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Polnische Cola

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30.01.2006
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Polnische Cola

Merkwürdig. Wenn ich überlege, auf welche Art und Weise diejenigen Menschen in mein Leben traten, die für jenes im Nachhinein von sehr großer Bedeutung waren, so ist es immer sehr subtil und unauffällig gewesen. Niemals hätte ich in diesen ersten Momenten gedacht, dass es jener Person gelingen könnte, mein Leben zu verändern, es sogar komplett umzuwerfen, mich zu paralysieren oder ganz im Gegenteil: wiederzubeleben, auf den richtigen Weg zu bringen oder mich fern davon abzuleiten. Mit einem dauerhaft solch großen Einfluß auf mich hätte ich nach diesen ersten Augenblicken nicht rechnen können.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie er an jenem Abend um mich herum tigerte und kläglich versuchte, meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ich bin mir nich ganz sicher aber scheinbar hat er damals noch in keinster Weise anziehend auf mich gewirkt, sonst hätte ich ihn wohl nicht dermaßen ignoriert. Schließlich hielt er mir eine Dose Jim Beam - Cola vor die Nase. Ich hasse Jim Beam-Cola. Als ich ihn angewiedert fragend ansah, antwortete er: "Das ist polnische Cola, kennste?". Was soll man schon erwarten von jemandem, den man auf diese Weise kennenlernt? Nichts. Wie blauäugig.

Der besagte Abend liegt nun lange zurück. Nicht lange genug. Wenn ich könnte, würde ich alles erdenkliche tun, um ihn aus meinem Leben zu streichen. Jede Handlung, jede Tätigkeit, jedes Geschehen, jedes Zusammentreffen zweier Menschen ist nicht mehr als ein Gespann von Tausenden kleiner Fäden aus Zufällen. Hätte einer dieser Fäden gefehlt, hätte ich ihn niemals kennengelernt.
Hätte Raphaela mich an jenem Abend erreicht und fürs Kino eingeladen, wäre ich zwei Tage vorher ohne Jacke aus dem Haus gegangen und mir eine Erkältung eingefangen oder wäre für Montag eine wichtige Klausur angesetzt gewesen, die mich zum Lernen am Wochenende gezwungen hätte: Ein einziges dieser auf den ersten Blick nichtigen Ereignisse hätten mich davor bewahrt, von ihm angesprochen zu werden.

Heute ist Nikolaus und es gibt eine Studentenparty. Ich sitze im Bus und fahre dorthin. Wie oft ich seine Nummer bereits aus dem Telefon gelöscht habe, kann ich nicht mehr zählen. Es scheint immer ganz einfach: ""Flo" löschen?" fragt mich das Display jedes Mal von Neuem. "Ja".
Inkonsequenterweise frage ich mich jetzt schon, wen ich in zwei Wochen wieder nach seiner Nummer fragen werde, weil ich sie ja doch brauche. Ihn zu löschen geht nicht.

Der Mensch neigt dazu, sich zu überschätzen. Er legt sich Lasten auf und merkt erst spät, dass es unmöglich ist, diese auszutragen. Aber die Zeit, in der er noch problemlos aus allem hätte aussteigen können, die kurze Zeit in der die Ursache jener Last noch nicht von Bedeutung ist, noch nicht für immer in ihm verwurzelt, ist, proportional gesehen, geradezu nichtig.
Erst rückblickend erkennt er, wann der Punkt kam, an dem er sich verloren hatte, an dem es ihm nicht mehr möglich war, sich umzudrehen und zu gehen. Ohne Schmerzen. Zu spät ist es dann allemal.

Raphaela hält mir von hinten die Haare fest, damit sie nicht nass werden. Ich kann es nicht selbst, ich knie in der Studententoilette und muss mich übergeben. Als alles vorbei ist, sitze ich alleine drauen im Schnee, vielleicht auf einer Mauer.
Heute sind viele Leute da, die ich kenne. Manche setzen sich kurz zu mir. Niemand fragt nach ihm. Es fragt nie jemand nach ihm. Obwohl sie ihn alle kennen. Keiner von ihnen trägt das Bild von uns beiden zusammen im Kopf. Am Ende bin nur ich es.

 

Hallo wild child,

herzlich Willkommen auf Kurzgeschichten.de!

Leider ist das Thema deiner Kurzgeschichte nicht neu - zwei Menschen, von denen einer mehr liebt als der andere. Das führt unweigerlich zu schmerzen. In deiner Geschichte kommt noch hinzu, dass man über die näheren Umstände nichts erfährt - man weiß nicht, was an Flo so toll war und warum sie zusammen und letztlich wieder auseinander gekommen sind. Es ist sehr beliebig, sehr austauschbar und das gefällt mir nicht.
Viele Stellen in deiner Geschichte sind sehr beschreibend und du solltest versuchen, sie lebendiger zu gestalten.

Das Schlusswort hingegen finde ich ganz gut gelungen.

LG
Bella

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bella!

Danke für Deine Kritik und sorry, dass ich erst jetzt was dazu schreibe. Ich bin wirklich froh, zu hören, was ich (Deiner Meinung nach) besser machen sollte und was ganz gut gelungen ist.
Natürlich, Du hast Recht: Das Thema der Geschichte,

]zwei Menschen, von denen einer mehr liebt als der andere
ist nicht neu aber ich meine doch, dass es eins ist, das jeden von uns mal irgendwie beschäftigt hat, gerade beschäftigt oder irgendwann beschäftigen wird. Ist es schlimm, dass man über die näheren Umstände nichts erfährt? Ich meine nicht und das ist auch nicht ganz unabsichtlich, denn ich persönlich finde es ganz gut, wenn hier der Leser ein wenig Platz hat, die Story für sich selbst weiterzuspinnen, sich an Dinge aus seinem Leben zu erinnern...
Ich wollte eher das Gefühl, die Stimmung, die Gedanken der Protagonistin darstellen, als die Geschichte, die sich davor abgespielt haben muss.
Das wollte ich nur nochmal geschrieben haben =), nicht dass es so aussieht, also würde mich die Kritik hier nicht interessieren, denn das tut sie auf jeden Fall! Noch einmal vielen Dank, lieber Gruß

wild-child

 

Hallo Wild-Child,

das Problem an Geschichten, die zu beliebig oder mit viel Spielraum für den Leser gehalten sind ist das, dass man sie einfach schon zu oft gelesen hat. Ich verstehe was du meinst, aber wenn du etwas mehr auf die Umstände bzw. auf die Protagonisten eingegangen wärst, hätte man sich zwar nicht 1:1 damit identifizieren können, aber dafür hätte deine Geschichte mehr Persönlichkeit bekommen. Und nur, weil du z. B. ein bestimmtes Ereignis, das z. B. zu Trennung geführt hat, aufgelistet hättest, wäre die Identifikation ja nicht weggefallen. Verstehst du wie ich meine?

Ich respektiere aber deine Meinung auf jeden Fall, ich versuche grade nur, dir zu zeigen, warum ich darüber anders denke. :)

Einen schönen Tag noch,
Bella

 

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