Punk
Daniel stieg in die Straßenbahn ein und sah sich nach einem freien Platz um. Er entdeckte einen neben einer etwas älteren Frau. „Darf ich mich auf den Platz neben Ihnen setzen?“, fragte er. Die Frau blickte nur kurz auf, betrachtete ihn mürrisch und wandte sich dann wortlos ab. Da der 17-Jährige sonst keine Sitzmöglichkeit sah, wolle er sich setzen.
Die Bahn machte in diesem Moment eine scharfe Kurve und er fiel auf die Frau.
„Oh, tut mir leid. Das war keine Absicht!“, entschuldigte sich der Punk. „Ich hoffe, ich habe Ihnen nicht wehgetan.“ Er nahm Platz und erntete böse Blicke von seiner Sitznachbarin.
„Flegel!“, schimpfte diese. „Nichts als Taugenichtse. Den ganzen Tag daheim rumhängen und saufen, das könnt ihr. Aber wehe es soll gearbeitet werden …“
Daniel versuchte das Geschimpfe der Frau zu ignorieren, aber das war nicht ganz so leicht. Es war mucksmäuschenstill um sie herum geworden und die Leute warfen ihnen Blicke zu.
„Früher hätte es so etwas nicht gegeben!“, lies sich die Dame neben ihm aus. „Da hätte man schon dafür gesorgt, dass es solche Leute nicht gibt.“
Er fragte sich, wieso sie sich denn nun so sehr darüber aufregte, nur weil er gestolpert war.
„Punks! Ha! Nichts machen, aber Geld dafür wollen. Alles Sozialempfänger!“
Daher wehte also der Wind. Daniel war es schon gewohnt, dass man ihn wegen seinem roten Hahnenkamm und seinen Punkerklamotten diskriminierte. Am besten man ignorierte solche Leute. Lieber dachte er an seine Freundin, die auf ihn wartete.
„Wegen euch Halunken steigt die Kriminalität in Deutschland!“
Daniel sah aus dem Fenster, an dem Häuser und Bäume vorbei zogen. Er hatte viele solcher Leute erlebt, die so dachten wie die Frau neben ihm. Er hatte wegen ihnen sogar seine Lehrstelle verloren. Die Kollegen hatten ihn wegen seines Äußeren gemobbt, hatten seinen Kopf einen „Wischmopp“ genannt. Und schließlich war ein Arbeitskollege zu ihm gekommen und hatte ihm gesagt, dass man solche wie Daniel in der Hitlerzeit sofort vergaßt hätte. Da war Daniel die Hand ausgerutscht. Danach war die Fristlosekündigung gekommen.
Die Bahn hielt an der nächsten Haltestelle und die Frau schimpfte munter weiter.
„Die Welt wäre ohne euch viel besser dran! Ihr seit doch genau wie diese Kanaken!“
Die Türen schlossen sich und die Fahrt ging weiter.
„Die Fahrkarten bitte!“, rief ein Mann in blauer Jeans und roten T-Shirt.
Daniel holte sein Bahnticket aus der Hosentasche. Die Schimpfende machte ihre Handtasche auf und holte einen Fahrschein aus dem Geldbeutel, vergaß dabei aber nicht, sich weiterhin zu beklagen. „Seit doch alles ein Volk! Ihr wirtschaftet ganz Deutschland runter. Man traut sich ja nachts nicht einmal auf die Straße. Hitler wusste schon, wie man mit solchen Leuten umgehen muss …“
Die Frau hielt ihre Fahrkarte so in der Hand, das oben ein Stück rausschaute. Da kam Daniel eine Idee. Er packte die Karte, zog sie aus der faltigen Hand und steckte sie sich in den Mund. Als er anfing darauf herum zu kauen, starrte die ältere Dame ihn erschrocken an.
In dem Moment als der Kontrolleur ihren Platz erreichte schluckte der Punk das Stück Papier runter.
„Darf ich bitte Ihre Fahrkarten sehen?“
Die Frau sah ihn ganz entgeistert an. „D-Der Punkt hat meinen Fahrschein gefressen“ stotterte sie.
Der Mann sah sie ganz verwundert an und musste dann anfangen zu grinsen. „Ich habe ja schon vieles gehört, aber das ist ja unschlagbar.“ Er nahm Daniels Karte an, sah kurz drauf und wandte sich dann wieder der Frau zu. „Ich muss Sie bitten, mit mir auszusteigen.“
"Aber die Leute haben es doch gesehen!"
Doch diese wandten sich ab oder schüttelten den Kopf ...