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Paddeln im Weltraum?
Es ist Montag, irgendwann im Januar 2005, das genaue Datum ist irrelevant. Das wichtigste ist, daß ich irgendwie noch bis zum Mai überlebe. Sollte mir nicht schwer fallen, da ich keine körperlichen Probleme habe, werden Sie sagen. Und so alt bin ich auch nicht, daß mich der Tod dahinraffen könnte. Das ist nicht das Problem. Es ist der Kopf. Jeden Tag wache ich morgens auf, schaue in die müden Augen, aus denen alles Leben gewichen ist, kämme mir den Vollbart, und mache mich auf den Weg zur Arbeit. Der Bart ist wichtig. Er ist sowas wie eine Lebensversicherung für mich, deswegen versuche ich ihn sogut ich kann zu pflegen. Sie können schmunzeln, wenn Sie wollen, aber er macht es erst möglich, daß ich ein halbwegs normales Leben führen kann. Ich arbeite in einer Würstchenbude und mein Chef hat mich mehrfach aufgefordert, das Wildgewächs abzuschneiden. Wenn er sehen könnte, was darunter ist, würde er vielleicht anders denken. Die Narben, die mich wie einen besonders häßlich geratenen Zombie aussehen lassen, würden sich sicher noch schlechter machen als der Bart. Ich sage aber nichts, sondern pflichte ihm bei, und schiebe die Schuld auf meine Frau, die angeblich darauf abfährt. Dabei habe ich gar keine Frau. Wenn der wüßte...
Zwei ältere Frauen bestellen Pommes mit Ketchup. Zwei-Euro-Fünfzig mal zwei, das macht? Fünf Euro. Ich nehme das Geld entgegen und überreiche ihnen die Pappschachteln. Zwei Zahlen zusammenaddieren ist seit Jahren meine schwierigste Aufgabe. Und aufpassen, daß ich mit meinen Fingern nicht ins Bratfett komme, mein Gesicht unter dem Bart ist ein warnendes Beispiel. Die Stunden vergehen. Ich lade abwechselnd Würstchen und Pommes auf die Pappteller, kassiere, lade wieder auf, kassiere. Der Kreislauf des Todes, der mich irgendwann psychisch umbringen wird. Das ist kein Leben für einen Anwalt. Im Mai wird es vielleicht vorbei sein, ich hoffe es, dann veröffentliche ich diese Zeilen. Ich habe schon einen Verleger gefunden, aber noch ist es nicht soweit. Noch würde mir kein Mensch glauben, alles was ich ernten würde, wäre der Verlust dieses Jobs. Und aller anderer. Ich würde vermutlich in der Klapsmühle landen, aber warten wirs ab. Im Mai wird sich alles entscheiden. Dann schicken die Japaner einen Sateliten zur Mondumlaufbahn, der metergenaue Bilder von der Oberfläche schiessen kann. Sie werden dann die Linse auf die Stelle richten, an der die erste Mondlandung erfolgt ist, und werden endlich die ganze Wahrheit erfahren...
Ich erzähle Ihnen nun, was damals passiert ist. Wenn es sich manchmal bescheuert anhört, möchte ich Sie bitten sich vor Augen zu führen, daß das ganze Leben eine bescheuerte Farce ist. Wenn Sie mir nicht beipflichten, dann lesen Sie bitte weiter. Wenn Sie es doch tun, bin ich mir sicher, daß Sie ein Würstchenverkäufer sind.
Es begann alles am 07.01.1969.
Frankfurt, Anwaltskanzlei Schönherr, in der ich es nach zehn harten Jahren bis zum Mitinhaber geschafft habe. Ich hocke an meinem Mahagoni-Schreibtisch in meinem Büro im zwölften Stock, verschränke die Beine auf dem Tisch und kaue an einer Havanna-Zigarre herum. Die lasse ich natürlich aus, weil ich das Rauchen schon seit Jahren seingelassen habe. Sie erinnert mich dennoch daran, was ich erreicht habe. Wenn man den Erfolg nicht auskostet, rächt sich das später, hat mir mein Opa immer eingebläut, und ich bin geneigt, ihm zu glauben. Der heutige Tag gestaltet sich ruhig. Es ist Montag, die Börse spielt nicht verrückt und das ist die einzige Nachricht, die mich an der Zeitung interessiert. Ich schließe sie und stehe auf, um ein bißchen frische Luft reinzulassen, als zwei grobgebaute Männer in Schwarz durch die Tür fallen. Einer versetzt mir einen Schlag in den Darm, daß mir die Luft wegbleibt. Es kommt mir aber recht überflüssig vor, weil mich der andere sogleich mit dem Griff einer Pistole am Kopf bearbeitet und ich sofort die Besinnung verliere.
Als ich aufwache, kann ich nichts sehen weil ich einen schwarzen Sack um den Kopf habe. Ich sitze mit zusammengebundenen Händen auf einem weichen Sitz und werde links und rechts von zwei Leuten an den Ellenbogen festgehalten. Ich vermute, es sind dieselben, die mich in meinem Büro zusammengeschlagen haben, aber ich bin mir nicht sicher. Es riecht nach Leder und Kaugummi. Das Leder ordne ich der Sitzunterlege zu, der Kaugummigeruch läßt sich leicht mit den Schmatzlauten zu meiner Linken und Rechten in Korrelation bringen. Ich frage mich, ob es Amerikaner sind. Aber sie sind schlau, nicht miteinander zu sprechen, so daß sich auch diese Frage nicht hinreichend klären läßt. Jetzt merke ich, daß ich in einem Auto sitze. Die Schaukelbewegungen lassen mich an einen der riesigen Ami-Straßenkreuzer denken. Nach ein paar Kurven scheinen wir auf der Autobahn zu sein, weil der Wagen mit einem Höllenlärm beschleunigt. Es hört sich nach einem Turbolader an. Es dauert nur wenige Minuten, dann halten wir wieder an. Beim Aussteigen winde ich mich in ihrer Umklammerung und versuche durch Schreien auf mich aufmerksam zu machen. Alles was ich damit erreiche, ist, daß sie mir eine Spritze in den Arm jagen, wonach ich völlig in der Dunkelheit versinke. Ich wünschte ich hätte mich nicht gewehrt, dann könnte ich wenigstens einige Mutmaßungen über die weitere Reise machen. So aber muß ich an der Stelle fortfahren, an der ich wieder zu mir komme.
Ich befinde mich in der lächerlichsten Situation, die mir bisher im Leben widerfahren ist. Ich stecke in einer art Taucheranzug, nur daß ich mich nicht im Wasser befinde. Um genau zu sein liege ich auf dem Boden, um mich herum ist es recht dunkel. Die Erde sieht eigenartig rot aus, es erinnert mich an ausgedörrten Wüstenboden. Ich mache die übliche Bewegung, um mich aufzurichten, aber es gelingt mir in dieser Konservenbüchse von Anzug nicht. Das Licht ist spärlich und um mich herum ist keine Menschenseele zu sehen. Ich komme mir wie ein Käfer vor, der auf dem Rücken liegt, aber nach mehreren hastigen Strampelbewegungen bin ich irgendwann endlich auf den Beinen. Jetzt wundere ich mich dann doch ein bisschen, wie ich so mit einem Ruck hochschnellen konnte. Ich habe es manchmal in alten Kung-Fu Filmen gesehen, wie die Kämpfer die Beine anziehen und mit einem schnellen Armstoß bei gleichzeitiger Beinstreckung wie ein Klappmesser auf die Beine kommen, aber daß mir sowas gelingen konnte, ist schon suspekt. Vor allem in dieser Kluft. Ich inspiziere meinen Anzug ein wenig, was mich in meiner Meinung bestärkt, daß es sich um einen Taucheranzug handeln muß. Zumindest kann ich einen großen Tankbehälter auf meinem Rücken ertasten, der meiner Meinung nach nichts anderes als ein Luftgemisch zum Atmen enthalten kann. Da ich mich hier eindeutig nicht im Wasser befinde, verwerfe ich die Gedanken daran wieder und schau mich in der Gegend um. Hinter mir entdecke ich ein hausgroßes, spinnenartiges etwas, das an ein seltsames Wasserfahrzeug erinnert. Ich mache einige Schritte darauf zu. Es ist komisch, wie leicht ich mich in dem sperrigen Anzug bewegen kann. Ich mache einen energischeren Schritt und hebe zu meiner Überraschung sofort einen halben Meter vom Boden ab. Ich probiere es mit Hüpfen. Es klappt unglaublich gut. Nach einer kurzen Zeit habe ich den Dreh soweit raus, daß ich mindestens drei Meter hohe Sprünge machen kann. Mein Gehirn, das den Ereignissen noch ein wenig hinterherhinkt spuckt endlich die einzig mögliche Erklärung aus: Ich bin hier auf dem Mond...
Ich gebe mir nicht die Mühe, die Gegend zu erkunden- wenn es wirklich der Mond ist, was will ich dann hier finden? Den Tod, antwortet eine innere Stimme, die ich möglichst schnell wieder auszuschalten versuche. Ich darf jetzt nicht in Panik geraten, bin bestrebt möglichst klar zu denken.
Diese Entführer, wieso haben sie das getan? Ich habe gehört, daß für dieses Jahr die erste Mondlandung von den Amerikanern geplant ist, aber die hatten doch die eigenen ausgebildeten Leute dafür. Wieso zum Donnerwetter einen armen unbeteiligten deutschen Anwalt kidnappen, dem dann nichts anderes übrig bleibt, als da oben elendiglich zugrunde zu gehen?
Ich schaue zum Firmament hoch und bin überwältigt von der Klarheit der Sterne. Hier auf dem Mond scheinen sie wohl noch näher als auf der Erde, vermutlich weil hier die Atmosphäre dünner ist. Ich mache mir bewußt daß ich tatsächlich der erste Mensch bin, der seinen Fuß auf einen fremden Planeten setzt und die Rührung übermannt mich. Was wären jetzt die passenden Worte, wenn mich denn jemand hören könnte? Ich grüble nach, dann sage ich:
"Der Weltraum ist wie ein großes Meer, in dem ich die ersten Paddelbewegungen machen durfte."
Die Worte hallen in meinem Weltraumhelm wider und ich lasse eine Minute verstreichen um sie zu verarbeiten.
"Wunderbar!", höre ich eine Stimme, die nur aus meinem Helmlautsprecher kommen kann, "ich hätte es nicht besser formulieren können."
Ich blicke verwundert drein, sage dann:
"Wer spricht denn da? Hallo! Wo bin ich hier? Helfen Sie mir!"
Panik mischt sich mit der Hoffnung, daß ich doch noch nicht verloren bin.
"Gut formuliert", sagt die Stimme, "aber es heißt: Für mich ist es nur ein kleiner Schritt, aber für die Menschheit..."
Die Stimme wird leiser und ich fange wieder an, es mit der Angst zu bekommen.
"Hallo? Wo sind Sie? Antworten Sie! So antworten Sie doch!", schreie ich.
Ich spüre, wie mir jemand an die Schulter klopft und drehe mich mit Entsetzen um. Eine humanoide Gestalt steht im Halbdunkel. Sie ist viel schlanker als ich, scheint keinen Raumanzug anzuhaben. Meine Sinne fangen an zu schwinden. Der andere kommt immer näher. Er greift mit seinen ungeschützten schlanken Armen nach meinem Helm und versucht ihn abzunehmen. Ich wehre mich mit aller Macht dagegen. Ich weiss, daß ich hier nicht eine Sekunde ohne den Anzug überleben würde, also kämpfe ich den Kampf meines Lebens. Der Andere ist aber viel stärker. Er stößt einfach meine Arme beiseite und nimmt mir den Helm ab.
In Erwartung eines schnellen Erstickungstodes harre ich der Dinge. Aber es passiert nichts. Ich atme die Mondatmosphäre wie die heimatliche Luft in meine Lungen, während der andere den Glashelm unter den Arm verstaut und neugierig auf mich schaut.
"Mann, diese Ähnlichkeit. Ich könnte schwören, du bist es", sagt er.
Ich schaue hoch. Ein ziemlich blasser bebrillter Mensch steht mit Hawaihose und Hemdsärmeln vor mir und bemüht sich, das hämische Grinsen aus seinem Gesicht zu löschen.
Dann verzieht er das Gesicht zu einer Grimasse und sagt:
"Du mußt bloß noch an deinen Haaren arbeiten. Armstrong hat nicht so eine Fönfrisur, weißt du?"
Ich verstehe nur Bahnhof. Ich kenne keinen Armstrong. Und meine Haare finde ich auch ganz ok. Ich schaue ihn fragend an. Er bemerkt meinen Blick und sagt entrüstet:
"Was, du kennst Neil Armstrong nicht? Sag mal, hast du in den letzten paar Monaten mal in die Zeitung geschaut?"
"Ja", sage ich mit unsicherer Stimme, "aber ich überfliege meist nur den Börsenteil..."
Ein Telefon klingelt. Ich wundere mich, daß es keine Schnur hat. Der Hawaihosen-Träger holt es aus seiner Tasche. Es muß sich um eine art Walkie-Talkie handlen.
"Ja? Gell, die Sprünge von dem deutschen waren gut, finde ich auch. Ja? Ok, ich sage ihm, er soll das nochmal wiederholen. Höher? Ok, ich werde die Bungee-Seile noch straffer spannen. Boss, wir müssen noch was gegen seine Haare unternehmen, egal ob mit oder ohne Helm. Ich rasier sie ihm schnell ab, dann können wir weiterdrehen..."
Jemand schreit "Licht!"
Der Raum erhellt sich zusehends als immer mehr von den Scheinwerfern an der Decke anspringen. Ich befinde mich in einem großen Raum, in dem mindestens drei Dutzend Leute umherhasten. Einige mühen sich mit riesigen Kameras ab, andere hantieren mit den Pappfelsen. Eine Meute von Frauen springt auf mich zu und beginnt sofort damit, mich zu schminken. Ich fühle mich wie in einem Filmset. Als ich es schaffe, zwischen all den Händen zu sprechen, sage ich:
"Was zum Henker ist hier los?
Niemand scheint mir antworten zu wollen, also ziehe ich härtere Geschütze auf.
"Das sieht mir verdammt danach aus, als ob hier eine Mondlandung vorgetäuscht werden soll. Ich bin Anwalt. Sie können damit rechnen, daß das nicht ohne Folgen bleibt..."
Im Hintergrund höre ich simulierte Raketenstartgeräusche in verschiedenen Tonhöhen dröhnen. Beim letzen Versuch höre ich eine Stimme sagen:
"Gut, der Sound ist perfekt!"
Endlich kommt ein dicker Mann mit Sonnenbrille und Hawaihemd auf mich zu, scheucht die Maskenbildnerinnen weg und legt den Arm um mich.
"Hör mal zu mein Junge. Willst du eigentlich den Kommunisten helfen?"
"Was hat das denn damit zu tun?", höre ich mich sagen.
Er nimmt die Brille runter und schaut mir in die Augen. Er sieht müde aus, die Dreharbeiten scheinen sich schon lange hinzuziehen.
"Will sagen, mein Junge, clever wie du sicher als Anwalt bist, wird dir nicht entgangen sein, daß seit die Russen den ersten Sateliten, Hund und schließlich Mensch in den Weltraum gejagt haben, wir ziemlich dumm dastehen. Die Welt könnte auf den perversen Gedanken kommen, daß ihr System besser als unseres ist. Und noch schlimmeres könnte passieren, sogar unsere Bürger könnten auf diesen Gedanken kommen. Mir als amerikaner erscheint es als Pflicht, unser System mit allen Mitteln zu verteidigen. Und du als deutscher solltest auch so denken. Du willst doch sicher auch nicht, daß deine Kinder in Einheitskleidung zur Schule gehen?"
"Aber das ist Betrug. Ich mache das nicht mit! Außerdem habe ich keine Kinder."
"Tut mir leid, daß du so denkst", sagt der Regisseur und dreht sich um, "wir haben eigentlich alles ziemlich gut im Kasten. Du bist entbehrlich."
"Ha", sage ich,"damit werdet ihr niemals durchkommen! Was ist mit dem richtigen Armstrong? Und was ist mit der Zukunft? Irgendwann werden die Leute doch zum Mond fliegen. Wie wird ihre Überraschung wohl sein, wenn da keine Landespuren und keine amerikanische Fahne zu finden ist? Na?". Mit hochrotem Gesicht starre ich ihn an.
Er lächelt. "Armstrong hat auch ähnliche moralische Probleme wie du gezeigt, aber das wird sich schon noch geben. Was die Reste der Mission anbetrifft, darum würde ich mir keine Sorgen machen..."
Ich weiß zwar nicht was er damit meint, aber ich sage:
"Ich werde auf jeden Fall reden!"
Daraufhin dreht er sich um, murmelt etwas in sein Hand-Telefon und wendet sich dann wieder mir zu. Er lächelt noch sanfter als vorher.
"Alles klar, dann wollen wir dich nicht länger aufhalten. Nur noch eine Kleinigkeit wäre zu erledigen..."
Er nimmt einen kleinen Kanister, den ihm eine der Frauen gebracht hat und gießt die Flüssigkeit darin über mein Gesicht. Als ich es auf meiner Haut spüre, denke ich sofort an heisses Fett. Ich denke, es ist mein Ende, kann aber zunächst nicht feststellen, ob ich bereits hinüber bin.
Ich bin es nicht. Ich wache auf einer Autobahnraststätte vor Frankfurt auf. Mein Gesicht ähnelt einer Karnevalsmaske. Die Gesichtszüge sind zu einer bizarren Fratze zerflossen wie sie Picasso nicht hätte besser entwerfen können. Ich kann an nichts anderes mehr denken als wieder heimzukommen. Jemand ruft die Polizei. Sie nehmen mich mit, können mich aber weder über das Gesicht noch über die Fingerabdrücke identifizieren. Diese Schweine, denke ich. Den Job in der Anwaltskanzlei verliere ich, da sich niemand von Quasimodo verteidigen lassen will. Was ich gesehen habe, behalte ich zunächst (also die weiteren dreißig Jahre) für mich, lass mir einen Bart wachsen und finde schließlich einen schlechtbezahlten Job an der Wurstbude. Das ist meine Geschichte. Und jetzt sagen sie mir, lieber Leser bitte, daß das Leben nicht bescheuert ist...