- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 3
Pannenhilfe
Wieder hörte er dieses Geräusch! Ein leises Kratzen, ganz in seiner Nähe. Er stellte sich vor, es sei völlig harmlos – ein kleiner süßer Vogel, der sich am getrockneten Blut labte und dessen Krallen über die rostigen Stangen schabte, oder eine Ratte, die sich vorwitzig zu dem neuen Besucher vortastete, nur um zu sehen, ob dieser bloß stumm vor Entsetzen war oder bereits nicht mehr unter den Lebenden weilte, aber es misslang. Nichts in den vergangenen zwei Tagen hatte sich als harmlos oder weniger erschreckend herausgestellt.
Das an seine Nerven zerrende Geräusch nahm an Intensität zu und erreichte nun eine Lautstärke, das ihn an einen ankommenden Zug in einer verlassenen Bahnhofshalle erinnerte. Mutterseelenallein in einer für zigtausend Menschen geschaffenen Halle, brach der ohrenbetäubende Lärm plötzlich blockierender Bremsen mit einer solchen Gewalt herein, das er instinktiv zurückgewichen wäre, hätte er nicht mit beiden Händen gefesselt rücklings auf einem rostigen Bettgestell gelegen und wäre das ganze nicht bloß ein harmloser Traum.
Ach, könnte das alles hier ein harmloser Traum sein.
Dabei war ihm der Lieferwagen gar nicht erst aufgefallen. Nur, weil ihn der jüngste Spross aus seiner Lethargie des Highway-Fahrens geweckt und darauf aufmerksam gemacht hatte, dass die andere Fahrbahnseite von dichtgedrängten, schwarzen Wolken benebelt worden war, hatte er den Blick von seinem Lenker gehoben, um nach dem vermeintlichen Umweltsünder Ausschau zu halten.
Schnell hatte er den am Straßenrand abgestellten weißen Lieferwagen als Übeltäter enttarnt, dessen Karosserie ein einziges Sammelsurium an rostigen Flecken gewesen war.
Er wäre normalerweise der Letzte gewesen, der einem in Not befindlichen nicht sofort geholfen hätte, dennoch hatte er gezögert, als er einen Blick auf den Fahrer erhaschen konnte, dessen riesige Gestalt selbst einem ausgebildeten Polizeirottweiler eingeschüchtert hätte.
Er maß mindestens beeindruckende zwei Meter zehn, hatte Hände wie Pranken und eine Kopfform, die ihn an einen missgebildeten Jungen in seiner Schulzeit erinnerten, nur, dass dieser viel größer war. Vorstehende Stirnlappen ließen den ohnehin mächtigen Schädel noch größer und wuchtiger erscheinen und bedeckten sogar beinahe seine Augen. Sie waren jedoch nicht groß genug, um zu verhindern, dass er dessen stechenden Blick hatte sehen können, als sie auf einer Höhe mit dem Pannenfahrzeug gewesen waren.
Rückblickend hätte er besser auf seine innere Stimme gehört, einen Gang höher geschaltet und den Protest im Rücken ignorierend aufs Vollgas getreten. Er hätte vielleicht sogar umdrehen, den Lieferwagen mit seiner Stoßstange aufs Korn nehmen und ihn auf eine annehmbare Größe zusammenstauchen sollen, alles, nur nicht das, was er letztlich getan hatte.
Er hatte, wie es sich für einen ordentlichen Mitbürger gehörte, angehalten, war ausgestiegen und hatte mit aller Freundlichkeit gefragt, wo denn das Problem sei und nachdem klar war, dass sie den klapprigen Lieferwagen nicht wieder auf Vordermann bringen würden, ihm ohne lange darüber nachzudenken, sogar angeboten ein Stück weit mitzunehmen.
„Wie geht es Ihnen?“, sagte der große Mann, der sich hinter ihm gestellt hatte, so dass er sich ordentlich verrenken musste, wollte er ihn in seiner vollen Größe sehen. Aber danach stand ihm nicht der Sinn, ebenso wenig auf Smalltalk.
„Was haben Sie mit ihnen gemacht?“, fragte er stattdessen und mit einem möglichst einschüchternden Tonfall.
„Alles, was Du dir vorstellen kannst – und noch viel mehr!“
Der große Mann ging um das Bett herum, bis er ihn sehen konnte. Minuten schienen zu vergehen, ohne dass einer ein Wort sagte. Trotzdem er seiner Menschenwürde, seiner Träume und Hoffnungen beraubt, versuchte er der Arroganz des großen Mannes, die sich in all seinen Bewegungen und Regungen seines Gesichtes zeigte, zu trotzen, obwohl sein unermüdlich an das Gute glaubende Herz gebrochen war.
„Was?“, fragte er den großen Mann, „kannst du mir noch nehmen, was du nicht schon genommen hast?“
Er sah das Anzeichen eines Lächelns und erstarrte, als er den Gegenstand sah, den er hinter seinem Rücken hervorholte.
„Dein Leben!“
Roy schrie auf, sah sich um und erkannte die Wahrheit. Es war nur ein böser Traum gewesen, einer der bösartigen Sorte, den er schnell vergessen wollte, aber der ihn mit Sicherheit noch tagelang verfolgen würde.
Während er sich langsam aus dem Bett quälte, versuchte er an etwas zu denken, dass ihn in die Realität zurückbrachte. Etwas Normales. Wie der Geburtstag seiner Mutter und die damit verbundene dreieinhalbstündige Fahrt auf dem Highway.
Er konzentrierte sich und schaffte es sogar, das Bild des im viktorianischen Stils erbauten Landhauses heraufzubeschwören, indem er aufgewachsen und groß geworden war und das sich in Maryland, unweit der Stadt Emmitsburg befand.
In klaren Konturen erschien ihm zunächst der alte dunkelgraue Bentley, der von Charles, einem treuen und fast ebenso alten Angestellten aufopferungsvoll gepflegt wurde. Blickte er hinter den freundlich lächelnden alten Mann, konnte er das Anwesen sehen, das nahezu nahtlos in ein angrenzendes Waldstück überging und irgendwo dahinter den See, indem er als kleiner Junge, öfter als ihm erlaubt gewesen war, gebadet hatte. Wenn er sich noch mehr bemühte, würde es ihm sicherlich auch gelingen, das Innenleben des Hauses, das auf eine dreißig Jahre zurückliegende Erinnerung beruht, wiederzubeleben. Aber je mehr er sich konzentrierte, desto ungenauer wurden die Bilder, verschwanden Details und verblasste das Lebendige in seiner Vorstellung, bis er an einem Punkt angelangt war, an dem er seine Reise in die Vergangenheit begonnen hatte, bloß war etwas anderes an Stelle des Bentleys und dem freundlich winkenden Mann getreten. Etwas, das ihn so sehr erschreckte, dass er vor Entsetzten laut aufschrie. Der Lieferwagen war so überraschend deutlich vor ihm aufgetaucht, als hätte sich sein teuflischer Besitzer eigens um die möglichst detailgetreue Vision gekümmert.
Obwohl Roy wusste, dass ein Trugbild weder ihm noch seiner Familie etwas anhaben konnte, gelang es ihm nicht, den unheilvollen Gedanken loszuwerden. Er wird kommen, um uns zu holen, dachte er.
Bleich wie der Tod musste er sich die Treppen heruntergeschleppt haben, denn das ansonsten süße Lächeln seiner Frau, Maria, erstarb bei seinem Anblick.
„Was ist?“, fragte er mürrisch.
„Nichts“, behauptete sie, obwohl ihr Gesichtsausdruck etwas ganz anderes verriet. „Es ist nichts, Liebling. Möchtest du deine Zeitung?“
Argwöhnisch betrachtete er sie, denn das Zeitungslesen gehörte zu seinem täglichen Ritual und er konnte sich nicht daran erinnern, wann es jemals einer Aufforderung seiner Frau bedurft hatte.
„Sandy, Schatz, würdest du deinem Daddy Kaffee einschenken. Ich ... glaube er hat einen nötig, oder?“
Ausnahmsweise folgte sie kommentarlos der Bitte und langte zu der Kaffeekanne, die ihm ihr Bruder, Sven, ebenso kommentarlos reichte. Es schien, als ob alle in der Familie sich in verschwörerischer Weise zusammengerauft hätten, als könnten sie ihr Wissen um seinen bemitleidenswerten Zustand vor ihm verbergen.
Erst, als er gefrühstückt, geduscht und sich angezogen hatte, war der Schrecken des Morgens verflogen und auch sein Äußeres ließ nichts mehr davon erahnen.
Gut gelaunt konnte man ihn dennoch nicht bezeichnen, als er den Ford Kombi aus der Garage fuhr. Während seine Familie Platz nahm, versuchte er sich abzulenken, indem er an den Reglern des Autoradios herumspielte und die Einstellungen änderte, bis nur noch Rauschen und Knacken aus den Boxen drang.
„Hast du ja toll hingekriegt“, kommentierte Sandy lapidar.
„Keine Sorge! Entweder, ich bekomme das wieder hin, oder wir werden selber singen“, sagte Roy und zwinkerte ihr zu.
„Um Gottes Willen! Das ist nicht dein Ernst!“, stieß Maria entsetzt aus. „Lieber verzichte ich auf jegliches Gedudel, als mich deinen Gesangeskünsten auszusetzen.“
„Du übertreibst“, behauptete er. „Ich war früher im Kirchenchor und habe immer noch eine ganz passable Stimme.“
„Pah“, machte Sven. „Das ich nicht lache. Wenn du das Gegröle unter der Dusche als Singen bezeichnest, dann bin ich der kommende Superstar der Baseballliga.“
„Das bist du auch“, erwiderte er ohne eine Miene zu verziehen.
Maria schüttelte den Kopf, während sie in die Mittelkonsole greifend eine Kassette zum Vorschein brachte, um diese anschließend demonstrativ nach oben zu halten. „Ich glaube“, sagte sie mit betont feierlicher Stimme, „wir sind gerettet.“
So verging die erste gemeinsame Stunde auf engstem Raum, ohne weitere Zwischenfälle und begleitet von dem magischen Stimmwunder, Aretha Franklin, mit der er sich nicht messen wollte, obwohl er nach eigenen Bekunden gute Aussichten gehabt hätte, ein vergleichbares Musikerlebnis hinzubekommen. Schließlich stünde hinter jedem Popstar ein riesiges Aufgebot an Produzenten, Managern und Vokalcoachs, die selbst aus dem unbegnadendsten Sänger einen Star formen könnten. Als Beispiel nannte er Robbie Williams, der, obwohl er selbst bei den großen Machern der Musikszene als untalentierte Stimme galt, ein Riesenstar geworden sei. Man müsse ihn nur entdecken, sagte er und das selbe Aufgebot an geschickter Werbung und Tontechnik zukommen lassen und er könne beweisen, dass er das Zeug zu einem echten Superstar hätte.
Daraufhin gab es natürlich Protest von Sandy, die sich das nicht gefallen lassen wollte. Ihr Robbie habe tausendmal mehr Talent in seinem kleinen Zeh, als er und alle Anmaßungen ihn zu übertreffen seien von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Immerhin sei er der Allergrößte und überhaupt der beste Entertainer den die Welt je gesehen habe.
Eine weitere Eskalation der Diskussion vermeidend, bemühte sich Maria, die Wogen zu glätten, indem sie die Streithähne mitten in ihrem Wortgefecht unterbrach und ihnen die Mäuler mit etwas Essbarem stopfte. Mit einer Hand lenkend und mit der anderen Hand das belegte Sandwich haltend, registrierte er kaum noch die Umgebung, konzentrierte sich stattdessen darauf, den Toast nicht zu sehr zu quetschen, da die Mayonnaise aus dem Toast zu quellen drohte.
„Da brennt´s!“, hörte er Julian sagen, gerade, als er den letzten Rest seines Sandwichs in den Mund schob.
Dass er es nicht sofort wieder ausgespuckte, lag wohl eher am fehlenden Speichel, als am Ausbleiben einer heftigen Reaktion. Sein Mund fühlte sich trocken, geradezu taub an und in seinem Kopf hallte die raue Stimme wieder, die ihn am Morgen gepeinigt hatte.
Alles, was du dir vorstellen kannst – und noch viel mehr!
„Was ist los mit dir?“, fragte Maria, die den entsetzten Ausdruck ihres Mannes nicht nachvollziehen konnte. „Warum hältst du nicht an?“
Er wollte ihr von dem Verderben erzählen, dass sie erwartete, wenn er jetzt anhalten würde. Er wollte sie vor dem Bösen warnen, dem großen Mann, der so schlimme, unaussprechliche Dinge mit ihnen vor hatte, dass die Vorstellungskraft Normalsterblicher an ihre Grenzen stieß.
Aber er schaffte es nicht. Seine Lippen weigerten sich die Worte zu formen. Seine Stimme blieb stumm, weil er wusste, sie würden ihm nicht glauben und weil er Maria und die Kindern mit seinem Wissen nicht erschrecken wollte. Stattdessen sagte er bloß: „Ich kann nicht.“ Und das war auch nicht gelogen. Er weigerte sich, die Möglichkeit, es handele sich bloß um einen dummen Zufall, auch nur in Betracht zu ziehen. Obwohl er wusste, wie verrückt es war, war er fest davon überzeugt, dass Traum und Wirklichkeit miteinander verwoben waren und der ihn immer noch verfolgende Albtraum eine tiefere Bedeutung hatte. Tiefer und wahrhaftiger, als alles, was er in seinem bisherigen Leben erfahren hatte. Die ganze Zeit hatte er versucht, sich einzureden, dass es keine Bedeutung hatte und er sich den großen Mann nur ersponnen hatte, aber nun, da er den qualmenden Lieferwagen mit seinen eigenen Augen gesehen hatte, gestand er sich den Irrtum, wenn auch Widerwillig ein.
Es gab ihn und er würde ihn und seine ganze Familie, wenn er ihm die Gelegenheit dazu gab, mit einem Schlag auslöschen.
„Du musst ihm helfen“, sagte Sven. „Du sagst, doch immer, dass man helfen soll, wenn man kann.“
Roy erwiderte nichts.
„Du wärest auch froh, wenn jemand anhalten würde, wenn du mit deinem Wagen liegen bleibst.“
Maria, dachte er, wenn du wüsstest. „Ich ... kann nicht“, sagte er. „Ich ... will nicht.“
„Du kannst nicht?“, ächzte sie. „Wieso nicht?“
„Weil ... der große Mann“, er sah ihr direkt in ihre verständnislosen Augen und verstummte.
„Der große Mann?“
„Ja“, sagte er leise.
Sie schnappte nach Luft, blickte hinter ihre Schulter zu den aufsteigenden Wolken des Lieferwagens und rang mit sich und diesen hingeworfenen Brocken der Wahrhaftigkeit.
„Der große Mann?“, wiederholte sie tonlos. „Bist du jetzt völlig übergeschnappt?“
„Vermutlich“, erwiderte er tonlos.
In seinen Augen suchte Maria einen Grund, etwas, das ihr half zu verstehen, aber da war nichts. Nur blanke für sie völlig unbegreifliche Panik. Vor wem oder vor was?
Später, als seine wirren Gedankengänge von dem eintönigen Geschehen des kaum belebten Highways beruhigt worden waren, erzählte er ihr – soweit es ihm möglich war und ohne die grausigen Details zu nennen, die ihn selber zu Tode ängstigten –, weshalb er sich geweigert hatte, anzuhalten.
Obwohl sie ihm zu verstehen gab, dass sie seine Begründung gelinde gesagt lächerlich fand – sie lachte laut und herzlos, bis die Kinder auf sie aufmerksam wurden und er alle Mühe hatte, zu verhindern, dass sie sein Geheimnis ausplauderte –, willigte sie dennoch ein, die nächstgelegene Polizeistation aufzusuchen und denen das Kennzeichen mitzuteilen, das er sich im Vorbeifahren gemerkt hatte. Er hatte etwas so Überzeugendes in seinem Blick, das sie ihre Argumente lieber für sich behielt. Manchmal war es notwendig, jemanden auflaufen zu lassen, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen.
Ähnliche Gedanken hatte er auch, nur umgekehrt, denn Roy war sicher, dass die Polizei seinen Verdacht bestätigen würden. Er wollte verdammt sein, wenn dieser Lieferwagen nicht gestohlen war oder dem meistgesuchtesten Serienkiller der Vereinigten Staaten gehörte.
Die Verdammnis holte ihn nicht sofort ein, wohl aber wurde der Wagen nur wenige Augenblicke später von einem Polizeimotorrad überholt, vielleicht jener Roller, dem sie vor gut einer halben Stunde begegnet waren. Er hatte diesem Vorfall angesichts der unheimlichen Begegnung mit dem Killer, keine Bedeutung beigemessen und auch schon längst vergessen, aber als er ihm anzeigte, rechts anzuhalten, wusste er plötzlich, weshalb er ihm zuvor aufgefallen war. Es war seine für einen Polizisten ausgesprochen schmächtige Figur, die sich auf dem Motorrad völlig verlor, fast so, als habe sich ein Lausbub eines Polizeimotorrads bemächtigt, um damit vor seinen Kumpels anzugeben. Seht her, ich bin ein richtiger Bulle!
Aber etwas musste mit ihm geschehen sein, denn als er anhielt und den Motorradfahrer aus nächster Nähe betrachtete, erschien er ihm riesig, um nicht zu sagen gigantisch. Während er von seinem Motorrad abstieg und sich langsam auf den Ford zu bewegte, spürte er, wie sich seine Kehle zuschnürte. Dieser Bulle war gar kein Bulle. Dieser Bulle war der Killer und er war gekommen, um ihn zu holen.
„Schnell!“, zischte er Maria zu. „Die Tür!“
Maria stutzte. „Was ist?“
„Herrgott! Noch eins. Die Tür. Mach sie zu!“, keifte er.
„Ich soll ... was?“
Er kletterte halb über sie, drückte den Knopf der Beifahrertür nach unten und brüllte den Kindern zu, die Fensterscheiben hochzukurbeln.
„Ich hoffe, du hast dafür eine plausible Erklärung“, sagte Maria mit einem ruhigen Tonfall, als wollte sie einem Irren beibringen, seine geladene Waffe auf den Boden zu legen.
„Das ist kein Bulle“, sagte Roy und startete den Motor.
„Was hast du vor?“
Er antwortete nicht, aber in seiner Mimik spiegelte sich eine wilde Entschlossenheit, das ihr klar wurde, er würde ernst machen. So, wie es aussah, hatte er tatsächlich vor, sich mit dem Gesetz anzulegen, nur, weil er schlecht geträumt hatte. Auch wenn sie Gefahr lief, einen Riesenkrach herauf zu beschwören, konnte sie unter gar keinen Umständen zulassen, dass er ihr Leben für immer ruinierte und sich vor seinen Kindern lächerlich machte. Mit einem gehauchten „Tut mir Leid“ langte sie zum Schlüssel und zog diesen aus dem Zündschloss. Als der Wagen verstummte, sah Roy seine Frau mit vor Entsetzen weit geöffneten Augen an.
„Was hast du getan?“
„Beruhige dich doch! Das ist nur ein Officer, der seinen Job erledigen will.“
„Das ist er nicht. Das ist ...“
Seinen Protest ignorierend kurbelte Maria das Fenster herunter und winkte den Officer zur Beifahrerseite. „Was gibt´s“, fragte sie ihn höflich.
Der Officer war von stattlicher Statur und er musste sich ordentlich weit hinunterbücken, um auf Augenhöhe mit Maria zu gelangen. „Steigen Sie bitte aus“, sagte er, ohne auf ihre Frage einzugehen und „sofort!“
„Tu´s nicht“, zischte er ihr zu.
Maria winkte ab. Wenn er vorhatte, wegen einer schwachsinnigen paranoiden Wahnvorstellung auszuticken, dann sollte er es tun, aber bitte ohne sie und ihre Kinder mit hineinzuziehen. Im selben Moment, als sie den Türgriff herunter drückte, spürte Maria, wie die Tür von außen aufgerissen wurde. Die Geduld des Officers war offensichtlich erschöpft. Als er sie dann auch noch grob packte und aus dem Wagen zerrte, dachte sie bloß, dass sein Vorgehen etwas Ungewöhnlich sei und er nur deshalb erzürnt war, weil ihr bescheuerter Mann dadurch, dass er den Motor erneut gestartet hatte, bei ihm den Eindruck erweckt hatte, er wolle sich vor der Polizeikontrolle drücken. In keiner Sekunde jedoch kam ihr der Gedanke, dass ihr Mann vielleicht Recht haben könnte und sie sich einem amoklaufenden Killer gegenübersah.
Für die Kinder war es eine besonders aufregende Ablenkung zu der ansonsten stinklangweiligen Autofahrt. Mit ihren Gesichtern klebten sie an der Fensterscheibe des Wagens und beobachteten fasziniert das Geschehen. Wann konnte man schon einmal einen richtigen Officer bei der Arbeit bewundern?
Die Bewunderung allerdings hielt nur solange an, bis der Officer sie mit erstaunlicher Leichtigkeit gegen das Fahrzeug stieß, ihr Handschellen anlegte und sie zwang auf die Knie zu gehen. Während er die Waffe auf ihren Kopf gerichtet hielt, sagte er: „Ich werde jetzt langsam bis drei zählen!“
Er war noch nicht bei zwei angekommen, da war Roy schon mit erhobenen Händen aus dem Wagen gestiegen.
„Gut so!“, sagte der Große Mann, „Hände auf die Motorhaube!“
„Bitte! Was wollen Sie?“
„Nur das, was mir zusteht“, sagte er, während er ausholte und Maria mit einem kräftigen Schwung den Pistolenknauf auf den Hinterkopf schlug. Ihr Gesicht prallte mit einem hörbar dumpfen Knall gegen die Fensterscheibe, woraufhin die Kinder erschrocken zurückwichen und ihre zitternden Leiber fest gegen die Polster der Rücksitzbank pressten. Maria kippte zur Seite und blieb reglos liegen.
„Aber, warum? Was habe ich Ihnen denn getan?“
Der große Mann antwortete nicht, sondern näherte sich ihm stattdessen mit bedächtig langsamen Schritten.
Da er sich mit beiden Händen auf die Motorhaube abstützen musste, konnte er nicht sehen, wie er um das Fahrzeug herumging, er konnte jedoch das Geräusch hören, das ein metallischer Gegenstand verursachte, der mehrmals gegen die Fahrzeugkarosserie geschlagen wurde.
Da hatte er alles Menschenmögliche getan, um einer Begegnung mit diesem Monster aus dem Weg zu gehen, nur, um jetzt der Tatsache ins Auge sehen zu müssen, dass es kein Entkommen vor ihm gab.
„Weshalb haben Sie ausgerechnet mich ausgesucht?“
„Weil du nicht angehalten hast, um mir zu helfen, Arschloch!“
Roy schrie auf, sah sich um und erkannte die Wahrheit. Es war nur ein böser Traum gewesen,
er war zuhause in seinem Bett und würde heute seine Mutter besuchen. Nur diesmal würde er alles richtig machen.