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Pad Thai
Ich kann meinen Blick nicht abwenden. Mit diesen kleinen Händen? Ich versuche mir das vorzustellen. Vincent hebt seine Dose Chang und prostet Atiwat zu. Er zeigt auf ein großes, ausgeblichenes Poster an der Wand. „Rama!“, ruft er und nickt lachend. „Rama, ja ja!“ Er prostet in Richtung des uniformierten Monarchen und nimmt einen Schluck. Dann starrt er mich mit aufgerissenen Augen an. Ich nehme also auch einen Schluck. Das Bier ist pisswarm. Ein paar Tische weiter schreit ein kleiner Thai mit Halbglatze gegen die laute Musik an. Jedes Mal, wenn ich zu ihm herüberschaue, hat er eine neue Zigarette zwischen den Lippen. Trotz der Hitze trägt er ein ordentliches Hemd und lange Hosen. Ununterbrochen rauchend kommentiert er mit einem Mikrofon die Kämpfe im Ring. Ich verstehe kein Wort von dem, was er sagt, aber die Art und Weise, wie er seinen Text herunterrattert, ist beeindruckend. Die Tische um uns herum sind voller Pappteller mit Nudeln, Garnelen und Fleisch. Überall liegen leere Bierdosen, Becher und Zigarettenkippen herum. Es ist voll, laut und die Luft steht vor Rauch. Daran ändern auch die Ventilatoren nichts, die sich an der Decke träge drehen. Ich schaue zum Ring herüber. Der rote Kämpfer bewegt sich auf seinen Gegner zu. Dabei tippt er zwei-, dreimal mit seinem linken Fuß auf den Boden. Dann schlägt er eine schnelle Jab/Cross-Kombination und schließt mit einem rechten Tritt zum Oberschenkel. Der Blaue nimmt den Treffer ohne zu blocken. Die härten hier ihre Schenkel ab, indem sie mit Bambusstöcken dagegen schlagen. Und mit ihren Schienbeinen treten die gegen Rohre. Irgendwann sind die Nerven durch. Ein Kick des Blauen trifft sein Gegenüber in Höhe der Rippen und ich bilde mir ein, trotz des Lärms um uns herum das Klatschen von Knochen auf Haut hören zu können. Wie alt die beiden sind, kann ich nicht sagen. Sie könnten vierzehn oder auch vierundzwanzig Jahre alt sein, aber sie haben etwas in ihren Gesichtern, dass sie viel älter aussehen lässt. Sie erinnern mich an Atiwat.
„Der hat in den 70ern nen ganzen Haufen Kommunisten erwürgt“, hat Vincent behauptet, bevor Atiwat sich zu uns an den Tisch gesetzt hat. „Haben die früher alle gemacht. Na, waren andere Zeiten.“
„Interesting Place“, sagt er jetzt und grinst Atiwat an. Der antwortet nicht. Ohne Regung in seinem Gesicht nimmt er einen Zug seiner Zigarette und bläst den Rauch aus. Dabei kann ich seine schlechten Zähne sehen. Sein buntes Hemd ist bis zum Bauchnabel aufgeknüpft. Er trägt eine Goldkette um den Hals. Den Anhänger erkenne ich nicht, aber nehme an, dass es irgendein Buddhistenscheiß ist. An drei kleinen Fingern seiner kleinen Hände trägt er Ringe. Breite Dinger mit viel zu großen Steinen, als dass sie wirklich echt sein könnten. Er nimmt seine Sonnenbrille ab, klappt die Bügel zusammen und legt sie zu seinen Zigaretten auf den Tisch. Seine Augen sind kalt, sein ganzes Gesicht völlig ausdruckslos.
„Ach scheiße, ich hoffe, der versteht uns überhaupt“, sagt Vincent. Ich stelle mir vor, wie Atiwat vor zwanzig Jahren irgendwelchen armen Schweinen gegenüber gesessen, Rauch in deren Gesichter geblasen und sie mit diesen toten Augen angesehen hat, bevor er und seine Leute sie mit dicken Starkstromkabeln totgeschlagen haben.
„Well, my friend here ...“, versucht es Vincent noch einmal und zeigt auf mich. „Strong guy. And also a fighter, you know? Like these ones.“ Er zeigt auf die Kämpfer im Ring, die sich gegenseitig im Clinch haben und versuchen mit ihren Knien die Rippen des anderen zu treffen. Atiwat grinst und bläst Rauch aus der Nase. Seine Augen lachen nicht und er sieht mich lange an. Er geht mir vielleicht bis zur Schulter und wiegt mindestens vierzig Kilo weniger, schätze ich.
„Not these kung-fu-shit, no! Real Fights! Like in Bloodsport, you know? Van Damme kicking some asses in Hong Kong!“, sagt Vincent und boxt dabei in die Luft wie ein Achtjähriger.
Atiwat zieht die Nase hoch und räuspert sich.
„Bangkok.“, sagt er leise. „Not Hong-Kong.“
„Was?“ Vincent schaut mich grinsend an. Dann versteht er.
„Ah, no, no. Just a movie, you know? Well, never mind.“
Viel zu junge Mädchen laufen halb nackt durch die engen Tischreihen um uns herum und lassen sich von fetten Weißen begrapschen, während sie warmes Bier aus Plastikbechern verteilen. Der Mikrofonmann kündigt schreiend die nächste Runde des Kampfes an. Im Hintergrund läuft Danger Zone und der Gong erklingt. Der Rote blockt einen Tritt, macht eine schnelle Bewegung nach vorne und zieht seinen rechten Ellbogen mit Wucht von unten gegen das ungeschützte Kinn des Gegners. Schnell greift er nach, verschränkt die Hände hinter dem Nacken des anderen und drückt dessen Kopf nach unten. Dabei reißt er sein Knie nach oben und trifft den Blauen mit voller Wucht im Gesicht. Der geht sofort zu Boden und rührt sich nicht mehr. Die Stimme des Mikrofonmanns überschlägt sich und die Weißen im Raum drehen durch. Einige besoffene G.I.s springen auf und beginnen zu johlen, als ob sie selbst gerade jemanden umgehauen hätten. Dabei fallen Stühle und einer der kleinen Tische um, Bier läuft über den Boden, Becher und Pappteller fliegen durch die Luft. Den wenigen Thais hier ist es egal. Die kennen das, rauchen still ihre Zigaretten und essen weiter, als ob nichts wäre.
„Wooah!“, ruft Vincent, zieht an seiner Zigarette und schüttelt kichernd den Kopf.
„I will have a fight in two days“, sage ich zu Atiwat.
Mir fällt auf, dass ihm die schwüle Hitze nichts auszumachen scheint. Er schwitzt nicht mal, während er uns gegenübersitzt und emotionslos beobachtet, wie der Ringrichter den Kampf mit wedelnden Armen abbricht.
„You talk?“, sagt er schließlich und ascht auf den Boden neben sich. Dann dreht er sich langsam in meine Richtung.
„A fight in two days and still drinking beer, eh? Well, that´s because you´re a tough guy, I assume. Strong and big like your friend already said. I see.“
„Will mich dieser Pisser verarschen“, setze ich an, aber Vincent unterbricht mich laut:
„Well, in Rotterdam Gabriel is well known for his skills, you know? A few Beers aren´t a big thing. Not really for anyone in europe.“
Atiwat grinst noch immer. Dann sagt er, ohne den Blick von mir abzuwenden: „No doubt about it. So your bets are already placed, my man told me. What else do you need? Girls? Some pills maybe?“
„We talked with some guys around here, you know? Local gym fighters. They told us, that ...“
„The Heart of strengh“, unterbreche ich Vincent. Mir geht das Gelaber auf den Sack.
„Dieser Thai-Wichser soll sagen, was er weiß oder sich wieder verpissen!“ Ich nehme einen Schluck Bier, rülpse und zerquetsche die leere Dose. Atiwat hört auf zu grinsen. Langsam drückt er seine Zigarette in einem Teller mit Essensresten aus.
„You know what these men were talking about, right? frage ich ihn. „Is it some kind of a lucky charm? A religious thing? Or is the whole thing just a hoax?“
Atiwat schweigt und scheint zu überlegen. Vincent und ich tauschen einen kurzen Blick.
Seit drei Wochen sind wir in der Stadt. Haben uns in einem der dutzenden Gyms im Viertel angemeldet, mit den Einheimischen trainiert und meinen Wettkampf arrangiert. Zwei der Kämpfer, harte Typen ohne einen erkennbaren Sinn für Humor, haben uns unabhängig voneinander irgendwann vom Heart of strengh erzählt. Wohl ein echter Gamechanger, wie sie meinten. Etwas, was die Locals nutzen, bevor sie in den Ring steigen.
„No more pain, no more fear“, sagte einer der beiden mit einem Leuchten in den dunklen Augen. Was das Heart of strengh genau ist, wollte keiner der beiden sagen. Und die anderen Thais, die wir fragten, sahen uns nur mit diesem verständnislosen Grinsen an, dass die hier alle draufhaben.
Ich habe auf den Straßen Rotterdams schon mehr Nasen von irgendwelchen Wichsern gebrochen, als ich zählen kann, aber Vincent und ich haben auch eine Menge Kohle auf mich gesetzt. Gamechanger klingt deshalb gar nicht so schlecht. Also hat Vince sich weiter umgehört, das Treffen mit Atiwat arrangiert und uns in diesen Schuppen gelotst.
Schließlich schüttelt Atiwat den Kopf.
„It is more than that.“
„Well, what is it then? Some kind of a drug?“
„You will understand, once you tasted it. You will understand all of it. About yourself and about us.“ Atiwat steht auf und greift nach seinen Zigaretten und der Brille. „Tomorrow evening we will meet here again.“ Er macht eine kurze Pause. „9000 Baht“, sagt er noch, bevor er uns sitzen lässt. Der Mikrofonmann beginnt damit, einen neuen Kampf zu kommentieren.
„9000 Baht“, sage ich zu Vincent. „Davon könnten wir beide hier zwei Wochen lang jede Nacht eine andere ficken. Once you tasted it? Was soll das überhaupt heißen?“
„Ach, du hast einen Pferdemagen“, sagt Vincent und blickt die Gasse entlang, in der wir stehen und auf Atiwat warten. „Also ich glaub an den Scheiß. Diese orangenen Mönche hier, die LKWs mit nem Speer am Hals vor sich herdrücken?“ Er deutet auf seinen Kehlkopf. „Meinst du etwa, dass die nicht auf irgendnem Stoff sind, oder was? Ehrlich, du hast wirklich ein paar Bomben drauf. Aber wenns die Möglichkeit gibt, dir nen Vorteil zu verpassen, warum nicht?“
„Gib mir ne Zigarette“, sage ich.
„Gabriel, mein Freund, dachte, du willst morgen einen dieser Thais verdreschen?“ Vincent grinst. Dann hält er mir die offene Packung hin.
„Halts Maul“, sage ich. Gerade als ich eine Zigarette anzünden will, sehe ich Atiwat um die Ecke biegen. Ich nehme die Kippe aus dem Mund und komme mir vor wie ein Schuljunge, den man beim Rauchen erwischt hat. Wir nicken uns zu und er hält uns eine weiße Plastiktüte hin. Wir sehen hinein. Etwas Faustgroßes darin ist in Zeitung eingewickelt. Irgendeine Feuchtigkeit zeichnet sich dunkel auf dem Papier ab.
„Ach scheiße“, murmele ich.
„What´s that?“, fragt Vincent kopfschüttelnd. „Some meat waste? Do you think we´resome stupid white tourists you can fuck with? Ist doch nicht zu fassen, diese scheiß Thais.“
„Go home. Eat it in one piece. Raw. Then go to bed. No more beer, no cigarettes. Tomorrow you will see.“
Atiwat verzieht keine Miene. Nacheinander blickt er erst mir und dann Vincent lange in die Augen.
„Gib ihm schon endlich das Geld“, sage ich schließlich.
Auf dem Weg zurück zum Hotel werfe ich die Zigarette weg. Der Lärm auf den Straßen um uns herum ist ohrenbetäubend und Schweiß läuft mir in Strömen über das Gesicht und den Rücken hinab.
Ich bewege mich, täusche langsame Schläge an, mache eine Meidbewegung. Es fühlt sich so an, als ob sie mich in Watte gepackt hätten. Dumpf, abgelöst von mir selbst. Trotzdem schmerzt jede einzelne meiner Bewegungen, die ich zum Aufwärmen mache. Ich setze mich auf einen kleinen Plastikstuhl und merke, dass mir das Herz bis zum Hals schlägt. Alles dreht sich und als Vincent sich kopfschüttelnd zu mir beugt, verstehe ich nicht, was er sagt. Er berührt meine Stirn.
„Du glühst“, sagt er jetzt, aber mir ist es egal. Mir ist alles egal. Ein Thai kommt in den kleinen Raum und sieht uns an. „Fight“, sagt er schließlich und macht eine Bewegung mit seinem Kopf in Richtung Tür.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich einen der beiden Locals aus unserem Gym im Publikum gesehen habe. Dazu ist das Licht zu grell. Ganz sicher aber habe ich Atiwat erkannt. Er sitzt ganz vorne, raucht und sieht mich aus seinen kalten Augen an, während ich mich an den Seilen festhalte und versuche, nicht zu schwanken. Mein Gegner führt den traditionellen Wai Khru Ram Muay auf. Die plärrende Musik schmerzt in meinem Kopf. Der Geschmack von rohem Fleisch und metallischem Blut lässt mich würgen. Als der Ringrichter unsere Handschuhe überprüft und einen Augenblick länger als bei allen anderen Kämpfern mein bleiches Gesicht mustert, bekomme ich das erste Mal in meinem Leben Angst vor einem Gegner. You will understand all of it. About yourself and about us. Dann ertönt der Gong und ich verstehe.