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Ohne Ausweg

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27.01.2004
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Ohne Ausweg

„Du wirst sterben“, sagt dir eine Stimme.
„Ist wohl gut so“, sagst du.
„Hast du keine Angst?“
„Nein. Wann geht es los?“
„Du solltest aber Angst haben. Ohne macht es keinen Spaß.“
Du identifizierst die Stimme als deinen Entführer. Du erkennst ihn, wie er über dir steht. In seiner Hand hält er ein Seil und er lächelt. Er greift nach hinten und holt ein Messer hervor.
Das Messer glitzert im Licht der Neonlampen. Es ist groß und sieht scharf aus.
Aber du lächelst.
Dir fehlen zwei Zähne.
Dein Peiniger hat ein schwarzes T-Shirt an. Eine schwarze Hose. Er ist glatt rasiert. Trägt Latex-Handschuhe.
Sein rechter Unterarm ist tätowiert. Flammen umzüngeln ihn und dazwischen steht: Rette mich.
„Wer soll dich retten?“, fragst du.
Er sieht zuerst dich, dann seine Tätowierung an. Der Mann lächelt. Zwei Goldzähne blitzen hervor.
„Gott“, sagt er schließlich.
Du antwortest ihm darauf, dass Gott ihn sicher hasst.
„Falsch“, meint der Mann, während er einen Knoten in das Seil macht. „Ich bin Gottes Auserwählter.“
Du lachst.
Er tritt dir ins Gesicht.
Deine Nase bricht und steht in abstraktem Winkel nach rechts. Blut läuft über deine Lippen. Ein metallischer Geschmack breitet sich in deinem Mund aus.
Er tritt dich noch einmal. Du schlägst mit dem Kopf auf den Fließen auf.
Du spuckst einen Zahn aus. Besudelst den Boden mit Blut.
„Lass den Quatsch“, sagst du, aber es hört sich seltsam an, weil die Luft nun durch drei Zahnlücken pfeift.
Dein Peiniger befestigt das Seil an einer Winde. Seil mit Schlinge.
Im Licht der Neonlampen sieht er tatsächlich aus wie ein Heiliger.
Vielleicht auch nur, weil du am Boden liegst und ihn verkehrt herum betrachtest.
Du denkst, dass du weißt, was nun passiert, aber das Gegenteil tritt ein.
Der Mann steigt selbst auf den Schemel, zieht die Schlinge um seinen Hals und nickt dir zu.
„Mach’s gut“, sagt er und kickt den kleinen Stuhl weg.
Er hat Pech. Sein Genick bricht nicht, als sich das Seil zusammenzieht.
Der Mann sieht dich an. Mit großen Augen. Sein Gesicht wird rot, seine Zunge hängt aus dem Mund. Die Beine beginnen auszuschlagen und sein Körper zu zittern.
Seine Hände versuchen sich unter den Strick zu schieben, er schafft es nicht, beißt sich in Krämpfen seine Zunge durch.
Die Augen beginnen langsam aus den Höhlen zu quellen. Er versucht sein Messer zu erreichen, das er wieder eingesteckt hat.
Du stehst auf und reißt es ihm aus der Hand.
Blut kommt über seine Lippen, er blubbert. Der abgebissene Teil der Zunge windet sich auf den Fließen. Seine Füße scheinen einen One-Step zu tanzen. Die Äderchen in seinen Augen platzen, färben sie rot.
Du lachst, während es langsam zu Ende geht.
Der Mann zuckt nur mehr leicht. Einmal der rechte Arm, das linke Bein.
Dann ist Ruhe.
Er hängt schlaff da.
Nur die Zunge bewegt sich komischerweise noch auf dem Boden.
Du findest das witzig und steigst drauf. Ein quatschendes Geräusch.
Du lachst.
Und du stehst in diesem verdammten Raum. Als du dich umsiehst, bemerkst du, dass dieser keinen Ausgang hat. Du bist diese Mätzchen leid.
Du hast ein Messer.
Was wirst du tun?

 

Hallo One Weak,

deine Geschichte hat etwas eklig-faszinierendes. Sprachlich hast du sie, meiner Meinung nach, sehr gut umgesetzt. Sie hat mir im Allgemeinen gefallen.

Ein wenig gestört hat mich, dass du den Leser auf eine falsche Fährte führst - man denkt ja wirklich, dass er den Prot. umbringen möchte - am Ende bringt er sich selbst um und man weiß nicht warum. Vermutlich ist er irgendein religiöser Fanatiker.

Der seltsame Aspekt der Geschichte tritt für mich eigentlich erst ab den letzten Sätzen ein. Bis dahin liest es sich eher wie eine Metzel-Geschichte. Erst als man erfährt, dass dieser Raum keinen Ausweg hat, beginnt man sich zu fragen, was da los ist. Wie ist der Prot. hineingekommen? Ist der Mann etwa deswegen verrückt geworden, weil er womöglich selbst jahrelang darin eingesperrt war?
Hier würde ich es gut finden, wenn du Andeutungen einstreust. Vielleicht hast du das auch gemacht und ich habe sie nur überlesen. Könnte natürlich auch sein.

Grundsätzlich gefällt mir zwar die Du-Anrede nicht so sehr, aber ok, das ist Geschmackssache.

LG
Bella

 

Hallo Bella!

Danke dir fürs lesen und kommentieren. Es freut mich, dass ich dein Interesse wecken konnte.
Ich weiß, ein paar Details kommen zu spät, oder sind zu gering, vielleicht sollte ich das noch ausbessern (zB das der Raum keinen Ausweg hat usw.
Wegen Hinweisen wie und warum ... ja, da muss ich mir Gedanken machen, ich meine, natürlich ist da etwas im Kopf, aber ob das die Geschichte dadurch intressanter macht?
Oder vielleicht genau deshalb, weil man nicht weiß, warum und wieso?

Aber es ist kein religiöser Fanatiker, soviel kann ich sagen. :)
Die Idee, dass der Mann bereits länger hier drinnen war ist zwar gut (hab ned drran gedacht) , aber der prot erkennt ihn ja als seinen Entführer, deswegen ...

Soweit ... Grüße,
One

 

hi one,

ich finde die wendung ok. es kam mir so vor, als wenn der protagonist kein tatsächliches opfer wäre, sondern jemand ist, der einen alptraum durchlebt und glaubt, den weiteren verlauf beeinflussen zu können - bis er bemerkt, dass es keinen ausgang gibt...

gruß - xanthippe

 

Hi one weak,

also mir hat die Geschichte gefallen - so wie sie ist. Sicher, ein paar kleine Formulierungssachen hätte ich anders besser gefunden, aber das ist vielleicht Dein Stil und damit okay.
Ich finde es gut, dass KEINE Andeutungen kommen und alles auf den ersten Blick unlogisch wirkt. Irgendetwas wirst Du Dir ja dabei gedacht haben, in deinem Kopf ist die Geschichte schlüssig. Ich nehme das wie ein Rätsel.
Schönes Szenario im Ganzen, sehr hübsch.

M.

 

Morgen Xanthippe!
Danke dir für's lesen und deinen Comment.

ich finde die wendung ok. es kam mir so vor, als wenn der protagonist kein tatsächliches opfer wäre, sondern jemand ist, der einen alptraum durchlebt und glaubt, den weiteren verlauf beeinflussen zu können - bis er bemerkt, dass es keinen ausgang gibt...
Oha, ich muss zugeben, ein sehr intressanter Gedankengang. Besonders die Opferfrage ...


Auch dir einen schönen guten Morgen M. (ich erlaub mir mal, dich so zu nennen ;))!

also mir hat die Geschichte gefallen - so wie sie ist.
Das freut mich zu hören :)
Ich finde es gut, dass KEINE Andeutungen kommen und alles auf den ersten Blick unlogisch wirkt.
Ich hatte gehofft, dass so gedacht wird, weil es auch meine Meinung ist.
Schönes Szenario im Ganzen, sehr hübsch.
Danke!
Ansonsten dir auch noch einen schönen Dank für's lesen und kommentieren.

Grüße,
One

 

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