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Perlentaucher hinter Zungen
Perlentaucher hinter Zungen
„Frau Ashton.“ Es war Mr. Meyers. Seine helle, laute Stimme war unverkennbar durch das Menschengetümmel zu hören. Ich wartete noch eine Weile bis meine Tarnung als „Muschelschlürferin“ an Tisch 17 aufflog. Da streckte mir Mr. Meyers seine rechte Hand schon entgegen, lächelte aus seinem astreinen Smoking hervor und begrüßte mich mit einem Guten Abend Frau Ashton. Ich ließ seinen Handkuss über mich ergehen, ohne große Freude daran zu empfinden. Aber ich konnte nicht tolerieren, dass er ohne Sinn und Verstand wie ein Truthahn durch das Lokal krähte, um doch nur die Leute wieder zu verschrecken. Er lachte, und bequemte sich so hin, dass er mir direkt gegenüber saß, und begann zu reden:
„Frau Ashton. Was schlürfen Sie denn so am Tisch herum? Bekommt Ihnen Ihr Essen wohl nicht? Sind Sie wieder diesen unkaputtbaren Muscheln ausgesetzt?“
Das Ziel der Redundanz, aus drei Fragen eine Antworten zu schneidern, lag mir im Magen.
„Das esse ich nicht oft.“
„Aber was tun Sie sich dann so eine Tortur an? Sie müssen sich doch nicht diese Meereskriecher antun. Diese abstoßenden Quallen, Schnecken und Muscheln. Wie kann man solches Ungetüm doch nur seinem eigenen Körper – Gift und Galle - aussetzen?“
„Sie glauben nicht, dass es schmeckt?“
„Was heißt schmecken? Alles kann schmecken. Aber das dauert alles so lange. Da gibt´s doch viel Besseres.“
„Sie meinen Fastfood.“
„Fastfood isst man schnell, aber dies alles ist einer Dame Ihrer Stellung nicht würdig.“
„Warum ist Robert nicht gekommen?“
„Sie meinen Ihren Mann?“
„Gewiss.“
„Ihr Mann ist mit Frau Knightley einen Berg hochgefahren, und man hat ihn nicht mehr gesehen. Ich möchte nicht mutmaßen, aber so wie es wirkt, scheint Ihr Gatte ihre Jugend und Leidenschaft sehr zu schätzen.“
„Dieser Lustmolch!“
„Seien Sie nicht so grob. Immerhin rafft er sich dazu auf, Ihnen ein stattliches Vermögen zu überlassen. Deswegen bin ich hier.“
„Irgendwann reicht sein Spielzeug nicht mehr aus. Dann kauft er weiter ein.“
„Was meinen sie?“
„Er schnappt sich seinen Stock und geht wandern, dieser verrückte alte Mann.“
„Aber immerhin erhalten Sie ein schmuckes Sümmchen und die Villa in Anchelone.“
„Das ist das Einzige, was ich ihm zu gute halten kann. Wenigstens hat er gut geerbt.“
„Sicherlich.“
„Wenn auch nicht geistig.“
„Sicherlich. Aber nun zum Wesentlichen. Sie sollen diesen Vertrag unterzeichnen. Der Notar ist bereits unterrichtet und hat zugestimmt. Es ist Ihr Scheidungsvertrag, der Sie sicherlich nicht unglücklich machen wird. Hier, die Unterschrift Ihres Mannes. Hier Ihre Unterschrift, wenn Sie sich dann dazu aufraffen würden, zu unterzeichen. Ich würde keine Sekunde zögern.“
„Das Zögern liegt mir im Blut. Es ist wie mit den Muscheln. Man muss sie aus der Schale lösen. Sehen Sie. Dann löst man das zarte Fleisch heraus, und wenn man Glück hat, sehen Sie, dann findet man hie und da eine Perle.“
Ich ließ den Vertrag in meine Handtasche verschwinden, und versuchte nun, da meine Hauptaufgabe erledigt war, mich langsam von den Tentakeln Mr. Meyers zu lösen, die aber so wie es schien, weiter um sich griffen. Dann bekleckerte sich Mr. Meyers noch zusätzlich mit meinen Muscheln.
„Sie haben noch eine Muschel auf dem Teller.“
„Ja und?“
„Möchten Sie nicht nachschauen, ob sich doch eine Perle darin befindet.“
„Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, gewiss.“
„Reich zu werden ist auch wahrscheinlich.“
„Gewiss. Ich erhalte Geld und die Villa in Anchelone, aber ich bin realistisch.“
„Sie sind zu realistisch. Lassen Sie sich treiben, werfen Sie sich unter das Fußvolk, ziehen Sie sich aus. Lassen Sie alles aus sich raus.“
„Sie spinnen.“
„Die Musik des Lebens spielt von Vögeln und von Maulwürfen. Wozu gehören Sie?“
„Ich bin lieber eine Muschel.“
„Aber was ist, wenn so eine Perle nicht herauskommt, nicht den Mut aufbringt, aus so einer harten Schale hervorzublitzen.“
„Dann blitzt sie innerlich.“
„Innerlich ist nicht gut.“
„Besser als blind und von Sex besessen durch die Welt zu tingeln.“
„Sie missverstehen mich.“
„Was ist, wenn man zuweilen mit einem Luftschiff veralteten Samen verpulvert?“
„Sie sprechen Ihren Mann an.“
„Nein. Ich meine die gesamte Männerwelt. Von oben bis unten wird man nur benutzt.“
„Der Mann ist zweckorientiert. Er nimmt das was er kriegen kann. Manche Schalen sind leichter zu lösen. Ihre hingegen hat sich im Laufe des Lebens von selbst erhärtet.“
Ein vulgärer Blick ließ sich auf seinem schmalen Gesicht nieder.
„Sie sind nur eine Muschel. Sie können nicht davonlaufen.“
„Anscheinend ist diese gesamte Landschaft hier von Bettenhüpfern voll bepackt. Verschwinden Sie.“
Als er sich langsam zu mir hinüber beugte, seine Lippenbewegungen unter dem sanften Licht der Tischlampe anstößig zu tanzen anfingen, ergriff ich meine Handtasche, wusste den Vertrag in ihr, und ging, ohne den Blickkontakt mit irgendjemandem zu suchen, aus dem Lokal. Er suchte noch seine helle, laute Stimme unterzubringen. Doch da war ich bereits fort. Ich lief über die von Laternen beleuchtete Straße und setzte mich in ein Taxi.
„Ich möchte in die Iffan-Street, zum Hotel Luceren,“ sagte ich. „Hallo Mrs. Ashton.“ Ich war nahezu entsetzt und blieb stumm. „Ich habe in der Zeitung gelesen.“
„Sie haben gelesen?“ Ich antwortete verblüfft.
„Von Mrs. und Mr. Ashton. Daneben war ein Foto. Da waren Sie noch jünger, was?“
„Was soll das heißen?“ Noch ganz im Trockenen.
„Nun ja, Sie haben vor 25 Jahren geheiratet. Heute ist Ihr Hochzeitstag. Die großen Boulevardblätter halten Lobeshymnen auf Ihre skandallose Ehe. Der Tod Ihres Sohnes, die Sexskandale aus den anderen Adelsfamilien. Das alles hat Sie nicht beeindruckt. Das hier ist noch die gute alte Schule, was.“
„Gewiss.“ Jetzt war mir alles klar. Ich verstand mich nicht gerade in einem Moment, in dem man sich offenbaren sollte.
„Wo ist Ihr Göttergatte?“
„Der hat gerade einen wichtigen Termin mit der Queen Mum.“
„Nun ja, die Freundschaft der beiden Familien ist ja immer noch ohne Tadel.“
„Gewiss. Manche Dinge ändern sich nie.“
„Jawohl. So, wir sind da. Wollen Sie nicht noch eine Runde drehen?“
„Leider nein. Ich hatte einen langen Tag. Das Bett ist jetzt das einzige, woran ich noch denke.“
Ich verabschiedete ihn mit einer spendablen Geste, und stelzte die viel zu gefährliche Treppe hinauf, die in ein Nobelhotel führte. Ich bat an der Rezeption um meinen Schlüssel und versenkte mich anschließend im Bett.
Am nächsten Morgen wurde mir neben dem Frühstück zusätzlich ein Brief gereicht. Ich öffnete ihn, und schaute ganz verdutzt. Darauf stand:
Die Suche nach Reichtum ist beendet.