Rückkehr nach Eden
Rückkehr nach Eden
Von Stephan Pamp
Der Regen hatte den dunkelgrauen Stoff meines Mantels schon völlig durchnässt, lange bevor ich auch nur die andere Straßenseite erreicht hatte. Glück im Unglück nennt man es wohl, wenn einem schon die Karre mitten in einer regnerischen Nacht weit weg von zu Hause verreckt, dann wenigstens genau vor einem Hotel.
Mir mit einer Hand das triefendnasse Haar aus der Stirn wischend betrat ich das Zwielicht des Foyers durch die quietschende Drehtür, nur um den verlassenen Tresen und einige billig wirkende Sitzgruppen zu erkennen, die ordentlich im ganzen Raum verteilt waren.
„Empfange an die Bar“ stand auf dem Schild an der Rezeption, das aussah als wäre es von einem zwar bemühten, aber leicht debilen achtjährigen geschrieben worden. Seufzend schaute ich mich um und bemerkte in der hinteren Ecke des Foyers einen Wegweiser neben den Treppen, die sich in die oberen Stockwerke empor wanden. Kurz war ich versucht, nach rechts, Richtung Sauna zu gehen, nur um zu sehen, ob solch gehobener Luxus sich wirklich in einer schmierigen Kaschemme wie dieser hier befinden konnte, ließ es dann aber doch sein und ging nach links, Richtung Bar.
Eine doppelte Milchglastür mit einer anfallauslösend flackernden Neonreklame kündigte von dem „Saloon“. Süffiger Blues drang leise durch die Tür, der das Murmeln der Unterhaltungen und ein lautes Gelächter nicht ganz übertönen konnte.
Als ich eine Seite des Eingangs öffnete, sprangen mich die verschiedensten Sinneseindrücke an wie ein hungriges Raubtier. Zum einen wurde das Gemurmel fast unerträglich laut, während die Musik seltsamerweise die Lautstärke beizubehalten schien. Zum anderen trieb mir die herauswabernde Qualmwolke fast Tränen in die Augen und der Gedanke schoss mir durch den Kopf, dass die Tür vielleicht doch aus klarem Glas bestand und nur der bläuliche Dunst den Blick ins Innere verwehrte.
Ich bahnte mir blinzelnd einen Weg durch den Raum, vorbei an verschwommenen Schemen, die plötzlich vor mir auftauchten und wieder verschwanden, auf die von Licht geflutete Insel in diesem Halbdunkel zu, in der ich die Bar vermutete. Der Schweiß trat mir auf die Stirn, kaum, dass ich die Schwelle übertreten hatte, so heiß und stickig war es.
An der Theke selber war es überraschend leer, wenn man den Betrieb hier drinnen bedachte, nur ein paar Personen hatten sich auf den Barhockern niedergelassen, unter denen sich seltsamerweise fast so viele Frauen als Männer befanden, die gelangweilt in die Runde sahen. Mir kam so langsam ein Verdacht, in was für eine Art von Etablissement ich mich vielleicht verlaufen hatte.
„Hey“, schrie ich zu dem Klischee eines südländisch aussehenden Barkeepers mit grellem Hawaihemd und Goldkettchen auf der behaarten Brust hinüber, der gemächlich ein Bierglas polierte.
„Hey, ich brauche ein Zimmer.“ Wie in Trance drehte er sich in meine Richtung und kam langsam auf mich zu.
„Für Stunde oder für Nacht?“, fragte er mich mit einem harten Akzent, während er sich zu mir über den Tresen beugte und mich mit riesigen, blendend weißen Zähnen anlächelte.
„Für heute Nacht. Mein Auto ist liegen geblieben. Draußen, direkt vor der Tür.“
Mit mitfühlender Miene nickte mir der Bartender zu.
„Hast aber Gluck g´habt, dass du hier gelandet. Gute Musik, gute Frauen, gutes Trinken. Hier Du hast Schlüssel, Zimmer 307, morgen bezahlen, 39 Euros und heute Du hast Spaß.“
Eigentlich hätte es mich wundern sollen, dass er den Schlüssel hier hatte und nicht am Empfang. Und noch mehr hätte es mich wundern sollen, dass er noch nicht einmal meinen Namen wissen wollte. Aber in den letzten paar Jahren hatte ich mich daran gewöhnt. In einem Hotel, in dem man Zimmer stundenweise mieten kann, nennen die Gäste ihren Namen nicht so gerne. Und die Besitzer haben dafür durchaus Verständnis.
„Die gute Gesellschaft nicht zu vergessen“, lachte ich ihn an und ignorierte dabei das weibliche Wrack drei Plätze weiter, das bei dem Versuch mich lasziv anzulächeln kläglich scheiterte. Ich betrachtete ein Pärchen, das es sich bei einem Drink auf einer der schwarzen Sofas bequem gemacht haben, die den größten Teil des Mobiliars ausmachten. Er, typischer Vertretertyp mit Bosshemd und gelockerter Seidenkrawatte, sie mit einem hautengen Kleid, das der Fantasie nicht viel Spielraum ließ.
Ähnliche Paare hatten sich im ganzen Saloon zusammengefunden, soweit ich das erkennen konnte, dort ein fetter Kerl um die sechzig, der seine spärliche Haarpracht von links nach rechts über seine Halbglatze gekämmt hatte und der ein blondes Mädchen auf dem Schoß hatte das nicht älter als sechzehn sein konnte, da ein schmierig aussehender Typ, der offensichtlich dem Alkohol mehr zugesprochen hatte als den Frauen. Sein Kopf war nach hinten gegen die hohe Rückenlehne der Couch gelehnt, unter seiner Haut zeichnete sich ein fast mandalaeskes Muster aus geplatzten Äderchen ab, das typische Erkennungsmerkmal eines Gewohnheitstrinkers, und aus seinem offenen Mund lief ein breiter Speichelfaden sein Kinn hinab.
Angewidert wendete ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Barmann zu, um einen doppelten Scotch on the Rocks zu bestellen, als die Musik verstummte und eine schwülstige Stimme aus den Lautsprechern ertönte.
„Und nun, meine Damen und Herren, lehnen sie sich gemütlich zurück, denn nun kommt die Dame, auf die wir schon den ganzen Abend gewartet haben. Heißen sie sie mit einem herzlichen Applaus willkommen. Hier ist sie, Claudine!“
Die Stimmung in der Bar veränderte sich sofort. Alle Blicke schossen zur Bühne, Pfiffe wurden laut und Hände schlugen unrythmisch zusammen. Neugierig folgte ich den Blicken, gespannt, was kommen würde.
Mein Herz setzte ein, zwei Schläge lang aus, als ich sie durch den purpurnen Vorhang treten sah. Das blaue Pailettenkleid umschmiegte Kurven, die sich nur ein lüsterner Hochglanzfotograf hätte ausdenken können, ihre roten Haare wallten ihren Rücken hinab wie ein Strom puren Lavas und ihre Schmolllippen schrieen jedem, der sie betrachtete, küss mich entgegen. Sie sah aus wie die fleischgewordenen Jessica Rabbit aus diesem alten Film, in dem Zeichentrickfiguren eben so lebendig waren wie reale Menschen.
Mit ihren feingliedrigen Fingern griff sie nach dem Mikrofon und ließ jeden Mann im Raum wünschten, dass es etwas ganz anderes wäre, um das sich ihre Hände schlossen.
Augenblicklich wurde es so still, dass man die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können, als sie unter halb geschlossenen Augen ihre Blicke durch den Saal schweifen ließ. Ihr Auftreten in dieser Kaschemme, unter den Blicken dieses menschlichen Strandgutes hatte irgendwie etwas Obszönes an sich, als würde sie sich nackt zwischen Schweinen im Stall räkeln.
Ihre Lippen teilten sich, die Blicke der Männer im Raum hingen an ihnen wie Schmeißfliegen an einem faulen Apfel und mit samtiger Stimme hauchte sie einen traurigen Blues hervor. Weder konnte ich den Text richtig verstehen noch kannte ich das Lied, der Zauber des Augenblicks hielt mich gefangen. Sie sang ein, vielleicht auch zwei Lieder, es hätten aber genau so gut auch zehn sein können, mein Gefühl für Zeit war in diesen Augenblicken völlig hinüber, es gab nur das Hier, nur das Jetzt, nur sie. Es war fast wie eine handvoll Eis, die einem in den Schritt gerammt wird, als die Musik verstummte und das Licht wieder anging. Wo an jeden anderem Ort der Welt jetzt tosender Beifall eingesetzt hätte, gab es nur Stille, als sie sich majestätisch auf die Theke zu bewegte. In den Blicken der Männer lag unverhohlene Gier, die Frau nicht den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen lassend, ein Rudel Wölfe, die ein verletztes Reh gewittert haben, sabbernd, voller Vorfreude auf das Festmahl. Wie ein Mann bewegte sich die Masse auf den Tresen zu, behinderte sich selbst, nur ich und ein Schrank von einem Kerl mit Bulldoggengesicht und billigem Anzug standen schließlich in ihrer unmittelbaren Nähe, ich konnte schon fast ihr Parfum riechen, so nahe war ich ihr, es galt, den freien Platz zu ihrer Rechten zu erobern. Wir musterten uns kurz, er blickte mich an und irgendetwas in meinen Augen schien ihn trotz seiner offensichtlich körperlichen Überlegenheit dazu zu bewegen, mich für diesen Abend als das Alphamännchen des Abends anzuerkennen. Ich konnte fast ein kollektives Stöhnen im Hintergrund hören, als ich mich neben der Beute niederließ, das Spiel war für diesen Abend gelaufen und die normale Geräuschkulisse setzte praktisch augenblicklich wieder ein, als hätte es Claudines Intermezzo nie gegeben.
Aus der Nähe betrachtet bröckelte sehr viel von ihrer scheinbaren Perfektion, unter der Fassade aus Makeup und Arroganz sah sie erschöpft aus, kleine Fältchen hatten sich um ihre Augen und Mundwinkel gebildet. Lächelnd sah sie mich an.
„Ich habe gehofft, dass Du es sein würdest. Jeden Abend ist es das Gleiche. Oft sehen sie nicht so nett aus wie du.“
Ich kam ins stottern, räusperte mich, meine Hände schwitzten. Was hätte ich sagen sollen?
Ihr glockengleiches Lachen nahm mir die Entscheidung ab.
„Schon gut, Süßer. Wir sind hier alle Erwachsen. Wenn du fünfhundert Mücken hast, machen wir uns eine schöne Nacht. Nur du und ich. Bis morgen früh um sieben. Was hältst Du davon?“
Irgendwie brachte ich ein schiefes Grinsen zu Stande, ich war froh, mir nicht selbst zusehen zu müssen, wie ich mich wie ein Idiot benahm, und nickte.
„Wie wäre es vorher mit einem Drink? Was möchtest Du?“
Sie sagte es mir und ich rief wieder den Kellner zu uns.
„Einen doppelten Scotch on the Rocks noch mal und ein Adam and Eve“ rief ich ihm zu, aber er hatte die Drinks bereits fertig und zwinkerte mir zu.
„Hab` schon gedacht, ihr nicht wollen durstig ins Bett. Macht dann fünfhundert Claudine und 15, 50 trinken. Diesmal jetz gleich. Viel Spaß.“ Ich zog ein paar Scheine aus meiner Hosentasche und warf sie ihm hinüber. Ich hatte immer schon gerne Bargeld dabei, auch in größeren Mengen. Das verschaffte mir ein Gefühl von Sicherheit.
Ich gab Claudine ihren Cocktail und genoss den Anblick, als sie sich den Strohhalm zwischen ihre Lippen schob, mich dabei anblickte mit Augen, die die Farbe von Smaragden hatten, die gerade das erste mal mit Sonnenlicht in Berührung kommen, nachdem sie seit Äonen in tiefem Fels eingeschlossen waren.. Ich bemerkte den Schönheitsfleck auf ihrer Wange, der fast die Form einer Neun hatte, sah die beinahe unsichtbare Narbe auf ihrer Nasenspitze. Ich konnte mein Glück nicht fassen. Diese Frau zu finden, die Rose auf einem Feld von Unkraut. Im Stillen dankte ich allen möglich und unmöglichen Göttern für ihr Wohlwollen.
Wieder lachte sie auf, und ich glaubte wirklich, eine leichte Rötung unter ihrem Makeup zu erkennen.
„Warum musterst du mich so? So was Besonderes bin ich jetzt auch wieder nicht.“
Durch ihre Scham flößte sie mir etwas mehr Selbstbewusstsein. Ob gespielt oder nicht, die Frau war unglaublich.
„Und ob du das bist“, erwiderte ich und meine Fingerspitzen berührten vorsichtig ihre Wange. „Du bist sogar mehr als das.“
Ich ergriff ihre Hand, warf noch schnell einen Blick auf den Zimmerschlüssel, damit ich auch den richtigen Raum finden würde und zog sie auf die Beine. Mein Atem wurde heißer, mein Herz schlug in meiner Brust um sich wie ein Boxer der kurz vor dem KO steht und es nicht wahrhaben will.
Ich hatte das Gefühl, dass meine Füße kaum den Boden berührten, als wir wortlos zum Zimmer gingen, und mit zitternden Fingern benötigte ich drei Versuche, bis ich endlich den Schlüssel im Schloss hatte.
Irgendwo am Rande meines Bewusstseins nahm ich das Zimmer wahr, die fadenscheinigen Vorhänge, den vorsintflutlichen Deckenventilator. Ein billiges Zimmer für ein nicht ganz billiges Vergnügen. Kaum war die Tür geschlossen, packte ich Claudine, presste sie an mich, meine rechte Hand auf ihrem Hintern, küsste sie wild. Meine Männlichkeit rieb sich durch den Stoff meiner Hose an ihrem Bauch, meine linke Hand griff an ihren Busen. Leise stöhnte sie auf, sie riss leicht an meinen Haaren, dirigierte mich so auf das Bett zu. Ich löste meine Rechte widerwillig von ihrem Po, fahrig versuchte ich, ihren Reißverschluss am Rücken zu öffnen, ihr das Kleid abzustreifen. Irgendwann lagen wir da, Seite an Seite, sie nur noch in Slip und Strümpfen, ich in völlig zerwühlter Kleidung.
Sanft glitt meine Zungenspitze über ihren Bauchnabel, übte ein wenig Druck auf ihre Scham aus. Meine Linke streichelte ihre Knospen, meine rechte befreite sie langsam von den halterlosen Strümpfen.
„Hast Du Lust auf ein Spielchen?“ fragte ich sie, zwischen ihren Beinen liegend, so kurz vor dem Ziel.
„Und was für ein Spiel soll das wohl sein?“ Sie grinste mich wissend an, ihre Augen leuchteten.
Ich stand auf, zog sie auf die Beine, mit zwei Schritten war ich hinter ihr. Leicht legte ich ihr einen Strumpf um den Hals, meine andere Hand auf ihrem bebenden Bauch. Widerwillig wand sie sich unter meinem Griff.
„Lass das. So was mach ich nicht.“ Ihr Blick huschte zur Tür, wo neben dem Schalter für das Licht wohl auch eine Art Alarmvorrichtung angebracht war.
„Keine Angst“, flüsterte ich ihr leise ins Ohr, „ich möchte dir nur etwas zeigen.“ Ich holte ein Foto aus meiner Hemdtasche und hielt es ihr vor Augen.
Sie begann sich zu wehren, als ich den Strumpf enger zog, ich hielt sie fest, die Hand jetzt auf ihrem Mund, das Bild flatterte zu Boden. Gedämpfte Schreie drangen unter meiner Handfläche hervor, sie warf ihren halbnackten Körper hin und her, aber sie hatte nicht einmal die Chancen eines Schneeballs im Sommer. Ich war zu stark, hatte zu lange auf diesen Moment hingearbeitet, als dass ich jetzt unvorsichtig geworden wäre.
„Fünf Jahre, du Fotze, “ zische ich sie an, „fünf Jahre habe ich nach dir gesucht. Du hast meinen Bruder ruiniert, du blöde Schlampe, er hatte nichts mehr, als du abgehauen bist. Er ist tot, hörst du, tot, wegen dir. Wollte so nicht mehr leben, bis übern Arsch verschuldet, gedemütigt, von dir, du Sau. Er ist tot und endlich bekommt er seine Rache.“
Das Blut rauscht in meinen Ohren, pumpt Adrenalin durch meinen Körper. Ihre Fingernägel reißen tiefe Furchen in mein Fleisch, zerfetzten Haut und Textilien, doch das eine ist mir so egal wie das andere. Nur nicht loslassen, ihre Zähne fordern ihren Tribut. Egal. Nylon, um mein Handgelenk gewickelt, um ihren Hals geschlungen, schneidet ihr die Luft ab, ihre Bewegungen werden schwächer, resignierend. Ich nehme meine Hand von ihrem Mund, sie röchelt nur, kein Schrei kommt ihr mehr über die Lippen, ich greife in ihr Haar, reiße ganze Strähnen heraus. Ich spucke sie an, sie erlahmt, erschlafft, fällt zu Boden. Ich sitze auf ihrem Rücken, den Strumpf noch immer fest umklammert, schlage auf ihren Hinterkopf und lache irre.
Sie bewegte sich nicht mehr. Ich stand mit geblähten Nüstern über ihrem toten Körper, fuhr mir zitternd durchs Haar. Fünf Jahre meines Lebens lagen vor mir. Ein Haufen erkaltendes Fleisches. Die Anspannung begann von mir abzufallen wie totes Gewebe einer Python bei der Häutung und nahm eine Tonnenlast mit sich. Ich dachte kurz an den kochenden Motor des gestohlenen Wagens draußen vor der Tür und wie groß die Chancen standen, dass sich die ehemalige Geliebte meines Bruders ausgerechnet in dem Hotel abschleppen lässt, vor dem ich eine Panne habe. Wie schnell hat musste sie das Geld verprasst haben, das sie von ihm erpresst hat, um hier zu landen? Das Miststück. Endlich war ich frei. Endlich konnte ich nach Hause.
Ich zog mir meine Jacke an, nahm das Bild wieder an mich, auf dem mein Bruder das Miststück in seinen Armen blöde angrinste und verpasste der Leiche noch einen letzten Tritt. Ich hoffe, mein Bruder konnte mich sehen, wo immer er auch war.