Recke Rüdiger und die Moral von der Geschicht
Es war einmal vor langer Zeit ein kleines Land mit Namen Rölerupp.
In diesem Land lebten schöne, glückliche Menschen in Ruhe und Frieden und schlenderten den ganzen Tag über grüne Wiesen, sanfte Hügel und an poetisch plätschernden Bächen entlang.
Die anderen Menschen arbeiteten im Wesentlichen den ganzen Tag auf Feldern, in Ställen, Küchen, Minen, und so weiter, aber das ist für diese Geschichte ohne jede Bedeutung.
Da geschah es, dass das Land von einem alten Drachen heimgesucht wurde. Der flog tagein tagaus über Wiesen, Hügel, Bäche – und auch Felder, Ställe und so weiter - hinweg und legte mir nichts dir nichts alles in Schutt und Asche.
Der König, „Rallerich Der Dritte“ genannt, tat alles Mögliche, seine Lande vor dem teuflischen Biest zu bewahren.
Ganz so, wie Könige das normalerweise tun.
Zunächst hatte er nacheinander alle Ritter seines Reiches aus geschickt, den Lindwurm zu erschlagen. Ganz so, wie es die Art der Ritter zu allen Zeiten war. Doch keiner der starken Helden kehrte jemals Heim.
So schickte der König dann den Hauptmann seiner Palastwache mit den zehn besten Männern aus, ihm den Kopf des Ungetüms zu bringen. Auf einem silbernen Tablett mit Beilagen, wie solche königlichen Wünsche halt so waren.
Der Hauptmann war ein mutiger Anführer und erfahrener Soldat, doch keiner der tapferen Kämpfer wurde je wieder gesehen.
Schließlich machte sich auch der Sohn des Königs auf, Ruhm und Ehre zu erlangen für seines Vaters Reich.
Prinzen taten so etwas.
Doch auch der edle Herr Prinz Knallewumm sah sein Schloss nie wieder.
Um nun die schwelenden Reste seines Reiches vor dem Feuertod zu retten, entschloss sich Rallerich Der Große zu einem kühnen Schritt. Er schickte Herolde ins ganze Land, in jedes Tal und auf jeden Berg und ließ sie eine Botschaft verkünden, wie es sie noch niemals zuvor gegeben hatte:
Jenem Manne, so ließ er verlauten, der das Land rettete und den Drachen tötete, sollte das halbe Königreich gehören, doch dem noch nicht genug, dazu auch die Hand seiner Tochter.
Nun war Prinzessin Wuppdidu keineswegs - wie man vermuten mochte - zum Verstecken hässlich oder gar ihrem Vater Rallerich Dem Mächtigen wie aus dem Gesicht geschnitten. Nein, vielmehr war sie von zierlicher Gestalt und hatte ein liebreizendes Wesen. Ihr Antlitz war von solcher Schönheit, dass Prinzen und Edelmänner aus dem ganzen Abendland beim König um sie schacherten.
Und außerdem hatte sie Glocken, so groß wie Kürbisse.
Nun machten sich in der Folge solch eines Angebotes unzählige Jünglinge auf den beschwerlichen Weg, das flügge Ungetüm in seine Schranken zu verweisen.
Unnötig zu erwähnen, dass natürlich keiner dieser mutigen Märtyrer sonderlich weit kam, wo die Eliten des Königs Rallerich Des Erhabenen so kläglich versagt hatten.
Zu dieser Zeit begab es sich aber auch, dass in einem Tal hinter sieben Bergen ein Junge von außerordentlichem Geschick und Geiste lebte.
Unter dem Namen Rüdiger Der Schonwieder war er bekannt. Kaum wurde er je erblickt, so begannen die Leute zu raunen und zu tuscheln von seinen Taten und seinem besonderen Gemüt.
Als Rüdiger von dem Erlass des Königs Rallerich Des Weisen hörte, da dachte er bei sich, dies konnte endlich die von ihm ersehnte Gelegenheit sein. Er konnte es gar nicht erwarten, endlich dem elterlichen Betrieb, einem bekannten Entsorgungsunternehmen, den Rücken zu kehren.
Und so machte er sich dann bewaffnet mit einem Holzlöffel und seiner Mistgabel auf und zog mit seinem prämierten Kampfschwein Fridolin in die Berge, in denen der böse Drache sein Nest zu haben schien.
Nach einem tagelangen Aufstieg in die dünnen Höhen kamen die beiden schließlich auf ein Felsplateau, an dessen Ende ein Loch in die Gegend gähnte. Und obgleich sich Rüdiger eben noch freute, dass seine Vorgänger ihm den Weg mit ihren Kohlezeichen so gut gewiesen hatten, erschrak er nun furchtbar ob des Fauchens und Knurrens, welches aus der Höhle zu ihm heraufschallte.
Doch da er nun schon einmal hier war, erhob er seine Stimme und rief in das Loch hinein: "Äh, hallo!"
Und als sich nichts rührte, frug er dann: "Ist da jemand?"
Da schob sich unter Donnergrollen der Kopf des Feindes aus der Unterwelt empor. Zwei schwarze Augen blinzelten ihn unter einer Vielzahl von Hörnern an.
"Was ist denn nun schon wieder?", fragte der Drache. "Kann man denn hier nicht mal fünf Minuten seine Ruhe haben!"
Rüdiger nun, dessen Mutter gewiss keinen Feigling groß gezogen hatte, unterbrach das Geschimpfe der Schlange. Er hatte schließlich auch nicht die Ewigkeit Zeit.
"Entschuldigung..."
Der Drache zog eine Augenbraue nach oben. Dabei stieg ihm ein Rauchwölkchen aus dem linken Ohr.
"Ähem, also wenn ich mich mal kurz vorstellen dürfte: Mein Name ist Rüdiger. Ich bin ein Recke und gekommen, dich zu vernichten!"
Der Drache zog nun auch die andere Braue hoch und gab damit sowohl seiner Verwunderung als auch seinem Interesse Ausdruck.
"Du willst mich vernichten?"
"Genau!"
Rüdiger, froh das geklärt zu haben, schob die Brust vor und überlegte, wo um alles in der Welt sein prämiertes Kampfschwein plötzlich geblieben war.
"Und wenn ich dich einfach - sagen wir mal - fresse?", fragte der Drache und piekte Rüdiger mit der linken Flügelspitze in den Bauch.
"Das wäre irgendwie unfair, oder nicht?", entgegnete Rüdiger. "Aber vielleicht können wir ja zu einer Lösung kommen, bei der niemand vernichtet oder gefressen werden muss."
"Schieß' los!", sagte der Drache, während er sich eine Serviette umband.
"Wie wäre das: Ich gehe einfach zu König Rallerich Dem Eroberer und erzähle ihm, ich hätte dir den Kopf abgeschlagen und du - du verwüstest nicht mehr das Land, ja?"
Rüdiger zwang seinen Mund zu einem Lächeln.
"Was ist denn das da?", fragte die Echse. "Zeig mal her!"
Er grabschte dem jungen Helden die Forke aus der Hand.
"Das ist meine Mistforke!"
"Komisch", der Drache betrachtete das Gerät in seiner Pranke, "sieht aus wie ne Gabel."
Rüdiger schluckte.
"Nein, es ist eine Forke. Für Mist. Mein Vater gab sie mir zu meinem sechzehnten Geburtstag und er bekam sie einst von seinem Vater.
"Wieso hat ein Ritter vom kleinen Rallerich eine Mistforke im Erbe?", fragte das Reptil.
"Äh, na ja, streng genommen, bin ich nicht so direkt ein Ritter."
Rüdiger ging einen Schritt zurück.
"Kein Ritter?"
Die Augen des Ungetüms wurden groß.
"Nein."
"Was bist du dann?"
"Nun ja, meine Familie führt ein Unternehmen, dass sich auf Reststoffentsorgung spezialisiert hat."
"Du bist Kaufmann?"
Der Drache leckte sich über die Lippen.
"In Ausbildung."
"...?"
"Naja, Vater meint, ich solle den Job von der Pike auf lernen, also..."
"Schaufelst du Mist."
"Ja."
"Mit deiner Mistforke."
"Ja."
Rüdiger sah nach unten und stellte fest, dass er zwei Füße hatte.
"Der König schickt einen Mistforker, um mich zur Strecke zu bringen? Mich, den mächtigen Frrrrrrrrfhrrrrrrr?"
Er schrie den letzten Satz.
"Nun", Rüdiger kämpfte mit seiner inneren Gelassenheit, "technisch gesehen schon."
"Technisch gesehen?"
"Derjenige, der das Land von deiner Plage befreit, heiratet seine Tochter und bekommt das halbe Reich", sagte Rüdiger und fügte nach kurzem überlegen hinzu: "Das übliche halt."
"Seine Tochter?"
Rüdiger nickte.
"Die mit den..."
Der Drache wedelte mit seinen Pranken vor der Brust rum.
Rüdiger nickte wieder.
"Oha! Da kann ich dir wohl keinen Vorwurf machen!"
Der Drache stützte seinen Kopf in seine Tatzen und kratzte sich mit der Schwanzspitze am Kopf, dann sagte er: "Ich hab euch ganz schön eingeheizt, was?"
"Oh ja."
"Alle Felder verbrannt, Dörfer verwüstet und so."
"Jepp!"
"Ist nicht mehr viel übrig, oder?"
"Nö"
"Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich mir mal ein neues Königreich zum Spielen suche..."
"Und wie", sagte Rüdiger, "ich meine, ich will dir da ja nicht dreinreden, aber ein paar frische Ritter würden dir sicherlich ganz gut tun."
"Ist schon recht. Geh du nur und schlepp' dir deine Prinzessin ab."
Er verzog das Gesicht zu einem Grinsen, was bei einem Drachen etwa so aussieht, als hätte er ganz furchtbaren Hunger - oder müsste gleich niesen. Rüdiger ging noch ein paar Schritte zurück.
Aber ich komme wieder, wenn Gras über die Sache gewachsen ist! So in ein-, zweihundert Jahren vielleicht?"
"Kein Problem damit", meinte Rüdiger.
"Na, dann bis die Tage!"
Damit drückte der Drache dem Jungen die Forke in die Hand, breitete seine Schwingen aus und flog davon.
Als aber jung Rüdiger nach langer Reise von seinem Abenteuer zurück kehrte und beim König den gerechten Lohn für seine Dienste beanspruchte, erlebte er eine garstige Überraschung.
Die liebreizende Prinzessin Wuppdidu hatte inzwischen den Prinzen Zappeldapp zu Remmedemm geehelicht.
Es begab sich nämlich, dass dieser eines Tages in cremefarbenen Strumpfhosen und güldenden Pluderhosen beim König vorsprach, worauf dieser ihm - in der Aussicht unerwarteter Erblandvergrößerung - bereitwillig seine Tochter mitgab.
Den verdutzten Rüdiger aber schlug Imperator Rallerich Der Drachentöter zum Ritter, ließ ihm die Mistgabel versilbern und verlieh ihm das Mistmonopol hinter den sieben Bergen.
Ob die Prinzessin glücklich und zufrieden lebte oder schon gestorben war, wusste Rüdiger nicht, er jedenfalls hatte von nun an genug Mist um die Ohren.
Und die Moral von der Geschichte: Gehe niemals aus der Küche, wenn die Milch auf dem Herd steht.
17.06.2005