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01.03.2006
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An der Hand ihrer Mutter geht die Tochter ihre ersten Schritte, fällt hin und rappelt sich wieder auf, begleitet von verständnisvollen warmen Worten, in denen eine Autorität zum Ausdruck kommt, die das Kind zwar ahnt, gleichwohl jedoch nicht vollkommen als solche wahrzunehmen bereit ist. Aus der Laune einer sprunghaften Identifikation heraus setzt es ein Bein vor das andere, zunächst aufgrund des viel zu starken Reizes, den das Gesicht der Mutter darstellt, dann um die rettenden Hände und Arme zu erreichen, die es endlich in die Höhe heben, ohne die Füße sich an einen sichereren Stand gewöhnen zu lassen, in der Luft umher wirbeln, bevor eines Tages die Tochter von sich aus ein erstes Mal die Richtung ändert und jene Hände es halb erschrocken, halb enttäuscht abfangen auf ihrem Weg einer der hohen weißen Wände entlang. Die Mutter presst sie dann fest an sich, um sie mit Lippen zu küssen, die in der Stille des Wohnzimmers Worte formen, über deren Bedeutung sie sich selbst nicht im Klaren ist, die aber bereits jene in späteren Tagen stets präsente Komplementarität von Liebe und Gewalt in sich tragen.
Vom Küchenfenster aus betrachtet stellen sich die Eskapaden des Gartens weniger schwerwiegend dar als in der Retrospektive, die Woche um Woche geduldig in sich aufnimmt, den eigentlichen Tatbestand zu ergänzen um ungewollte Konsequenzen, die sich erst in durchwachten Nächten zu realisieren scheinen, sobald das letzte Licht gelöscht ist und nur noch der Schein der Straßenlaternen schwach durch die geschlossenen Vorhänge dringt. Die Mutter fällt erst weit nach Mitternacht in ihren leichten dösigen Schlaf, den sie jederzeit zu unterbrechen bereit ist, den Namen desjenigen zu flüstern, den sie draußen im Flur auf den gleichen knarrenden Treppenstufen vermutet, die das Haus tagsüber in verschiedene Ebenen einer illusionären Privatsphäre einteilen, deren Herzstück das elterliche Badezimmer ist, das man ihr als letzte Bastion zuzugestehen bereit ist in Anbetracht der unsicheren Interpretationsmöglichkeiten ihres Verhaltens.

Psychologie – Vorlesungen, denen zu folgen sie nicht in der Lage ist, an eine kahle graue Wand projizierte Folien, ein Blick, der sich langsam zwischen den einzelnen Stichpunkten verliert. Strahlend grüne Augen, die einen Sinn suchen in den ungelenken Schnitzereien, die Sitzreihen zieren als Metapher abstruser Kreativität oder obszöner Ausspruch, ähnlich unangebracht den Bewegungen gleichend, mit denen sie unablässig ihre Haare frisiert, nur um irgendjemandes Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Bemerkt dann einer der jungen Männer aus den hinteren Sitzreihen ihre immer noch viel zu süßlich anmutende Schönheit, erwidert sie den ihr geltenden Blick nur einen kurzen Augenblick lang, ohne zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal in die gleiche Richtung zu sehen.
Die Stimme des Radiomoderators dringt behutsamer als nötig aus den Boxen ihrer Stereoanlage in die Regungslosigkeit des Zimmers vor, um sich zwischen einer lieblos platzierten Einrichtung dem Eindruck hinzugeben, sie fülle nicht bloß die Lücken ihrer Aufmerksamkeit in jenen Momenten, in denen sie tatsächlich zu begreifen scheint, was mit ihr geschieht. Sie versteht den übernommenen Bezug der einzelnen Möbelstücke zueinander ebenso wenig, wie ihr Verhältnis zur Fläche des Raumes als Ganzes, doch die Maserung des Holzes trägt, obwohl mit bunten Stoffen verhangen, den gleichen Konservatismus zur Schau, der auch ihr selbst eigen ist. Ihr Blick heftet sich an die komplizierten Muster, sobald ihnen klar wird, dass sie mit ihr jeden Abend tun könnten, wonach ihnen der Sinn steht und manche tun es auch, doch je öfter es geschieht, desto länger zögern sie und versuchen so zärtlich wie möglich zu ihr zu sein. Von ihrem Mitleid angewidert wendet sie sich schließlich ab, unfähig diese jetzt so fremden Gesichter der Männer zu lesen, die sie mit auf ihr Zimmer nimmt, bis man sie durchschaut, ihre Handgelenke fest umklammert sich mit sanfter Gewalt über sie beugt, um sie das von ihr so geliebte Gefühl der Hilflosigkeit spüren zu lassen und ihr Gewissen zum Schweigen zu bringen.

 

Hallo Schupfnudelnwikinger
willkommen hier bei den Kurzgeschichten - Deine erste Story und doch ist mir, als las ich schon Ähnliches vor nicht allzu langer Zeit. Erinnerungen an Proust werden wach und doch gibt es erhebliche Unterschiede.
Proust seine Schreibe war nachvollziehbar schlüssig - Deine ist leider oft überladen und teilweise auch widersinnig. Ein Zimmer ist nicht regungslos ... ist die Stimme konservativ? Nein, Du meinst den Prot, aber so wie Du es schreibst, klingt es, als sei es die Stimme, die sich heftet ... da beziehst Du SIE immer auf den vorangestellten Satz ... nenn sie beim Namen und dann ist gut. Ansonsten ein lustig-verquertes Stück Schreibkunst.
Liebe Grüße
Detlev

 

Ja, danke, die Brücke zu Proust ist schon ein Kompliment, denn ich bin verrückt nach seinen Texten. Klar ist der Raum regungslos, wenn man ihn mit Erinnerungen oder Assoziationen anfüllt. Ich weiß, dass man hier kreuz und quer interpretieren kann, aber der Text ist wirklich nicht lustig gemeint. Ansonsten, danke für das Feedback.

 

Hallo Schupfnudelwikinger,

und den heutigen 1. Preis für gelungene Nickname-Auswahl.

Ich mag lange Sätze, kenne Proust nicht, vermute jedoch, daß auch dieser sich in der Verschachtelung bewegt. Diese finde ich bei Dir gelungen, die langen und queren Sätze erzeugen Athmosphäre, lassen den Bildern Zeit zu entstehen und mich als Leser wieder begreifen, warum ich mal lesen gelernt habe, auch nämlich um der komplexeren Strukturen die Grammatik ermöglicht wegen.

Im letzten Satz vor dem Absatz musst Du jedoch nochmal an den Wurmsatz ran, der ist lückenhaft für Vollständigkeit.

Die Mutter fällt (...), den sie jederzeit zu unterbrechen bereit ist, um den Namen desjenigen zu flüstern, den sie draußen im Flur auf den gleichen knarrenden Treppenstufen vermutet, die (welche)das Haus tagsüber in verschiedene Ebenen einer illusionären Privatsphäre einteilen, deren Herzstück das elterliche Badezimmer ist, das man ihr als letzte Bastion zuzugestehen bereit ist in Anbetracht der unsicheren Interpretationsmöglichkeiten ihres Verhaltens.

(...) die einen Sinn suchen in den ungelenken Schnitzereien, die die Sitzreihen zieren (...)

Und noch einer aus dem allerletzten Satz :
(...) ihre Handgelenke fest umklammert, sich mit sanfter Gewalt über sie beugt (...)

Und lustig ist der Text nicht, interpretierbar für mich auch nur schwer, doch die eingesparten Satzenden haben Spaß zu lesen bereitet, mir.

Grüße,
Creuzundquer Seltsem

 

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