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Mal was ganz anderes von mir.
Rabenheim
Rabenheim
Gestern ist auch noch Malav am Durchfluss gestorben. Nun war ich alleine, aber bei mir hatte es aufgehört, es kam nichts mehr nach, obwohl ich getrunken hatte. Der Kot trocknete an meinen Oberschenkeln. Ich konnte wieder gehen. Wir waren neun gewesen, alles junge, gesunde Männer der Küste, es hatte alle erwischt. Sogar Olak, und der hatte bei Ias genug Fett auf den Rippen gehabt, dass man meinen könnte der würde am längsten durchhalten.
Ich kicherte vor mich hin und setzte den nächsten, langsamen Schritt, den Hang hinauf.
Tatsächlich ist Olak schon als zweiter gestorben. Seine Wampe war kaum geschrumpft, er hatte einfach eine Woche hohes Fieber und Durchfluss und ist dann gestorben. Erstaunlich. Ich trage seine Stiefel.
Bei den anderen hatte es mehrere Wochen gedauert, einer nach dem anderen ist innerlich ausgetrocknet, unter schrecklichen Schmerzen. Da konnte man nichts machen. Ich fühlte mich so gesund wie seit Ewigkeiten nicht. Gut, ich war völlig abgemagert und hatte nichts zu essen, aber ich wanderte einen Bach entlang, darum hatte ich Wasser und es blieb in mir.
Ich ging bergaufwärts, weil ich glaubte, da den Schein eines Feuers zu sehen und den Rauch zu riechen. Ich rückte Ulfs langes Messer zurecht, das jetzt an meiner Seite hing, weil er es ja nicht mehr brauchen konnte. So ein gutes Messer, eine Elle lang. Und scharf! Ulf hatte sein Messer geliebt.
Es war nicht so kalt, dass Eis auf dem Bach getrieben wäre, aber wenn ich dort oben keine Wärme und Unterkunft fand, könnte diese Nacht schwierig werden, obwohl ich nicht nur meine Decke, sondern auch die von Ingurdsen und Malav bei mir trug. Von Malav hatte ich auch noch ein gutes Stück des Oberschenkels dabei, das war mein letztes Essen. Den Arm hatte ich schon vorher gegessen. Malavs Oberschenkelfleisch war nicht mehr ganz frisch, wenn ich es roh aß, bekam ich sicher wieder Durchfluss, oder schlimmeres. Ich musste es braten.
Meine Gedanken schweiften ab, während ich den Hang hinaufschlich. Es hatte alles so gut angefangen. Neun Jungs gehen auf ein Schiff, wir bekamen ein Schwert und ein Schild, die Mütter weinten, die Väter auch – aus unterschiedlichen Gründen. Wir waren Freunde fürs Leben, wir waren Männer geworden.
Wir fuhren den Fluss hinauf und plünderten Bauernhöfe und sogar ein Kloster. Das Kloster war unser Untergang, denn dort gab es Wein.
Wir töteten alle, die nicht schnell genug wegliefen. Dann betranken wir uns ein paar Tage und Pavl beharrte darauf, dass am Ufer des anderen Flussarms noch so ein Kloster mit goldenen Kreuzen ganz in Nähe war. Er hörte nicht mehr auf damit. Immer er und seine goldenen Kreuze. Ich hatte jetzt seines im Rucksack.
Die anderen Männer von den drei Schiffen ließen es langsam angehen. Naheliegende Dörfer wurden erkundet und überfallen, aber nicht auf die brutale Art. Wir blieben im Kloster und betranken uns, feierten unseren ersten erfolgreichen Raubzug und das war wirklich herrlich. Aber jungen Männern wurde schnell langweilig und Pavl hörte nicht auf mit den goldenen Kreuzen.
Das Kloster hatte ein Ruderboot anliegen und es war ausgelegt für zehn Leute. Also machten wir uns aus dem Staub und ruderten flussaufwärts, den anderen Arm entlang.
Wir fanden das erste Dorf, überfielen es mit viel Radau und Geschrei und brannten ein paar Gebäude nieder.
Ich sah durch den offenen Eingang einer brennenden Hütte, in dem Moment, als sie zusammenbrach. Eine Frau warf sich über ihr Kind, als die brennenden Balken herabstürzten und beide unter sich begruben.
Ein weißer Arm reckte sich noch nach oben, wie um die schweren Stämme, die glutheiß herab fielen, aufzuhalten. Ich ging weiter, die Luft war voller Rauch und dem Schreien der Dorfbewohner. Sie waren winzig, auch die Männer, sie überragten kaum die Oberkante unserer Schilde. Eine schreiende Gestalt stürzte sich von links durch den Qualm auf mich zu, die Schwerthand erhoben. Ich rammte dem Zwerg den Rundschild ins Gesicht, ohne meinen Schritt zu verlangsamen. Er überschlug sich mehrmals und blieb regungslos liegen. Wir brannten nur drei der fünf Hütten nieder, wir waren ja nicht im Krieg.
Ich versuchte eine Frau zu nehmen. Alle anderen hatten das schon erledigt und sie zogen mich auf damit, dass ich da noch nicht mitgemacht hatte. Ich hatte mir eine sehr schöne Frau ausgesucht, ich dachte, beim ersten Mal sollte es etwas besonderes sein.
Aber ich habe es nicht hingekriegt. Sie hat zuerst geweint und dann als ich ihr das Gewand hochgeschoben hatte, wurde sie ganz reglos und starr. Vor meinem inneren Gesicht tauchte die Frau und ihr Kind in der brennenden Hütte auf, der weiße Arm...
Ich habe so getan, als würde ich es tun, aber es funktionierte nicht. Irgendwie hatte sie es verstanden, glaube ich und es tat mir leid, als Ulf sie dann wirklich vergewaltigte.
Ich bin gegangen, ohne etwas zu sagen, sie hätten sich noch mehr über mich lustig gemacht, aber jetzt tut es mir ein bisschen leid.
Dann haben wir gegessen und getrunken und alle sind krank geworden.
Am Anfang hatten wir uns über die Kotzerei lustig gemacht, wir waren jung und stark und wenn bei uns jemand das Kindesalter überlebte, starb er in der Schlacht, so wie es die Götter verlangten. Als dann der blutige Durchfluss dazu kam, war das Lachen lange vorbei.
Keiner von uns war ein Heiler, obwohl Swen das behauptete und einen Sud aus Wurzeln kochte, aber das Gebräu machte es eher noch schlimmer. Halef starb als erster, irgendwann lag er in seiner Scheiße und bewegte sich nicht mehr. Keiner hatte mehr die Kraft ihn aus dem Lager zu schleppen.
Ich trage sein Medaillon um den Hals. Jeder hatte ihn darum beneidet, es war aus einem schweren, silbernen Metall, das an Schwertern haftete, ein magischer Gegenstand. Aber ich habe es nicht ihm abgenommen, sondern Ulf, der hatte es sich vorher geschnappt.
Malav war als letzter gestorben und ich habe ein Stück von ihm gegessen, er war ja noch am frischesten. In unserem armseligen Todeslager hatte ich kein Feuer machen können, es schien ständig zu regnen, also habe ich seinen Oberarm roh gegessen. Er war ein großer, muskulöser Mann gewesen, ich habe an ihm genagt wie ein Tier.
Das hatte mir ein wenig Kraft zurück gegeben, ich konnte zuerst kriechen, dann gehen, als ich den Bach erreichte, konnte ich trinken und schlief unter den Decken meiner Kameraden.
Ich träumte von der aufgehenden Sonne, erwachte aber in der Dunkelheit.
Die Nacht war klirrend kalt, aber ich hatte wieder die Kraft zum Himmel zu blicken und der hellste Stern wies mir den Weg. Im Mondlicht sah ich einen schmalen Pfad und das gab mir Zuversicht. Wo ein Pfad war, konnten auch Menschen sein. Ein Überfall von Raben zog über mich hinweg.
Am Gipfel des Berges konnte ich den Lichtschein nun so deutlich sehen, dass es keine Einbildung mehr sein konnte. Am Bach trank ich noch einmal und machte eine letzte Pause. Das eiskalte Wasser krampfte meine Eingeweide zusammen. Ich lehnte mich an einen Felsen und sah den Berghang hinauf. Da war ein Licht, ganz bestimmt und ich glaubte, den Duft der Suppe meiner Mutter zu riechen. Ich schloss einen Moment die Augen, ich hörte das Flattern von Rabenflügeln und das Atmen eines Bären. Ich durfte jetzt nicht schlafen, quälte mich auf und marschierte wieder los.
Ein eisiger Nebel zog auf, und ich verlor die Richtung, als die Feuerzeichen erschienen. Sie beschrieben helle Kreise und verschlungene Muster, griffen ineinander und malten brennende Geschichten in die Nacht. Ich schöpfte neue Kraft und tat einen Schritt nach dem anderen.
Ich musste lange gedankenlos gewandert sein. Die Frau stand ganz plötzlich vor mir.
Sie schwang die Feuerkelche, die mir den Wege gewiesen hatten, Lichtkreise beschrieben komplizierte, magische Bilder, ich konnte ihre Gestalt nur erahnen. Die Raben waren wieder da und flogen Kreise um sie, bildeten einen Wirbel, der in den Nachthimmel sog.
Ich versuchte, etwas zu sagen, aber die Augenblicke stürzen über mir zusammen und begraben mich wie die brennenden Balken die Frau und ihr Kind.
Hinter ihr ist die offene Tür einer Hütte, die in den Hang gebaut war, ich kann die Wärme spüren, die aus der Tür dringt und ich rieche wieder den Geruch der Suppe meiner Mutter.
Sie kommt auf mich zu, sie ist gekleidet in ein Kleid aus Rabenfedern, eine hohe Gestalt mit Augen die auch in der Finsternis blau leuchten. Sie nimmt mich sanft am Arm und leitet mich in die Wärme der Hütte.
Ich zögere einen Moment, ziehe Ulfs Messer und hebe es über meinen Kopf. Die Frau bleibt stehen und aus ihrem Gewand lösen sich lautlos Rabe um Rabe, bis sie nackt vor mir steht. Ihr Körper ist mit Zeichen bedeckt und ich glaube, ich kann sie beinahe lesen. Ich lasse die Waffe fallen.
Ich gehe hinein, bevor ich eintrete, wende ich mich noch einmal um. Vor der Hütte liegen Olaks Stiefel, Ulfs Messer, Pavls goldenes Kreuz und das Medaillon von Halef.