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- 13.08.2009
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Parteitag
Die Hallen waren bunt geschmückt. Überall standen abgesägte Birken, untermalt mit frisch geschnittenen Blumen, die von grünem Draht gestützt wurden, so daß die schon etwas schwächeren Blütenköpfe lebendig und unberaubt ihrer Wurzeln schienen.
Die langen Festtafeln füllten sich mit Frauen und Kindern, die fast alle Trachten trugen: Halsschmuck mit Anhängern aus Gemsenzähnen und Hüte mit Fasanenfedern, klimpernde Münzen an Ketten auf rosafarbener, schwammiger Haut.
Die Männer waren in der Ausstellungshalle. Große Maschinen, gekoppelt an Computer, steuerbare Roboterarme, um die sich einige korpulente Herren interessiert versammelt hatten, um fachmännische Gespräche mit ernsten Gesichtern zu führen. Wie Walrosse standen sie da und versuchten sich in einer geheimen Zeichensprache, die hauptsächlich aus dem Kreisen der Bierkrüge und dem gleichzeitigen Wackeln der Doppelkinne bestand. Durch das Umhergefuchtel und die Bildung immer neuer Grüppchen, in der einer meist versuchte, dominant und besonders kenntnisreich zu wirken, schwitzte der eine oder andere so stark, daß die ohnehin rote Bierhaut noch gereizter war.
Einige umkreisten im Stil des Einzelgängers Gruppen und Maschinen, wobei sie wie Hühner ihre Augen im Takt in alle Richtungen bewegten.
Einige standen selbstversunken in den Erinnerungen an ihre Reden, die ausschließlich einer großen, revolutionären Zukunft gegolten hatten; standen da, als hätten sie Visionen in jedem dieser Augenblicke, dabei dachten sie nur ans Essen und die Frauen, denen sie dabei begegnen würden. Die wenigsten Herren waren dünn, der Rest war dickbäuchig und setzte die Hemden zu jeder Sekunde einer Zerreißprobe aus.
Endlich ertönte ein sanfter Gongschlag: Es wurde zu Tisch gebeten. Gespräche wurden abgebrochen, doch keiner der Unterbrochenen reagierte sauer, ganz im Gegenteil: Jeder hechtete in der Angst, zu kurz zu kommen, der Meute nach. Gürtel wurden geöffnet und Hosen über Bäuche gezogen; alle waren bereit und nahmen an den Tischen Platz, die in Hufeisenform aufgestellt waren, denn das brachte Glück, wie man seit Jahrhunderten wußte.
Der Minister für Inneres aß selbstverständlich saure Nieren und Kutteln mit langen Nudeln. Er schätzte die alte Küche, wiewohl er vor wenigen Stunden für eine drastische Umstrukturierung aller Haushalte plädiert hatte. Der Finanzminister befriedigte seine Gier an Schweinemedaillons und streckte immer wieder seine Nase genüßlich an den Teller, wobei seine Augen noch kleiner und diebischer wurden und eine Verwandtschaft mit dem, was vor ihm lag, nicht ausgeschlossen werden konnte.
Die Fasanenfedern tanzten hin und her, gegenüber wippten die Gamsbärte auf und ab. Im Hintergrund wurde das Treiben unterstützt durch unermüdlich leiernde Blechmusik, deren Instrumente, anders als das Schwert Excalibur, vor etlichen Jahren in lauwarmem Wasser geschmiedet worden sein mußten.
Das Ritual ging seinem Ende entgegen, überall dampften Zigarren und der Präsident erhob sich, mußte jedoch bei dem Versuch gestützt werden. Er erhob auch seinen Weinkelch und grinste mit glasigen Augen in die Runde. Alle verstummten und wandten sich dem Tischende zu.
Der Blick des Präsidenten war ernst geworden, und er sprach über eine große Zukunft, die endgültig mit allen Klischees Schluß machen sollte, dabei hämmerte er auf den Tisch ein, das mochten vor allem die Frauen. Alle applaudierten wie wild, als sei soeben der Vorhang nach Mozarts Zauberflöte gefallen, doch wäre der Vergleich mit dem Rattenfänger von Hameln passender, der immerhin eine lieblichere Musik zu bieten gehabt hatte.
Der Präsident lud zum Höhepunkt. Er drehte sich einer überdimensionalen Diawand zu und präsentierte mit ausgestrecktem Arm den Mann, den wohl alle im Saal Versammelten kannten, einen der bedeutendsten Futuristen unserer Zeit.
Der Mann auf der Leinwand sah aus wie Darwin, war’s aber nicht.
Die Menge applaudierte weiter und weiter. Die Diawand zeigte nun abwechselnd komplizierte Maschinen und Schaltpläne, dazwischen immer wieder den Futuristen. Wie besessen klatschte die Meute, und der Präsident nahm wieder Platz, wobei der Stuhl aus den Fugen jammerte – er war nicht mehr der Jüngste.
Mehr Bier wurde verteilt, Frauen und Männer streckten geschickt die Gläser zueinander hin, um dann mit kräftigen Nickbewegungen in eine Art von Einklang zu kommen. Laut setzte die Blechmusik wieder ein, konforme Bewegungen auf den Bänken, die als lebendige Wogen gedeutet werden konnten, breiteten sich aus.
Die großen Türen wurden von außen geöffnet. Männer mit Filmkameras und Männer mit Netzen näherten sich vorsichtig. Einige waren mit Birkenzweigen getarnt, andere mit Hemd, Krawatte und einem Kissen darunter.
Die Tische waren eingekreist, schnell wurden die Netze geworfen. Die Meute wehrte sich, war aber gefangen.
Ein Mann mit Hut, langem Mantel und Fernglas vor den Augen spazierte herein, sah aus wie Konrad Lorenz und war’s aber nicht – oder doch?