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Rechte Schläger

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27.08.2001
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Rechte Schläger

Ich bin Vollziehungsbeamter im Außendienst. Seit 10 Jahren mache ich diesen Job. Mit der Zeit und weil es mein Hobby ist, erwirbt man sich eine gehörige Portion Menschenkenntnis. Ich habe schon viel gesehen. Leute die unbekannt verzogen sind, in die HLU Verfallene, Menschen am Rande der Existenz, die einmal über allem zu schweben schienen. Schneider war ja auch so ein Fall. Aber da haben Sie Leute wie mich natürlich nicht hingeschickt. Sowas machen immer die Höheren.

Auf meinen Streifzügen durch die Stadt mache ich zwischen den Terminen immer an der Frittenbude in Frankfurt Rödelheim halt. Esse eine Portion Pommes, manchmal auch eine Wurst dazu. Seit Jahren ist das schon so und auch heute stehe ich wieder an einem der Tische draußen.

Neben meinem Tisch stehen zwei Schlipsträger. Anzug der gehobenen Kategorie, blank polierte Lederschuhe, rasierte junge Gesichter. So um die 30. Leute wie die, sieht man selten hier „bei Günni“.
Zugegeben, ich lausche ihrem Gespräch und nach und nach beginnt es mich sogar zu interessieren. Ja – sogar die Pommes angele ich sorgfältig aus der Tüte damit es nicht raschelt, um ja nichts zu verpassen.
Jedenfalls hat der eine gerade erzählt, daß er am Wochenende durch die Innenstadt gelaufen ist. Mit seiner Freundin. Nach einem Kinobesuch. Allein. Dabei ist er wohl mit einigen Türken zusammengestoßen, Redeschwall, Handgemenge, Schlägerei. Gerade dreht er sich etwas zu mir herüber. Junge. Junge. Den Kürzeren hat eindeutig er gezogen. Man sieht es an seinem Gesicht.

Wissen Sie, ich bin Großstadtmensch. Ausgestattet mit einer gehörigen Portion Dickfelligkeit. Die Geschichte rührt mich nicht besonders. Ich finde Sie interessant. Wie „Brisant“ nur live. In meinem Job habe ich über die Jahre auch genug Elend kennengelernt. Elend und Lügen. Sein Gesicht sieht wirklich etwas...hmhm...schrullig und aufgeblasen aus. Bißchen Distanz braucht man schon. Sonst macht man sich ja kapputt.

„...nimmt der Eine mich also rücklings an beiden Armen und hält mich fest. Meine Freundin schreit umher, der Zweite prügelt auf mich ein. Ich weiß nicht, wo ich die Schläge überall hinbekommen habe. In den Bauch, ins Gesicht. Als Sie fertig waren, bin ich zusammengesackt, blieb auf dem Trottoir liegen. Meine Freundin bei mir und schreit und weint.“

Jetzt schlürft er seinen Kaffee. Der andere isst was. Bestimmt essen die sonst zusammen. Nur heute kann der nicht. Muß sich wohl mit einem Kaffee zufriedengeben. Strohhalm und Kartoffelsuppe müßte gehen.

„Ja und?“, fragt der mit den längeren Haaren, „was hast Du dann gemacht? Hast Du nicht Anzeige erstattet?“

„Erst einmal sind wir ins Krankenhaus. Das hat Stunden gedauert, bis Sie mich zusammengeflickt haben. Da, schau Dir meine Augenbraue an. 10 Stiche sind das. Danach sind wir auf`s 5. Revier. Der Beamte da war das Allerletzte. Von wegen Bürgerfreundlichkeit. Da sollen Sie bei uns mal langsam machen.“

Aaaaaaah 10 Punkte. Na also. Beamte. Wußte ich es doch mal wieder. Die Herren dort sind wohl vom höheren Kader. Na, ganz den Falschen hat es dann ja nicht erwischt. Ja. Ich bin manchmal etwas bösartig. Aber ich sagte ja bereits, ich habe schon eine Menge erlebt. Na und? Bestimmt Ministerialbeamte. Kenne den Schlag. Tintenpisser. Ich werde mal ein Lichtlein in einer Moschee aufstellen. Der Mittag verspricht lustig zu werden. Kein Wunder. Wenn der mit seinen Lederschühchen und Boss Anzug aufs Revier zum Herrn Hauptwachtmeister gestolpert ist und Anzeige erstattet, hat er vielleicht einfach den Falschen; sprich Ministerialgeschädigten erwischt. Die Welt kann ungerecht sein. Jaja.

„Ja wieso? Was ist passiert?`“
„Erstens waren die dort desinteressiert und gelangweilt .“ War eben nicht bei Dir im Ministerialstübchen mit Kaffee und Sekretärin, denke ich mir, obwohl gelangweilt seit ihr da oben doch öfter einmal. „Dann hatte der Polizist überhaupt kein Interesse an den Vorfällen. Im Gegenteil. Wir hatten das Gefühl, wir stören ganz einfach seinen Nachtdienst. Dann sagte er, er könne natürlich Anzeige aufnehmen, natürlich. Ob ich die Täter benennen könnte, ob ich Sie kennen würde. Ich verneinte. Ja wenn ich nicht wüßte wer das war, gäbe das eine Anzeige gegen Unbekannt und bei Körperverletzung müsse das schließlich von Amts wegen untersucht werden. Mit einem Seufzen hat er sich an die Arbeit gemacht, meine Personalien aufgenommen und sehr langsam mit der Hilfe mehrerer Pötte Kaffee den Hergang aufgenommen. Schlägereien hätten Sie im Schnitt 3-4 die Nacht. Abschließend teilte er mir mit, daß wir in 6 – 8 Wochen ein Schreiben der Staatsanwaltschaft bekommen würden, daß das Verfahren eingestellt sei. Alles Andere würde ihn doch sehr wundern.“

Der Andere knabbert an einer Pommes frites und entgegnet staubtrocken:
„Na siehste, da hast Du doch ein Riesenglück gehabt!“

Jetzt hätte ich mich doch fast verschluckt. Fast muß ich lachen. Das ist dick. Genau. Der Herr Ministerialbeamte hat Glück gehabt, daß er nicht totgestochen wurde, oder wie?

Der Geschändete schaut ihn mit großen Augen an.
„Wiiiieee bitte?“
„Da haste Riesenglück gehabt!“
„Wieso!“ Ouh, jetza isser aber bös. Ich sage ja, der Mittag ist lustig hier „bei Günni“.

„Na stelle Dir doch mal vor, Du hättest die 2 Türken zusammengeschlagen. Stelle Dir das doch bitte einmal vor. Du. A 14 Höherer Dienst. Beamter im Innenministerium.“

Siehste. Wußt ichs doch. Ministerialbeamte. Na bitte. Aber ich sagte ja schon. Im Laufe der Jahre erwirbt man einfach ein Stück Menschenkenntnis. A14!!!!

„Überlege doch einmal, was das für Dich bedeutet hätte. Deine Braue wächst wieder zusammen. Das ist nicht schlimm. Aber ein Beamter des höheren Dienstes, der sich zu einer Schlägerei hinreißen lässt und dann auch noch Türken verprügelt. Joi! Heute würdest Du das mindestens im Lokalteil der FAZ lesen, hättest die Staatsanwaltschaft am Bein. Fragen, Feststellungen. Personalabteilung. Noch mehr Fragen. Sehr schnell hinterfragt man rechtsradikale Hintergründe. Egal was dabei herauskommt, Deine Karriere hättest Du vergessen können! Mit dem Image. Nee. Ich bleibe dabei. Sei froh.“

So hatte ich das noch nicht gesehen. Ganz Unrecht hat der Andere nicht. Ich sehe schon eine Schlagzeile in der Bild vor meinen Augen: „Ministerialbeamter schlägt 26 jährigen Türken krankenhausreif“ und darunter „Rechte Motive?“

Das Opfer ist auch ganz still geworden. Schweigen als Zustimmung, was? Hach schon wieder meine bösartige Ader. Das war ein Merksatz aus dem Privatrecht. Ich gehe zu meinem Dienstwagen. Die Geschichte nagt doch etwas mehr an mir, als anfänglich gedacht. Denn er hatte Recht. Immer wieder denke ich mir das und es wühlt mich auf. Klar hätten Sie ihn kielgenommen. Ein Fressen für die Presse wäre das geworden. So ganz fort ist mein Idealismus wohl nicht, der mich mal in den öffentlichen Dienst führte, sonst würde ich da nicht ständig drüber nachdenken müssen. Es ärgert mich. Den ganzen Tag nun ist die Geschichte schon bei mir im Kopf.
Nein. Ich arbeite jetzt wieder. Selbst Schuld, wenn er nachts auf der Gasse Türken anpöbelt und Ende.

 

Mahlzeit,

ja, was soll ich sagen. Warum bringt ihn diese Geschichte zum Nachdenken? Er scheint doch so abgeklärt zu sein, dass ihn das ja gar nicht mehr zu interessieren braucht. Im Gegenteil, Häme, Spott und Sarkasmus sind ja Teil seiner Lebensauffassung geworden. Da würde es mich doch interessieren ...

Und an seiner Stelle hätte ich mir schon längst einen anderen Job gesucht.

Heiko

 

Hallo!

Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Sie lies sich gut lesen und hat die Dinge mal von einer "anderen Seite" betrachtet.
Sehr schön ausgearbeitete Charactere.

Echt supi!

;) :cool:

Steffi

 

Gut erzählt! Aber warum es ihn wundert, ist auch mir nicht klar! Sollte nicht auch die andere Seite schon bekannt sein? Na ja, es war jedenfalls nicht schlecht. Eine nette Idee!

 

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