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Pyrrhussieg
Er war nicht arm. Jedenfalls waren dieser Meinung alle, die mit ihm umgingen, die ihn sahen und erlebten.
Wer ihn kannte – und er hatte es zu einer Perfektion gebracht, daß dieses nur den wenigsten Menschen überhaupt möglich gewesen wäre – wusste, daß er arm war. Nicht im materiellen, er konnte sich alle dort vorhandenen Wünsche bedenkenlos erfüllen, doch in einem metaphysischen Sinne. Er war arm in sich, ohne Kontakt mit der Welt um sich herum. Er war alleine, immer und immer schon.
Diese Armut ließ er sich nicht anmerken, nicht einmal erahnen. Er hatte Erfolg, sogar großen Erfolg in seinem Beruf, dem Handel mit Wertpapieren für eine Privatbank. Er kaufte und verkaufte oft im richtigen Moment, er war es gewohnt, ganz oben zu sein.
Seine Frau sah ebenso zu ihm auf, war ebenso weiter unten wie seine Kollegen und auch sein Chef. Sie war jung und fruchtbar und somit ein guter Deal. Es war keine Liebesheirat gewesen - über ihre Motive war er sich nicht im Klaren, sie interessierten ihn auch nicht wirklich - er hatte sein Leben nur kurz verändern müssen und war bereits seit der Geburt des ersten Kindes wieder dabei, seine eigenen Wege zu gehen und eigene Ziele zu verfolgen.
Mittlerweile hatten sie bereits zwei Kinder, doch er wollte noch mehr Nachwuchs. Ihm gefiel der Gedanke, sich zu vermehren und damit in die Ewigkeit zu manifestieren. Sein Sohn, der Erstgeborene, hatte seine dunklen Augen und seine Nase. Die Kleine hatte – wenn man seiner Frau glauben durfte - seine Ohren und sein Kinn; es war ihm nicht sehr wichtig.
...
Den Club kannte er, seit er dort vor Jahren seine Jungfräulichkeit abgelegt hatte. Es war ein Etablissement, das ihn mit seiner morbiden Ausstrahlung vom ersten Augenblick an fasziniert hatte. Er ging oft hin, abends in der Dunkelheit stellte er seinen Wagen in einer Nebenstraße ab, den Weg zur schwach beleuchteten Tür ging er fast beiläufig. Klopfen, ein Blick durch das Sichtfenster, dann öffnete sich ihm die andere Welt.
Er kannte den Weg im Halbdunkel gut, sein Tisch war immer frei. Ein Tisch, der von einer der überdimensionierten Lampen in ein diffuses Schmutziggelb getaucht wurde. Keiner der Gäste würde auf ihn achten, das wusste er, sie suchten das Dunkel der vorderen Tische und hielten die Blicke starr geradeaus. Doch die Tänzerinnen konnten ihn erkennen, ihn sehen. Seine etwas unförmige Gestalt mit den zu kurzen Beinen, die einen bulligen Oberkörper trugen. Manche von ihnen, die sich neben der Tanzerei auch durch weitergehende Dienstleistungen ihren billigen Lohn verdienten, kannten auch mehr : Seinen Geruch, sein Gesicht in steigender Gier, wenn er für einen kleinen Moment die Kontrolle aufgab und schutzlos wurde, seinen kleinen Penis und seine Ablehnung, wenn er nach diesem Moment wieder seinen Weg einschlug.
Die Tänzerinnen erregten ihn, ihre lasziven Bewegungen auf der Bühne, ihr gespreiztes Fleisch, ihr schlangenhaftes, sündiges Präsentieren zog seine Blicke und Gedanken fort von dem hinter ihm liegenden Tag, weg von dem folgenden. Er sah ihnen zu und ließ sich für diese Augenblicke mitreißen.
Eine Tänzerin war dabei, sie war nicht besonders, sie war nur sehr konsequent. Sie beherrschte ihren Körper und die Zuschauer gut. Sehr gut. Auch ihn.
Als er sie das erste Mal sah, es war Jahre her, da nahm er sich vor, sie zu gewinnen.
Sie war nicht hübsch, nicht hübscher als alle anderen jedenfalls, und doch hatte sie eine Aura, eine Ausstrahlung, der sich wohl keiner der Männer in dem kleinen, verqualmten Raum entziehen konnte. Es war ihr Blick, ihre Art sich zu bewegen, die Erregung der Männer nicht nur zu glauben und mit ihr zu spielen, dabei niemals die Distanz reduzierend.
Diese Unnahbarkeit, dieser Nimbus von Abstand zu sich und den Zusehern war es wohl, was ihn faszinierte. Den er haben und gewinnen wollte. Auf ihre Art und auf ihrem Weg war auch sie ganz oben.
Er wartete immer ihren Auftritt ab, bevor er aufstand und an die Bar ging, wo die Damen mit weitergehenden Dienstleistungen wie im Supermarkt ausgestellt wurden. Er suchte sich eine von ihnen aus, ging mit ihr, rieb sich in ihr nacktes Fleisch. Rieb sich fest und schrie diesen kleinen spitzen Schrei.
So war es beim ersten Mal und so war es immer wieder.
Keine Zigarette danach, keine Grußformel, kein Blick mehr in ihre Augen, er zog sich an und verließ das Zimmer, das Haus. Die Schritte zum Wagen, die ersten Meter fuhr er ohne Licht. Er dachte manchmal an die Tänzerin. Er wusste, jeder Deal hat einen optimalen Zeitpunkt, und dieser Zeitpunkt würde kommen.
Dann schlug er wieder seinen Weg ein.
...
In seinem Blick liegt der leere Glanz des erwarteten Sieges. Der Abschluß ist geglückt, Maler hat den Deal absolviert, damit ist seine Provision gesichert. Er lacht leise und freudlos in sich hinein, im Autoradio läuft belanglose Musik. Langsam fährt er in die Nebenstraße, Scheinwerfer aus, rollt noch ein paar Meter. Maler, er war ein schwaches Opfer gewesen, gierig, berechenbar. Es war kein großer Sieg, wenn auch ein sehr lukrativer.
Er lenkt seine Schritte zum beleuchteten Eingang, klopft. Der Türsteher öffnet ihm, grinst ihn an, er sieht an ihm vorbei. Weiter durch die dumpfe Billigkeit, ausgetretener Teppichboden, kalter Rauch in der Luft. Hinter dem schweren Vorhang der kleine Raum, die Bühne, ein paar Tische sind besetzt.
Er sieht ohne ein Gefühl über sie hinweg, auf die Rücken, die von billigen Stoffen bedeckt werden, die Köpfe glotzen nach vorne, gieren die Tänzerin an, die zu pumpender Musik ihren Körper darbietet. Er weiß, wo ihre Blicke sind, auch wenn er ihre Hinterköpfe überfliegt, die Tänzerin ist fest und nun vollkommen nackt. Sie ist es, in ihrer ganzen Aura der Unnahbarkeit, die alle Aufmerksamkeit aufsaugt, mit ihren Augen.
Sein Tisch ist unbesetzt – natürlich. Er setzt sich, die Tänzerin dreht sich um und sieht zu ihm hin. Er spürt ihren Blick und hält ihn aus. Sieht in sie.
Sie löst ihre trüben Augen, dreht sich um, verdreht ihren Körper. Er sieht in sie hinein. Sieht ihre Hände, ihre Bewegungen. Ist gebannt, seine Augen sind dort, wo alle Augen sind.
Der Vorhang fällt, er atmet durch.
Der Vorhang teilt sich. Sie erscheint, sieht ihn an und kommt zu ihm.
Sie setzt sich auf seinen Schoß, er spürt an seinem kleinen festen Penis ihr Fleisch.
„Na, Mädel ?“
Ein einfacher Sieg.
Sie schlingt ihre glänzenden Arme um ihn, drückt ihren Kopf an seinen Hals.
Für einen kurzen Moment wird er unsicher, sie ist weiter gegangen als geplant.
„Hey, was gibt’s denn da zu schnuppern ?“
Statt einer Antwort legt sie ihre Lippen auf seine, ihre Zunge kommt gierig hervor und sucht seine.
Der Sieg schmeckt fahl.
Sie steht schwankend auf, er hat ihren Goldflitter an den Händen, der im gelben Dunstlicht müde glitzert. Den Kopf wirft sie herum, als wolle sie etwas energisch bekräftigen, dann geht sie zurück auf die Bühne, lässt noch einmal ihren Hintern vibrieren und verschwindet mit einem kurzen Lachen.
An diesem Abend geht er sofort zurück zum Wagen. Im Rückspiegel sieht er sein Glänzen auf dem Revers und Gold am Hals. Ihr Gold. Für einen Moment erkennt er seine Armut, für einen Moment fühlt er sich schwach.
Er fährt nach Hause und wird mit seiner Frau schlafen, zum ersten Mal seit Wochen. Er hat so ein Gefühl, daß heute Abend noch ein Sieg zu erringen ist. Und sein Gefühl trügt ihn nur selten.
Hoffentlich wird es ein Junge.
Er lächelt still in sich hinein. Er ist wieder auf seinem Weg.