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Opescha
„Moin!“, so begrüßte Opescha jeden Passanten.
„Moin!“, so schallte es zurück. Die Welt war in Ordung. Singende Vögel, Sonne, das ganze Drumherum. Opescha schlenderte die Promenade entlang und jeder, der vorbeikam, war sein Freund. Alles bestand aus fröhlichen Fischhändlern, patenten alten Damen, liebenswerten Polizisten, zuvorkommenden Jungs, die den alten Damen über die Straße halfen, verschmitzten Taschendieben namens Ede und Kaufmannsläden an jeder Ecke.
„Moin!“, sagte Opescha.
„Moin“, erwiderte der Stadtstreicher Kalle.
„Moin!“, rief Opescha.
„Moin“, antwortete Erna, das leichte Mädel.
„Moin!“, grüßte Opescha.
„Hrmpf“, entgegnete Summbrack.
Die Welt hielt den Atem an. Die Vögel verstummten, Wolken zogen herauf. Opescha erstarrte einige Sekunden, sein Lächeln erstarb, seine Mundwinkel neigten sich immer weiter abwärts. Ede der Taschendieb stoppte seinen Uhrenklau, die Hand noch in der Hosentasche vom Fischhändler Fiete, dessen Messer mitten im Schwung gefror, als er gerade einen Rotbarsch für die alte Witwe Rampalla köpfen wollte. Ungläubiges Starren. Nur Summbrack trottete unbeirrt weiter. Opescha drehte sich langsam um, und sah Summbrack nach. Er räusperte sich.
„Ich sagte: Moin!“ Jedes Wort sprach er so laut und deutlich wie möglich aus.
„Hmrgh, lass mich in Ruhe!“, grummelte Summbrack und ging seines Weges.
Doch Opescha ließ nicht locker. Er folgte Summbrack und stellte ihn zur Rede.
„Ich sagte: Moin!“
„Halt die Klappe, du Rotzlöffel!“
„Wie war das?“
„Jetzt geh endlich weg, du Nervensäge!“
„Das reicht! Hört alle her!“, verkündete Opescha seinem Publikum, „Summbrack ist ein alter Stinkstiefel! Jawohl. Ein Mufflon sondergleichen! Ja genau, der hier!“
Stilles Kopfnicken bei der versammelten Zuschauerschaft.
„Das ist nicht wahr“, sagte Summbrack. „Jetzt geh mir aus dem Weg, du Hund.“
Aber damit gab sich Opescha nicht zufrieden. Den ganzen Weg bis zu Summbracks Haus folgte er ihm, umtanzte ihn, zeigte mit dem Finger und brüllte: „Summbrack ist ein Griesgram!“ Dabei war Opescha von einer wohltuenden Aura der Redlichkeit umgeben, die ihn in seinem Tun bestärkte.
Vor seiner Haustür beschloss Summbrack, den gestörten Störenfried nicht weiter zu ignorieren. Er drehte sich kurz um und verkündete im Angesicht der versammelten Menge: „Was Opescha behauptet, stimmt nicht. Außerdem ist er ein Hurensohn.“
Das verärgerte Opescha zutiefst. Er war rechtschaffen empört. Am nächsten Tag war er wieder da, diesmal trug er ein großes Schild, auf dem stand: „Summbrack hat die Krätze und den Tripper.“ Die Menschen auf der Straße lachten zustimmend.
Von seinem Küchenfenster aus beobachtete der Geschmähte das Treiben auf der Straße und ärgerte sich. Er schob die Bistrogardine mit dem Blumenmuster wieder vor die Scheibe und ersann einen Plan. Er konnte das doch nicht auf sich sitzen lassen, und so fertigte er seinerseits ein Schild an, auf dem geschrieben stand: „Gerüchte über meinen Gesundheitszustand sind stark übertrieben. P.S. Opescha steht auf läufige Hündinnen.“ Damit patrouillierte Summbrack am nächsten Tag seine übliche Strecke auf und ab, doch kam er mit dieser Aktion zu spät, denn Opescha hatte bereits die gesamte Promenade plakatiert. An jedem Baum hing ein Poster mit Summbracks Konterfei und der Unterzeile: „Dieser Mann ist ein Homosexueller Bisexueller Asexueller Pädophiler und ein Amputationsfetischist.“ Summbrack konnte den besorgten und angeekelten Blicken seiner Mitmenschen nicht standhalten, und floh nach der Hälfte seines Weges wieder in sein Heim. Er war stinkwütend. Kurz darauf begab er sich zur Druckerei, um eine Gegendarstellung in Auftrag zu geben. Zwölftausend Plakate mit Opeschas Antlitz und dem Text: „Dies ist Opescha, der immer heimlich in der Kirche masturbiert und sein Sperma unter den Messwein mischt und außerdem ist er ziemlich dumm.“
Zu seinem Entsetzen musste Summbrack in der Druckerei aber feststellen, dass Opescha bereits eine Sonderbeilage für die Tageszeitung herstellen ließ, auf der in gewaltigen Lettern der Satz prangte: „Summbrack hat einen kleinen Penis.“
Summbracks Wut war mittlerweile unermesslich, doch nach reiflicher Überlegung beschloss er, diesem Wahnsinn ein Ende zu machen. Es konnte nicht ewig so weitergehen, einer von ihnen musste nachgeben, de-eskalieren. Also mietete er am nächsten Tag einen riesigen Zeppelin, den er über der Stadt kreisen ließ. Darauf stand in großen Leuchtbuchstaben die Aufschrift: „Kein Kommentar.“