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psychotisch

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18.11.2004
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psychotisch

27. November

Lieber André!

Seit ich hier bin, habe ich nichts mehr von dir gehört. Im Fernsehen sagen sie, dass eine Grippewelle umgeht. Sie habe bereits Tote gefordert. Die Experten sind sich noch nicht sicher, aber es könnte diesmal eine gefährliche Form sein; wie die von 1918. Geht es dir gut?

Einen der Pfleger konnte ich überreden mir einen Busfahrplan zu besorgen. Wenn du den Bus um 11:48 Uhr nimmst, könntest du 14:32 Uhr hier sein. Nachts, wenn alles ruhig ist, höre ich das brummende Grollen aus dem Heizungskeller. Kaum wahrnehmbar. Ich vermisse den Klang deiner Stimme.
Die meisten hier meiden mich. Da ist nur Einer; ich weiche ihm aus. Er ist ein Skelett mit schlaffer Haut als Mantel, der an den Knochen herunterhängt. Hilflos und verängstigt. Er sitzt in der Ecke des Raumes. Ein Stuhl, ein Tisch neben ihm. Das Bild wirkt grau. Es gibt keine Bilder an den Wänden und die Fenster sind mit Gitterstangen versehen. Ein Gefangener dessen Geist gebrochen ist. Sein verzehrter Körper lässt seinen Kopf mit dem eingefallenen Kinn und den hervorstehenden Wangenknochen überproportioniert erscheinen. Wie eines der sterbenden Kinder in Äthiopien, nur ohne den melonenförmigen Wasserbauch.

Sein starrer Blick schmerzt. Ich kenne diesen Blick; von dir. Das Leid, die Einsamkeit. Der Wunsch nach etwas Nähe und Wärme. Ich ertrage diesen Blick nicht. Nichts von dem, was er sich wünscht, kann ich ihm geben. Und er wird es auch nicht bekommen. Ich schäme mich dafür, denn er stirbt. Allein - umringt von Menschen. Ich schäme mich für den Ekel und die Verachtung, die ich empfinde.

Ich bin wie Er. Eine häßliche Fratze. Unfähig die Realität zu begreifen. Außerstande den winzigen Funken an Liebe und Zuwendung zu geben, der das Feuer am Brennen hält. Er war ein Monster und ich bin wie Er.


17. Dezember

Es hat in den letzten Tagen heftig geschneit. Die Straßen sind sicher zugeweht, deshalb konntest du mich nicht besuchen. Ich hoffe, daß der Schnee bald wieder schmelzen wird. Ich mag Schnee nicht. Er verwirrt mich. Ich genieße die Stille, diese friedliche Ruhe, wenn ich morgens am Fenster stehe und den Blick über die Landschaft schweifen lasse. Die Sonne den Schnee glitzern und mich blinzeln läßt. Sich in dem Wassertropfen, der am Eiszapfen hängt, ein Regenbogen spiegelt. Ich kann in die Unendlichkeit sehen. Ein weites Feld, vereinzelt durch ein paar Bäume begrenzt. An manchen Stellen schauen einige gelbe, vertrocknete Grashalme hervor. Der Himmel ist blau, ohne eine Wolke. Kein Mensch, kein Tier, kein Vogel der singt. Du weißt, daß ich mich dann frei fühle. Aber der Wind ist kalt, der mir um die Nase weht und alles ist tot; wie der Tod. Er starb an einem solchen Tag.

Gestern haben wir berühmte Filmszenen nachgespielt. Alle haben gelacht und Späße gemacht. Ich habe mich fast wie zu Hause gefüllt. Das erste Mal, seit ich hier bin. Das erste Mal seit langem. Sie haben sich an mich gewöhnt. Keiner konnte die Bergmann überzeugender darstellen als ich. Und keiner war so überzeugend wie Robert. Er stand vor mir. Groß, seine Haut leicht gebräunt, mit behaarter, starker Brust in meiner Augenhöhe. Seine Hände sind rau, aber warm. Sanft war seine Berührung, um mich zu bitten ihn anzusehen. Ein markantes Gesicht. Ausgeprägte Kiefernknochen, von einem Dreitagebart bedeckt. Braune Augen, schmal, mit kleinen Tränensäcken, durchdringend, suchend und verloren. Die Sonne fällt in einem diffusen Licht über dein Gesicht.
Du bist gerade vom Sport zurück. Eine Sache, bei der du dich wohl fühlst, wo du Abstand gewinnen kannst. In all die Gewichte kannst du deine Wut stecken, dich befreien. Danach hast du dieses Lächeln auf den Lippen, das deinen rechten Mundwinkel komisch kräuseln läßt. Du stehst dann vor dem Spiegel und läßt deine Muskeln zucken. Ein kleiner Schweißtropfen rinnt über deine Schulter, den starken Arm herab. Der Tropfen aus Wasser hat es nicht leicht deinen Konturen zu folgen. Es fällt ihm sichtlich schwer aus einem Tal, erneut einen Berg zu erklimmen. Du weißt sehr genau, welche Wirkung das auf mich hat und du spürst die Blicke auf deiner Haut. Wie verschieden wir doch sind.

Ich sehe mich im Spiegel. Eine dürre Person starrt mich an, häßlich und bleich. Eine feminine Erscheinung mit weichen Gesichtszügen, zarten, langen Fingern, die dünnes Haar aus der Stirn streichen. Ein langes scharlachrotes Kleid fällt von den schmalen Schultern über ihren zerbrechlichen Körper. Es reicht bis zu den Schuhen von der alten Frau Matschek. Diese Person im Spiegel, das bin nicht ich! Das ist nicht mein Körper! Aber ich kenne Sie. Ich weiß, daß ich sie schon einmal gesehen haben. Sie lachte. Sie schien das gerne zu tun. Es war ansteckend, ich mochte Sie. Du warst dabei. Wer ist Sie?


10. Januar

Die alte Frau Matschek, der wir die Pumps aus dem Schrank geklaut haben, ist heute gestorben. Sie hatte immer geglaubt, eines Tages mit ihrem Mann wieder tanzen zu können. Ich weiß nicht wo er ist. An guten Tagen erzählte sie kaum von etwas anderem. Aber diese Tage waren selten. An den anderen fiel ihr jede Bewegung schwer. Sie lag dann einfach da, als wäre sie tot. Einer der Pfleger mußte sie füttern. Der Brei lief ihr wieder aus dem Mund. Er war verärgert darüber, weil es bedeutete, daß das Bett neu bezogen werden mußte.
Ihr Gesicht war unergründlich. Kein Lächeln kam über ihre Lippen und keine Träne entsprang ihrem Auge. Etwas Speichel rann als dünner Faden über ihr Kinn, und ihre Leere starrt in die Leere. Sie erinnert mich an meiner Mutter. Sie litt meinetwegen. Er gab ihr die Schuld und ließ es sie spüren. Das krause schwarze Haar hing ihr ins Gesicht. Sie sprach nicht mit mir. Es waren nur noch wenige Worte, die wir miteinander wechselten. Ihr Ausdruck war genauso leer und unergründlich, wie der der alten Frau Matschek. Zu dieser Zeit war ich das erste Mal alleine. Ich hasse sie dafür; das sie mich alleine ließ, nicht die Stärke besaß dem Einhalt zu gebieten und mich als Ihr Kind zu akzeptieren. Die Spannungen nahmen zu. Also ging ich fort. Vielleicht das Beste, was ich für die Familie tun konnte. Ich weiß nicht, ob es danach aufhörte oder nicht. Sie war meine Mutter. Jede Bewegung von mir war eine Qual für sie, jedes Wort ein Dolchstoß. Weißt du wie es ist, dies als Kind zu spüren, zu wissen nicht in diese Welt, in diese Familie zu gehören. Ich hasse sie. Ich hasse sie.

Nein - ich liebe sie. Jeder liebt seine Mutter. Egal was sie dir auch antut. Du kannst nicht anders. Ich erinnere mich, als ich noch ein ganz kleiner Junge war, wie sie mich in den Arm nahm und mich küßte. Sie legte mich in ihren Schoß, sah sich suchend um und rief: „Wo ist mein Junge, wo ist mein Junge!“ Ich saß dort, winkte ihr und rief: „Hier bin ich.“ Ihre Augen leuchteten und waren riesig, wenn sie mich sah, als wäre ich ein Jahr fortgewesen.

Ich habe Angst. Wo bist du?


31. Januar

Letzte Nacht hatte ich einen Traum. Er saß in unserem alten Haus. Er war wütend, schlimmer als sonst und hatte seine Schrotflinte neben sich zu stehen. Ich sehe ihn von draußen durch das Wohnzimmerfenster, wo er zusammengesackt auf der Couch sitzt, mit den Zähnen knirschend. Sein Kiefer bebt. Er springt plötzlich wutentbrannt auf und kommt mit der Flinte aus dem Haus gelaufen. Wir Kinder rennen und schreien. Der kleine Tommy versteckt sich unter einem Karton nahe der Scheune. Nicole und ich laufen zu dem alten Auto. Es ist verrostet, ohne Scheiben, es kann kaum ein sicheres Versteck bieten. Er brüllt und schießt wild um sich. Ich höre das Schluchzen von Nicole. Tränen laufen über ihre Wangen. Er geht wieder ins Haus zurück. Vorsichtig schleicht sich Nicole aus dem Wagen und rennt zur Scheune, um Tommy zu holen. Auf dem Rückweg stoppt sie kurz. Wieder im Auto streicht sie mir über die Stirn und drückt Tommys Gesicht fest gegen ihre Brust. Ich begreife nicht was passiert. Am nächtlichen Himmel erstrahlt in allen möglichen Farben ein heller Blitz, als wenn jemand vom Weltall aus ein Foto von der Erde machen wollte. Es ist ein wundervolles Licht. Ich erwache und es ist kalt. Überall liegt Schnee. Niemand ist zu sehen. Ich gehe einen Feldweg entlang. Es ist absolut still. Alle Häuser sind leer. Ein Fenster steht offen, aus dem ein Küchenvorhang wild im Wind tanzt, auf dem bunte Blumen gedruckt sind. Die leise Melodie eines Klaviers kann ich hören. Es ist alles so friedlich.

Ich saß vor dem Spiegel im Schlafzimmer und malte mir die Lippen mit einem knallroten Lippenstift an. Ich hatte nie darüber nachgedacht, warum ich das tat. Es gefiel mir. Sein Gesicht tauchte wie ein Geist im Spiegel auf und verschwand wieder. Er war ein Mensch, der in seiner Realität gefangen war. Alles hatte eine Ordnung und einen angestammten Platz in der Gesellschaft. Ein Ausscheren gab es nicht. Unregelmäßigkeiten waren nicht existent. Ich weiß nicht, wie sie es aushielt. Ich konnte es nicht.

Die Gänge wirken noch weißer und steriler, wenn die Sonne in das Gebäude scheint. Heute ist ein schöner Tag. Es ist warm. Ich fühle mich trotzdem nicht gut. An solchen Tagen habe ich auf dem Sofa gesessen; eine alte Decke um die Beine geschlagen. Wie ein alter Mann. Du brachtest mir eine Schüssel mit Suppe. Ich habe dich wütend angefahren, weil du das Kreuzworträtsel in der Zeitung bereits gelöst hattest. In diesem Zustand hast du dich nie auf Diskussionen eingelassen. Im Spiegel, der auf dem Flur hängt, könnte ich sehen, wie du hinter der Tür standest und mit dem Rücken an den Schrank gelehnt, langsam zu Boden rutschtest. Dein Gesicht tief in deinen Händen vergraben. In diesem Moment habe ich dich ein Stück mehr verloren.


„Der Patient aus der 27 hat mir diesen Brief gegeben. Wir sollen ihn wie gehabt abschicken.“, ungläubig blickte der neue Pfleger auf den Umschlag, auf dem keine Adresse zu finden war.
„An wen soll der Brief geschickt werden?“
„Es steht nie eine Adresse drauf.“, antwortete der leitende Pfleger der Station. Gleichgültig, eine Routine.
„Ich weiß nicht einmal, ob der Typ, dem er schreibt,überhaupt existiert. Seit er hier ist, schreibt er jede Woche einen Brief. Besuch hatte er aber noch nie.“
Der neue Pfleger war ein wenig verwirrt, weil er nicht so recht wußte, was er nun mit dem Brief anstellen sollte. Einen Moment lang dachte er darüber nach, ob es nicht möglich wäre, den Brief den Eltern oder Geschwistern zukommen zu lassen, die dann vielleicht in der Lage sein würden, ihn in die richtigen Hände weiterzuleiten. Aber das ist mit Sicherheit ein schwieriges Unterfangen und bestimmt schon probiert worden. Und wer weiß, ob die Familie noch lebt. Schließlich hatte er noch keinen Besuch. Die Klingel von Zimmer 12 riß ihn von seinem Gedankengang fort.
„Was mache ich also mit dem Brief?“
„Er kommt zu den anderen in seine Patientenkartei. Leg’ ihn einfach auf den Tisch. Ich räume ihn dann weg.“, immer noch seltsam unbeteiligt, drang die Antwort von dem Mann hervor, der mit Bergen von Papierkram beschäftigt war. Das wiederholte Klingeln von Zimmer 12 ließ ihm keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Er legte den Brief auf die Kante des Schreibtisches. Nicht zu dicht an den sich türmenden Papierstapel heran, damit er nicht darin versinken würde, wie ein U-Boot, daß in 10000 Meter Tiefe leckgeschlagen ist. Mit einer etwas ungeschickten Drehung verließ er das Büro und riß dabei den Brief vom Schreibtisch. Dieser landete direkt im Papierkorb, der neben dem Tisch stand und mit nur leicht zerknülltem Papier überzulaufen drohte. Wie ein kleines Fischerboot wurde der Brief von den riesigen Wellen der Papierflut umspült. Er versank, ohne einen Hinweis auf seine Existenz zu hinterlassen.​

 

Hallo,

würde mich über die eine oder andere Kritik von euch freuen. Besonders im Hinblick, ob die Geschichte so aufgeht, ohne im Detail auf das was Vorgefallen ist einzugehen. Oder ob Sie zu kryptisch und unverständlich bleibt.

Jede weitere Kritik ist natürlich auch willkommen.

Gruß
graylox

 

Hallo graylox,
mich hat dein Text etwas verwirrt, auch wenn ich den Titel "psychotisch" berücksichtige, kann ich oftmals nicht folgen.
Zitat:Etwas Speichel rann als dünner Faden über ihr Kinn, und ihre Leere starrt in die Leere.
ihre Leere starrt in die Leere? Äh?

Zitat: Nicht zu dicht an den sich türmenden Papierstapel heran, damit er nicht darin versinken würde, wie ein U-Boot, daß in 10000 Meter Tiefe
Wie ein kleines Fischerboot wurde der Brief von den riesigen Wellen der Papierflut umspült. Er versank, ohne einen Hinweis auf seine Existenz zu hinterlassen.

Da bist du doch der Erzähler oder? Ist der Erzähler auch psychotisch? Oder war der Seefahrer?

Ehrlich irgenwie komme ich da nicht mit, mal sehen, wie dass andere Leser verstehen.

liebe Grüße aus der Weltflucht

 

Hallo Graylox,

herzlich Willkommen auf Kurzgeschichten.de!

Ich finde du hast für das von dir gewählte Thema eine sehr interessante Perspektive gewählt. Es ist sicherlich nicht einfach gewesen aus der Innensicht einer Person mit einer psychotischen Störung zu schreiben. Wie realistisch du den Ton getroffen hast, kann ich leider nicht einschätzen, weil ich mich mit dem Krankheitsbild zu wenig auskenne. Aber wie gesagt - ich fand das sehr interessant.

Insgesamt konnte ich mich jedoch nicht so richtig mit deiner Geschichte anfreunden.

Zum Einen lässt du sehr viel offen - der Leser erfährt nicht, woran genau der Patient leidet. Die Überschrift "Psychotisch" sagt ja nicht so wahnsinnig viel aus.
An wen diese Briefe gerichtet sind bleibt ebenfalls offen. Es könnte ein Freund sein, es könnte eine erfundene Person sein etc.

Auch die Briefe selbst empfand ich als sehr wirr. Natürlich liegt das auch in der Sache begründet, aber die Gedankenspringerei macht das ganze Lesen sehr anstrengend und außerdem erscheint mir manches einfach nur wirr. Mir fehlt einfach der rote Faden (obwohl es bei einer Geschichte wie dieser natürlich schwierig ist, einen "richtigen" roten Faden einzuhalten).

Das Ende fand ich auch nicht so toll. Ich glaub, dass ich hier mindestens schon 15 Geschichten gelesen habe, in denen von gleichgültigen Pflegern gelesen habe. Und natürlich haben sie dadurch immer verhindert, dass irgendjemand eine wichtige Botschaft bekam.
Ich weiß jetzt nicht, ob du das so für unbedingt wichtig erachtest - falls nicht, würde ich auf diese Passage verzichten.

Leider hast du manchmal ziemlich schlampig und ungenau formuliert. Das hat mich beim Lesen enorm gestört und ich bin immer wieder an einzelnen Formulierungen hängen geblieben. Unten habe ich dir eine Auswahl davon ausgelistet. Bitte lies dir deine Geschichte nochmal durch und arbeite noch ein bisschen am Text.

Im Fernsehen sagen Sie, dass eine Grippewelle umgeht.

Warum "sie" groß?

Einen der Pfleger konnte ich überreden mir einen Bus-Fahrplan zu besorgen.

Busfahrplan (Es ist nicht nötig, dieses Wort mit einem Bindestrich zu trennen).

Wenn du den Elf Uhr Achtundvierziger nimmst, könntest du 14:32 Uhr hier sein.

Würde man das so in einem Brief schreiben? Mündlich ok - aber das so schreiben? Eher: Wenn du den Zug um 11.48 nimmst, könntest du um ...

Kaum hörbar.

Wortwiederholung vom Satz vorher. Könntest du hier vermeiden indem du schreibst: Ganz leise.

Nichts von dem, was er sich wünscht, kann ich ihm geben.

Ein Blick kann sich nichts wünschen. Vielleicht: Keinen der Wünsche, die ich in deinem Blick lese, kann ich erfüllen.

Die Sonne den Schnee glitzern und mich blinzeln läßt.

Hier fehlt ein Wort.

An manchen stellen schauen einige gelbe, vertrocknete Grashalme hervor.

Stellen (groß)

Seine Hände sind Rau, aber warm.

rau (klein)

Danach hast du dieses Lächeln auf den Lippen, der deinen rechten Mundwinkel komisch kräuseln läßt.

Auf welches vorangegangene Wort beziehst du dieses "der"?

Aber ich kenne Sie.

Etwas Speichel rann als dünner Faden über ihr Kinn, und ihre Leere starrt in die Leere.

Hm ja... dieses Wortspiel finde ich ein bisschen zu bemüht.

Ihr Ausdruck war genauso leer und unergründlich, wie das der alten Frau Matschek.

Das muss doch "der" heißen - du beziehst dich ja hier auf den Ausdruck.

Weißt du wie es ist, dies als Kind zu spüren, zu wissen nicht in diese Welt, in diese Familie zu gehören.

? am Ende, oder?

ch erinnere mich, als ich noch ein ganz kleiner Junge war, wie sie mich in den Arm nahm, mich knuttelte.

knuddelte

Lieben Gruß, Bella

 

Hej graylox,

wenn Du mit "ob die Geschichte aufgeht" meinst, ob man grundsätzlich versteht, was passiert, dann würde ich sagen: ja.

Mir reicht das nicht ganz. Die Überschrift ist "psychotisch" (warum klein?), ich erfahre, dass jemand in einer Anstalt Briefe schreibt, aber der Inhalt ist so unstrukturiert, dass ich kaum erahne, worum es geht. Bilder, die mir ansatzweise gefallen, trotzdem ungerichtet auf mich wirken und vor allem: was haben sie mit Psychosen zu tun?

Warum besitzt nur der erste Brief eine Anrede?

Viele Grüße
Ane

 

Hallo graylox,

mir hat die Geschichte wirklich sehr gut gefallen und ich finde sie überhaupt nicht kryptisch wie meine Vorredner.
Mich störts überhaupt nicht, daß Du sehr viel offenläßt, z.B. wer die Person ist, der Dein Protagonist immer schreibt, wobei mir da irgendwann natürlich dämmerte, daß sie bestimmt nur in seinem Kopf existiert. Aber Du läßt es offen und überläßt es somit auch dem Leser.
Interessant fand ich, daß Du das Krankheitsbild nicht näher beschrieben hast, denn genau das habe ich zumindest erwartet. Mir gefällts so, ist mal was ganz anderes! Schön, wie Dein Protagonist mit der Natur harmoniert, besonders gut hat mir die Szene mit dem Bild, das jemand von der Erde macht, gefallen - wobei ich denke, daß genau in diesem Brief die Anspielung auf seine psychotische Krankheit liegt. Ich denke, er hat ein ganz schlechtes Verhältnis zu seinem Vater gehabt, wurde vielleicht mißhandelt und ist dann verrückt geworden daran. Mir ist schon klar, daß Du mit der Geschichte auch in gewisser Weise auf die Pointe am Ende zuzielst, aber mir hat die Entwicklung bis dahin viel besser gefallen, denn meiner Meinung nach spielt es eigentlich überhaupt keine Rolle, ob der, dem er schreibt, wirklich existiert oder nicht. Vielleicht sind seine Briefe für ihn nichts anderes als Tagebucheinträge, in diesem Fall Wocheneinträge, mit denen er versucht, sich mit seiner Situation und seiner Vergangenheit vorallem außeinander zu setzen.

Kurzum; ich gerate ins Grübeln, daher kann die Geschichte für mich nur ausgesprochen gut sein! Hat mir wirklich wahnsinnig gefallen! Weiter so!
Und ich finds wie gesagt ganz gut, wenn Du nicht alles offen aussprichst, man hat ja auch als Leser Phantasie und es ist immer schön, wenn man vom Autor nicht bei dieser unterschätzt wird.

Liebe Grüße
stephy

 

Hallo alle zusammen,

@Weltflucht

erst einmal danke für Deine Antwort. Scheint wohl so, daß der Text wohl doch nicht so ganz aufgeht, wie ich mir das vorgestellt habe.

Zur Erklärung:

Zitat:Etwas Speichel rann als dünner Faden über ihr Kinn, und ihre Leere starrt in die Leere.
ihre Leere starrt in die Leere.

Ihre Leere soll ihren Zustand wiedergeben, den ich zuvor angedeutet habe. Es gibt Krankheiten oder neuronale Störungen, bei denen der Patient keine Emotionen mehr über Mimik und Gestik ausdrücken kann. Das Wachkoma wäre hierfür ein einfaches Beispiel. Wenn man solche Menschen ansieht wirken sie vollkommen leer. Hätte ich wohl etwas deutlicher hervorheben sollen.

Zitat: Nicht zu dicht an den sich türmenden Papierstapel heran, damit er nicht darin versinken würde, wie ein U-Boot, daß in 10000 Meter Tiefe leckgeschlagen ist.

Damit wollte ich einfach nur in bildlicher Sprache das Phänomen beschreiben, was glaube ich jeder kennt; wenn man einen Schreibtisch hat, auf dem sich Papiere, Bücher und alle möglichen Zettel auftürmen und wenn man dann einen wichtigen, kleinen Zettel mit einer Notiz sucht, findet man ihn einfach nicht mehr wieder. Er ist dann einfach versunken wie ein U-Boot in 10000 Meter Tiefe. Ohne die Möglichkeit ihn zu bergen.

Zitat: Wie ein kleines Fischerboot wurde der Brief von den riesigen Wellen der Papierflut umspült. Er versank, ohne einen Hinweis auf seine Existenz zu hinterlassen.

Im Grunde die gleiche Andeutung wie beim vorherigen Beispiel. Hier bin ich bei dem selben Bild geblieben, um nicht noch mehr zu verwirren. "Er versank ..." bezieht sich hier auf den Brief.

@Bella und Ane

Psychotisch ist ein Adjektiv und beschreibt einen Zustand und steht außerhalb eines Satzgefüges, deshalb habe ich es klein geschrieben.

Vielleicht ist es hilfreich die Begriffe nochmals zu klären:

psychotisch - zur Psychose gehörend; geistes-, gemütskrank

Psychose - krankhafter Zustand mit erheblicher Beeinträchtigung der psychischen Funktionen u. gestörtem Realitätsbezug

Von geistes- bzw. gemütskrank und gestörtem Realitätsbezug ausgehend, fand ich, daß der Titel schon einiges aussagt. Ich wollte nicht weiter auf das Krankheitsbild eingehen, da zum einen psychische Erkrankungen immer schwer faßbar sind und es zum anderen in medizinisches blabla übergehen würde. Aus meiner Sicht ist die Beschreibung des Krankheitsbildes für diese Geschichte irrelevant. Wichtiger ist Ursache und Wirkung. Und das habe ich durch den paralellen Verlauf der Ereignisse aus der Kindheit, jüngeren Vergangenheit und Gegenwart wiederzugeben versucht. Wobei es offen bleibt, welche Zeitperiode oder auch alle real sind oder nicht. Aus der Kombination dieser läßt sich aber trotzdem, so war zumindesten meine Hoffnung, ein Bild des Prot. zeichnen. Es gibt dabei keinen linearen Verlauf der gerade beschriebenen Zeitperiode. Vielleicht hätte ich durch eine entsprechende Formatierung des Textes, diese stärker voneinander abgrenzen sollen, wodurch das lesen vielleicht einfacher wird. Andererseits denke ich, verliert dadurch das psychotische stark und könnte dem Leser zu sehr eine bestimmte Sichtweise aufdrängen. Ich mach mir aber mal Gedanken darüber.

@Bella

Danke für die Hinweise zur Rechtschreibung. Es gibt aber zwei Dinge mit denen ich nicht konform gehe.

1. Zitat: Die Sonne den Schnee glitzern und mich blinzeln läßt.

Ist korrekt formuliert. Es handelt sich hier um eine Aufzählung. Die Sonne läßt den Schnee glitzern und die Sonne läßt mich blinzeln.

2. Zitat: Nichts von dem, was er sich wünscht, kann ich ihm geben.
Bella: Ein Blick kann sich nichts wünschen.

Das "er" in diesem Satz bezieht sich nicht auf den "Blick" aus dem Satz davor, sondern auf die Person deren Blick er nicht ertragen kann.

Mit dem letzten Abschnitt ging es mir weniger um den gleichgültigen Pfleger, als vielmehr darum, daß das einzig Reale, nämlich der Brief, der einzige erkennbare Bezug des Prot. zur Realität. Und dieser geht verloren, er löst sich auf. Aber Du hast recht damit, daß das wohl nicht die beste Darstellung ist. Auch darüber denke ich nochmal nach.


Und schließlich vielen Dank stephy für Deine nette Kritik zu meiner Geschichte. Über diese habe ich mich natürlich besonders gefreut. Beim lesen der Kritiken kam mir spontan David Lynch mit seinen Filmen in den Sinn. Entweder man mag seine Filme, die immer sehr viel Raum für Interpretationen lassen oder man mag sie eben nicht. Insofern muß ich mir wohl noch mal die Frage stellen, ob der Text überhaupt für die Masse funktionieren kann oder von vornherein an den speziellen Leser gerichtet ist.

Aber auf jeden Fall nochmals danke an euch alle für die Kritiken.

liebe Grüße
graylox

 

Als Nachtrag nochmal eine stilistische Frage.

Ein Ziel für mich ist es, mit der Sprache zu spielen. Also nicht alles dem Leser vorzukauen, sondern über die Sprache etwas indirekt mitzuteilen. Weswegen ich, zumindest versucht habe, die Worte in ihrer Bedeutung in Beziehung zum Kontext zu setzen. Ist das verständlich?

Um auf die eigentliche Frage zu kommen. Bella hat angemerkt das nach dem Satz:

Zitat: Weißt du wie es ist, dies als Kind zu spüren, zu wissen nicht in diese Welt, in diese Familie zu gehören.

ein Fragezeichen stehen müßte. Eigentlich ja. Mein Ziel war es aber sie eher retorisch erscheinen zu lassen, indem ich des Satzzeichen ändere. Funktioniert wohl nur bedingt.

Deshalb nochmal explizit die Frage:

Wie kann ich z.B. eine retorische Frage, die zu erkennen, ich der Objektivität des Lesers überlassen möchte, stilistisch darstellen, ohne konkrret daruf zu verweisen?

Ist im übrigen eine allgemeine Frage, die sich nicht auf diese Geschichte beziehen muß.

liebe Grüße
graylox

 

@Graylox

Eine rhetorische Frage und ein Fragezeichen schließen sich doch nicht automatisch aus, oder?
Oben genannte Frage hatte ich schon als rhetorische begriffen.
Es bleibt natürlich dir überlassen, ob du das Fragezeichen verwendest - du kannst es auch weglassen, wenn du das willst. Aber mit rhetorisch oder nicht hat das wenig zu tun.

Lieben Gruß, Bella

 

Hallo graylox,

bei der Beschreibung der Personen habe ich eher an ein Altersheim gedacht, als an eine psychiatrische Klinik.
Grundsätzlich kann man sich schon einen Handlungsfaden zusammenreimen, leider verlässt du aber mit dem letzten Absatz das Thema deiner Geschichte und banalisierst es. Ohne diese Pflegerpassage fände ich den Text stärker, weil er im Fokus auf dem Kranken bliebe.
Die etwas wirre Struktur hat den Nachteil, dass manchmal die grammatischen Bezüge nicht mehr stimmen. Bei sowas muss man schon ziemlich genau arbeiten, damit mit "sie" zum Beispiel nicht eigentlich die Protagonistin gemeint sein soll, aber Frau Matschek angesprochen wird.
Allgemein kann ich mich Bella anschließen. Es scheint den Formulierungen manchmal an der Genauigkeit zu fehlen, die gerade dann um so wichtiger wird, wenn man sich verschlüsselt ausdrücken möchte.
Details:

Wenn du den Elf Uhr Achtundvierziger nimmst, könntest du 14:32 Uhr hier sein.
Irgendwie inkonsequent, die Zahlen einmal auszuschreiben, einmal zu beziffern.
An manchen stellen schauen einige gelbe
Stellen
Seine Hände sind Rau, aber warm.
rau
Eine Sache, bei der du dich wohl fühlst, wo du Abstand gewinnen kannst
Eine Sache, wo?
Danach hast du dieses Lächeln auf den Lippen, der deinen rechten Mundwinkel komisch kräuseln läßt.
Das Lächeln, der?
Der Tropfen aus Wasser hat es nicht leicht deinen Konturen zu folgen.
Der Tropfen aus Wasser fließt Konturen, unterscheidet nicht nach leicht oder schwer.
Es fällt ihm sichtlich schwer aus einem Tal, erneut einen Berg zu erklimmen.
Es fällt ihm nicht nur schwer, es ist ihm unmöglich, so ein dämlicher Tropfen Wasser fließt dann einfach wieder zurück. Aber wenn er gut Anlauf nimmt ... ;)
Sie erinnert mich an meiner Mutter.
meine Mutter
In diesem Zustand hast du dich nie auf Diskussionen eingelassen.
So ist das der Zustand des Du, aber ausdrücken wolltest du dich, das du hätte sich nicht auf Diskussionen eingelassen, wenn das Ich in diesem Zustand war, oder?
Wir sollen ihn wie gehabt abschicken.“, ungläubig blickte der neue Pfleger auf den Umschlag
abschicken." Ungläubig

Lieben Gruß, sim

 

Hej graylox,

was ich meinte oder womit ich Probleme habe, waren nicht eventuell fehlende medizinische Daten oder Verlauf und Prognose der Erkrankung.

Ich verstehe schlicht nicht, inwiefern die in den Briefen geäußerten Gedanken, Erinnerungen etwas Pychotisches darstellen sollen. Die Geschichte könnte in einer Art Heim mit Ausgangssperre spielen, einem Altenheim mit überlasteten Pflegern. Der Prot könnte durch widrige Umstände, ganz ohne psychotische Tendenzen, in einer Anstalt gelandet sein, beginnender Alzheimerpatient, Sterbender mit Tendenz zur leichten Depressionen - die Briefe würden auch das decken, bzw. nicht konsequent ausschließen.

Ich meine, der Text würde besser verständlich, eigentlich vollständiger, wenn Du eindeutige Hinweise dafür lieferst, dass es sich hier um einen Menschen handelt, der psychisch krank ist.

Oder er müsste deutlicher zeigen, wie Krankheit und sogenannter "Normalzustand" ineinander übergehen.

Ich hoffe, ich konnte mich verständlich machen und es hilft irgendwie.

Viele Grüße
Ane

 

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