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Phönix aus der Asche
"Und wie wäre es mit dem?"
"Vergiss es. Das ist ein Schlappschwanz!"
Der Mann auf dem Foto sah sympathisch aus, irgendwie nett, ähnelte ein klein wenig Julias Vater. Sie nahm den Schnellhefter und legte ihn auf den Stapel mit den aussortierten Kandidaten.
"Und der hier?" Sie reichte David eine weitere Mappe hinüber, dieser warf einen prüfenden Blick auf das Dossier, um nach kurzem Nachdenken dann den Kopf zu schütteln:
"Im Prinzip nicht schlecht, aber zu wenig Biss. Ihm fehlt die gesunde Aggressivität!"
"Es muss doch möglich sein, in einem Land mit zehn Millionen Arbeitslosen jemanden zu finden." Julia hatte mit einem Anflug von Resignation gesprochen. David hob den Kopf, sah hinüber zu ihrem Schreibtisch und sprach in ernstem Tonfall:
"Das Problem ist: Wir suchen nicht irgendjemanden, sondern den Besten. Einen Misserfolg kann ich mir nicht leisten." Das war deutlich genug, Julia nickte.
Frank sah sich um, der Raum wirkte irgendwie zu groß für seinen Geschmack. Ein offener Kamin, die repräsentativ gestaltete Bibliothek, welche eine gesamte Längsseite in Beschlag nahm, teuer wirkende Sitzgarnituren, ein Tisch aus dunklem Tropenholz: Alles kam ihm in der Summe zu protzig, zu nobel vor. Seltsam eigentlich, denn früher hatte er sich hier wohl gefühlt. Was war mittlerweile anders? Er wurde aus seinen Gedanken gerissen als ihn Martin - sein Gastgeber - ansprach:
"Was kann ich dir zu trinken anbieten?"
"Irgendeinen von deinen Single-Malts. Ich gehe mal davon aus, dass du immer noch gut sortiert bist." Martin machte sich auf den Weg und kehrte wenig später mit einem Whiskey-Glas zurück, welches bis über die Hälfte gefüllt war.
"Herzlich willkommen, Frank. Schön dass du da bist." Er übergab das Glas und fügte in jovialem Tonfall hinzu:
"Und, altes Haus, wie geht es dir?"
"Wenn ich ehrlich sein soll: Beschissen. Ich bin am Ende", erwiderte Frank und nahm einen kräftigen Schluck.
"Schieß los, ich habe mir den ganzen Abend Zeit genommen." Martin schien noch der Alte zu sein, seine Stimme hatte ihren warmherzigen Klang nicht verloren. Frank stellte das Glas ab und antwortete:
"Um es auf den Punkt zu bringen: Ich bin Pleite. Mein Verleger gibt vor, mich nicht mehr zu kennen. Und wenn du draußen auf der Straße jemanden anquatschst und fragst 'Was halten sie von Frank Ferger?' dann wird er dir antworten: 'Keine Ahnung, wer ist das?' So sieht's aus, ich bin ein Fall für die Fürsorge."
"Na, aber du hattest doch damals diesen Riesenerfolg, der Bestseller, wie hieß er doch gleich nochmal?"
"Die Nacht in Casablanca."
"Ja, genau der. Da musst du doch prächtig verdient haben dran."
"Das ist über 15 Jahre her. Wie gewonnen, so zerronnen, das weißt du doch." Natürlich wusste Martin das. Er beobachtete, wie Frank zu seinem Glas griff und einen weiteren Schluck nahm. Bald würde er Nachschub holen müssen, vielleicht aber besser keinen 30-jährigen.
"Und warum meldest du dich da erst heute bei mir? Wir sind doch Freunde, Frank!" Martins Stimme, in der Tat klang sie noch wie früher. Freunde hatte er gesagt, waren sie das noch? Auch heute, nach so vielen Jahren? Kein guter Zeitpunkt, um daran zu zweifeln. Ein Ertrinkender fragte nicht nach der Reißfestigkeit von Strohhalmen. Peinlich, es war einfach zutiefst peinlich. Er leerte das Glas, stammelte:
"Ach weißt du Martin, ich weiß nicht recht, wie ich das jetzt sagen soll, also..." Martin, winkte ab.
"Ich hole dir erst noch mal eine Ladung von dem Gesöff und dann wollen wir sehen, was ich für dich tun kann."
Martin kam mit einem gefüllten Glas zurück.
"Frank, ich habe da eine Idee"
Der angesprochene stand vor dem Bücherregal und antwortete: "Habe ich dir damals kein Belegexemplar zukommen lassen?"
"Belegexemplar wovon? Ach, von der Nacht in Dubai. Möglich, vielleicht hat es aber optisch nicht zu den anderen Büchern gepasst."
Das wird es wohl sein, dachte sich Frank und wandte sich ab von der ungelesenen, schweinsledernen Pracht, deren Hauptzweck es wohl war, den Schein von Bildung zu vermitteln.
"Hör mal Frank, ich kenne da ein paar Leute vom Heimatschutzministerium, die wollen so ein Projekt anleiern, vielleicht könnte man dich ja dort unterbringen..."
Das war Martin, wie er leibte und lebte, dachte sich Frank. Nichts hatte sich geändert. Martin, der Netzwerker, Martin der Sunnyboy, Martin der Frauenschwarm, jener Martin, der im Studium immer schlechtere Noten gehabt hatte als er selbst. Nur ein einziges Mal hatte Frank Grund gehabt, sich überlegen zu fühlen: Als von den Käufern jenes emporgejubelt worden war, das Frank aus seiner Bibliothek verbannt oder niemals in sie aufgenommen hatte.
Der Abend verging, Glas um Glas und beide mussten feststellen, dass sich die Jahre in denen sie nichts voneinander gehört hatten, nicht füllen ließen, jedenfalls nicht an einem Abend. Und was auch immer Martin an Erfolgsgeschichten zu erzählen hatte, machte es nicht besser, denn Frank konnte dem nichts Gelichwertiges entgegensetzen. Irgendwann war die Unsymmetrie der Unterhaltung, das Ungleichgewicht der Kräfte unübersehbar geworden. Frank war in die Defensive geraten, nicht mehr in der Lage, den schönen Schein der Höflichkeit aufrecht zu erhalten und in der Position des demütigen Bittstellers zu bleiben. Erfolg und Misserfolg, eine glänzende Karriere und ein Jahrzehnt des Rückzuges waren aufeinandergeprallt. Natürlich hatte letztendlich die Kraft des trockenen Zynismus gegen die Trunkenheit gewonnen. "Ich werde Joshua bitten, dich nach Hause zu fahren", hatte Martin angeboten.
"Der Nigger soll mich nicht anrühren!"
"Frank, ich bitte dich!"
"Ja, ich bin rassistisch. Aber ich bin betrunken. Meine Betrunkenheit gibt mir das Recht, das Recht so zu sein, wie ..." Frank war nicht in der Lage, den Satz zu beenden. Er wurde von Martin zur Tür geleitet, wo er in einem letzten Kraftaufgebot es tatsächlich schaffte, sich nach allen Regeln der Höflichkeit zu verabschieden um sich dann widerstandlos von Joshua zum Wagen begleiten zu lassen. Ein nachdenklicher Martin entließ ihn hinaus in die Nacht, folgte ihm in seinen Gedanken ein Stück auf dem Weg durch die dunklen Straßen der Stadt. Auch Frank war gedanklich noch in der Welt, die er hatte besichtigen und verkosten dürfen, eine Welt der antiken Möbel, des alten Whiskey und der Dienstboten.
David warf die Bürotür zu. Julia sah auf den ersten Blick, dass er wütend war, verärgert, kurz vor der Explosion stand. "Was ist los, David?" Er hielt ein Dossier in Händen, knallte es auf den Tisch, deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger darauf. "Weißt du was das hier ist?"
Julia schüttelte den Kopf. "Nee, keine Ahnung. Ein Lebenslauf?"
"Von so einem Arschloch, das prima Beziehungen hat. Und weißt du, was wir jetzt machen müssen?"
"Eine weitere Einladung verschicken."
"Schlaues Mädchen", knurrte David. Julia wusste, dass man in seiner momentanen Stimmung viel Spaß mit ihm haben konnte und verzichtete darauf, ihn beruhigen zu wollen. "Ich erledige das schon. Einladen können wir ihn ja erst einmal."
"Und dann?"
Julia hob die Schultern und meinte mit aller Seelenruhe:
"Wir werden sehen. Auf jeden Fall haben wir noch ein paar Tage Zeit, das zu überlegen."
"Bitte, nehmen sie Platz, Mr. Ferger. Mein Name ist Julia Bowers. Es dauert nur noch einen Augenblick, dann kommen wir auf sie zurück." Julia hatte den Raum verlassen, Frank sah sich um, ihn umgab die normale Sterilität eines Besprechungszimmers oder das, was er sich darunter vorstellte. Frank fühlte sich unwohl. Es mochte an dem Anzug liegen, in welchem er steckte, der unbekannten Umgebung, daran, dass er nicht den blassesten Schimmer hatte, was ihn erwartete. Dies war eine fremde Welt und der Eindruck, der Zug sei abgefahren für ihn, ließ nicht wegschieben, auch wenn das hier nach einer echten Chance aussah. Was hatte er denn vorzuweisen? Einige, scheinbar ewig zurückliegende Erfolge als Schriftsteller und einen Master of Arts, der noch älter war. Warten, sie ließen ihn warten, natürlich.
Nach einer Ewigkeit der kreisenden, immer gleichen, unverändert hoffnungslosen Gedanken öffnete sich die Tür. Ein Herr trat ein, Mitte vierzig, dynamisch wirkend, ihm folgte Julia.
"Guten Tag. Ich bin David Lieberman und das ist meine Assistentin Julia Bowers." Sein Händedruck verriet Härte, Entschlossenheit.
"Nehmen sie doch wieder Platz, Mr. Ferger."
Frank setzte sich, faltete die Hände und war sich unsicher, ob er die Initiative ergreifen sollte. Die Entscheidung erübrigte sich.
"Wir haben sie eingeladen, weil wir ihren Lebenslauf 'interessant' finden. Ich fasse einfach einmal die wesentlichen Details zusammen: Sie sind Schriftsteller und haben vor einigen Jahren einige erfolgreiche Bücher auf den Markt geworfen. Was die letzte Zeit betrifft, so war nicht sonderlich viel von ihnen mitzubekommen. Man könnte sagen, sie sind irgendwo in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Trifft das ihrer Meinung nach zu?"
"Nun, das mag vielleicht nach außen hin so erscheinen. Natürlich habe ich die Zwischenzeit genutzt, die entstandenen Werke waren jedoch nicht ganz so publikumswirksam."
"15 Jahre sind eine lange Zeit, Mr. Ferger", stellte Julia trocken fest.
War das ein Kreuzverhör? Ein gute Figur, er musste eine gute Figur machen, souverän wirken.
"Es hängt auch damit zusammen, dass ich meine Arbeitsweise geändert habe. Die aktuellen Projekte erfordern einfach deutlich mehr Recherchearbeit."
"Aha", erwiderte David mit der Trockenheit eines Staubtuchs. Frank fühlte wie seine Hände feucht wurden. Was erzählte er hier nur für eine Scheiße? Das würde ihm doch kein Mensch glauben. Er hatte es hier mit Profis zu tun.
"Mr. Ferger, wir wollen doch nicht unsere Zeit miteinander verschwenden. Sie wissen, warum sie heute hier sitzen", setzte Julia das Verhör fort. Einen Moment stand Stille im Raum, die beklemmende Erkenntnis für Frank, dass es nichts mehr zu beschönigen gab, seine Anwesenheit hier lediglich dem Einfluss Martins zu verdanken war.
David hakte nach: "Lassen sie uns zur Sache kommen. Wie belastbar sind sie?"
"Belastbar? Wie meinen sie das, bitte?"
David lächelte. Weidete er sich an Franks Hilflosigkeit? Julia deutete auf das Dossier, das sie mitgebracht hatte.
"Mr. Ferger. Wir wissen alles über sie. Ihre Alkoholprobleme, dass sie in den letzten Jahren keine verkaufbare Zeile mehr zu Papier gebracht haben. Und dass sie Geld brauchen, dringend."
"Und wir hätten da ein Projekt für sie, zugegeben keine leichte Aufgabe, aber mit etwas Engagement...", fügte David hinzu. Seine letzten Worte versanken in einem Nebel, welcher aus dem Boden aufgestiegen war. Mit einem Schlag war sie verschwunden, die imaginäre Scheinwelt der Hoffnungen und Frank war in einer Realität aufgeschlagen, deren auf ihn einstürzende Bruchstücke sich an ihm vorbeidrehten, wie im schlimmsten Rausch seines Lebens. Irgendwo aus der Ferne hörte er eine Stimme, die Stimme einer Frau: "Sehen sie Mr. Ferger, dass sie heute praktisch niemand mehr kennt, die einfachen Verhältnisse, in denen sie jetzt leben, das muss kein Nachteil für das sein, was wir mit ihnen vorhaben... Sie kennen doch den amerikanischen Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär..."
Frank saß auf der Bank und genoss, wie ihm die Sonne ins Gesicht schien. Es war ein schöner Spätsommertag, angenehm warm und die Luft hatte eine wunderbare Klarheit welche zugleich Weite bedeutete. Bald würde es Herbst sein, die Tage würden kürzer werden und kälter. Der Hafen, die Silhouette der Stadt in der Ferne, alles das strahlte eine angenehme friedliche Ruhe aus, die nur von Zeit zu Zeit durch das Vorbeihecheln eines Joggers unterbrochen wurde. Frank nahm die Sonnenbrille ab und legte sie neben den Block mit dem Stift. Er öffnete das Buch und las weiter. Manche Bücher waren anstrengend zu lesen, freiwillig hätte er sich niemals mit diesem Werk auseinandergesetzt, aber er hatte keine Wahl. Er brauchte fundierte Hintergrundinformation.
Doch da war noch ein zweiter guter Grund, dieses Buch zu lesen. Auch wenn er sich davor hütete, es sich selbst offen einzugestehen, aber es gab eine unheimliche Verbindung zwischen seinem eigenen Leben und dem des Autors: Das, was der Autor erlebt hatte, würde auch ihn erwarten, wenngleich in zeitgemäßerer Form. Und was der Autor erlitten hatte, hing mit seinem Buch zusammen, so schloss sich der Kreis. Erlitten hatte? Nein, man sollte vielleicht besser von Heldentum sprechen, oder um David Liebermans Worte zu benutzen, von einer nationalen Aufgabe. Die Zeit sei reif für ein Werk, welches die Nation wachrüttle, von jedem verstanden werde und bis in letzte Ghetto vordringe. War es möglich, diesen Ansprüchen gerecht zu werden?
Wie auch immer die Antwort ausfallen mochte, Frank hatte einen Vertrag unterschrieben. Und zugegeben, die Aussicht mit der Unterstützung einer großen Werbekampangne aus tiefster Seele in Ressentiments und Feindseeligkeiten schwelgen zu können, brachten einen unerhofften Glanz in seine alten Tage.
Eine Joggerin lief vorbei, ein der Ferne wurde ein Containerfrachter angeschleppt. Ein Absatz, zwei Absätze, eine Seite. Frank nahm den Block und notierte eine Zeile. Das Buch, in dem er gelesen hatte landete auf der Bank. Salman Rushdie war auf seinem Einband zu lesen, "Satanische Verse" der Titel.