Was ist neu

Pudelsünde

Mitglied
Beitritt
18.02.2009
Beiträge
245

Pudelsünde

Es ist einfach so: Es gibt coole und uncoole Hunde. Also bestimmte Rassen, mit denen es einfach unmöglich ist, lässig auszusehen, egal wie viel Mühe sich der Halter gibt. Der Zwergpudel beispielsweise ist solch ein Hund. Auch in naturbelassenem Zustand, also so ganz ohne Trimmdichfrisur und Spängchen im Fell haftet diesen Tieren etwas Affektiertes, ich finde, Albernes an. Da hilft es auch nicht, wenn man als Besitzer über eine ungewöhnlich schöne Haarmähne verfügt, so wie der Typ da drüben beispielsweise. Hat Haare, um die ihn die meisten Frauen vermutlich beneiden würden, dick, lang und vor Gesundheit bis in die Spitzen glänzend. Die Natur kann ja so ungerecht sein. Andererseits sind Locken auch nicht jedermanns Sache, es heißt ja immer wieder, sie ließen sich praktisch gar nicht frisieren und im schlimmsten Fall sieht man nur aus wie ein Mopp. Was in diesem Fall jedoch auch nicht zutrifft. Zwar lässt er seine Lockenpracht weit ins Gesicht hängen, aber was ich über die Distanz trotzdem erahne, spricht dafür, dass seine Gene es auch ansonsten ganz gut mit ihm gemeint haben. Ich schätze ihn mal vorsichtig auf Anfang zwanzig. Vielleicht Student, unter dem Arm, der nicht von der Leine umwickelt ist, hat er einen buntgewebten Stoffbeutel geklemmt, dessen eckige Ausbuchtungen auf Bücher schließen lassen. Diese Tasche könnte bei jemand anderem mädchenhaft wirken, in diesen weichen Rot- und Blautönen, ihm steht sie jedoch. Er ist offenbar jemand, der sich nicht unter die gängigen Modekonventionen zwingt, jemand, der seine eigene Note, seinen individuellen Stil vertritt. Ich bin beeindruckt. Auf so etwas stehe ich, Männer, denen der Hauch von Revolution anhaftet. Der Rest von ihm ist wieder relativ normal: beige Cargohosen, Sweatshirtjacke in Dunkelblau, kein offensichtliches Label, soweit ich sehen kann, Turnschuhe von Converse, wenn mich nicht alles täuscht. Aber ich meine seitlich den Stern erahnen zu können. Chucks sind ja inzwischen so fürchterlich in Mode, dass man fast schon nicht mehr damit herumlaufen kann, aber am peinlichsten sind dann noch diejenigen, die sich die Billigtreter ausm Supermarkt an die Füße heften. Bei aller Liebe: dann lieber gar nicht erst auf irgendeine Welle aufspringen als mit offensichtlichen Fakes!
Mr. Curly lehnt mit dem Rücken an der Wand des neuen Sparkassengebäudes, direkt unterhalb der großen Digitaluhr. Wer sich in der Innenstadt verabredet, trifft sich meistens hier, vermutlich wartet also auch er auf irgendjemanden. Eine Frau? Aber warum bringt er dann dieses Tier mit? Unverständlich. Auch wenn der Hund offenbar ein ganz Artiger ist, jedenfalls sitzt er brav neben seinem Herrchen und stiert aus trüben Hundeaugen ins Leere, gibt er nun wirklich kein gutes Assessoir ab. Und wenn man die beiden so dicht nebeneinander sieht, fällt auch die Ähnlichkeiten in Sachen Haarwuchs eindeutig auf. Falls er das für einen netten Gag hält, liegt er ziemlich daneben. Bei ihm sehen die Locken furchteinflößend appetitlich aus, bei seinem Vierbeiner nur lächerlich. Und so etwas färbt nun einmal ab, da kann man die Hände noch so locker in die weiten Taschen des Pullis graben.
Irgendwie habe ich beinahe Mitleid mit ihm. Vielleicht ist das ja nicht einmal sein Hund, sondern der seiner Eltern oder Großeltern, schließlich passt so ein verzärteltes Rassetierchen besser in diese Generationen. Vielleicht ist es ihm auch peinlich mit dem Vieh gesehen zu werden und er setzt darum dieses steinerne Gesicht auf....dabei hätte ich nicht einmal was dagegen, wenn er endlich den Blick heben und in meine Richtung schauen würde. Vorsichtshalber lasse ich schon mal ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen tanzen. Ich weiß ziemlich genau, wie ich jetzt aussehe – habe das schließlich vor dem Spiegel lange genug geübt. Dezent, aber unübersehbar, ein wenig Dame, ein wenig Vamp. Perfekt.
Ich wette, der gute Junge hat nie einen Blick darauf verschwendet, wie er mit einem Pudel an der Leine aussieht. Schade.
Dahinten kommt meine Straßenbahn, klingelt sich wütend durch die Menge der Fußgänger und Wartenden, die quer über die schienen laufen. Mittagszeit! Bestimmt ist die Bahn brechend voll, ich seufze vor mich hin. Ehe ich meine Tasche von der Bank nehme, schaue ich gezielt zu dem Jungen hinüber, der an derselben Stelle lehnt wie die ganze Zeit. Ein vorbei hastender Mann um die vierzig, in schlecht sitzenden Jeans und einem Hemd, das über dem Bauch hässlich spannt, rempelt erst eine Mutter mit Kinderwagen beinahe um, dann erwischt er wohl den Pudel, jedenfalls schreit das Tier plötzlich und schrill auf. Der Mann bleibt nicht stehen, seine Bahn ist etwas weiter vorn bereits zum Stehen gekommen, wartet mit geöffneten Türen.
Der Junge sinkt so fix zu Boden, als hätte auch ihm jemand eine verpasst, im nächsten Moment steht er wieder, das Tier auf den Armen. Er senkt den Kopf, so dass seine dicken, dunklen Locken über sein Gesicht fallen und auch den halben Hund begraben. Eine Hand streicht behutsam den felligen Bauch, der, das kann ich sehen, erkennbar zittert. Immer wieder bewegen sich die hellen, schmalen Finger langsam und beruhigend hin und her. Schöne Finger, mit ausgeprägten Knöcheln, das sieht bei Männern immer so was von sexy aus.
Andererseits, und das muss ich mit leichtem Kopfschütteln, feststellen, wirkt ein Mann, der einen Pudel auf dem Arm trägt, noch alberner als einer, der bloß einen an der Leine hält. Warum manche Menschen nur so wenig über ihre Wirkung nach außen nachdenken? Zu schade! Wirklich. Diese Haare.....welche Verschwendung.
Ich greife nach meiner Tasche und gehe zu meiner Bahn, gerader Rücken, flotter Schritt, ohne zu rennen, noch immer trage ich das feine Lächeln im Gesicht. Perfekt.

 

Hallo Nikita!

Ich fange langsam wirklich an, diese Zwergpudel sympathisch zu finden. :p Anfangs hätte ich der Erzählerin noch uneingeschränkt zustimmen können, am Ende war die Sympathie für den Typen mit dem Pudel doch größer, und zwar wesentlich. Der Kontrast ist natürlich gewollt, in Wahrheit ist es die Erzählerin, die affektiert und bescheuert ist. Der Effekt ist schon simpel, die Erzählweise auch, das Erzählte auch, aber mich störts gar nicht. Die Geschichte (eigentlich ist es ja eher ein innerer Monolog) wirkt auch so, liest sich gut weg, hat einen guten Aufbau, kurz: gefällt mir gut. Vielleicht ist sie nicht herausragend, aber schon mal besser als durchschnittlich, und Durchschnitt ist ja eh langweilig (nicht wahr! :D).

Liebe Grüße,
strudel

 

Danke schön! Um ehrlich zu sein: Anfangs war auch ich der Meinung der "Tussi". Ich bin letztens durch die Stadt gelaufen und habe so einen "Coolen" gesehen - mit Pudel. Da hatte ich den ersten Satz der Kg im Kopf;)
Habe das dann ohne großes bzw. ohne JEDES Gerüst ru8ntergeschrieben, nicht überarbeitet und darum sprachlich sicher auch nicht mein Bestes:), aber ok.
Das Ende ist frei erfunden, denn die Tussi wurde mir im Lauf der Geschichte immer unsympathischer!

Grüße

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom