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Raum für Gedanken
Raum für Gedanken
Die Energieblase raste auf den Planeten zu.
Auf dessen Oberfläche hatte sich eine intelligente Spezies daran gemacht eine Zivilisation aufzubauen. Landwirtschaft und Fischfang treibend, sich in größeren Siedlungen zusammenfindend, sollte ihre Entwicklung jedoch abrupt ein Ende finden.
Von ihren Booten, die auf den Seen schwankten, von ihren Feldern, die zur Ernte riefen, von ihren frisch gerodeten Lichtungen im Wald aus blickten sie erstarrt in den vom Blauen, ins Rote verfärbten Himmel bis die Energieladung, Schockwellen vor sich herschiebend, durch die Atmosphäre drang.
Sie verdampfte die Erde vor dem Einschlag, noch ehe sie den Planeten auseinander sprengte.
Es hatte sich einst selbst einen Namen gegeben: das Geschöpf. Vor Äonen aus einer hochtechnisierten, aber genetisch verdorrenden Zivilisation entflohen, den Weg aus dem hemmenden Körper in eine nichtstoffliche Existenz findend, streifte es seitdem im Universum umher.
Es langweilte sich nicht. Schon zu Zeiten seines fleischlichen Daseins hatte es die Gegenwart anderer denkender Wesen angeödet. Die Seichtheit ihrer Vorstellungen, die Oberflächlichkeit ihres Urteilsvermögens, die Unfähigkeit zum konsequenten Schlussfolgern hatten es rasend gemacht.
Hingegen war ihm das einsame Grübeln eine unendliche, eine göttliche Tätigkeit, dessen Kunst es schon zu Zeiten seiner Körperlichkeit bis zum Exzess getrieben hatte. Nun, der korpuskularen Bedürfnisse enthoben entwirrte sein Geist binnen Jahrhunderten die großen Rätsel seiner einstmaligen Heimatwelt allein durch tiefschürfendes, nicht nachlassendes Nachsinnen.
Es war daraufhin zu seiner Heimatwelt zurückgekehrt und hatte den primitiven Nachfahren seiner Zeitgenossen die Antworten auf die Jahrtausende alten Fragen zum Geschenk gemacht. Gab ihnen das Wissen um die Gefahren der Entwicklung der Rasse und zeigte ihnen Auswege aus den Sackgassen der Evolution. Die Einsicht in die Entbehrlichkeit des Krieges vermittelte es ihnen und die, der Unentbehrlichkeit von technischer, wissenschaftlicher und ethischer Weiterentwicklung. Unter seiner Anleitung blühte die intelligente Rasse, der er selbst einst zugehörig gewesen gedeihlich und schickte sich an, den Weltraum zu betreten.
Da packte es ein unbestimmtes Grauen und mit einem Geschoss reiner Energie zerstrahlte es den Planeten seiner Urväter.
Sein Handeln schien ihm im Nachhinein anrüchig, aber nach längerem Bedenken erkannte das Geschöpf, den tiefen Sinn seines Wirkens. Es hatte den Planeten aufgebaut in der vagen Hoffnung, dass sich das am Anfang seines Weges stehende, mit Bewusstsein ausgestattete Leben erheben würde in die immateriell-transzendente Existenz, die seine Seinsform war. Doch mit dem Aufbruch in die Sternenräume mittels Fluggeräten war ihm aufgegangen, dass seinen Schützlingen ein anderer Weg beschieden war, der sie ihm aufs Äußerste entfremden würde. Konsequent hatte es dieses Irrlichten der Evolution beendet. Fortan wollte das Geschöpf nur Gedanken im Universum gelten lassen, die den seinen ebenbürtig waren. Anderes würde es nicht dulden.
Seit das Geschöpf seinen Heimatplaneten im Energieplasma zerkocht hatte waren Jahrtausende in friedlichem, einsiedlerischem Nachdenken vergangen. Fragen, an deren Formulierung ganze Legionen seiner Urväter gescheitert waren, beantwortete es sich als Fingerübung. Langsam, langsam aber stetig reifte in ihm die Erkenntnis, dass die verbliebene Lebensspanne des Universums zu kurz bemessen sei, um einen ihm ebenbürtigen Geist zu gebären. Das machte es schwermütig und hart. So beschloss es die Dauer des Universums zu nutzen und es, ehe es in sich zusammenfiel, um sämtliche Rätsel gebracht zu haben. Und das Geschöpf versenkte sich in tiefstes Sinnen.
Unaufhaltsam alterte das Universum und seit seinem Beschluss hatte das Geschöpf Sonnen aufflammen und wieder verlöschen gesehen. Monoton wiederholte sich der Kreis von kosmischer Geburt, Jugend, Reife und Sterben. Scheinbar für die Ewigkeit existierte in diesem rasenden Strudel von Werden und Vergehen das nur im geistigen Bewegte und brachte das Universum um seine Geheimnisse.
Fast unbemerkt schlich sich jedoch ein feines Wispern ein. Ein Störgeräusch in den logischen Sinfonien, das langsam über Zeitalter anschwellend disharmonisch zu quäkten begann und das Geschöpf aus der grüblerischen Suche auf die Antwort komplexer astronomischen Fragen riss.
Da es fast jedes nur mögliche Problem mit purem Nachdenken zerfasert, zerkaut und schließlich verdaut hatte, musste es nicht lange seinen geschärften Geist nach der Ursache der Störung befragen. Es lag auf der Hand - mehr noch - es hatte es vorausgesehen.
In den Tiefen des Universums hatte sich unbelebte Materie zu Molekülen verleimt; das Bakterium generiert, war über einfache Vielzeller zum Warmblüter aufgestiegen und sandte nun, als höchste Form organisierten Lebens, das charakteristische Muster von Wellen aus, die nur ein seiner selbst bewusstes Organ hervorbringen konnte. Die ärgerlichste Manifestation der Ruhestörung erhob sich formend...
... und das Geschöpf war nicht mehr die einzig denkende Instanz im Universum.
Also machte es sich auf, um die beschlossene Ordnung im Universum wieder herzustellen. Doch auch nachdem das Geschöpf die Welt vernichtet hatte, deren Verstandesfunken in seinem monotonen Gedankenstrom geknistert hatten, summte es schon aus einer anderen Ecke der Galaxis.
Noch auf dem Weg dieser neuen Störquelle entgegen, verriet ein winziger Unterschied in der Tonhöhe des Wisperns, dass sich eine weitere Spezies zum Licht der Vernunft erhob. Glücklicherweise lagen die Heimatgestirne der Wispertöne nur wenige Lichtjahre auseinander. Das Geschöpf zerstörte die zwei Welten en passant und für kosmische Sekunden herrschte Ruhe im Universum.
Bald aber kündete das zunehmende Rauschen vom Beginn einer neuen Ära. Waren die vom Geschöpf ausradierten Vorboten einer höheren kosmischen Entwicklungsstufe träge und behäbig aufgestiegen, verkürzte sich nunmehr das Intervall in dem ein Mitglied dem exklusiven Clubs der Vernunftbegabten beitrat rapide. Mal in dieser Ecke des Universums flammte das dem Geschöpf verhasste Funkfeuer der Gedankenwellen auf, mal in jener.
Ahnungslos fröhlich den unbeseelten Raum ausleuchtend und etwas anlockend, das sie mit Energiegeschossen zermalmte.
Irgendwann stieß das Geschöpf an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Es konnte seine selbstauferlegte Vernichtungsarbeit nur noch mühsam bewältigen. Hinzu kam, dass immer verwirrendere Töne ihm die Ortung erschwerten.
So erreichte es einen Bewusstsein tragenden Planeten erst als die Spezies die Besiedelung benachbarter Planeten in Angriff genommen hatte. In zeitraubender Kleinarbeit brannte das Geschöpf jeden dieser Horte der fremden Rasse nieder. Dann beschäftigte es sich Jahrhunderte damit, fliehende Raumschiffe Aufzuspüren und zu eliminieren.
Derweil trieb das Leben auf ungezählten Planeten Zweige die des Summens mächtig waren.
Das Geschöpf kapitulierte vor der Mächtigkeit der Aufgabe und zog sich in ein schwarzes Loch zurück. Dort, jenseits der Schwarzschildgrenze herrschte Stille, absolute Stille.
Aber die geraubte Bewegungsfreiheit und der fehlende Anblick des glitzernden Sternenzeltes quälten es.
Nach ein paar Milliarden Jahren im unbeweglichem Zeitfluss kroch das Geschöpf, von Sehnsucht getrieben, in einen nunmehr vom Wispern zum Dröhnen angeschwollenen Raum…
…und einem Schmerz gleich raste die atonale Kakophonie durch seinen substanzlosen Verstand.
Der Verzweiflung nahe, kam dem Geschöpf die rettende Einsicht. Da höheres Leben sich immer zahlreicher und schneller in der Galaxis ausbreitete, floh es. Es bog den umgebenden Raum zu einem sich in mehrere Dimensionen verschlingenden Möbiusband singulärer Ausdehnung, verschwand darin und löste damit einen Urknall aus.
In seinem eigenen Universum, dass hoffte das Geschöpf, hatte es unbemessene Zeit grüblerisch Gedanken zu wälzen.
In einem Anflug von Übermut beschloss es, sich fortan nicht weiter das Geschöpf zu nennen. Sein neuer Name sollte von nun an der Schöpfer lauten.