Was ist neu

Pflaster

Mitglied
Beitritt
16.07.2009
Beiträge
29
Zuletzt bearbeitet:

Pflaster

Pflaster

Du nennst meine Mutter „Oma“, obwohl sie keine Enkel hat, nur weil sie in dem Alter ist, in dem alle Frauen Enkel haben sollten. Das sei normal so, sagst du, doch ich hasse es. Ich hasse es, wenn man Mutter „Oma“ nennt, und ich würde es auch hassen, wenn sie Enkel hätte. Dann fragst du mich, ob ich schwanger sei, und ich muss nicken, obwohl ich nicht nicken will, denn ich hasse es, Oma sagen zu müssen, doch das verstehst du nicht.

Als ich Mutter im Krankenhaus besuchte, redete sie das erste Mal vom Sterben. Das war eine Zäsur in ihrem Leben. Die Oma, die enkellose Oma... ich wollte ihr nicht von meiner Schwangerschaft erzählen. Schon gar nicht heute, schon gar nicht in diesem Zimmer, mit den weißen Tapeten und den flackernden, vergitterten Lampen. Ich saß auf dem Hocker neben dem Bett, mein Daumen rieb sich an dem gezackten Rad des Feuerzugs wund, denn das Benzin reichte nicht mehr bis zum Plastikschlauch hinauf. Deswegen schüttelte ich es hin und her, drehte es auf den Kopf, kippte den Inhalt des einen Teiltanks auf die andere Seite, bis mir eine der Schwestern sagte, hier dürfe man nicht rauchen, bis mir Mutter sagte, sie habe Angst vorm Sterben, bis ich dachte, ich bräuchte ein neues Feuerzeug, neue Kippen, einen neuen BH. Frische Luft. Hoffentlich würden meine Brüste auch größer werden., wenigstens das, wenigstens etwas. Und dieses Wort: Dieses Sterben. Nie wieder in meiner Gegenwart bitte. Außerdem: Ein neues Feuerzeug. Einen neuen BH.

Als ich drei Wochen zuvor von der Schwangerschaft erfuhr, rannte ich aufs Klo und musste kotzen. Kein körniges Kotzen, eher wässriges Kotzen, denn ich hatte nichts davor gegessen, und das Wort Abtreibung in einem Zug mit „Zu spät“, das stellte alle Organe in mir auf den Kopf.
Ich zündete fünf Zigaretten an und drückte alle in einer Teetasse aus. Dann rieb ich mir das Gesicht und seufzte und wiederholte „Mutter“ in meinem Kopf, die ich eigentlich nur aussprechen, aber nie sein wollte. „Mutter“ das klingt so alt. Das klingt nach: Falten, nach Augenringen, nach Schwangerschaftsstreifen... ein Bauchnabel, der sich nach außen wölbt, nach Hautfalten, nach: „Wer ist denn der Vater?“ und „Wohnt ihr zusammen?“
Mein Finger auf dem Rädchen, mein Gesicht hinter einer hohlen Hand verborgen, eine Pause in der ich nicht sprechen musste.
Es gibt keinen Vater, dachte ich. Es gibt nur einen Freund. Ich küsse ihn nicht mal. Weder auf den Mund, noch sonst wohin. Eigentlich ist er gar kein Freund. Vielleicht war er mal einer, aber jetzt nicht mehr. Wichtig ist das Kind und die Schwangerschaftsfalten und wie man sie wieder entfernen kann, oder zumindestens mit einem Pflaster überkleben. Oder das Kind mit einer Hutnadel erstehen. Das Unfertige. Der Auswurf. Mit einer Hutnadel in die Vagina, dachte ich mir, dann wars das mit der Mutter und Oma und Kinderzimmer.

Ein paar Takte zum Thema Mutterschaft:
In einem Holzveredelungswerk in der DDR standen die zur Strafarbeit abbeorderten Frauen draußen an den Zäunen, mit dem Rücken zum Zaun, und pfiffen zwischen den Fingern. Sie standen gebückt, den Po nach draußen, die Hose runter, die Schamlippen, wie ein Zelt über die Maschen gestülpt, die Zähne zusammengebissen, vielleicht einen Ast zwischen den Zähnen, etwas Hartes zum beißen, zum Aushalten, zum Ausstehen der Schmerzen. Die Zigarette davor, danach und währenddessen, um einen Vergleich zu bringen. Die Festangestellten Arbeiter, die sie von hinten beglückten brauchten kein Gesicht und keinen Namen, nur Samen, nur ein paar Spritzer, und ein gutes Gespür, und am nächsten Morgen blieb bloß das Blut, Blutmatsch, und der Kater, und irgendwann ein neuer Zaun mit engeren Maschen, zu eng für deren Schwänze. Der Grund für das alles: Die Frauen, die Mädchen, sie wussten, dass sie im Falle einer Schwangerschaft freigelassen werden würden. Lieblose Zaunempfängnis, sozusagen, wenn man so schon getrennt wurde. Aber einen Vater? Kann man da von einem Vater sprechen?

„Erzähl mir doch von meinem Vater, meinem richtigen Vater!“
Mutters Mund war trocken, ein trockener gewellter Brotkanten.
„Vater ist nur ein Schwanz zwischen Zaunmaschen“, verschwieg sie mir, also verschwieg ich ihr.

Das erzähle ich dir jetzt, drei Wochen später. Drei Zigarettenschachteln von heute morgen, zu heute Abend. Irgendwie rauche ich ja für zwei. Für mich und die Kleine, das Kleine, der Kleine, irgendwas eben. Und er soll ja wissen, mit wem er es zu tun hat. Die Mutter, die keine genannt werden will, die Tochter, der Oma, die sich so sehr auf Enkel freuen würde.
„Du solltest sie anrufen, du solltest es ihr sagen. Wie lange willst du noch warten?“
Ich klopfe die Asche über meiner Handtasche aus, schlage die Beine übereinander und lehne meinen Wasserbauch faul gegen die Polster. Ich kann sie nicht anrufen. Mutter ist wie ein Zimmer, das nicht hell wurde, auch wenn man das Licht anmachte. Sie war schon immer so. Als Vater vor ein paar Tagen bei mir anrief, ging es so, als wollte er eine Pizza bestellen. Herr soundso will mit Frau soundso sprechen. Auch wenn er mir tausende persönliche Fragen stellte, wollte er mich nur nach ihr aushorchen, denn jeder Satz endete mit: „Übrigens, wie geht es deiner Mutter?“ „Liegt sie schon lange im Krankenhaus?“ „Fragt sie noch manchmal nach mir?“
Ja, nein, vielleicht. Ich sagte ihm, dass ich ihn hassen würde, dann schwieg er, er schwieg wie jemand, der gerade auf den Hinterkopf geschlagen wurde, der ohnmächtig wurde, dem gerade einfiel, dass er ja den Herd angelassen, oder eine Kerze unbeaufsichtigt im Wohnzimmer stehen hatte. Dem Schweigen folgte nur noch das Freizeichen, oder ein verschmitztes: „Entschuldigung, verwählt!“ Dann legte er auf und ich brüllte noch das Telefon an, von wegen schwanzloser Idiot. Der Ersatzpapa hatte uns alleine gelassen, als du kamst. Mich mit dir, mir und ihr. Tochter mit Mutter, mit Sohn... doch eigentlich ist sie eher mein Kind und nicht umgekehrt. Ein Gedanke, der so stark ist, dass er mich zum heulen bringt, doch du sagst, heulen macht dich nur angreifbar, dann legst du deine Hand auf meine Schulter, und ich schlage sie weg.

Mutters Zustand verschlechtert sich, von Tag zu Tag. Sie sagte, sie hätte ihren Mann gesehen, im Zimmer, in der Klinik, ihr Mann, ganz in weiß gekleidet, wie ein Engel, ohne Flügel, und als sie merkte, dass er es nicht wahr, dass es wohl nur das Flimmern einer Lampe war, fing sie an zu schreien, um sich zu schlagen... Fünf Schwestern waren nötig, um sie zu beruhigen, um sie ans Bett zu fesseln. Heute hat ihr Bett Holzstreben wie ein Laufgitter. Von wegen, „Meine Mutter“ Ich gehe zu ihr, lege ihr Zigaretten auf den Tisch. „Wann kommt er wieder?“, fragt sie mich. Ich versuche auszuweichen. Sie abzulenken von den Themen: Vater, Sterben und Kind... Da bleibt nicht viel übrig, stelle ich fest, durch die Gitterstäbe, durch die Luftlücken zwischen den Stäben, von meiner Mutter, dem Rest meiner Mutter, also wechsle ich noch ihre Blumen und gehe wieder nach hause. Und setze mich vor den Fernseher, streichle über meinen Bauch und zwicke mir in die Haut. Und irgendwann später liegen gefaltete Kippen im Aschenbecher.

Wie das wohl sein wird... mit einer scharfen Nadel, was da passieren wird? Was da nicht passieren wird, was passieren kann... Als ich wieder von meiner Mutter erfahre, redet man mit mir, wie mit einem Kind, dem man nicht sagen will, dass sein Haustier gestorben ist. Aber ich bin doch kein Kind mehr! Ich könnte welche haben. Selbst der Augenkontakt fehlte ihnen, als sie redeten. Und dann die Gewissheit, dass alles zu spät sei, und ein leeres, gemachtes Bett mit einem Handtuch auf dem Kopfkissen, und das Holzgitter drumherum.
Auf die Wunde von der Nadel gehört ein Pflaster, so sieht man einem die Abtreibung nicht an, doch wohin das verdammte Pflaster kleben, frage ich mich, und wische erstmal das Blut weg.

 

Hallo Akachi,

starke Geschichte. Gefällt. Mir zumindest. Schönes Stimmungsbild. Irgendwie "goth", aber da kann ich mich täuschen. Gestört hat eigentlich nur der Vergleich, obwohl er schon seine Berechtigung in der Geschichte hat. Trotzdem führt er irgendwie zu weit weg von der Story und das Zurückkehren geht nicht ohne Verwirrung ab. Bei mir zumindest.
Ach ja, ein paar Fehler:

Wohlgemerkt: Nach dem ersten Toilettengang und Vor dem Nächsten.
nach dem ... und vor dem ...

Gesicht hinter einer holen Hand verborgen
hohlen

ich. es gibt nur einen Freund
ich. Es gibt ...

und fragt mich wie der Sex gewesen sei.
und fragt mich, wie der Sex ...

Und ich sage er war
Und ich sage: er war

mit einer Hutnadel erstehen.
erstechen


von heute morgen, zu heute Abend.
von heute Morgen zu heute Abend.

die Tochter, der Oma, die sich
die Tochter der Oma, die sich

Als Vater vor ein paar Tagen bei mir anrief, ging es so
anrief, klang es so

Herr soundso will mit Frau soundso sprechen
Soundso bei beiden Malen

dass er mich zum heulen bringt
zum Heulen

wie ein Engel, ohne Flügel
Engel ohne Flügel

gehe wieder nach hause
nach Hause

Die Enkellosen Oma.
Die enkellose Oma.

redet man mit mir, wie mit einem Kind
mit mir wie mit einem Kind

lg
lev

 

Hej Akachi,

hat mir auch gefallen, nur das Ende verstehe ich nicht (ist im Moment meine Spezialität: Enden nicht verstehen :shy:). Welche Nadel? Hat sie sich die jetzt in den Bauch gepiekt? Das wäre, glaube ich, ziemlich übel, weil da etwas mehr und wahrscheinlich alles andere als ein ungeborenes Kind kaputt gehen kann.

Du solltest die Geschichte ganz dringend nach Fehlern durchsuchen, das beeinträchtigt die Wirkung ganz schön.

Du nennst meine Mutter Oma
Du nennst meine Mutter "Oma" - das wäre jedenfalls übersichtlicher.

Überhaupt ein etwas komplizierter Einstieg. Vielleicht zwei Sätze daraus machen? Wer die angesprochene Person ist, erfährt man nicht, das finde ich schade.

Dann die sanfte Erklärung, dass es für eine Abtreibung zu spät wäre. Wohlgemerkt: Nach dem ersten Toilettengang und Vor dem Nächsten.
Finde, das sollte da rein, dass sie nach einer Abtreibung fragt. Klingt sonst so, als würde eine Frauenärztin standardmäßig verkünden: "Jetzt können Sie noch", oder: "Jetzt nicht mehr."
Der "erste" Toilettengang - des Tages, bei der Frauenärztin, seit sie weiß, dass sie schwanger ist?

Viele Grüße
Ane

 

Hallo Akachi,
also so richtig kapiert habe ich Deine Geschichte nicht, aber sie hat mich dennoch gefesselt. Diese ganze Thematik des Mutter-Werdens, des ungewollten Kindes, das Auseinandersetzen mit der eigenen Mutter, das Auseinandersetzen mit dem Tod – das liest sich wie ein qualvoller Reigen.
Aber ein bisschen weniger „Gedankenfetzen“, ein bisschen mehr „zeigen was du meinst“ wäre nicht schlecht. Das hier interessiert mich auch sehr:

In den Heimen in der DDR standen die Frauen draußen an den Zäunen, mit dem Rücken zum Zaun, um genau zu sein ...

Was für Heime meinst du hier genau? Den Jugendwerkhof? Den Frauenknast? Habe noch nie davon gehört, würde mich aber auch nicht überraschen, wenn es das wirklich gegeben hätte.

LG
Sammmaish

 

ALso ich hab das so verstanden, dass sie sich in den Bauch piekst... aber ein wenig verwirrend fand ich das Ende auch.

Also das Thema Zeugung, Schwangerschaft hast du auf jeden Fall krass anders behandelt als ich. Alles ziemlich düster, ohne dass man so recht weiß wieso. Gut, die "Oma" stirbt aber das ist für mich nicht wirklich Grund für das Auftreten deines Prots, und wenn dann nur einer von vielen. So richtig habe ich übrigens auch nie verstanden wer "du" ist. Dein Prot spricht immer jemand an... wer ist das? Hat mich beim Lesen nicht gestört... aber jetzt habe ich das Gefühl ich hätte vielleicht was überlesen/ nicht gecheckt.

Dieser DDR Vergleich. Ist das ein Zitat? Von wo?

Mich hat die erzählart aber gut gefallen. Diese düstere Stimme kommt an. Ich glaube ein wenig in richtung Palahniuk geht das, was ich cool finde.

Hat mir rundum gefallen.


mfg,

JuJu

 

Hallo Freunde,
nach langer Abwesenheit mal wieder ein paar Takte von mir...

@Lev

Gestört hat eigentlich nur der Vergleich, obwohl er schon seine Berechtigung in der Geschichte hat. Trotzdem führt er irgendwie zu weit weg von der Story und das Zurückkehren geht nicht ohne Verwirrung ab. Bei mir zumindest.
Ach ja, ein paar Fehler:

Ich habe jetzt im Nachhinein den eingeschobenen Text, zum einen bearbeitet und zum Anderen mit der Haupthandlung verknüpft... sollte also etwas entwirren ^^
Fehler eigentlich alle korrigiert ^^

@Ane

ja, die Sache mit der Nadel war eigentlich anders geplant... durch die Vagina, wie es üblicher ist... hab ich auch wieder so umgeschrieben... hatte es vorher nur anderes, weil ich die symbolik des Pflasters einbauen wollte...

Überhaupt ein etwas komplizierter Einstieg. Vielleicht zwei Sätze daraus machen? Wer die angesprochene Person ist, erfährt man nicht, das finde ich schade.

Ist ihr Bruder, dürtfte jetzt deutlicher sein ^^
... führt antürlich dazu, dass die Personenkonstellation noch schwieriger wird... naja mal sehen ^^

@sammamish

Mhmmm... der stil der Gedankenfetzen gehört zu mir, da ich den leser gerne dazu auffordere selbst zu denken und sich selbst da Geschichtenkonstrukt fertigzusellen... für mich ist es essenziell den Leser zu fordern und zu verstören ^^

Habe den Part der Zaunempfängnis jetzt konkretisiert

@Juju

Alles ziemlich düster, ohne dass man so recht weiß wieso. Gut, die "Oma" stirbt aber das ist für mich nicht wirklich Grund für das Auftreten deines Prots, und wenn dann nur einer von vielen.

Wieso?.... gute frage ^^
Ganz einfach, um zu verstören und zu schockieren... ich liebe das ^^
Ich wollte einen negativen Prot erschaffen, der zum einen unerfahren, überlastet mit der Gesamtsituation und kindlich-vträumt ist... ein Prot unfähig mit den Problemn umzugehen, sie zu ignorieren.... sie eben "wegzustechen" und mit einem "Pflaster" zu überkleben... was aber eben nicht im wahren Leben geht

Der DDR-Vergleich stammt von den Erzählungen eines Augenzeugen


Jedenfalls vielen Dank von euch allen für eure Tipps und Sichtweisen.

mlg,
Koyo

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom