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Qualitätsware

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21.06.2001
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Qualitätsware

Qualitätsware

Er stieg aus seinem roten Volvo und trat auf den Bürgersteig. Das ganze Schaufenster war voll mit Stiefeln. Wahrscheinlich mehr als hundert Stück. Er suchte seine. Sie standen unten rechts im Schaufenster. Schwarze Cowboystiefel. Schwarz mit einer dunkelbraunen Verzierung am Schaft. Ein scheinbar ungeordnetes Gewirr von Linien in einer Art Rokoko-Stil. Er ließ seine Zigarette auf den Bordstein fallen und trat sie aus. 129 Mark. Kein Pappenstiel für ein Paar Stiefel, aber das hier war Qualitätsware. Er beugte sich vor und legte den Kopf zur Seite. Da war eine Prägung im Innern der Stiefelschäfte. Na bitte. Markenware. Er beugte sich weiter vor, aber er konnte die Inschrift nicht entziffern. Sie war schon abgetragen, hatte sich abgenutzt. Hier gab es keine neuen Stiefel, nur Second-Hand-Sachen. Aber die hier sahen noch ziemlich gut aus, auch wenn sie schon getragen worden waren. Und neu bekam man die sicherlich nicht unter Zweihundert, vielleicht sogar mehr.
Annehmbar, dachte er.
Er richtete sich wieder auf. 129 Mark. Er zog sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche und sah hinein. Das konnte er sich leisten, wirklich. Und außerdem würden die Stiefel ja lange halten, länger, als ein normales Paar Schuhe. Da sparte er glatt noch was. Er steckte das Portemonnaie zurück und zündete sich eine neue Zigarette an. Dann betrat er den Laden. "Steven´s Stiefel Store" prangte in großen roten Lettern über der Eingangstür. Nicht so ganz korrekt, dachte er sich. Im Inneren war es etwas dämmrig. Er sah sich um. Stiefel, Lederjacken, Lederhosen, alles, was man sich vorstellen konnte. Sogar ein paar Hüte. Die rechte Seite des Ladens war voll mit Stiefeln. Eine ganze Schrankwand, vom Boden bis zur Decke. Jede Farbe, jede Form, jedes Design. Ein beinahe surrealistischer Anblick.
"Entschuldigung, aber würden sie wohl die Zigarette ausmachen?" Der alte Mann saß hinter einer hölzernen Theke, auf der eine alte mechanische Registrierkasse stand. Daneben stand ein Ständer mit kleinen Schlüsselanhängern in Stiefelform. Stiefel überall.
Er nahm die Zigarette aus dem Mund und sah sich suchend nach etwas um, wo er sie ablegen konnte. Der alte Mann stellte einen Aschenbecher auf die Theke und schob ihn langsam zum äußeren Rand hin.
"Hier bitte rein", sagte er.
"Sind das alles ihre Stiefel?"
"Ja", sagte der alte Mann, "alles meine. Wollen sie auch welche? Oder eine Hose? Eine Jacke?"
"Stiefel", sagte er.
"Sehen sie sich um", erwiderte der alte Mann. "probieren sie welche an, wenn sie mögen."
"Danke."
Er wandt sich wieder den Stiefeln zu. Suchend tastete er des Regal ab, langsam von oben nach unten, und von links nach rechts. Er fand nicht, was er suchte. Er ging zum Schaufenster und sah hinein. Da waren sie. Aber nicht im Laden.
"Entschuldigen sie,.....", sagte er.
"Ja?" Der alte Mann tauchte wieder hinter seinem Tresen auf.
"Die hier würde ich gerne mal anprobieren." Dabei deutete er ins Schaufenster.
"Nehmen sie sich raus was sie brauchen", sagte der alte Mann. Dann verschwand er wieder.
Er zögerte. Dann griff er in die Auslegeware und angelte sich die beiden Stiefel herauf. 129 Mark. Das Preisschild baumelte an den Sporen herum. Er sah hinein. Größe 8 1/2. Was hieß das denn. Keine normale Schuhgröße drauf? Er drehte die Stiefel in den Händen. Dann blickte er wieder zur Theke hinüber, aber der alte Mann war nicht zu sehen.
Anprobieren, dachte er sich. Vielleicht hat er ja noch ein Paar in einer anderen Größe da.
Im hinteren Bereich des Ladens standen einige Stühle, daneben drei Umkleidekabinen. Er setzte sich auf einen der Stühle und begann seine Schuhe auszuziehen. Es roch seltsam hier, fand er. Leicht süßlich und doch......komisch. Eine schwere Süße, die sich in der Nase festsetzte. Unangenehm.
Den ersten Schuh stellte er sorgsam neben den Stuhl. Der Laden schien nicht viel Zulauf zu haben. Als er hereingekommen war, meinte er zwar, einen weiteren Kunden gesehen zu haben, aber der war anscheinend gegangen. Beschissene Lage für ein Geschäft. Weit weg von der Innenstadt, hier war praktisch gar nichts los. Kein Wunder, wenn der bald dichtmachte. Auch er hatte ihn nur durch Zufall gefunden. Gleich neben einem Gebrauchtwagenhändler, der ein interessantes Angebot in der Zeitung stehen gehabt hatte. Ein 49er Käfer, mit Brezelfenster. Hervorragend erhalten. Den wollte er sich mal ansehen. Er zog den zweiten Schuh aus und stellte in neben den ersten.
Plötzlich wußte er, daß etwas nicht stimmte. Der schwere Geruch schoß so intensiv in seine Nase, daß er sich fast übergeben mußte. Der Laden kippte. Oder kippte er? Krampfhaft versuchte er, sich an seinem Stuhl festzuhalten, aber es war nutzlos. Er fiel und spürte, wie er auf etwas Weiches und Nasses aufschlug. Dann wurde alles schwarz.

Der alte Mann stellte ein Paar Cowboystiefel ins Schaufenster. Sie waren schwarz. Schwarz mit einer braunen, verschlungenen Verzierung. 129 Mark. Er stellte sie rechts unten hin. Dann ging er in den hinteren Teil des Ladens zurück und begann, die Falltür zu ölen.
Dann stopfte er etwas in einen blauen Müllsack, hievte ihn sich auf die Schulter und trat durch die Hintertür des Ladens nach draußen in den Hof. Er öffnete die Klappe des Müllcontainers und wuchtete den Sack hinein. Kreischend fiel die Klappe wieder zu. Er ging zurück in seinen Laden. Er leerte den Aschenbecher, schloß die Kasse ab und trat ans Fenster.
Es würde bald regnen. Höchste Zeit, daß er die Dachfenster schloß.
Drüben auf dem Parkplatz des Gebrauchtwagenhändlers stand ein neues Auto. Ein roter Volvo. An der Windschutzscheibe klemmte ein Zettel. 9000 Mark. Kein Pappenstiel. Dafür war es Qualitätsware.

 

Hallo Hobbes,

War Deine erste erste Story doch eher durchschnittlich, muß ich Dich jetzt echt loben.
Die Geschichte hat mir wirklich gut gefallen. Ich habe zwar ein Faible für Twilight Zone mäßige Stories, in denen das wichtigste Stück Information einfach ausgelassen wird, aber hier ist das ganze auch richtig gut erzählt. Es gibt eigentlich nichts auszusetzen.
Als Du den süßlichen Geruch erwähnst, dachte ich schon in den Stiefeln stecken zwei abgehackte Füsse, wurde aber doch noch überrascht. Ich nehme an er wurde mit Gas betäubt oder so,... Na ja auch egal. Man braucht es gar nicht zu wissen.

Wirklich gelungen,

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