Prügelgeschichte
Ihre braungebrannten Gesichter schienen in der Nacht dunkelgrau, die leuchtenden, großen Augen und die weit aufgerissenen Münder machten sie zu grässlichen Fratzen. Das Mädchen hatte Todesangst. Die harten Schreie peitschten ihr ins Gesicht, das unerträgliche Gelächter bohrte sich tief in ihr Mark. Sie konnte sich nicht bewegen, lag da, von ihnen umringt, auf dem nassen Asphalt. Die Sturzbäche aus Regenwasser nahmen ihr die Luft zum Atmen.
Und er? War er echt? Hinter den abscheulichen Gesichtern stand ein Mann, unbeweglich, mit gesenktem Kopf. Der Regen prasselte auf seinen schwarzen Mantel. Erst jetzt bemerkten ihn die Gestalten. Sie verstummten und sahen sich irritiert an, diskutierten. Der Hässlichste von ihnen schließlich ging auf ihn zu. Er musste gegen den Regen anschreien.
„Misch dich hier nicht ein, hörst du?“, brüllte die Fratze und fuchtelte mit einem glänzenden Messer herum. Der Fremde stand regungslos da, sah in das bleiche Gesicht des Mädchens, in ihre flehenden Augen.
„Willst Superheld spielen, was?! Diesen sabbernden, halbtoten Junkie retten?“, grölte die Fratze.
Der Fremde lächelte kühl. Seine Stimme war leise, wie ein eiskalter Hauch, der einem die Kehle zuschnürt: „Grüß deine Freunde von mir!“. Sein Mantel wirbelte herum und ehe die Fratze auch nur eine Bewegung machen konnte, hielt ihr der Fremde von hinten ein Messer an den Hals. Das Messer der Fratze fiel zu Boden.
„Er ist es!“, würgte sie, „Macht ihn fertig! Zerstückelt ihn!“. Sofort hatten die Gestalten die beiden umkreist. Einer von ihnen hielt das Mädchen. Doch nähern konnten sie sich nicht, eine falsche Bewegung und der Fremde würde die Fratze töten. Seine dunkeln Augen verfolgten jede Bewegung. „Los doch!“, gurgelte die Fratze. „Töte mich, und dann bist du genau so tot“. „Lass sie gehen und du bleibst am Leben!“, erwiderte die eisige Stimme und der Fremde drückte noch fester zu.
Keiner sagte etwas, nur der endlose Regen rauschte auf die Gasse herab. Schließlich bekam die Fratze keine Luft mehr und röchelte: „Lasst sie. Ich will nur ihn.“ Die Gestalten rührten sich nicht. „Lasst sie!“ schrie die Fratze und schließlich ließ die Gestalt, die das Mädchen hielt, los. Es stolperte ein paar Schritte nach vorne und blieb wimmernd stehen. „Weg hier!“ brüllte der Fremde. Die eisige Stimme klang brüchig, wenn sie schrie, fast heiser. Das Mädchen zitterte am ganzen Körper, aber sie gehorchte, wankte aus dem Kreis heraus. Die Fratze befreite sich aus der Umklammerung und schnappte nach Luft. Das Mädchen lief aus der Gasse heraus und war schon fast nicht mehr zu sehen. Eine der Gestalten wollte hinter ihr her, doch die Fratze hielt ihn zurück. „Lass gut sein. Für die Rache brauche ich jeden Mann.“ Dann wandte sie sich an den Fremden. Ihr Blick war voll Hass, ihre Augen glühten. „Na, was ist jetzt, Superheld?“ rief sie. „Wenn man dich genau betrachtet, siehst du gar nicht so bedrohlich aus.“. Und tatsächlich war nun das Gesicht des Fremden zu sehen, es sah alt und müde aus. Auch stand der nicht gerade, sondern gebückt. Seine Stimme klang schwach. „Ich bin nicht der, für den ihr mich haltet.“, sagte er. „Ich hab das Mädchen retten wollen. Ich bin nur ein alter Mann, der Blutvergießen verabscheut…“
Da schrie die Fratze laut auf, rannte auf den Fremden zu und schlug ihn mit voller Kraft ins Gesicht. Der Fremde ließ sein Messer fallen und wankte kurz. „Nicht der, für den wir dich halten, wie?“ brüllte die Fratze und schlug ihn noch wieder. Der alte Mann kniete sich hin, die Hände stützend auf den Boden. Qualvoll blickte er nach oben: „Du siehst doch, ich bin alt und schwach! Hast du kein Mitleid? Lass mich Ruhe!“
„Mitleid.“ Die Fratze ging aus der Mitte des Kreises heraus und kramte eine Zigarette und ein Feuerzeug aus der Tasche. Sie zündete es mehrere Male, bis die Zigarette endlich zu glühen anfing. „Doch, ich habe Mitleid.“, sprach sie leise. „Du hast großen Mut bewiesen.“ Sie zog genüsslich an der Zigarette, hielt einen Moment inne und blies den bläulichen Rauch dann in die dunkle Nacht. „Du bist nicht der, dessen Kopf ich will. Du bist nur ein alter Mann, der sich überschätzt hat. Du hast meinen Respekt. Aber die Regeln der Großstadt sind hart.“ Sie knöpfte ihren Mantel zu und wandte sich an die restlichen Gestalten: „Macht ihn kalt, Jungs.“
Die Miene des Fremden verfinsterte sich, während die anderen hämisch lachend auf ihn zu wankten. Dann aber sprang er auf, sein Mantel wirbelte erneut herum, Wasser peitschte in die Höhe und vermischte sich mit dunkelbraunem Blut. Die Gestalten gingen, eine nach der anderen, zu Boden. In einer letzten Bewegung streckte der Fremde die völlig perplexe, hässliche Fratze nieder.
Ganz in der Nähe ertönten die Polizeisirenen, Scheinwerfer leuchteten auf. Der Fremde hob den Arm, um nicht geblendet zu werden. Dann verschwand er keuchend in der Dunkelheit.