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Paula
Paula
Es war Freitag und ich saß wie gewöhnlich nach der Arbeit im Café Prima delle otto und las in der Tageszeitung. Immer das Gleiche dachte ich und wandte mich in Gedanken meiner Freundin zu, die zu meinem Bedauern immer noch bei der Arbeit war. Plötzlich wurde ich aus meinen Tagträumen gerissen, als sich neben mir am Tisch ein Beziehungsstreit entfachte. „Wie konntest du nur…“ . Ich wollte ja nicht hinhören, doch gerade in diesem Moment gab es einen ziemlich lauten Knall und mir wurde schwarz vor Augen. Einige Sekunden später, als ich meine Augen langsam zu öffnen begann, musste ich feststellen, dass ich auf den Boden gesunken war. Ich schaute in mehrere mir unbekannte Gesichter, die sich über mich beugten. Ein lautes Sprachgewirr entstand und die mir zugetanen Helfer gestikulierten wild mit ihren Armen in der Luft herum. Ich konnte kein Wort verstehen, ich war für Sekunden taub und als ich endlich wieder zu hören vermochte, wünschte ich mir das Gegenteil, denn mein Kopf schien zu explodieren. Neben mir auf dem Boden lag ein schwerer Metallaschenbecher und als ich mich fragte warum denn dieser Aschenbecher da liege und was überhaupt geschehen war, da merkte ich erst, dass ich eine klaffende Platzwunde am Hinterkopf hatte. Schon wieder wurde mir kurz schwarz vor Augen, aber ich rettete mich auf einen Stuhl. Carlo, der Café Inhaber, verarztete mich so gut es ihm möglich war und brachte mir ein Glas Wasser.
Immer noch ein wenig benebelt und mit pochendem Schmerz im Kopf sprach mich eine junge Frau von der Seite an. Sie stotterte, sie schien sich zu entschuldigen und als ich meinen Kopf langsam zu ihr drehte und sich unsere Blicke trafen, stieg ihr eine Röte ins Gesicht. Ist ja nichts Schlimmes passiert, der Kopf ist noch dran und ach, es ist schon gut, antwortete ich auf ihre ängstliche Entschuldigung. Ich sah eine Erleichterung in ihrem Blick. Trotzdem konnte man immer noch ein schlechtes Gewissen in ihren Augen erkennen, denn der Aschenbecher war eigentlich für ihren Freund bestimmt gewesen, was natürlich auch nicht besser gewesen wäre. Auf irgendeine Art und Weise war sie mir jedoch sofort sympathisch und so kam es, dass wir uns noch eine Weile unterhielten. Sie erzählte mir über sich und ihren Freund, der jetzt jedoch nicht mehr ihr Freund war, über ihr ganzes Leben sprach sie und ich hörte gespannt zu, denn ihre Worte und ihre Augen zogen mich in einen Bann. Plötzlich dachte ich an Lea, ich sah auf die Uhr, es war viertel vor Acht. Mist, dachte ich, entschuldigte mich bei meinem Gegenüber, sie zu unterbrechen fiel mir nicht leicht, gab ihr meine Mobilnummer und machte mich schnellstens auf den Heimweg.
Vor der Haustür angekommen, erinnerte ich mich daran, dass ich eigentlich um sieben Uhr mit zwei Geschäftspartnern zum Essen verabredet war und dass ich Lea sagte, dass es ziemlich spät werden wird. Die Geschäftspartner waren Tom und Robin, zwei alte Freunde aus meiner Studienzeit. Sie hatten sich Beide nach dem Studium selbständig gemacht und da ich in einem großen Unternehmen tätig war, hatte ich ihnen bis jetzt immer lukrative Aufträge beschaffen können, die natürlich auch für mich nicht ohne Nutzen blieben. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich zwar nichts mehr daran ändern den Termin verpasst zu haben, aber ich hatte auch eine gute Ausrede für mein Versäumen, da meine Platzwunde kaum zu übersehen war.
Also schloss ich die Wohnungstür auf, zog die Schuhe aus, hängte meinen Mantel über einen Haken und stellte meine Aktentasche an ihren Platz. Es war verdächtig still im Haus, vielleicht war Lea nicht zu Hause. Ich ging erst mal in die Küche und ich traute meinen Augen nicht. Suchend nach etwas Essbarem in meinen Kühlschrank hineingebeugt, stand ein nur mit einem Handtuch bekleideter Mann. Ich sah ihm zu, denn er hatte mich noch nicht bemerkt. Ein ganz schön durchtrainierter Körper, schwarze gelockte nassglänzende kurze Haare und eine dezente Tätowierung auf dem Oberarm. Er stand mit dem Rücken zu mir, als er sich aufrichtete und im Umdrehen rief: „ Schatz, hier ist keine Sektflasche im Kühl…!“ Er stockte, seine Stimme verstummte, denn er sah mir gerade genau ins Gesicht. Wir standen bestimmt eine Minute versteinert voreinander bis plötzlich Lea im Bademantel die Küche betrat. Sie stammelte meinen Namen und fragte mich, was ich denn schon so früh wieder zu Hause mache. Ich sagte nichts. Ich ging.
Als ich im Wagen saß, nahm ich mir vor durch die Stadt zu fahren, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Nach einer zweistündigen Odyssee quer durch die City kam ich zu dem Entschluss Ron, Ron Snyder, meinen besten Freund anzurufen, um bei ihm zu übernachten. Ron nahm mich natürlich sofort auf, also holte ich noch die nötigsten Sachen von zu Hause und fuhr zu ihm.
Als ich bei ihm ankam hatte er schon Bier kalt gestellt und eine gute Flasche Whiskey aus seiner Sammlung zum Vorschein gebracht, die von einem verzweifelten Mann und seinem besten Freund geleert werden wollte.
Ich schreckte hoch. Wo war ich? Was mache ich hier? Die Türklingel hatte mich aus dem Schlaf gerissen. Ich sammelte mich kurz, zog mir eine Hose an und wankte zur Tür.
Zwei Männer, Kriminalpolizei wie sich später herausstellte, standen vor mir und dachten vermutlich dasselbe, was ich auch gedacht hätte, hätte ich vor dem Öffnen der Tür einen Blick in den Spiegel riskiert. Dazu noch diese Alkoholfahne, mein Gott war mir das unangenehm. Sind sie Colin Poor, fragten sie mich, ich bejahte, worauf sie wie in einem Film antworteten: „Wir hätten da mal ein paar Fragen an sie.“ Gut, ich bat sie herein, machte ihnen Kaffee und setzte mich auf das Sofa gegenüber der Zweiercouch auf der die beiden Herren der Polizei Platz genommen hatten. „Sagt ihnen der Name Luka Coniglio Maschile etwas?“ fragte der schmächtigere Polizist. Die Polizisten machten einen merkwürdigen Eindruck. Der Eine fast zwei Meter groß mit aggressivem Gesichtsausdruck und sehr ruhig, der Andere hingegen
schmächtig mit fröhlichem Gesichtsausdruck und etwas zu agil. Nein, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. Dann zeigten sie mir ein Foto seiner Leiche. Ich zuckte zusammen. Meine Lippen zitterten. Der Mann auf dem Foto, den kannte ich doch, nur ich kannte seinen Namen nicht, aber unter anderem wegen ihm, war ich gestern Hals über Kopf aus meinem Haus ausgezogen. „Oh mein…, das ist…, doch den kenne ich.“ Stammelte ich, worauf der Schmächtige sofort reagierte: „Das wissen wir, gut, wo waren sie denn gestern Nacht so gegen 3 Uhr?“ Und so wurde ein Frage Antwort Spiel daraus, dass nicht unter zwei Stunden zu Ende ging. Die Polizisten verabschiedeten sich von mir und fügten noch ein bitte halten sie sich für uns zur Verfügung. Ich schloss die Tür, rannte ins Bad und übergab mich.
Danach nahm ich eine Wechseldusche putzte mir die Zähne und sah in den Spiegel. Mein Gesicht war blass und hager, die Augen waren gerötet. Meine schwarzen kurzen Haare waren vom Abtrocknen noch zerzaust, ich sah furchtbar aus.
Wie lange hatte ich wohl schon nicht mehr richtig in den Spiegel gesehen? Immer nur Arbeiten, für Lea da sein, Arbeiten und wieder für Lea da sein. Wer war ich? Und warum ?
Nach diesen anstrengenden philosophischen Fragen auf die keine Antwort zu finden war, holte mich die Realität ein und mir wurde klar, dass mich die Polizei verdächtigte, wenn ich nicht sogar ihr einziger Verdächtiger war. Ein Motiv hatte ich und zur Tatzeit war ich mehr als betrunken oder ich schlief schon, ich weiß es nicht. So musste ich auf Ron warten. Hatte gar nicht gemerkt, dass er aus dem Haus gegangen ist. Ob er wohl auch so betrunken war? Mehr als tausend Fragen plagten mich bis ich nach etwa einer Stunde das Türschloss hörte. Es war Ron. Sofort stürzte ich auf ihn zu erzählte ihm haargenau was geschehen war. Ich löcherte ihn mit Fragen, doch auch er wusste wohl nicht mehr genau wie der gestrige Abend verlaufen ist. Ich bat ihn Lea anzurufen. Gespannt saß ich neben Ron, während er die Nummer von Lea eintippte. Sie begrüßten sich und Ron kam ziemlich schnell zum Punkt. Er sagte: „Maschile ist tot, du kennst ihn doch, wie lange war er gestern bei dir?“ Doch kaum hatte Ron diese Frage gestellt, fing Lea am anderen Ende der Zeitung an zu schreien, so laut, dass ich klar und deutlich verstehen konnte, dass sie mich des Mordes beschuldigte.
Nach dem Gespräch zündete ich mir eine von Rons Zigaretten an. Das tat gut, dachte ich, als mir im selben Moment auffiel, dass ich vor einem Jahr aufgehört hatte. Nur wegen Lea schoss es mir durch den Kopf und ich genoss diese Zigarette noch mehr.
Da es Sonntag war, rief ich meinen Chef zu Hause an und bat ihn, mir für die nächsten zwei Wochen frei zu geben, da ich schwerwiegende persönliche Probleme habe. Er war sofort einverstanden, bestand jedoch auf eine Erklärung. Ich erfand eine.
Gut eine Woche später, ich hatte das Haus nicht einmal verlassen, bekamen Ron und ich eine Vorladung von der Polizei.
Pünktlich erschienen wir zum vorgegebenen Termin auf dem Präsidium, wo wir in getrennten Räumen von der Polizei verhört wurden. Nach etwa einer Stunde gab die Polizei uns eine Pause, so dass Ron und ich einen Kaffee in der Polizeikantine zu uns nehmen konnten. Wir saßen da, tranken Kaffee und rauchten mehrere Zigaretten. Auf einmal stand eine junge Beamtin neben uns und bat uns wieder in die Räume zurück zu gehen, um das Verhör fortzusetzen. Ich erkannte sie sofort. Ein Schauer lief mir über den Rücken, es war dieselbe junge Frau aus dem Café. Sie hatte mir gar nicht erzählt, dass sie Polizeibeamtin ist und zu meinem Erstaunen, ich war fassungslos, erfuhr ich, dass sie Rons Halbschwester war. Ich hatte das Gefühl mir würde ein Brett vor den Kopf geschlagen. Wir gingen hinter ihr her, ich wusste nicht mehr was ich denken sollte und als sich die Wege von Ron und mir trennten, lächelte er mir zu und sagte: „Du hast die Realität verloren und alles andere auch!“ Was wollte er mir damit sagen? Ich wusste es nicht. Was geschah nun? Was hatte das alles zu bedeuten? Ich saß auf dem Holzstuhl im Verhörraum und stützte meine Arme auf den vor mir stehenden Tisch, den Kopf stützte ich in die Hände.
Plötzlich knallte die Tür auf. Der Große der beiden Polizisten betrat den Raum. Er schloss die Tür hinter sich und stellte sich hinter meinen Stuhl. „Da haben wir jetzt aber ein Problem Herr Poor!“ sagte er mit durchdringend lauter Stimme. „Ihr Freund Ron, hat bei uns ausgesagt, dass er an dem Abend nur ein bis zwei Gläser Bier getrunken hat und sie ebenfalls nicht wesentlich mehr. Außerdem versichert er, dass sie gegen 1.30 Uhr das Haus wutentbrannt verlassen haben, ich zitiere seinen Wortlaut, um sich das Bürschchen mal vorzuknöpfen. Außerdem sagten Herr Snyder und ihre Ex-Freundin Lea Blum parallel und unabhängig voneinander aus, dass keiner der Beiden Herrn Luka Coniglio Maschile kannte beziehungs-weise je gesehen hat.“ „Aber…“ Ich fand keine Worte mehr. Warum fiel Ron mir derart in den Rücken und warum log Lea? Dass sie mich verdächtigen würde war mir klar, aber warum log sie bei einer polizeilichen Aussage? „Also Herr Poor, ich denke mal ihre Freunde wollen nicht mit in ihre Mordtat hineingezogen werden. Die Aussagen der beiden Zeugen sind außerdem absolut glaubhaft und noch etwas: unsere polizeilichen Ermittlungen haben ergeben, dass Luka Coniglio Maschiles Vater ihren Vater vor 6 Jahren eiskalt ermordet hat. Sie haben also ein ganz klares Rachemotiv! Ich werde sie jetzt vorläufig festnehmen!“
„Aber...“ versuchte ich noch einmal, doch ich konnte nicht fassen was gerade passierte.
Drei Wochen lang saß ich nun in Untersuchungshaft, bis mir mitgeteilt worden war, dass mein Chef mich gekündigt hat. Ich stand kurz davor wahnsinnig zu werden. Jeden Tag diese kleine Zelle und diese verdammten ungeklärten Fragen.
Die schönste Nachricht bekam ich nach sechs Wochen und sechs Tagen. Meine Zellentür wurde aufgeschlossen und Paula, Rons Schwester trat zu mir in die Zelle. Ich hatte schon aufgehört mit jemandem zu sprechen und erst recht nicht mit einer Polizistin. Niemand hatte mir bis dato auch nur ein Wort geglaubt und ich war am Ende meiner Kräfte, verzweifelt. Wäre Paula an diesem Tage nicht erschienen, so hätte ich am Siebten Tage nichts gemacht, ich hätte mich erhängt.
Paula strahlte mich mit ihrem warmen Lächeln an und das Einzige was sie sagte war:
„Wir haben sie, es ist vorbei! Ich liebe dich!“