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Regenrequiem

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30.08.2003
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Regenrequiem

In den braunen Pfützen spiegelte sich undeutlich das Aufglühen ihrer Zigarette wider. Kalt war es, nasskalt, und sie zog fröstelnd die dünne Jeansjacke enger um ihre Schultern. Die Metallbank auf diesem Bahnhof war nicht nur unbequem, sondern auch verdreckt. Kippen, Kaugummis und leere Trinkpäckchen lagen umher und strömten einen penetranten, säuerlichen Geruch aus. Vor dem überdachten Wartebereich vermischte der stete Regen Erde und Abfälle zu einem Morast, aus dem eine zerdrückte Coladose ragte und grotesk um Hilfe zu rufen schien.

Sie wusste nicht, wie sie hierher an diesen Ort gekommen war; doch, natürlich wusste sie es; sie hatte sich am späten Nachmittag in die S-Bahn gesetzt und war dann einfach irgendwann an einem kleinen Bahnhof ausgesteigen, dessen Name für sie auf unbestimmte Art tröstlich klang. Sie war noch nie hier gewesen, vorher. Früher.

Früher, das waren die Stunden, in denen sie mit ihrer Mutter Karten gespielt hatte, am großen Holztisch in der Küche. Warm war es dort immer gewesen, und in ihrer Erinnerung hatte stets der Duft nach frischem Hefeteig in der Luft gehangen. Ihre jüngere Schwester lachte noch einmal, unbeschwert, und ihre Mutter zog die grünen Vorhänge zu, damit die Dunkelheit draußen blieb und nichts ihr kleines Glück störte.

Die Straßenlaterne gegenüber ging mit einem Flackern an und tauchte die Umgebung in ein befremdendes Dämmerlicht, Neongrell versus verwaschenes Blaugrau. Sie zog ihre Beine dichter an sich heran und legte den Kopf auf die Knie. Leute eilten vorbei, allein, zu zweit untergehakt, lachend, redend; sie schloss ihre Augen.

Die Schaukel im Garten ihrer Nachbarn hatte ihre Schwester und sie im Sommer immer wie magisch angezogen. Die Aufhängung quietschte leise, als sie die Seile ungeachtet ihrer heiß und rot gescheurten Handflächen fester packte und sich kraftvoll nach vorne schwang. Sie genoss den angenehm kühlen Wind auf ihren bloßen Beinen, die weit in den endlos blauen Himmel ragten und von der Sonnencreme glänzten, von der Sonnencreme, die einfach selber schon nach Sommer roch.

Eine plötzliche Windböe trieb den Regen unter das Vordach und schlug ihr unzählige kalte Tropfen ins Gesicht. Für einen Moment öffnete sie die Augen, unwirsch, und registrierte kurz, dass ihre Kleidung fast vollständig durchnässt war. Der Jeansstoff legte sich klamm um ihren Körper, aber es störte sie nicht.
Sie blieb einfach so sitzen, zusammengekauert und in Gedanken versunken. Irgendwann hielt ein Zug an, in hell erleuchteten Rechtecken sah sie die Fahrgäste, wie sie in ihren Abteilen saßen und entweder in einer Zeitung blätterten, sich mit ihren Mitreisenden unterhielten oder einfach blicklos nach draußen starrten, ohne ihre durchnässte Gestalt dort auf der Wartebank wahrzunehmen.

Sie versuchte sich vorzustellen, ob ihre Schwester und später ihre Mutter ebenso in der klammen Dunkelheit gesessen hatten, ob sie ebenso die anderen Menschen betrachtet hatten, wie sie es jetzt tat. Ob ihnen auch so kalt gewesen war? ...

Allmählich glaubte sie zu verstehen, wie ihnen damals zu Mute gewesen sein musste. Unverstanden, und nicht verstehend. Verzweifelt, und so unendlich einsam.
Zum ersten Mal konnte sie jetzt nachvollziehen, was ihnen durch den Kopf gegangen sein musste, wie sie sich gefühlt haben mussten. Und sie spürte endlich auch wieder die innere Verbundenheit, die sie früher immer beruhigt hatte... sie waren sich wieder ganz nahe.
Mama. Elisabeth.

Mit vom langen Sitzen etwas steifen Beinen stand sie auf, strich sich eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht und ging langsam auf den Schienen den sich nähernden beiden Lichtern zu.


(27.2.2006)

 
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Oh je, seit über einem Jahr die erste Shortstory, die mir wieder von der Feder geht. Ich hoffe, dass ich nicht allzu sehr aus der Übung gekommen bin... und dass eine kreative Seele hier eventuell auf einen passenden Titel kommt? Mir will zumindest momentan partout kein Titel einfallen. :hmm:

Liebe Grüße
Wölfin

Mist... ich kann den Titel nicht mehr editieren.
Hab's 'Regenrequiem' getauft... ;)


Liebe Grüße
Wölfin

*****

Geändert von mir, weil Kommentare zur Geschichte immer in das erste Posting unterhalb der Geschichte gehören, nicht jedoch in die Geschichte selbst. katzano

 

Hi Woelfin,

welcome back!

So nun die Kritik: Nur der Titel und die letzten beiden Zeilen bilden eine Einheit. Der uebrige Text hat kaum einen Bezug und erklaert leider nicht was die letzten beiden Zeilen suggerieren, oder der Titel benennt.

Du beschreibst sehr gut ein tristes Szenario, wenn auch manches Wort 'grotesk' um eine besser Platzierung im Text schreit. Mit mir hast Du leider das Pech auf jemanden zu stossen, der der Ansicht ist, dass in einer Geschichte irgendetwas passieren soll. Deine Akteurin reflektiert bessere Zeiten, man hat aber nie den Eindruck, als dass es ihr momentan so schlecht geht, dass sie sich vor einen Zug werfen koennte.

Wenn Du hinkriegst, dass man Dir das abkauft, und zudem die Hauptperson durch ihr verhalten (und nicht nur durch ihre Gedanken) glaubwuerdig charakterisiert wird, dann glaubt man Dir auch, dass es keinen anderen Ausweg mehr gibt, als sich das Leben zu nehmen. Dann wird aus diesem Anfang eine ganze Geschichte.

Denk' da mal drueber nach ... & viele Gruesse

sarpenta

 
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Guten Morgen sarpenta,

und danke für deine Antwort!

Ah... also: ich hatte das so geplant, dass die Prot. sich auf die gleiche Weise das Leben nimmt, wie zunächst ihre Schwester und einige Zeit danach ihre Mutter, da sie sich ihnen erst dann wieder nahe zu fühlen glaubt.
Sie tut es also nicht aus der Art von Verzweiflung, die keinen anderen Ausweg mehr offenzulassen scheint, oder weil es ihr dermaßen schlecht ginge, sondern um wieder bei den beiden von ihr geliebten Menschen zu sein.

Ob sich das besser durch mehr Handlung innerhalb der Story rüberbringen lässt, frage ich mich gerade. Durch die Rückblenden in die Kindheit der Prot. könnte ich mehr Dynamik reinbringen, aber ich fand das Hocken am Bahnsteig eigentlich relativ wichtig (da die Prot. sich ja fragt, ob ihre Mutter und Schwester das damals wohl genauso getan hatten).

Ich setz mich nochmal ran und überarbeite das Ganze... :)


Liebe Grüße
Wölfin


Edit: so...eine leicht geänderte Fassung :)

 

Früher, das waren die Stunden, in denen sie mit ihrer Mutter Karten gespielt hatte am großen Holztisch in der Küche.
hatteKOMMA
und in ihrer Erinnerung hatte stets der Duft nach frischen Hefeteig in der Luft gehangen.
frischem
Sie zog ihre Beine dichter an sich heran und legte den Kopf die Knie.
Kopf auf die Knie
Und sie spürte endlich auch wieder die innere Verbundenheit, die sie früher immer beruhigt hatte...
hatte ...
Hi wölfin,
so, jetzt gibts die Rache für "KRank oder tot" ;)
Hmn, aber ernsthaft: Deine Geschichte gefällt mir zwar einigermaßen, aber irgendwie passen die einzelnen Teile nicht zusammen. Hm, voll schwer zu erklären.
Also, irgendwie ... ach, du weißt schon ...
Sorry.
Bruder :sad: Tserk

 

Hallo Tserk,

dank dir für deinen Kommentar! :)

Die Fehlerteufelchen hab ich gleich mal ausgemerzt... da liest man fünfmal Korrektur und ist doch blind! Oo" ;)

Hmmm... ich tu mich momentan einfach schwer, etwas 'Rundes' zu schreiben... *sfz*


Liebe Grüße
Wölfin

 

Hallo wölfin,

ich glaube, ich lese zum ersten Mal etwas von dir. Die einzelnen Szenen waren sehr anschaulich, melancholisch, fein beobachtet. Die Motivation der Protagonistin für den Suizid (und auch noch auf diese Art) müsste stärker beleuchtet werden. Außerdem bräuchte die Geschichte für eine gewisse Tiefe eine übergeordnete Aussage, über die Tatsache, die Verwandten sehen zu wollen, hinaus.
Eigentlich schade um den an sich schönen Text.

L G,

tschüß… Woltochinon

 

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