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Rüffel
„Papa, darf ich Fußballspielen gehen?“
„Hast du schon die Hausaufgaben gemacht?“
„Ja klar!“ Peter fügte beinahe unhörbar hinzu: „Fast.“ Der Sohn stand in der Wohnzimmertür, die Fußballschuhe geschnürt, Rückennummer 13. Günther Klöbmann blickte streng hinter der aufgeschlagenen Tageszeitung hervor. „Was heißt hier ‚fast’?“
„Naja, Mathe ist erledigt, Bio auch. Ich muss nur noch eine Seite schreiben.“
„Was für eine Seite? Na komm schon, lass dir nicht wieder alles aus der Nase ziehen. Welches Fach?“
Fußballspielen konnte sich Peter abschminken, der Nachmittag war gelaufen. „Deutsch. Wir sollen eine lustige Kurzgeschichte schreiben.“
„Thema?“
„Ein Erlebnis aus den Ferien. Irgendwas.“
„Na, dann geh sofort hoch in dein Zimmer, setz dich auf den Hosenboden und schreib. Wenn du fertig bist, kannst du spielen gehen.“
„Ach, meia, ich hab aber keine Lust …“ Günther Klöbmann platzte der Kragen. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ Jetzt wurde er so richtig laut. „Du schreibst jetzt sofort diese lustige Geschichte oder es knallt!“ Komisch, dachte Peter, Papas Rüffel knallten eigentlich nie. Er strich sich über den Haarschopf am Hinterkopf, während Mama Renate ein Staubtuch schwingend durch das Wohnzimmer tänzelte. „Reg dich nicht gleich auf, Schatzi. Wo du doch heute Urlaub hast. Hilf doch mal unserem Buben. In Deutsch ist er so schwach.“ Günther war noch immer auf Hundertachtzig und rang nach Luft. „Schwach in Deutsch? Peter ist Deutscher, da wird er ja wohl ein paar ganze Sätze halbwegs fehlerfrei … verdammte Scheiße, nie kann man mal in Ruhe seine Zeitung …!“
Klöbmann schob seinen Sohn die Treppe nach oben in das Kinderzimmer und bugsierte ihn auf seinen Schreibtischstuhl „Also, schreib’! Am besten erstmal die Überschrift. Wie heißt das Thema noch mal?“
„Eine lustige Kurzgeschichte.“
„Dann lass uns mal überlegen. Was Lustiges aus dem letzten Urlaub. Wie wär’s mit der Geschichte, als du beim Schwimmen im Meer auf den Seeigel gestiegen bist und wir tagelang die Stacheln aus deinem Fuß gezogen haben?“
„Das war aber nicht lustig.“
„Wieso nicht? Ich und Mama können heute drüber lachen. Oder fällt dir vielleicht was Besseres ein?“
„Als uns der Sprit ausging und du bei 40 Grad im Schatten zwölf Kilometer zur nächsten Tankstelle gelaufen bist, und die war zu. Und die andere war gleich um die Ecke, und die war offen.“
Peter bekam den ersten Rüffel des Tages in gewohnter Präzision mit der Handfläche über den Hinterkopf gezogen. „Aua!“
„Erinner mich bloß nicht daran! Ich hätte tot sein können in dieser Bullenhitze.“
Kurze Stille bis Günther triumphierend den Finger hob: „Das ist es: als die Mama eine Nacht lang im Gefängnis saß, weil ihr beim Juwelier versehentlich eine Halskette in die Handtasche gerutscht ist.“
„Au ja, Papa, und die haben gedacht, die Mama wollte sie klauen.“
Von unten drang eine schrille Stimme nach oben. „Hast du mich gerufen, Schatzi?“
Günther wandte genervt den Kopf Richtung Treppe. „Nein!“
Peter schrieb:
Wie die Mama fast eine Kette geklaut hätte.
Günther unterbrach. „Das kannst du so nicht schreiben. Das liest sich ja, als wie wenn sie die Kette wirklich klauen wollte. Also schreib: Wie die Mama fast versehentlich eine Kette geklaut hätte.“
Renates Stimme von unten: „Schatzi, hast du was zu mir gesagt?“
Günther brüllte Richtung Treppe: „Nein. Und stör uns nicht dauernd! Wir schreiben hier eine lustige Geschichte, verdammt noch mal!“
Peter nutzte den kurzen elterlichen Disput für einen Blick aus dem Fenster. Da draußen spielten seine Freunde Fußball. Der Heiner war eine echte Null im Tor. Peter sah sich selbst in Gedanken im Strafraum lauern. Gleich kam die Flanke. Da flog der Ball heran, direkt in seine Richtung, er hatte eine ideale Position für ein geiles Kopfballtor! Peters Kopf schnellte nach vorne und... „Aua!“
„Konzentrier dich gefälligst und starre nicht zum Fenster raus! Also, wo sind wir?“
„Im Juweliergeschäft.“
„Dann schreibs halt endlich!“
Papa und ich und die Mama sind in ein Juweliergeschäft gegangen.
„Aua!“
„Juwellier mit zwei ‚L’!“
Peter war klar, warum Papa kaum noch Haare am Hinterkopf hatte. Den hatte wohl der Opa blitzblank gerüffelt. Er schrieb weiter:
Da lag eine goldene Kette, die vom Verkaufstisch runterrutschte.
Renate rief trällernd nach oben. „Schatzi, da ist der Paul am Telefon, ob du mitgehst in den Biergarten?“
Günther stand sofort auf und ging Richtung Treppe. „Schreib’ den Aufsatz zu Ende. Weißt ja jetzt Bescheid.“ Er verschwand zuerst nach unten und zwei Minuten später aus dem Haus. Peter sah seine Freunde Fußball spielen. Es war noch genügend Zeit, und er begann eilig zu schreiben.
Wie die Mama fast versehentlich eine Kette geklaut hätte.
Papa und ich und die Mama sind in ein Juwelliergeschäft gegangen. Da lag eine goldene Kette, die vom Verkaufstisch runterrutschte. Niemand hats gemerkt, nur ich. Ich habe die Kette aufgehoben und in Mamas Handtasche gesteckt, so dass ein Stück raushing. Als wir wieder raus wollten, kam die Polizei und hat die Kette aus der Tasche gezogen. Dann haben sie Mama mitgenommen. Alle haben rumgebrüllt. Das war lustig.