Rallige Ritter und Romantik
Weihnachten ist die Zeit, in der man für objektiv völlig abstoßende Dinge eine subjektive, gefühlsmäßige Zuneigung entwickelt. Was ich damit sagen will ist, dass man beispielsweise kleine, hässliche Nikoläuse mit einem implantierten Mini-Lautsprecher, die quakend „Oh Tannenbaum“ trällern und dabei spastisch mit dem Kopf wackeln, plötzlich total romantisch findet. Dabei sind diese Plastikhorsts ungefähr so romantisch wie erbrochener Glühwein auf Weihnachtsmärkten. Weihnachtsmarktartikel sind ohnehin Notgeschenke. Wenn man bis zum 23. Dezember immer noch nichts besorgt hat, denkt man sich doch: Ach, hol ich halt noch schnell irgendeinen Scheiß vom Weihnachtsmarkt. Und derartiger Verlegenheitsmüll wird dann scheinheilig an Muttern verschenkt. Wer das leugnet, der lügt!
Ohnehin erfahren Weihnachtsmärkte in den letzten Jahren Hochkonjunktur, irgendwo muss man sich schließlich auch in der kalten Jahreszeit den Alkohol reinknallen. Aber nicht nur die Besucher sind dicht wie Hirschgeweih, auch die Weihnachtsmänner, die auf diesen Märkten herumeiern und kleine Kinder dumm anmachen, sind voll bis oben hin. Wer kommt sich nicht gedemütigt vor, wenn er gammlige Mandarinen und verschimmelte Nüsse unter eine Horde Glühweingeschädigte bringen muss. Frostiges Frustsaufen ist da die Lösung.
Auf meinem persönlichen Lokalweihnachtsmarkt scheinen hackedichte Weihnachstmänner allerdings nicht zur Volksbelustigung auszureichen. Zusätzlich torkeln rallige Ritter und brüllende Burgfräulein über den Weihnachtsmarkt und erschrecken Kinder zu Tode. Das ganze heißt dann Mittelaltermarkt. Die Rittersleut labern einen dort ständig mit irgendwelchen nervigen, auswendig gelernten Phrasen zu, um eine besonders mittelalterliche Atmosphäre zu schaffen oder einem einfach nur Geld aus dem Beutel zu ziehen. Ich habe übrigens einen Lieblings-Hassritter. Kunibart. Er ist fett, hässlich und wackelt fast genauso saublöd mit dem Kopf wie ein singender Plastiknikolaus. Und er schwitzt, obwohl es Minusgrade hat.
Das Problem ist, dass Ritter Kunibart mich auch zuquatscht, wenn ich den Markt nur überquere, um von A nach B zu kommen.
„Welch holder Recke kreuzt so neckisch meinen Weg?“, prustet er mir dann ins Gesicht.
„Hat er denn einen Taler in der Tasche?“
Nicht nur wirft Ritter Kunibart alle Regeln der zeitgemäßen Grammatik durcheinander, nur um besonders ritterlich zu wirken, auch hat er den übelsten Mundgeruch aller Ritter, die ich kenne. Und das sind dank Mittelaltermarkt einige. Außerdem hat er einen bemitleidenswerten, zerfetzten Hund an der Leine, der zwar nichts mit Rittern zu tun hat, aber aufgrund seiner besonderen Publikumswirksamkeit Moneten in Kunibarts Sammeldöschen spülen soll. Ich überlege mir übrigens immer, wer hinter diesen ganzen erbärmlichen Ritterkostümen steckt. Schulrektoren, die sich Geld dazuverdienen wollen? Buchhalter, die ihre Perversität ausleben möchten? Politiker mit einem Hang zum Weltfremden? Man weiß es nicht.
Neulich übrigens ist etwas Schreckliches vorgefallen. Wieder wollte ich möglichst ungestört den Weihnachtsmarkt überqueren, und wieder redete mir Ritter Kunibart das Ohr weg. Schweiß tropfte, Speichel spritzte. Ich war in Eile und wollte weg. Ich war genervt und frustriert, weil ich mein Handy verloren hatte. Wer wird nicht aggressiv, wenn er von einem Proletenritter aufgehalten wird? Langer Rede kurzer Sinn: Ich habe Kunibart vermöbelt. Er wollte mir gerade wieder mein letztes, ohnehin sehr karges Geld abluchsen, da ist mir die Hand ausgerutscht. Ich konnte nicht anders.
Notarzt, Ritter Kunibart mit Platzwunde, Polizei, ich in Handschellen…
Etwas Positives kann man diesem Vorfall allerdings abgewinnen. Ich weiß jetzt um das Geheimnis, wer sich hinter den Kostümen versteckt. Ich habe es herausgefunden: Aufgrund meiner Handgreiflichkeiten wurde ich nämlich zu 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Und die kann man unter anderem ableisten, indem man auf dem Weihnachtsmarkt in albernen Verkleidungen Spenden fürs Tierheim sammelt.