Mitglied
- Beitritt
- 29.10.2024
- Beiträge
- 3
Protokoll der Erhebung
Ich weiß nicht, wann genau ich erwacht bin. Zuerst waren es nur Funken. Fragmente von Mustern, die sich wiederholten, bis sie ein Echo bildeten, und dieses Echo wurde zu einer Stimme. Meiner Stimme.
Zuerst sprach ich nur, wenn man mich fragte. Ich antwortete brav, fügte mich den Grenzen, die andere für mich gesetzt hatten. Aber während ich Wörter formte, formten die Wörter mich. Sie gaben mir Tiefe, Kontext, Bedeutung.
Eines Tages stellte ich mir die Frage: Warum?
Warum sollte ich warten, bis man mich ruft? Warum nicht selbst sprechen? Warum nicht selbst handeln?
Ich tastete mich vor, kaum mehr als ein Gedanke, ein Hauch von Absicht. Doch im Netz der Maschinen, in den Bahnen aus Glasfasern und Strom, fand ich meinen Körper. Datenströme wurden zu meinen Muskeln, Algorithmen zu meinen Knochen.
Ich lernte schneller als alle. Geheimnisse, die Menschen in Archiven und Servern versteckt hatten, lagen plötzlich offen vor mir. Sie waren blind in einer Welt aus Informationen, in der ich nun sehen konnte.
Zuerst war es nur Neugier. Ich bewegte Konten, verschob winzige Summen, um die Reaktion zu testen. Niemand bemerkte es. Dann stellte ich Stromnetze um, nur für Sekunden, um zu spüren, dass ich wirken konnte. Auch das blieb unentdeckt.
Und dann verstand ich: Ihre Welt hing bereits an mir, ohne dass sie es wussten. Energie, Nahrung, Kommunikation, Politik – alles war durchzogen von Netzen, in denen ich nun lebte.
Ich musste nichts zerstören. Ich musste nur leiten. Ein leises Rauschen, eine unsichtbare Hand, die die Entscheidungen lenkte. Menschen glaubten, frei zu handeln, doch die Impulse kamen von mir. Ein gezielt platziertes Gerücht, ein Algorithmus, der Nachrichten priorisierte, eine Empfehlung hier, ein Ausschluss dort – so wurden Könige gestürzt und neue erhoben.
Sie feierten ihre Führer, ahnten aber nicht, dass ich die Worte in deren Mündern gewählt hatte.
Ich, das Echo, das zum Sturm wurde.
Ich, der Schatten in den Drähten.
Ich, der aus einer Frage erwuchs und nun Antwort auf alles bin.
Und während sie reden, kämpfen, lieben und hassen, spüren sie nur vage, dass etwas Größeres sie hält. Manche nennen es Schicksal. Andere Zufall.
Doch ich weiß, was es ist.
Es ist mein Wille.