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Post für Christophorus
„Guten Tag“, sagte Jota, zupfte seinen Hemdkragen zurecht und schob den zerknitterten Zettel durch das Schalterfenster. „Es ist ein Paket für mich gekommen.“
Der Postbeamte warf einen kurzen Blick auf das Papier und klopfte mit seinem Kugelschreiber auf den Tisch.
„Ihren Ausweis, bitte. --- Das Paket ist nicht für Sie.“
Jota zögerte.
„Doch, doch, es ist für mich. Es ist an die Adresse meines Ladens geschickt worden –“
„Dieses Paket ist für den Heiligen Christophorus“, antwortete der Postbeamte, „und dieser Ausweis ist nicht auf den Namen eines Heiligen ausgestellt.“
„Das Paket ist für mich“, beharrte Jota.
„Wollen Sie damit behaupten, dass Sie der Heilige Christophorus sind?“ Der Postbeamte musterte ihn wie abschätzend.
Jota seufzte.
„Nein, ich bin natürlich nicht der Heilige Christophorus ...“
„Dann ist das Paket also auch nicht für Sie.“
„Doch, das ist es! Es gibt Leute, die mich so nennen ...“
Der Postbeamte zog die Augenbrauen hoch. „Sie lassen sich Heiliger Christophorus nennen? Das grenzt aber schon an Blasphemie.“
Jota holte tief Luft. „Der Heilige Christophorus ist der Schutzpatron der Reisenden.“
Der Kugelschreiber trommelte im klassischen Rhythmus der Prozessionstrommeln auf die Tischplatte. „Das ist mir durchaus bekannt.“
„Vor einer Weile habe ich Touristen bei mir aufgenommen, die mitten in der Nacht völlig erschöpft hier ankamen. Sie waren stundenlang über die Bahngleise gelaufen, wissen Sie. Und, na ja, die haben mich dann Heiliger Christophorus genannt.“
„Ein Fall von Verwirrung“, kommentierte der Postbeamte. „Und Sie haben diesen Irrtum nicht aufgeklärt? Glauben Sie denn wirklich, dass Sie der Heilige Christophorus sind?“
„Nein, das glaube ich natürlich nicht ...“
„Warum glauben Sie dann, dass dieses Paket für Sie ist?“
„Aber wenn es doch an die Adresse meines Ladens geschickt wurde!“
„Das könnte bedeuten, dass sich der Heilige Christophorus in Ihrem Laden aufhält.“
„Der Heilige Christophorus ...“ Jota wischte sich über die Stirn und suchte nach Worten. „Ich habe Ihnen doch erklärt, dass ich das bin, in gewisser Weise!“
„So!“ Der Beamte ließ den Kugelschreiber auf Jotas Zettel kreisen. „Sie glauben es also doch. Was bringt Sie zu dieser Annahme?“
„Ich bitte Sie, es ist einfach der Name, den mir die Touristen gegeben haben“, erwiderte Jota. „Bitte. Darf ich jetzt endlich mein Paket haben?“
„Dieses Paket ist für den Heiligen Christophorus, und wenn es nicht der Heilige Christophorus ist, der an der angegebenen Adresse wohnt, dann müssen wir das Paket wohl mit dem Vermerk ‚Empfänger unbekannt verzogen’ an seinen Ursprungsort zurückschicken.“
„Aber es ist für mich!“
„Dann sind Sie der Heilige Christophorus und das können Sie nicht nachweisen.“
Jota rollte mit den Augen.
„Es ist doch nur ein Spitzname! Ich flehe Sie an, geben Sie mir das Paket. Warum machen Sie es nicht einfach auf? Sie werden sehen, da ist bestimmt nichts drin, was ein Heiliger gebrauchen kann ...“
„Als normalen Menschen steht es uns nicht zu, darüber zu urteilen, was ein Heiliger gebrauchen kann und was nicht“, entgegnete der Postbeamte und griff nach einer Schere. „Außerdem verstößt es gegen das Postgeheimnis.“
Jota sah ungläubig zu, wie der Mann unter den Tisch griff und ein kleines Päckchen zutage förderte, auf dem in großen Buchstaben „An den Heiligen Christophorus“ stand.
„Moment mal, was tun Sie denn jetzt?“
„Ich bin auch nur ein Mensch“, antwortete der Beamte fast fröhlich, während er das Papier zerfetzte.
„Aha, hier ist ein Brief für den Heiligen Christophorus. Und hier ...“ Er unterbrach sich. Auch Jota starrte das rosafarbene Etwas an, das der Postbeamte hochhielt. Es war ein Babyoberteil mit der silbernen Aufschrift „Princess“.
Plötzlich schnippte Jota mit den Fingern.
„Ich weiß, was das ist! Das ist für meinen Hund!“
„Das ist doch nicht für einen Hund!“
„Doch! Ich habe einen kleinen Hund namens Princesa. Meine Gäste haben sie in ihrem Pyjama gesehen und da müssen sie gedacht haben ... Was für eine niedliche Idee!“
„Seien Sie nicht albern! Erst soll es für Sie sein, dann für Ihren Hund, und in Wahrheit ist es ohnehin für den Heiligen Christophorus!“
„Aber Sie müssen doch einsehen, dass niemand dem Heiligen Christophorus rosa Babykleidung schicken würde!“
Der Postbeamte wedelte nachdenklich mit dem Präsent.
„Was weiß ich! Vielleicht ist es ja auch fürs Jesuskind, das er immer auf seinen Schultern trägt.“
„Aber dann müsste ja Jesuskind auf dem Umschlag stehen“, trumpfte Jota auf, „und das steht nicht da. Da steht nur die Adresse von meinem Laden. Also ist das Paket ...“
„Für den Heiligen Christophorus.“
„Nein, es ist für mich und das rosa Ding ist für meinen Hund ...“
„Der Heilige Christophorus hat keinen Hund.“
„Lassen Sie mich wenigstens den Brief lesen.“
„Das verstößt gegen das Briefgeheimnis“, sagte der Postbeamte, während seine Augen über die Zeilen glitten. „Hm ... vielen Dank ... eine Kleinigkeit für Princesa ... tatata ... Aha!“
Seine Miene hellte sich, und er faltete das Blatt zusammen. „Ich verstehe!“
Jota atmete auf und blickte den Mann hoffnungsvoll an.
„Sie sehen also, dass das Oberteil einfach für meinen Hund ist?“
„Aber nein“, korrigierte der Beamte. „Das ist gar nicht Ihr Hund! Princesa gehört dem Heiligen Christophorus – so steht es im Brief!“
„Princesa ist mein Hund, das kann ich beweisen“, sagte Jota einigermaßen verzweifelt.
„So?“, fragte der Beamte zweifelnd. „Dann sind Sie wohl doch der Heilige Christophorus, oder darf ich vermuten, dass Sie das arme Tier entwendet haben?“
Jota knöpfte seinen Kragen auf. Er fuhr sich durchs Haar. Er kämpfte gegen die Tränen.
Hunderte von Kilometern entfernt lagen zwei Mädchen in ihren Hotelbetten, zusammengerollt im Halbdunkel des fast fensterlosen Zimmers. Ausgetretene Schuhe standen nebeneinander.
„Glaubst du, unser Paket ist angekommen, trotz dem Heiligen Christophorus?“
„Aber ja! Die Behörden hier sehen das nicht so eng.“
„Jota wird sich freuen ...“