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"Politisch korrekt" - um jeden Preis?

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"Politisch korrekt" - um jeden Preis?

Folgende Aussage von querkopp aus einem anderen Thread habe ich heute gefunden:

Gegen den erhobenen Zeigefinger wird sich ja keiner getrauen anzugehen, wer outet sich schon gern als Ausländerfeind, wer stellt sich selbst an den Pranger, weil er jemand anders schlecht gemacht hat?
Eine interessante Beobachtung.

Auch mir ist beim Lesen von Kritiken zu Geschichten schon aufgefallen, dass jeder sich bemüht, nur Geschichten mit "politisch korrekten" Aussagen zu posten. Teilweise kam es im Zuge von Kritiken sogar zu Aussagen wie: "Diese Geschichte ist menschenverachtend". Dabei werden oft Feindbilder erstellt und beibehalten, z.B. (um bei o.g. Beispiel zu bleiben) der Ausländer als armes, zusammengeschlagenes Opfer und der böse deutsche Neonazi mit seinen szenetypischen Springerstiefeln.

Wenn ich jetzt eine "politisch unkorrekte" Geschichte schreiben möchte - was passiert dann mit mir?

Angenommen, ich würde aus der Sicht eines Neonazis schreiben, der nur deshalb zum Ausländerhasser wurde, weil seine Schwester im Iran wegen Nichtbeachtung der Kleidervorschriften zusammengeschlagen wurde und der nicht damit klarkommt, dass Respekt vor den Gesetzen und Gepflogenheiten des Gastlandes für gewisse Menschen nur eine Einbahnstraße zu sein scheint, in der Toleranz zwar gefordert, aber im Gegenzug nicht geleistet wird?

Ich erinnere mich an eine Geschichte, in der ein Amoklauf geschildert wurde, aus der Sicht des Täters. Seine Aufregung kurz vorher, seine Freude beim Abdrücken und so weiter. Promt kam die Reaktion, ein Amoklauf sei IMMER eine Kurzschlußhandlung, und dem Autor wurde mehr oder weniger direkt unterstellt, die beschriebenen Gefühle des Täters seien demnach wohl seine eigenen.

Es gibt aber auch noch andere Geschichten, z.B. aus den Bereichen Vergewaltigung/sexuelle Nötigung, etc., die auch als Geschichte aus der Sicht des Täters interessant kommen müßten.

Inwieweit wäre ich als AutorIn sicher, dass man mir den Inhalt der Geschichte nicht als Aussage über meine Gesinnung auslegt und fortan behauptet, ich sei z.B. eine heimliche Perverse, die sich an Vergewaltigungszenen aufgeilt?

Wenn aber jede Geschichte, die nicht harmonisch mit dem Tenor der Herde übereinstimmt, gleich kilometerlange Off-topic-Diskussionen auslöst oder der Autor in Grund und Boden verdammt wird - wo bleibt denn da noch die künstlerische Freiheit?

Was meint ihr dazu?

[ 30.04.2002, 11:01: Beitrag editiert von: Pipilasovskaya ]

 

@Pipilasovskaya

Ich finde deine Sorgen etwas unbegründet.
Erstens sind die Leute die solche Texte ablassen nicht ernst zu nehmen.
Und zweitens leben wir in der Anonymität des Internets.
Also was kümmert dich, wenn irgendwer dich als Perverse, Neonazi usw. beschimpft. Es gibt bestimmt Leute die anders denken und deine Geschichte so lesen wie du sie gedacht hast.

Ich selbst habe so etwa auch mal erlebt und dabei die Erfahrung gemacht, dass man sich sicher sein kann, das man bei solchen Angriffen nicht alleine steht. Ich war an diesem wochenende nicht on und war überrascht wie sehr meine Geschichte verteidigt wurde.
Wenn du nachlesen willst dann klicke
hier
Und wie gesagt, mach dir nicht zu viele Gedanken. Solange die Story nicht so schlimm ist, dass sich ein Mod auf den Schlips getreten fühlt hast du Ruhe und keinen Grund zur Besorgnis.

[ 30.04.2002, 11:25: Beitrag editiert von: Hennaboindl ]

 

Liebe Pip,

zunächst möchte ich dir folgenden Sinnspruch ans Herz legen:

Du bist nicht auf der Welt um so zu sein, wie andere dich haben wollen!

Wenn du aus einer anderen Perspektive die Dinge betrachten möchtest, dann tu es, schreib eine Geschichte aus der Sicht des Neonazis, schreib aus der Sicht des Vergewaltigers, des Täters.
Das ist völlig in Ordnung.
Erwarte nur nicht, dass dir immer Menschen begegnen, die mit Weitsicht handeln, rechne mit der Kurzsichtigkeit der Kritiker, sei nicht erstaunt, wenn jemand seine eigenen Vorurteile, seine eigene Gesinnung, seine unbewußten Probleme in die Kritik mit hineinpackt und sie damit subjektiv einfärbt.
Unterscheide zwischen diesen Kritiken, laß sie auf dich wirken, aber dich nicht verbiegen.
Schreib also was du möchtest, schreibe es für dich und nicht für deine Kritiker.

Darüber hinaus stimme ich dir zu, dass hier in kg häufig stromlinienförmige Geschichten auftauchen, und die Kritiker (mich eingeschlossen) sich allzu gerne auf die sog. politisch und sozial korrekten Geschichten lobend stürzen.
Mir geht es selbst so, dass ich, wenn es mir gelingt, mich völlig frei von meinen eigenen Vorurteilen und Voreinstellungen zu bewegen, die dahinter stehende Aussage versuche zu bewerten.
Wenn du also eine Geschichte über einen Neonazi schreibst, aus seiner Sicht beschreibst, dann muß es sich noch lange nicht um eine politisch unkorrekte Geschichte handeln. Dann kann die Wahl dieses Protagonisten ja durchaus eine gezielte sein, um besser die eigene sog. politisch korrekte Aussage demonstrieren zu können.
Dann fällt meine Kritik sicherlich positiv aus.

Wenn ich dagegen dumpf vermute oder deutlich zu erkennen glaube, dass der Autor eigentlich ein ziemlich reaktionärer Mensch zu sein scheint, mir seine Gesinnung mißfällt, weil sie nicht mit meinen Werten übereinstimmt, dann kann von mir aus die Geschichte von den Engeln im Himmel handeln und ich werde die Kritik schärfer, mißfallender ausfallen lassen.
Und letztendlich schließe ich für mich auch nicht aus, dass ich mich desöfteren gehörig täusche, weil ich mal wieder nur fokussiert habe oder Opfer meiner eigenen unerkannten Vorurteile und Voreinstellungen geworden bin.

Liebe Grüße
elvira

 

Lieber Henna, liebe lakita,

danke für eure aufmunternden Worte.

Wie ihr euch schon denken könnt, "brüte" ich gerade eine etwas längere Geschichte aus, die sehr kompliziert und schwierig zu schreiben ist. Aber gerade dieses "Sorgenkind" liebe ich sehr, feile und murkse an ihr herum. Und werde wohl all meinen Mut zusammen nehmen und sie in Kürze hier posten.

Der Balanceakt zwischen schonungsloser, nichts beschönigender Situationsbeschreibung und geschmacklosem Splatter ist ach so dünn! Und, wie ihr sicher erraten habt, strotzt sie von Dialogstellen zwischen Pro- und Antagonist, die mir tatsächlich als "menschenverachtend" und "politisch unkorrekt" angelastet werden könnten.

Trotzdem hoffe ich, sie ist mir gelungen. Da Geschichten dieser Art eigentich total von meinem gängigen Stil, nämlich netten Alltagsgeschichten mit einem Hauch von Seltsamkeit abweichen, war sie für mich eine echte Herausforderung.

Nochmals danke für eure Aufmunterung. Also, packen wir's an.

 

Inwieweit wäre ich als AutorIn sicher, dass man mir den Inhalt der Geschichte nicht als Aussage über meine Gesinnung auslegt und fortan behauptet, ich sei z.B. eine heimliche Perverse, die sich an Vergewaltigungszenen aufgeilt?
Diese Thematik haben wir ja schon in Verwechslung von Autor und Figur ausführlich besprochen.

 

Wollte nur mal kurz auf das schwachsinnige Argument eingehen (weiß, es war nicht von Dir, Pippi), Amokläufe seien IMMER kurzschlußhandlungen. Ich glaube, es gibt da zwei Kategorien:

Der spontane Amoklauf

Vater erschlägt Familie mit Hammer, weil das Baby zu laut schrie...

Der geplante Amoklauf

In Firma oder Schule. Der ist immer vorbereitet. Man muss sich eine Waffe besorgen, hinfahren etc. Erfurt war anscheinend so ein Fall. Der Typ soll das ein Jahr lang geplant haben, stand heute in T-online news.

 

pip; um es kurz zu sagen: scheiss auf das, was andere bezüglich "unkorrekten Meinungen" von sich geben! -aber:

um es etwas länger zu machen, hat es einen nachteil; nämlich jenen, warum ich so schnell keine meiner vielen Geschichten veröffentlichen werde, die 'anstößig' sein könnten.

so gut eine geschichte(oder was auch immer) auch sein mag, so fremd der neue dargestellte blickwinkel auch werden mag, die gefahr, dass du -als noch namenlose autorin- in ein 'böses' eck gestellt wirst, ist sehr groß. meistens ist es ein eck, aus dem man nur schwer wieder rauskommt.
klar, dass hier auf KG.de diese gefahr nicht besonders groß ist, da hier hauptsächlich leute vorbeischauen, die viel lesen und daher viel kennen und zumeist auch selbst schreiben. Aber wenn du mal eine 'heftige geschichte' veröffentlichen solltest, die das breite publikum in die finger bekommt, sie würde dich als rechtsradikale schriftstellerin bezeichnen -um beim beispiel mit dem neonazi zu bleiben...

Angenommen, ich würde aus der Sicht eines Neonazis schreiben, der nur deshalb zum Ausländerhasser wurde, weil seine Schwester im Iran wegen Nichtbeachtung der Kleidervorschriften zusammengeschlagen wurde und der nicht damit klarkommt, dass Respekt vor den Gesetzen und Gepflogenheiten des Gastlandes für gewisse Menschen nur eine Einbahnstraße zu sein scheint, in der Toleranz zwar gefordert, aber im Gegenzug nicht geleistet wird?
oder aber rechtsradikale könnten jenen text als rechtfertigung nehmen (zumindest die gebildeten unter ihnen ;) ), was dich noch mehr in jenes eck drängen würde....

kann sein dass ich diesbezüglich zu schlechte meinungen von der gesellschaft habe, aber ums deutlich zu machen:

etwas zu sagen, was den menschen nicht gefällt, oder es so zu sagen, wie sie es nicht hören wollen, kann man sich erst leisten, wenn man einen namen hat. anderenfalls machen diese es sich einfach und hören nicht mehr hin.
davon nehme ich mich auch nicht aus.

liebe grüße,
franzl

 

@Anna

Offensichtlich wehrt sich unser Gefühl dagegen, etwas uns Fremdes, Unfaßbares und v.a. Entsetzliches mit Worten unserer eigenen Sprache zu belegen. Auch eine Form der political correctness... :susp:
Stimmt ganz genau. Es wird tabuisiert.
Um so interessanter ist hier auch, dass das Wort Tabu selbst aus dem Polynesischen (also von "den Wilden") stammt.

 

Ich breche in kgs/gedichten eigentlich ganz gerne mal Tabus und breche alle politischen Regeln, und man kann eigentlich immer sicher sein, damit irgendjemandem auf die Füße zu treten. Gerade das Thema Rechtsradikalismus mal anders kommt immer seeehr gut an... :aua:

 

Wenn ich jetzt eine "politisch unkorrekte" Geschichte schreiben möchte - was passiert dann mit mir?
1. Was bedeutet "politisch unkorrekt"?

2. Was soll schon mit dir passieren? Du bekommst entweder schlechte Kritiken oder gute Kritiken.

und der böse deutsche Neonazi mit seinen szenetypischen Springerstiefeln.
Ich kenne wenige 'gute' deutsche Neonazis. Und meines Erachtens existiert eher das Klischee, dass alle Welt glaubt, es gäbe das Klischee Springerstiefel = Nazi, als dass es das wirklich gibt.

Ich möchte eigentlich auch keine Geschichte lesen, indem der Erzähler der Perspektive eines Neonazis schreibt.
Warum auch? Was käme dabei wohl raus?
Du kannst es versuchen, mir würde es nicht gefallen und das liegt bestimmt nicht an meiner politischen Korrektheit.
Denn in diesem Fall urteile ich völlig unpolitisch.

 

hi Pip!
ich denke, ich mag auch "politische Korrektheit" - obwohl wir hier ja nun politisch nicht gleichgeschaltet sind. Jeder versteht ein wenig etwas anderes darunter... aber der Grundkonsens ist da,klar.

Nur unterscheide ich eben zwischen Autor und Figur / Geschichte...
also schreib, was Du magst. Wenn es nur eine KG ist, werde ich sie so behandeln und wage zu behaupten, daß es viele tun werden. - nur wie immer nicht alle.
wenn Du Dich selbst in dieser KG darstellst ( und das deutlich machst ) dann bewertet man auch Dich, klar. Nur gehört das nicht in KGs, denke ich. aber ich denke auch nicht, daß Du das vorhast.

Was bereits veröffentlichte KGs hier betrifft:
ich hab mal 2 sehr unterschiedliche rausgesucht, die Protagonisten haben, die politisch nicht korrekt sind. Darüber kann sich dann jeder sein Urteil bilden. Meins ist da unter anderem schon nachzulesen...

Das Pfand / Sadhumas

Bock - ein Protokoll / Paranova

die Spanne ist also weit und es hängt davon ab, wie man sie ausfüllt. Das ist aber Sache jedes Autors und bei jeder KG.

Ich persönlcih schreibe gern aus der Sicht eines Täters oder ähnliches. zB bei "Neil und der Dritte" oder "und erlöse uns von dem Bösen" - und habe zu DIESEN KGs nicht EINE Kritik bekommen, in der man mich mit den Figuren verwechselt hat. Das passiert mir eher, bei korrekten KGs ( vielleicht, weil es da naheliegender ist, zu glauben, daß jemand so eine Einstellung outet... )
Ich gebe allerdings Recht: wenn der einzige Text, den ein Leser von Dir zu sehen bekäme eine flammende Rede für Skins ist, dann muß die unterschwellige Kritik scho erkennbar sein. Wie Du das anstellst, bleibt dir überlassen.
Kennt ein Leser mehr von Dir, dann kommt er vielleicht nicht so schnell auf so einen Gedanken. Aber das wäre dann "außerhalb der KG liegendes Wissen" und ich denke, eine KG sollte aus sich heruas verständlich sein.
Ob das der KG schadet, ist dann eine andere Frage: was sagt sie dann? bringt sie sich selbst rüber? auch ohne daß man weiß, daß der Autor Kritik üben wollte? dann: gut!
Über den Autor sagt sie mal schon nicht sehr viel. Dazu reicht nie eine einzige KG, denke ich.

Lieben Gruß,
Frauke

 

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