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Performance Art

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07.09.2001
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Performance Art

Neulich da war ich in Kassel auf einer Ausstellung. Dokumenta hieß die und ich fand die Dinge, die ich da sah ein wenig befremdlich - wenn auch sehr interessant.

Diese neumodische Kunst verwirrte mich – so etwas gab es zu meiner Zeit noch nicht. Überall standen Fernseher, auf denen bunte Bilder flackerten. Gesichter, Körper, rotes matschiges Etwas. Skulpturen standen in den Hallen, hingen in den Hallen und klebten an deren Wänden. Bilder gab es da zu sehen, die mein 6-jähriger Enkel wahrscheinlich besser hinbekommen hätte und dann gab es da noch etwas ganz und gar ungewöhnliches – es nannte sich – glaube ich - Performance Art oder so ähnlich.

Ein junger Mann, der von allen als „der Künstler“ bezeichnet wurde, ließ sich in einem kahlen, hellen, weißen Raum nackt aufhängen - kopfüber - und die Besucher durften ihn dann durch eine offenstehende Tür mit Dart-Pfeilen bewerfen.

Das Bild das sich mir darbot war schon ein wenig befremdlich. Zuerst fragte ich mich, ob die zahllosen Pfeile, die bereits im Körper des jungen Mannes steckten, ihm nicht unangenehm seien, vielleicht sogar Schmerzen bereiteten, aber er lächelte und schließlich war das ja alles Kunst, was ich hier zu sehen bekam. Es würde schon nicht zu gefährlich sein – schließlich leben wir ja in Deutschland und die Polizei passt auf, dass niemanden etwas Gefährliches passieren kann und deshalb glaube ich, war auch das, was der junge Mann da tat, wohl nicht sehr gefährlich. Ich nahm mir auch einen Pfeil und warf ihn auf den jungen Mann. Ich hatte nicht gut gezielt und so traf ich ihn an der Schläfe, wo der Pfeil eine kleine Wunde riss, aber dann vom Schädelknochen abprallte. Ich wollte es noch mal versuchen, schließlich wollte ich dem jungen Künstler seinen Auftritt ja nicht verderben, aber die nachfolgenden Besucher drängten mich weiter.

Eine Zeitlang überlegte ich mir, ob ich mich noch einmal an die - inzwischen sehr lange - Schlange von kunstbegeisterten Besuchern anstellen sollte, weil ich der festen Überzeugung war, den jungen Künstler an einer geeigneteren Stelle treffen zu können, so dass der Pfeil stecken bleiben würde, aber es war inzwischen spät geworden und die Zugfahrt in mein Heimatdorf würde noch mindestens vier Stunden dauern.
Auf der Rückfahrt war ich ein wenig aufgeregt. Ich hatte viele ungewöhnliche Dinge auf der Dokumenta gesehen und vor allem der junge Künstler mit seiner „Performance Art“, oder wie auch immer das hieß, ging mir nicht aus dem Kopf. Ich hoffte, er würde das nächste mal auch wieder teilnehmen, weil ich es inzwischen bedauerte, mich nicht noch ein zweites mal in die Reihe kunstbegeisterter Besucher eingereiht zu haben. Bestimmt würde er das. Die Leute waren alle sehr angetan gewesen, von dem, was der junge Mann da gezeigt hatte ...

Ich fragte mich, wie sich mit einer solchen Kunstform Geld verdienen ließe, da es ja weder Bilder noch Skulpturen gab, die man verkaufen konnte, kam dann aber zu dem Schluss, dass sich die blutverschmierten Dart-Pfeile wahrscheinlich ganz gut als Souvenir unters Volk bringen ließen, als der Zug endlich in meinem Heimatbahnhof anhielt.

Als ich zu Hause ankam, war es schon so spät, dass meine Frau sich bereits schlafen gelegt hatte. Ich trank noch ein Bier, warf einen Blick in die Tagesthemen, die unter anderem auch von der Dokumenta und sogar über den jungen Künstler berichteten und begab mich dann ins Bett. Ich war stolz auf mich und die Tatsache, dass ich an etwas teilhaben durfte, was gerade im Fernsehen zu sehen gewesen war. Sogar die kleine Schramme an der Schläfe war einen Moment lang über unseren alten Farbfernseher geflackert, nur leider sah das Blut nicht rot aus, sondern eher orange, aber das lag wohl an der alten Bildröhre unseres treuen „Nordmendes“. Mit dem Bild des blutenden jungen Mannes vor Augen schlief ich schließlich ein.

Einige Monate gingen ins Land und eines Tages rief mich mein Sohn an. Er wohnte in Hamburg - zusammen mit seiner Frau und meinem sechs Jahre alten Enkel.

Als er 18 Jahre alt geworden war, zog es ihn in die Ferne. Nichts hatte ihn damals in unserem Dorf halten können. Vielleicht war das auch gut so, ein kleines Dorf, wie das, in dem ich und meine Trude seit Ewigkeiten lebten, das war nichts für so junge Leute. Zu wenig „Äkschen“, wie mein Sohn oft scherzhaft betonte und seit meinem Besuch auf der Dokumenta, vor einigen Monaten, verstand ich meinen Sohn ein wenig besser. Solche Dinge sah man eben nur in der großen Stadt und Hamburg war eine sehr große Stadt.

„Wollt ihr uns nicht wieder einmal besuchen kommen?“, fragte mein Sohn.
„Gerne, aber deine Mutter, du weißt ja, die Hüfte und jetzt in der kalten Jahreszeit, das ist nicht so gut. Aber ich kann ja auch alleine kommen. Wäre dir das Recht, Klaus-Dieter?“
Ich hörte meinen Sohn am anderen Ende der Leitung schwer atmen.
„Kommt Mutter denn alleine klar?“.
„Aber sicher – bis zum Bad hat sie es bisher immer noch geschafft und für zwei Tage kann sie auch mal vorkochen und sich was warm machen.“
Ich schmunzelte – Klaus-Dieter nicht.
„Oh ... Maren und der Kleine sind nächstes Wochenende nicht in Hamburg. Sie besucht ihre Mutter. Da hätte ich viel Zeit für dich und könnte dir endlich mal die richtig schönen Ecken von Hamburg zeigen.“
„Gerne. Ich freu mich. Wir sehen uns dann am Samstag?!“
„Samstag Mittag. Das ist gut. Du kennst den Weg?“
„Sicher – ich bin doch schon öfter Bahn gefahren.“
Diese jungen Leute trauen einem auch gar nichts mehr zu. Schade eigentlich.

Am Samstag machte ich mich in aller Frühe auf. Ich wollte den acht Uhr Anschlusszug in Hannover nicht verpassen. Mit ein wenig Glück und ohne die üblichen Verspätungen konnte ich vielleicht schon gegen zehn Uhr in Hamburg sein.

Glück hatte ich nicht, dafür aber einige Verspätungen. Ich hatte jedoch keine Lust mich zu ärgern. Zu sehr freute ich mich darauf, meinen einzigen Sohn in der großen Stadt Hamburg zu besuchen und Trude würde es notfalls auch mal bis Montag ohne mich aushalten, sie hatte reichlich vorgekocht. Als ich im Hauptbahnhof den ICE verließ, musste ich mich in der riesigen Bahnhofshalle erst einmal orientieren, dann fand ich jedoch sehr schnell denn Weg zur U-Bahn und zu der Linie, die mich nach Wandsbek bringen würde – dem Stadtteil, in dem mein Sohn und seine Familie wohnten.

Nach einigen Stationen verließ ich die U-Bahn. Erneut musste ich mich orientieren. Die weißen, gekachelten Wände und die vielen Plakate und Schaukästen erinnerten mich an eine Kunsthalle, wie sie bei der Dokumenta zu sehen waren. Das Licht der Neonröhren war kalt und unangenehm für die Augen und verstärkte dadurch diesen ersten Eindruck noch mehr. Hamburg hat so viel Kultur, dachte ich bei mir. Sogar die U-Bahn Stationen bringen das zum Ausdruck. Ich ging zu einer Rolltreppe und fuhr nach oben. Dort angelangt musste ich durch einen langen, ebenfalls weißen und gekachelten Tunnel gehen, den die gleichen Neonröhren in das gleiche helle Licht tauchten, wie unten auf dem Bahnsteig.

Ein junger Mann saß ungefähr in der Mitte des Tunnels mit dem Rücken an der Wand neben einem überquellenden Mülleimer. Er sah ungepflegt aus und unter seiner verschlissenen Jeansjacke sah ich seinen nackten Oberkörper. Der junge Mann hörte meine Schritte, sah mich mit glasigen Augen an und wandte sich im nächsten Augenblick wieder der Tätigkeit zu, der er schon der ganzen Zeit nachging, seitdem ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Ich blieb stehen und betrachtete sein Tun.

In der einen Hand hielt er ein Feuerzeug, in der anderen einen Teelöffel mit einer siedenden braunen Flüssigkeit. Zucker? Ich konnte nicht einordnen, was der jungen Mann da tat. Es kam mir so unverständlich vor, wie das, was der junge Künstler auf der Dokumenta getan hatte. Wie hieß das gleich noch mal. Ach ja! „Performance Art!“ Ich verstand! Dieser junge Mann war auch ein Künstler. Ich schaute mich um. Der Künstler und ich waren alleine in dem langen Tunnel, keine anderer Kunstbegeisterter war weit und breit zu sehen. Egal, wie auch immer ich dieses Mal zu einem Teil des Kunstwerkes werden würde, ich hatte möglicherweise mehr als einen Versuch, es dieses Mal richtig zu machen.

Der junge Künstler legte das Feuerzeug achtlos bei Seite und zog einen Gegenstand aus der Jeansjacke. Im ersten Moment dachte ich es wäre ein Dart-Pfeil und das ich Zeuge würde, wie ein Künstler dem anderen seine Ideen klaut, aber dann sah ich das es eine kleine Spritze war, so eine, wie mein Vetter Detlef sie immer benutzen musste, wenn er sich Insulin spritze und kein Dart-Pfeil. Der junge Künstler zog die Spritze mit der braunen Flüssigkeit aus dem Teelöffel auf und klemmte sie sich zwischen die ruinösen Schneidezähne. Was für eine Detailverliebtheit, dachte ich bei mir. Dann zog er aus einer anderen Tasche seiner Jacke einen alten gelben Gummischlauch von gut einem Meter Länge und vielleicht drei Millimeter Durchmesser. Er krempelte seinen linken Jackenärmel hoch und band sich den Gummischlauch so fest um den Oberarm, das die Adern hervortraten. Ich kannte diese Prozedur von meinem Hausarzt, wenn er mir Blut abnehmen musste. Sie war unangenehm, so wie die Dart-Pfeile damals auf der Dokumente es sicherlich auch gewesen waren, aber das
hier und jetzt und damals war Kunst gewesen.

Dann nahm er mit der rechten Hand die Spritze und setzte sie an die inzwischen noch deutlicher hervorgetretene Ader an, da, wo noch viele andere Einstichwunden zu sehen waren. Er führte diese „Performance“ also nicht zu ersten Mal vor. Dann stach er zu. Ich sah, wie die circa zwei Zentimeter lange, hauchdünne Kanüle in seiner Vene verschwand. Dann drückte er sich die braune Flüssigkeit in seinen Blutkreislauf. Er ließ die Spritze fallen. Nahm das Gummiband von seinem Oberarm und legte den Kopf in den Nacken.

Er sah mich an.

Ich sah ihn an.

Seine Pupillen vergrößerten sich schlagartig – trotz der hellen Neonröhren.

Ich war beeindruckt. Mehr noch als damals in Kassel auf der Dokumenta. Damals war es nicht möglich gewesen, so nah an den Künstler heran zu treten um solche Details zu beobachten.

Seine Augen schlossen sich und seine Gesichtszüge verkrampften. Der Kopf fiel auf die Seite und seine Gesichtszüge entspannten sich wieder, er schien zu lächeln.

Ich war begeistert und klatschte laut in die Hände. Ich schaute mich um. Leider waren sonst keine Spritzen zu sehen. Auf der Dokumenta waren die Dart-Pfeile fein-säuberlich aufgereiht gewesen, so dass sich jeder seinen eigenen Pfeil nehmen und werfen konnte, hier gab es nur die Spritze, die immer noch im Arm des Künstlers steckte. Ich beugte mich herab und zog sie vorsichtig aus der Vene, immer darauf bedacht, die Intention des Künstlers zu respektieren, trotzden flossen einige kleine Tropfen roten Blutes aus dem winzigen Loch. Ich zögerte einen Moment, denn diesmal wollte ich es richtig machen, nicht wie in Kassel, wo der Dart-Pfeil an der Schläfe abgeprallt war. Dann hatte ich mich entschieden. Ich beugte mich erneut vor und vollendete das Kunstwerk.

Ich trat zurück und betrachte es mit großer innerer Zufriedenheit.

Sieh da – im richtigen Winkel und ganz behutsam eingeführt, blieb eine Nadel in der Schläfe stecken.

 

Viele Wege führen nach Rom und auch zur Pointe.

Deine Geschichte liest sich soweit ganz nett, aber ich finde, sie ist ein wenig aufgebläht, zielt doch eigentlich alles auf den Schluss hin.

Weniger wäre da mehr gewesen. Ohne du hättest den Mittelteil 'satirischer' gestalten müssen.

Einen dicken Pluspunkt gibt es aber für die Idee.

 

Diese Geschichte war echt gut.

Mal ´ne Frage. Gibt es wirklich solche „abgefahrenen“ Performance Arts Künstler bei der Dokumenta ?

Kann ich mir gar nicht vorstellen. Hört sich mehr nach Masochistenclub an.
:eek:

 

Ich will es nicht beschwören, aber ich habe vor einigen Jahren von einem Künstler gelesen, der eben diese Performance inszeniert hat - nur weiß ich nicht, ob es auf der Dokumenta war ...

 

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