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Opescha

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27.08.2000
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Opescha

„Moin!“, so begrüßte Opescha jeden Passanten.
„Moin!“, so schallte es zurück. Die Welt war in Ordung. Singende Vögel, Sonne, das ganze Drumherum. Opescha schlenderte die Promenade entlang und jeder, der vorbeikam, war sein Freund. Alles bestand aus fröhlichen Fischhändlern, patenten alten Damen, liebenswerten Polizisten, zuvorkommenden Jungs, die den alten Damen über die Straße halfen, verschmitzten Taschendieben namens Ede und Kaufmannsläden an jeder Ecke.
„Moin!“, sagte Opescha.
„Moin“, erwiderte der Stadtstreicher Kalle.
„Moin!“, rief Opescha.
„Moin“, antwortete Erna, das leichte Mädel.
„Moin!“, grüßte Opescha.
„Hrmpf“, entgegnete Summbrack.
Die Welt hielt den Atem an. Die Vögel verstummten, Wolken zogen herauf. Opescha erstarrte einige Sekunden, sein Lächeln erstarb, seine Mundwinkel neigten sich immer weiter abwärts. Ede der Taschendieb stoppte seinen Uhrenklau, die Hand noch in der Hosentasche vom Fischhändler Fiete, dessen Messer mitten im Schwung gefror, als er gerade einen Rotbarsch für die alte Witwe Rampalla köpfen wollte. Ungläubiges Starren. Nur Summbrack trottete unbeirrt weiter. Opescha drehte sich langsam um, und sah Summbrack nach. Er räusperte sich.
„Ich sagte: Moin!“ Jedes Wort sprach er so laut und deutlich wie möglich aus.
„Hmrgh, lass mich in Ruhe!“, grummelte Summbrack und ging seines Weges.
Doch Opescha ließ nicht locker. Er folgte Summbrack und stellte ihn zur Rede.
„Ich sagte: Moin!“
„Halt die Klappe, du Rotzlöffel!“
„Wie war das?“
„Jetzt geh endlich weg, du Nervensäge!“
„Das reicht! Hört alle her!“, verkündete Opescha seinem Publikum, „Summbrack ist ein alter Stinkstiefel! Jawohl. Ein Mufflon sondergleichen! Ja genau, der hier!“
Stilles Kopfnicken bei der versammelten Zuschauerschaft.
„Das ist nicht wahr“, sagte Summbrack. „Jetzt geh mir aus dem Weg, du Hund.“
Aber damit gab sich Opescha nicht zufrieden. Den ganzen Weg bis zu Summbracks Haus folgte er ihm, umtanzte ihn, zeigte mit dem Finger und brüllte: „Summbrack ist ein Griesgram!“ Dabei war Opescha von einer wohltuenden Aura der Redlichkeit umgeben, die ihn in seinem Tun bestärkte.
Vor seiner Haustür beschloss Summbrack, den gestörten Störenfried nicht weiter zu ignorieren. Er drehte sich kurz um und verkündete im Angesicht der versammelten Menge: „Was Opescha behauptet, stimmt nicht. Außerdem ist er ein Hurensohn.“
Das verärgerte Opescha zutiefst. Er war rechtschaffen empört. Am nächsten Tag war er wieder da, diesmal trug er ein großes Schild, auf dem stand: „Summbrack hat die Krätze und den Tripper.“ Die Menschen auf der Straße lachten zustimmend.
Von seinem Küchenfenster aus beobachtete der Geschmähte das Treiben auf der Straße und ärgerte sich. Er schob die Bistrogardine mit dem Blumenmuster wieder vor die Scheibe und ersann einen Plan. Er konnte das doch nicht auf sich sitzen lassen, und so fertigte er seinerseits ein Schild an, auf dem geschrieben stand: „Gerüchte über meinen Gesundheitszustand sind stark übertrieben. P.S. Opescha steht auf läufige Hündinnen.“ Damit patrouillierte Summbrack am nächsten Tag seine übliche Strecke auf und ab, doch kam er mit dieser Aktion zu spät, denn Opescha hatte bereits die gesamte Promenade plakatiert. An jedem Baum hing ein Poster mit Summbracks Konterfei und der Unterzeile: „Dieser Mann ist ein Homosexueller Bisexueller Asexueller Pädophiler und ein Amputationsfetischist.“ Summbrack konnte den besorgten und angeekelten Blicken seiner Mitmenschen nicht standhalten, und floh nach der Hälfte seines Weges wieder in sein Heim. Er war stinkwütend. Kurz darauf begab er sich zur Druckerei, um eine Gegendarstellung in Auftrag zu geben. Zwölftausend Plakate mit Opeschas Antlitz und dem Text: „Dies ist Opescha, der immer heimlich in der Kirche masturbiert und sein Sperma unter den Messwein mischt und außerdem ist er ziemlich dumm.“
Zu seinem Entsetzen musste Summbrack in der Druckerei aber feststellen, dass Opescha bereits eine Sonderbeilage für die Tageszeitung herstellen ließ, auf der in gewaltigen Lettern der Satz prangte: „Summbrack hat einen kleinen Penis.“
Summbracks Wut war mittlerweile unermesslich, doch nach reiflicher Überlegung beschloss er, diesem Wahnsinn ein Ende zu machen. Es konnte nicht ewig so weitergehen, einer von ihnen musste nachgeben, de-eskalieren. Also mietete er am nächsten Tag einen riesigen Zeppelin, den er über der Stadt kreisen ließ. Darauf stand in großen Leuchtbuchstaben die Aufschrift: „Kein Kommentar.“

 

Wo ist das Zeppelin-Smilie, das mein Transparent über der Geschichte kreisen lässt?

Hallo Ben,

kein Zeppelin-Smilie zu finden, also werde ich doch einen Kommentar schreiben :D

Hat mir gefallen, diese kurze Geschichte. Ich werde jetzt nicht in den Fettnapf treten und versuchen, Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und Ereignissen in die Geschichte zu deuten. Lassen wir es dabei: Mit hat gefallen, wie Du mit wenigen Worten (und viel Humor) geschildert hast, wie ein eigentlich unbedeutendes Ereignis eskalieren kann.


Noch zwei Anmerkungen:

Die Satzzeichen (so es denn kein Frage- oder Ausrufezeichen ist) am Satzende einer wörtlichen Rede werden nicht gesetzt. Also statt

„Moin.“, erwiderte der Stadtstreicher Kalle.
müsste es heißen: "Moin", erwiderte der Stadtstreicher Kalle.

Erst wollte ich noch was zu der Häufung der Adjektive sagen, z.B. hier

Alles bestand aus fröhlichen Fischhändlern, patenten alten Damen, liebenswerten Polizisten, zuvorkommenden Jungs, die den alten Damen über die Straße halfen, verschmitzten Taschendieben namens Ede und Kaufmannsläden an jeder Ecke.
Nach mehrmaligem Lesen der Geschichte bin ich jedoch der Meinung, dass diese Geschichte ein Beispiel dafür ist, wie man Adjektive auch gehäuft sinnvoll einsetzen kann :cool:

Nur die alte Witwe will mir nicht so recht gefallen. Witwe allein reicht doch schon. Hat auch eine schönere Satzmelodie. Meiner Meinung nach.

Viele Grüße
George

 

Moin!

Danke fürs Lesen und für die Kommentare. Für den einen Kommentar meine ich. Der "keine Kommentar" von lakita wird ja noch von einer richtigen Kritik gefolgt, wie ich weiß. ;)

@George:

Die Satzzeichen (so es denn kein Frage- oder Ausrufezeichen ist) am Satzende einer wörtlichen Rede werden nicht gesetzt.
Damit habe ich immer wieder Probleme. Dann könnte man ja nie Ausrufezeichen in der wörtlichen Rede verwenden. Für das zackige "Moin!" aber unerlässlich. *grammatikbuchrauskram* Da komm ich drauf zurück...

Nach mehrmaligem Lesen der Geschichte bin ich jedoch der Meinung, dass diese Geschichte ein Beispiel dafür ist, wie man Adjektive auch gehäuft sinnvoll einsetzen kann
Jo. Da diese Passage die Welt des Opescha beschreibt, sind die gehäuften Adjektive da notwendig. Im Rest der Geschichte findet man diese Häufungen nicht.

Die "alte Witwe Rampalla" ist ein gern gesehener Gast, die die Welt meiner Geschichten regelmäßig frequentiert. Die heißt aus tradition so, da ist nix zu machen. Bald, wenn alles gut geht, hat sie sogar ihren zweiten Filmauftritt (der erste war ein glorreicher Statistenpart in "Der Fußfetischist").

Gruß

Ben

 

Hallo Ben Jockisch

eigentlich wollte ich so viel dazu sagen, aber ich denke das reicht.

:naughty: :rotfl: :rotfl: :rotfl: :thumbsup:

Morpheus

 

@George:

Ach, jetzt sehe ich. Ich habe Punkte gesetzt. Klar, das korrigiere ich gleich mal... :idee:

@Morpheus:

Nimm diesen rollenden Smiley zum Dank: :rotfl:

Nachtrag: Zeichensetzung korrigiert.

 

Hallo Ben,

Dann könnte man ja nie Ausrufezeichen in der wörtlichen Rede verwenden
Doch, doch. Nur wenn die wörtliche Rede mit einem Punkt enden würde, wird dieser nicht gesetzt. Frage- und Ausrufezeichen werden sehr wohl gesetzt (wobei ich mit Ausrufezeichen vorsichtig umgehen würde, aber das nur nebenbei)
Die "alte Witwe Rampalla" ist ein gern gesehener Gast, die die Welt meiner Geschichten regelmäßig frequentiert. Die heißt aus tradition so, da ist nix zu machen.
Ja, wenn das so ist. Und sogar Filmstar ist sie schon, die "alte Witwe Rampalla". Dann hat sie sich das Attribut auch wahrlich verdient :thumbsup:

Ich sollte vielleicht mal in Deinen Geschichten stöbern...

Liebe Grüße
George

 

@George:

Doch, doch. Nur wenn die wörtliche Rede mit einem Punkt enden würde, wird dieser nicht gesetzt. Frage- und Ausrufezeichen werden sehr wohl gesetzt (wobei ich mit Ausrufezeichen vorsichtig umgehen würde, aber das nur nebenbei)
Jo, alles klar. Ich hatte nicht richtig gelesen und nachgedacht.
Die Zeichensetzung bei der wörtliche Rede mache ich immer wieder falsch, das ist schon chronisch.

 

Hallo Ben,

Deine Geschichte hat mir gut gefallen, die Normalität vermittelnde Szene am Anfang ist ein gelungener Ausgangspunkt für das Geschehen.
So schön Deeskalation auch ist - ein schönes (absurdes Missverständnis) zu „Kein Kommentar“ hätte mir schon gefallen…

LG,

tschüß… Woltochinon

 

Moin Wolto, danke für den Kommentar.

ein schönes (absurdes Missverständnis) zu „Kein Kommentar“ hätte mir schon gefallen…
Ich denke, das Bild eines Zeppelins, der lediglich mit der riesigen Aufschrift "Kein Kommentar" über einer Stadt kreist, bedarf keiner weiteren Ausführung. Die Missverständnisse darf sich der Leser selbst dazudenken. ;)

Gruß

Ben

 

Moin Ben,

Ja, war wieder mal eine tolle Geschichte. Ich liebe einfach deinen Stil, den beinahe perfekten Gebrauch von Adjektiven und die kleinen absurden Elemente. Als jemand, der den Fußfetischisten auswendig kennt, hab ich die alte Witwe Rampalle natürlich sofort wiedererkannt - ein witziger Running Gag.
Die Pointe mit dem Zeppelin sitzt perfekt und daran sollte auf keinen Fall noch was verändert werden.
Insgesamt also einfach gelungen.

Lobhudeleien sind langweilig, darum schließe ich mit einem dezenten Gähnen, welches aber nicht deiner Geschichte gilt

 

Moin gnoebel!

Danke, dank für das Lob. Fand ich gar nicht langweilig. ;)

Freu dich schonmal auf die erste Sprechrolle von Witwe Rampalla im grandiosen Film "Staub zu Staub", der demnächst in Produktion geht! Der Film ist auch in einer reichlich absurden Welt angesiedelt.

Gruß

Ben

 

Moin Ben,

deine Geschichte hat mich ein bisschen an eine Geschichte von Gerhard Zwerenz erinnert, ich weiß aber nicht mehr, wie die heißt.
lakita wird angesichts der Geschichten die ihr in Satire als solche präsentiert werden bestimmt traurig sein, dass eine echte Satire an dieser Rubrik vorbeigegangen ist. ;)
Mir hat deine Geschichte gefallen. Besonders beeindruckend fand ich die Liebe, mit der du deine Protagonisten in ihrem eskalierenden Streit gezeichnet hast. Sie konnten einem beide trotz ihrer Schwächen ans Herz wachsen. Ich mag Geschichten, die bei aller Kritik so warmherzig sind.

Einen lieben Gruß, sim

 

Hi sim!

Schönen Dank für die positive Kritik!

Wer ist Gerhard Zwerenz?

Besonders beeindruckend fand ich die Liebe, mit der du deine Protagonisten in ihrem eskalierenden Streit gezeichnet hast. Sie konnten einem beide trotz ihrer Schwächen ans Herz wachsen. Ich mag Geschichten, die bei aller Kritik so warmherzig sind.
Das geht mir genauso. Ich hasse Geschichten, besonders "Satiren", die lediglich mit dem Finger zeigen und Urteile fällen, wie "diese Leute sind dumm" oder "böse" oder beides, und das dann als besonders tiefgründige Erkenntnis verkaufen. Deshalb sind meine Charaktere auch immer zu einem gewissen Grad liebenswert, oder haben zumindest manche Aspekte, die nicht nur unsympathisch sind. So denk ich jedenfalls. ;)

Gruß

Ben

 

Kein Kommentar!

P.S.:

...einen Rotbarsch für die alte Witwe Rampalla köpfen wollte...

Da ist sie ja schon wieder... :bib:

 

Hi Ben Jokisch,

joa, ein unterhaltsames Stück Literatur, was hier so beeindruckend präsentiert wurde ...

Gut, ich hab den Sinn jetzt in seiner Gesamtheit eher weniger als gar nicht verstanden, doch zu meinem Glück hielt mich dieses in keinster Weise davon ab, mich gut unterhalten zu fühlen durch diese deine Geschichte ... so siehts aus. Komma.

Ich find das Ausarten des Streits einfach nur witzig bzw. auch den Streit an sich.

Yeahboyyy!

Ungläubiges starren. Nur Summbrack trottete unbeirrt weiter.
Starren

 

Moin Tserk!

Danke für dein Review. Fehler wird umgehend korrigiert!

Gruß

Ben

 

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