedächtnis gelöscht, egal, ob du es schaffst oder nicht." Die Worte des Alten klangen wie eine Warnung, selbst in Maltes Ohren.
"Was muss ich tun?", wiederholte er unerschrocken seine Frage.
"Also, du musst ihn höchstpersönlich bitten.", sagte der Alte stolz.
"Ihn? Wen?"
"Na, wen wohl, mein Junge?! Gott natürlich!" Malte fiel es wie Schuppen von den Augen. Mama hatte auch immer von einem Gott gesprochen. Warum war er da nicht selbst drauf gekommen?
"Ja, aber wo wohnt denn Gott?", fragte er. Dem alten Mann entfuhr ein Glucksen.
"Hör dir das an; wo wohnt er! Du machst mir Spaß, Kleiner ..." Als der Alte bemerkte, dass Malte wirklich nicht wusste, wo er suchen sollte, fuhr er fort, das Lachen unterdrückend: "Du musst dorthin, wo alle Wolken zusammentreffen, dorthin, wo es allen gut geht. Mehr kann ich dir nicht sagen." Mit diesen Worten tätschelte der alte Mann kurz Maltes Köpfchen und ging dann an ihm vorbei, raus aus dem Quartier in Richtung Park. Malte stand da und wusste nicht, was er tun sollte. Erst dachte er, er wüsste nicht, welchen Ort der Alte gemeint hatte, aber er wusste es doch. Es war der Ort, an dem er Antje das erste Mal getroffen hatte.
Malte verstand, dass er sich entscheiden musste.
Antje begleitete Malte bei seinem letzten Weg durch die Wolken.
"Bist du dir sicher, dass du das tun willst?", fragte sie.
"Ich muss es tun. Manchmal sehe ich meine Mama vor mir, wie sie weint." Malte fand, das war Begründung genug. Antje verstand das anscheinend.
Auf einmal blieb sie stehen.
"Wir sind da", sagte sie. Malte blieb auch stehen. "Na dann ... Viel Glück. Ich hoffe, du schaffst es."
"Danke", antwortete Malte.
"Tschüss ..."
"Tschüss, Antje. Ich werde dich vermissen."