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Randerscheinung
Ich wurde hier angespült. Habe mir weder Richtung noch Geschwindigkeit ausgesucht, habe nur jeglichen Widerstand aufgegeben und bin jetzt hier. Ihr setzt die Segel, legt euch in die Riemen, schwimmt mit aller Kraft, manche mit, manche gegen den Strom. Aber letztendlich ist das egal. Ihr verschwendet nur eure Kraft. Ich weiß es. Ich war wie ihr.
Wenn ihr mich jetzt seht, schaut ihr angewidert zur Seite. Wenn ihr mich riecht, bedeckt ihr eure Nasen mit Taschentücher. Ihr haltet es nicht aus. Ihr seht, daß ihr genauso werden könntet wie ich. Diese Angst lähmt euch, bis ihr geschafft habt den Gedanken an sie zu verdrängen. Ihr wißt, daß ihr genauso riechen würdet, hättet ihr den Widerstand aufgegeben. Der Geruch der Kapitulation ist Urin und billiger Rotwein. Eurer ist Selbsttäuschung.
Ich habe ein wenig gebraucht. Den Widerstand aufzugeben ist nicht so leicht wie ihr denkt. Ihr müßt bereit sein nie wieder aus dem Dreck aufzustehen. Und ihr solltet wissen warum ihr das tut. Ihr müßt die Sinnlosigkeit erkennen. Eure Kleider, eure Autos, eure Häuser. Sie sind nicht wirklich wichtig. Ihr versteckt euch hinter ihnen, verdeckt damit eure Gefühle, eure Sehnsüchte. Ihr leugnet eure Gedanken, konzentriert euch auf euren Besitz, um euch abzulenken.
Ich verspüre keinen Haß, keinen Neid, eigentlich spüre ich gar nichts, wenn ich euch sehe. Noch nicht einmal Mitleid. Ihr schaut auf mich herab, spuckt mich an. Ihr haßt, was ihr nicht versteht, das was nicht in eure heile Welt paßt. So wie ihr zum Arzt geht, um den eingewachsenen Zehennagel an eurem großen Zeh wegschneiden zu lassen. Ihr schaut nicht hin, laßt euch betäuben während er entfernt wird. Mich könnt ihr nicht wegschneiden. Ich lasse mich nicht entfernen. Ich bin der eingewachsene Zehennagel am Fuß eurer Gesellschaft.
Eines Tages saß er mir in der Bahn gegenüber. Es war kurz nachdem ich erkannt hatte, daß Kapitulation die einzige Lösung war. Er war so überheblich mit seinen schwarzen Lederschuhen und seinem weißen Sonntagsgrinsen. Ich konnte ihn nicht ertragen, und als er ausstieg ging ich ihm hinterher, ich wollte ihm zeigen wie durchschaubar seine Maske war. Ich wollte nur mit ihm reden, ihm sein Grinsen aus dem Gesicht reißen, indem ich ihm die Wirklichkeit zeigen würde. Doch er wollte mir nicht zuhören. Er beschimpfte mich als Penner und versuchte wegzurennen. Ich konnte ihn einfach nicht so gehen lassen! Ich ergriff einen Stein der genau in meine Faust paßte und schlug von hinten auf ihn ein. Ich wollte nicht, daß er stirbt, er sollte nur stehenbleiben, mir nur zuhören. Doch er war tot. Ich warf ihn in den Kanal. Wenigstens hatte ich ihn von seiner Maske befreit.
Ihr könnt sagen, ich trage auch eine Maske. Ihr mögt Recht haben, meine Maske ist der billige Rausch. Doch ich weiß, daß ich sie auf habe. Wenigstens das.
Wenn ich jetzt auf dem Bürgersteig sitze, um euer Kleingeld für etwas zu Essen zu bekommen, lächle ich nur noch ,wenn ihr verstohlen einen Groschen aus der Tasche fingert und ohne mich wirklich gesehen zu haben weitergeht. Denn ich weiß genau wo ihr hinkommen könnt. Ich bin schon lange da.