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Ohne Worte

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21.07.2009
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Ohne Worte

Ohne Worte

Alle kannten Jonathan Bille. Jeder wusste, er ist ein extrem langweiliger, pingelig pünktlicher Mensch. Nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen. Niemand ahnte, dass er einer Leidenschaft frönte, die manchem Mitbürger eine Gänsehaut über den Rücken gejagt hätte. Aber da er niemanden in seine Wohnung einlud, konnte niemand davon berichten. Und Bille schwieg.

Bille züchtete Spinnen, große, kleine, dicke, dünne, harmlose und gefährliche. Manchmal unter extrem schwierigen Bedingungen. Bille meinte, seine Zuchterfolge hätten ihn zu Weltruhm gebracht, wenn er nur gewollt hätte. Aber er mochte kein Aufheben um seine Person. Er war ein ganz normaler Mensch. Nur die Leidenschaft für Spinnen, die ließ ihn nicht los.
Jahrelang hatte er auf Drängen seiner Familie erfolgreich dagegen angekämpft. Als er eines Tages bei einem Waldspaziergang mit seiner Tochter das seltene Exemplar einer Wolfsspinne entdeckte, die auf ihrem Rücken einen Eikokon trug, war es um ihn geschehen. Die alte Leidenschaft brach hervor. Frau und Tochter trennten sich von ihm.

Jeden Morgen vor der Arbeit überprüfte Bille alle Terrarienabdeckungen. Er befürchtete, wenn sich seine Lieblinge in dem Hochhaus, in dem er seit zehn Jahren wohnte, unkontrolliert breit machten, käme es zu einer Katastrophe. Den Tieren zuliebe musste er das verhindern.

Ein bisschen Schabernack aber, konnte er sich nicht verkneifen. Seine eingebildete Nachbarin von gegenüber hatte er ein paar Mal mit einer stattlichen Kreuzspinne erschreckt, und wenn sie dann kreischend auf dem Flur stand, war er natürlich zur Stelle, um sie zu erlösen. Stets war er versucht, ihr die Spinne in den wabbeligen Busen zu stecken, aber das Mitgefühl für seine achtbeinige Kreatur hielt ihn zurück.

Hatte sich in seinen Terrarien Nachwuchs angekündigt, fuhr er in den Wald und ließ einige ausgewachsene Exemplare frei. Platz in einer Neubauwohnung ist knapp, und von seinem schmalen Gehalt konnte er es sich nicht leisten, die Spinnen in ihrem Ursprungsland auszusetzen. Was aus ihnen wurde, war ihm nicht gleichgültig. Nein, Gott bewahre! Aber er hatte keine Wahl. Mit einem Blick in
seine Terrarien besänftigte er sein Gewissen. Das Zuchtergebnis, das zählte! Von den ausgesetzten Spinnen hörte er nie wieder. Bis zum Montag letzter Woche.

Er hockte in der Couchecke und schlürfte seinen Morgenkaffee. Ein Orkan hätte das Dach des Hochhauses abdecken können, er hätte seinen letzten Schluck Kaffee in aller Ruhe ausgetrunken. Aber die Schlagzeile, die ihm heute auf der Titelseite seiner Zeitung entgegensprang, erregte seine Aufmerksamkeit.
‘Vogelspinne im märkischen Wald?’
Er beugte sich über die Zeitung, die er vor ein paar Minuten halb gefaltet auf dem Glastisch vor seiner Couch abgelegt hatte. Seine Hände zitterten. Kaffee tropfte auf seine graue Flanellhose. In seinem Gehirn klickerte es. Vorgestern hatte er zehn Vogelspinnen die Freiheit geschenkt.

Blass, mit zuckenden Mundwinkeln, griff er nach der Zeitung. ‘Pilzsammler entdeckt Riesenspinne auf Baumstumpf. Umfangreiche Suche bisher erfolglos.’, las er weiter.
Bille ließ die Zeitung sinken und starrte aus dem Fenster. Sollten seine Lieblinge einer Treibjagd zum Opfer fallen? Nein, er musste etwas unternehmen!
Seine Gedanken überschlugen sich. Er strich sich mit einer energischen Handbewegung über die Stirn. So ging es nicht! Immer eins nach dem anderen. Zunächst musste er sich in seiner Firma melden.
Er nahm den Telefonhörer in die Hand und wählte die Nummer seines Betriebes. Wie nicht anders zu erwarten, vernahm er nach zweimaligem Klingeln die Stimme von Margret Melcher. Er musste grinsen. Beinahe wäre sie seine Frau geworden, aber sie hatte beim zwanzigsten Rendezvous - er hatte genau Buch geführt - den Fünf - Uhr - Bus verpasst. Und eine Frau, die unpünktlich war, kam für ihn nicht in Frage. Wie sich Monate später herausstellte, war er einem Martyrium gerade noch entkommen. Sie war eine fanatische Teetrinkerin, und er hasste Tee. Komisch, diese Leidenschaft war ihm damals nicht aufgefallen. Sicher hatte sie dieses Hobby erst entdeckt - vor lauter Gram über seine brüske Ablehnung. Anders war ihre Entscheidung, sich freiwillig so einem Zeug zu widmen, nicht zu erklären. Jetzt war es ihm egal. Was ihn allerdings ärgerte, sie belästigte sogar ihre eigenen Kollegen mit den selbstgebrauten Mixturen.

„Kunststoffverarbeitung Lesch, Frau Melcher am Apparat. Was kann ich für Sie tun?” Das Grinsen noch immer im Gesicht, prasselten die Worte auf Jonathans Trommelfell.
„Guten Morgen Margret. Ich...”
„Jonathan, ist was passiert? Warum rufst du an?”
„Es ist nichts passiert”, log er, „oder doch, ich bin krank. Ich nehme einen Tag Urlaub. Bring’s bitte dem Chef schonend bei.” Sicherheitshalber hustete er ins Telefon. Margret hielt vorsorglich die Rechnungen fest, die auf ihrem Schreibtisch verteilt lagen. Sie hatte befürchten müssen, sie segelten zu Boden wie Laubblätter im Herbst.
„Krank? Jonathan, du warst noch nie krank!”
„Jetzt bin ich es eben”, entgegnete er kurz. Er durfte in dieses belanglose, zu nichts führende Gespräch keine Zeit mehr investieren.
„Jonathan, ich bring dir meine Spezialmischung, die bringt dich wieder auf die Beine.”
„Margret, nein! Nein, zum letzten Mal! Keinen Tee aus deiner Kräuterküche!” Er warf den Telefonhörer auf die Gabel und holte tief Luft.
Die Knie waren weich, und er spürte einen unangenehmen Druck im Magen. Er war geneigt, sich tatsächlich krank zu fühlen. Lügen, darin hatte er keine Übung. Ob er Margret überzeugt hatte? Egal.

In Gedanken sah er eine Horde Menschen, schwer bewaffnet mit riesigen Keschern, durch den Wald streifen, um seine Lieblinge zu fangen.

Wie hieß nur der Ort, an dem er sie ausgesetzt hatte? Er fuhr stets ohne Plan in irgendeine Richtung und machte entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nie Notizen über die neue Heimat seiner Lieblinge, um nicht in Versuchung zu geraten, sie wieder einzufangen. Das einzige, was er in solchen Fällen penibel einplante, war die Wetterlage. Es musste ein sonnensicherer Tag sein.

Während er angestrengt nachdachte, stürzte er den letzten Schluck Kaffe in sich hinein. Die beiden Falten über der Nasenwurzel hatten sich tiefer als gewöhnlich in seine Stirn gegraben und gaben ihm das Aussehen eines knurrigen, alten Schuldirektors.

Ein winziges Nest, ja es war ein winziges Nest, mit einer holprigen Dorfstraße, die in einem staubigen Feldweg mündete. Da war die Welt zu Ende. Er hatte sein Auto vor der Dorfkneipe abgestellt, und um nicht aufzufallen, genehmigte er sich ein Bier. Den Wirt hatte er nebenbei nach einem Radwanderweg gefragt. Nachdem er sein Bier geleert hatte, packte er sein Fahrrad aus und bestückte es mit der Tasche, die seine lebenden Kostbarkeiten enthielt.
„Picknick, was?” lachte der Wirt, der überraschend in der Tür erschienen war, und zeigte auf die Tasche. Erschrocken war Jonathan zusammen gefahren und hatte dem Wirt ein schnelles „Ja, ja” hingeworfen.
„Schönes Wetter haben Sie sich ausgesucht”, bemerkte der Wirt und zeigte zum Himmel. „Gestern, der Regen...”
„Ja, gestern war es schlecht”, unterbrach ihn Jonathan ohne sich bei der Überprüfung seines Gepäcks stören zu lassen.

Der Wanderweg war ausgeschildert, und da er sehr zerfahren war, schob er das Rad ein gutes Stück. Seine Lieblinge durften nicht zu Schaden kommen.
Nur soweit man ihn vom Wirtshaus hätte beobachten können, blieb er auf der empfohlenen Route. Dann bog er ab.
Das Fahrrad hopste über Stock und Stein. Ihm wurde fast schwindelig, wenn er daran dachte, wie seine Spinnen litten. Aber es musste sein.
Eine Lichtung inmitten der riesigen Kiefern schien ihm geeignet, seine Lieblinge für die strapaziöse Fahrt zu entschädigen und sie freizulassen. Anfangs waren sie scheu, bewegten sich kaum. Aber der Sonne konnten sie nicht widerstehen. Sie waren begeistert, und ruckzuck verschwanden sie. Jonathan hatte vor Freude in die Hände geklatscht, wie ein Kind, dem ein lang gehegter Wunsch erfüllt wurde.

Den Rückweg hatte er schnell bewältigt. Er war die kostbare Last los.
Als er sein Fahrrad einpackte, kam der Wirt und fragte, ob er eine nette Spazierfahrt hatte. Alles lief reibungslos. Und jetzt dieser Zeitungsartikel!

Es war keine Zeit zu verlieren. Jonathan riss die Schranktür auf, kramte den Kescher aus der Ecke, schnappte ein paar Transportkisten und stopfte sie in die Reisetasche.
Er hastete die Treppe hinunter, denn der Fahrstuhl trödelte wie immer vor sich hin. Duft von frisch gebrühtem Kaffe zog durchs Treppenhaus, und in seiner Tasche klapperten die leeren Transportbehälter.
„Guten Morgen Herr Bille. Sie rennen ja so! Sie haben doch nicht etwa verschlafen?” wunderte sich Charlotte Weber, die mit ihrem leeren Mülleimer durch den Eingang schepperte.
„Morgen, Morgen, Frau Weber. Nein, habe ich nicht”, warf er ihr entgegen und riss die Eingangstür auf. Kopfschüttelnd schaute Charlotte Weber auf ihre Uhr. Genau um diese Zeit hörte sie seit Jahren ihren Mitbewohner in seiner Küche rumoren, und das wusste sie genau, denn sie wohnte unter ihm. Warum änderte er plötzlich seine Gewohnheiten?

Die Tür schnaufte hinter Jonathan ins Schloss. Er kniff für einen Moment die Augen zusammen. Es nieselte, aber für solche Lappalien hatte er keine Zeit. Wie ein junger Springer hopste er in seinen Opel und brauste davon.
Er konnte sich beim besten Willen nicht an den Namen des Dorfes erinnern, aber er wusste genau: Autobahnabfahrt ‘Ferch’ und dann links. In Gedanken bei seinen gejagten Freunden, fuhr er wie ein Automat. Endlich ‘Ferch’. Er fuhr die Ausfahrt herunter und bog ab.
Richtig, von weitem erkannte er die Dorfstraße. Aber dieses Mal brauste er an der Kneipe vorbei. Der gleiche Fremde in kurzer Zeit, wäre in dieser gottverlassenen Gegend garantiert aufgefallen, und womöglich mit der entdeckten Spinne in Zusammenhang gebracht worden.

Als er den Feldweg entlang fuhr, sah er am Waldrand eine ganze Blechlawine parken. Verflixt! Er hätte es wissen müssen! So eine Schlagzeile! Woher wussten die alle den Ort? Stand der in dem Artikel, den er nur überflogen hatte?
Mit mäßigem Tempo näherte er sich den parkenden Autos. Unter keinen Umständen durfte er auffallen. Aber Vorsicht war nicht von Nöten, das Jagdfieber hatte alle erfasst.

Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen.
Unbemerkt konnte er sich mit seinen Fangutensilien in den Wald schleichen. Hoffentlich hatten sich seine Lieblinge nicht zu weit von der Stelle entfernt, an der er sie ausgesetzt hatte! Dann hatte er eine Chance, sie vor allen anderen zu finden.
Jonathan plante, die Lichtung von der anderen Seite zu erreichen. Stimmen drangen an sein Ohr. Die Jäger waren nicht weit. Er musste sich beeilen, schließlich ging es hier um Leben oder Tod.
Plötzlich hielt er inne. Beinahe hätte er das Kunstwerk einer Labyrinthspinne zerstört. Im letzten Moment konnte er ausweichen. Unverzeihlich, wenn das Netz seiner Unaufmerksamkeit zum Opfer gefallen wäre.
Hastig stolperte er durchs Unterholz. Er riss die Augen auf und ließ seinen Blick nicht vom Boden. Er keuchte, bekam kaum Luft. Soviel körperliche Anspannung kam ungewohnt. Plötzlich riss es ihm die Beine weg. Er hatte einen winzigen Baumstumpf übersehen. Wie lange er so gelegen hatte, vermochte er nicht einzuschätzen. Als er seinen Kopf hob, erblickte er Amalie.
„Amalie”, er lächelte. Trockenes Moos und ein paar Kiefernnadeln krümelten von seinem Gesicht. Jonathan hätte Amalie unter tausend Spinnen herausgefunden. Ihr fehlte das vordere Glied des ersten rechten Beines. Er hatte es ihr bei seinen Säuberungsarbeiten abgeklemmt und erst bemerkt, als sie sich tagelang nicht von der Stelle bewegte. Seitdem schien ihr Verhältnis zueinander gestört. Manchmal wurde er das Gefühl nicht los, dass sie ihn hasserfüllt anstarrte. Blödsinn, redete er sich ein, sie konnte die Zusammenhänge in ihrem Hirn nicht herstellen. Aber wer will beurteilen, was in einem so winzigen Spinnenhirn vor sich geht? Jedenfalls behandelte er sie noch sorgfältiger, noch liebevoller. Ein winziges Stück von ihrem Bein! Sie konnte den Verlust locker verschmerzen! In ihrer Heimat wäre sie vielleicht Opfer der gefürchteten Wespe geworden, aber er, er bot ihr ein ruhiges, friedliches Leben.
Trotzdem, jeder Blick in ihr Terrarium peinigte sein Gewissen. Wegen ihres gespannten Verhältnisses, und um nicht ständig an seinen verhängnisvollen Fehler erinnert zu werden, hatte er sich entschlossen, Amalie in die Freiheit zu entlassen.

In Bruchteilen einer Sekunde war ihm das alles durch den Kopf geschossen. Im selben Moment bemerkte er, dass es ihm nicht möglich war aufzustehen. Sein Körper schien mit Blei gefüllt und ließ sich keinen Zentimeter bewegen.
Unvermittelt brach die Sonne herein und fiel gleißend auf das Moos, das viel grüner war als gewöhnlich. Der Waldboden dampfte, und es duftete nach Pilzen.
Die Stimmen, vor denen er sich gefürchtet hatte, waren kaum noch zu vernehmen. Nur das laute Pochen eines Spechtes hallte durch den Wald, und irgendwo in den hohen Wipfeln schimpfte eine Meise.

Und da hockte Amalie. Sie hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, starrte sie ihn an. Er konnte ihrem Blick nicht auszuweichen. Jonathan beschlich ein eigenartiges Gefühl. Angst? Angst vor einer Spinne? Angst vor Amalie? Lächerlich! Er, der Spinnenspezialist, sollte Angst haben? Niemals! Je mehr er gegen dieses Gefühl kämpfte, je mehr er die Angst als belanglos abtat, desto hartnäckiger beherrschte sie ihn. Unerklärlich - diese Angst, aber sie hatte ihn voll im Griff.

Jonathan spannte seine Muskeln, wollte sich aufstützen. Die Arme gehorchten ihm nicht. Nur knapp fünf Zentimeter hatte sich sein Oberkörper gehoben, dann sackte er auf den weichen Waldboden zurück. Kraft, jetzt brauchte er Kraft. Kraft, von der er schon als Junge vergeblich geträumt hatte. Irgendwann hatte er diesen Traum zu den Akten gelegt und seinen nutzlosen Kampf um Muskelpakete oben aufgeschnürt. Im Laufe der Jahre im Büro war sein Körper nicht kräftiger geworden. Er erledigte nur die täglich notwendigen Arbeiten und das immer häufiger unter Protest. Aber hätte ihm jetzt ein Muskelpaket geholfen?

Amalies Blick ließ ihn nicht los. Wie hypnotisiert starrte er sie an.
„Amalie!” keuchte er. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und liefen über seine Schläfen. Amalie blieb unbeeindruckt hocken. Jonathan scharrte mit den Fingern im lockeren Waldboden. Er fühlte die Erde unter seinen Nägeln trocknen. Er hasste dieses Gefühl.
„Dieses verflixte Biest! Sie soll mich in Ruhe lassen”, stieß er unerwartet hervor und erschrak. Noch nie zuvor hatte er so von einem seiner Lieblinge gedacht, geschweige gesprochen. Für einen winzigen Moment bewegte sich Amalie. Es sah aus, als sortierte sie ihre haarigen Beine. Sofort nahm sie ihre alte Position ein. Und an Jonathans Lage hatte sich nichts geändert. Unglaublich, was hier mit ihm geschah! Die Rache einer Spinne? Wofür wollte sie sich rächen? Für das lumpige Bein? Für ihre Gefangenschaft? Vielleicht noch für ihre Freiheit! Albern, absolut absurd!
Aber Tatsache war, er lag hier, war unfähig aufzustehen, und eine Spinne hockte vor seinem Gesicht. Eine Spinne, die er gut kannte und die es wie alle anderen gut bei ihm gehabt hatte.
„Hasst du mich, Amalie? Warum? Was willst du von mir? Du weißt genau, mit deinem bisschen Gift bringst du mich nicht um”, flüsterte er und lächelte. Das Lächeln auf seinem Gesicht gefror zur Grimasse. Obwohl er keine Antwort erwartet hatte, wäre er nicht überrascht gewesen, wenn sie gesprochen hätte. Im Moment war alles möglich. Aber Amalie schwieg. Sie starrte ihn an, ununterbrochen.
Jonathan schloss die Augen. Er fühlte, wie die feuchte Erde Besitz von seinem Körper ergriff. Die frische Waldluft, die er liebte, konnte ihm keine Entspannung bringen. Er zitterte. Unkontrolliert klapperten seine Zähne aufeinander. Seine Kiefer knackten. Kälte kroch in ihm hoch und schnürte ein festes Band um seinen kraftlosen Körper, und die Kiefern rauschten ihr ewiges Lied.

Wo waren die Leute, die Jagd auf seine Spinnen machten, wo waren sie? Sie hätten ihn längst finden müssen! Aber nein, er wollte nicht entdeckt werden, er war heimlich gekommen.
Es war höchste Zeit, all seine Vorsätze über Bord zu werfen, denn plötzlich ging es um sein Leben. Er schrie. Sein Schrei blieb tonlos zwischen den Baumstämmen hängen. Verzweifelt schlug er den Kopf auf den Waldboden.
Sanfte Dunkelheit legte sich über die Wipfel der Kiefern und über den Mann, der für sein Leben gern ein Spinnenexperte war.

 

Moikka vanEgk,

was für eine wunderbare Geschichte! Vielen Dank!

Es ist nicht nur ein phantastisches Thema, sondern auch mit eigenwillig-routinierter Sprache in perfektem Tempo erzählt. Der Gegensatz zwischen dem sowohl spießigen, wie auch skurrilen Sammlers kommt ausnahmsweise nicht bemüht und konstruiert daher, ist lebendig und (emotional) nachvollziehbar.

Gut die Spannung angezogen, auch mit solchen Einschüben

Plötzlich hielt er inne. Beinahe hätte er das Kunstwerk einer Labyrinthspinne zerstört.
ein paar Schrecksekunden, um dann wieder loszulegen. Einzig die Szene, als er lange daliegt, hätte im ersten Teil evt. ein kleines Stück straffer sein können.


Du hast Deine Figur vollkommen im Griff, gut durchdacht, stimmig bis in kleinste Einzelheiten:

machte entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nie Notizen über die neue Heimat seiner Lieblinge, um nicht in Versuchung zu geraten, sie wieder einzufangen.
oder wie
Er hatte es ihr bei seinen Säuberungsarbeiten abgeklemmt und erst bemerkt, als sie sich tagelang nicht von der Stelle bewegte. Seitdem schien ihr Verhältnis zueinander gestört.

Ein Vorschlag nur:

Stets war er versucht, ihr die Spinne in den wabbeligen Busen zu stecken,
hier wäre sowas wie "zwischen die wabbeligen Brüste" besser, weil man die arme Spinne ja strenggenommen nicht in den Busen steckt.

Jedenfalls eine Geschichte, die ich äußerst gern gelesen habe.

Ich bin überzeugt, daß zwischen Kaffeetrinkern und Spinnen eine enge Beziehung besteht (vielleicht riechen die anders als Teetrinker): als ich letzten Sommer auf dem Land verbrachte, gesellte sich eine Wolfsspinne zu mir, immer wenn ich auf der Holztreppe zum Garten meinen Kaffee trank, und sonnte sich dort neben meinen Füßen. Hatte ich ein Bier in der Hand, blieb sie unter der Treppe. ;)

Heippa hei,
Katla

 

Hallo Katla,

danke für die Kritik. Besonders als Neuling ist man auf Resonanz "Fremder" angewiesen. Familie und Freunde sind subjektive Leser und sicher nicht die zuverlässigsten Kritiker. Das liegt in der Natur der Sache.
Ich will nicht verhehlen, dass es meinem Ego gut getan hat, was und wie Du geschrieben hast.
Mit den wabbeligen "Brüsten" kann ich mich nicht anfreunden. Vielleicht sollte ich es in "Dekolletè" ändern. Da muss ich drüber nachdenken.

Vielen Dank und liebe Grüße
vanEgk

 

Hi Jynx,
freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat. Ja, den letzten Absatz könnte ich tatsächlich weglassen. Aber ich trenne mich, wie viele andere Schreibende, ungern von ein paar Sätzen. Aber ich tue es. Die Idee gefällt mir.
Diese extreme Aufregung Billes sollte ein starkes Motiv für seine weitere Handlung liefern. Durchgeknallte Menschen gibt es genug.
Vielen Dank für die Hinweise. Auf bald.
vanEgk

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi vanEgk,

und herzlich willkommen hier. Auch mir hat deine Geschichte gut gefallen.
So gut, dass ich gar nichts Konstruktives mehr beitragen kann.

Lieben Gruß
sim

 

Hi vanEgk,

ganz nette Unterhaltung, dein Debut, aber insgesamt bleibt es mir doch etwas zu seicht. Mir fehlte da irgendwo der gewisse Kick, der die Geschichte zu etwas besonderem macht. So bleibt es eine recht routiniert geschriebene Geschichte über einen Menschen mit einem seltsamen Hobby, das ihm zum Verhängnis wird. Alles in einem Singsang. Hm. Kann das jetzt nicht besser ausdrücken. Vielleicht flimmert mir zu wenig zwischen den Zeilen.

Die EInleitung gefllt mir persönlich nicht

Alle kannten Jonathan Bille. Jeder wusste
Alle ist doch genau wie jeder ein seh großes Wort. Wer außer Kollegen und Familie ist denn hier gemeint?

Bille meinte, seine Zuchterfolge hätten ihn zu Weltruhm gebracht, wenn er nur gewollt hätte.
Das empfinde ich als Widerspruch zu dem letzten Satz des vorhergegangenen Absatzes:Und Bille schwieg. Ungeschickt formuliert. Lass ihn das doch denken

Aber er mochte kein Aufheben um seine Person. Er war ein ganz normaler Mensch. Nur die Leidenschaft für Spinnen, die ließ ihn nicht los.
Auch das ist in meinen Augen ein WIderspruch zur Einleitung. Ganz normal ist also langweilig, pingelig und pünktlich?

Naja, Kleinigkeiten, aber sie sind mir aufgefallen.

Insgesamt lässt sich der Text flüssig lesen und man darf auf mehr von dir gespannt sein.

grüßlichst
weltenläufer

 

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