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Reime faucht der Märchensarg*

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07.01.2005
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Reime faucht der Märchensarg*

Es war einmal ein Mädchen, dass auf der Erde saß. Es war gerade erst geboren worden und rieb sich verschlafen seine Augen. „Wo bin ich hier?“ „In der Welt“, antwortete die Welt. „Oh, Verzeihung.“ Das Mädchen lächelte entschuldigend. „Ich habe dich noch nie zuvor gesehen, ich habe dich nicht gleich erkannt.“
„Das macht nichts. Ich werde selten erkannt, ich bin mehr ein Rahmen für sie.“
„Wer sind sie?“
„Die Menschen“. Das Mädchen sah sich um, konnte aber niemanden entdecken. „Oh du wirst sie noch früh genug sehen. Aber erst musst du dich entscheiden, welchen Weg du gehen möchtest.“ Das Mädchen blickte auf die zwei Wege, die nebeneinander durch den Wald vor ihr verliefen. „Sie führen doch beide zum selben Ziel?“ „Ja.“ sagte die Welt. „Wo führen sie hin?“ „Sie führen beide in Nichts. Deshalb ist der Weg entscheidend.“ Das Mädchen wurde traurig.Es war gerade erst angekommen und sollte sich schon wieder auf den Weg ins Nichts machen.
„Nun,“ sagte die Welt nach einer Weile. „Schau sie dir genau an: Wählst du den Weg aus Rosen oder den Weg aus Scherben?“
Das Mädchen stand auf und trat näher an die Wege heran. Auf dem Weg aus Rosen gingen viele Menschen.
Auf dem anderen Weg konnte es nur zwei erblicken.
„Die Rosen sind hübsch, was ist, wenn ich den Weg aus Rosen gehe?“
„Wer den Weg aus Rosen geht, der geht ihn taub.“ Das Mädchen dachte über dies Worte nach.
„Wenn ich doch taub bin, wie soll ich dann hören, was die Menschen sprechen?“
„Sie werden nicht zu dir sprechen. Sie haben sich nichts zu sagen auf dem Weg aus Rosen.“
Und das Mädchen schaute sich die Menschen genau an:
Sie liefen auf den Rosen und lächelten, während Tränen über ihre Wangen rannen. Ihre Füße waren wund von den Dornen, doch schrie einer, so wandte niemand seinen Kopf.
Das Mädchen weinte um die Menschen auf dem Weg aus Rosen.

„So ist also der Weg aus Scherben der Richtige?“
„Wer den Weg aus Scherben geht, der geht ihn stumm.“ Das Mädchen dachte auch über dieses nach.
„Wenn die Scherben mich schmerzen, wie soll ich dann schreien, wenn ich doch stumm bin?“
„Du brauchst nicht schreien. Die Menschen auf dem Weg aus Rosen können dich nicht hören und die, die auf dem Weg aus Scherben gehen, können dir keinen Trost zusprechen.“
Und das Mädchen blickte auf die Menschen auf dem Weg aus Scherben:
Ihre Füße bluteten, oft stürzten sie und warfen auf den Knien ihre zerschnittenen Hände klagend gen Himmel.
Das Mädchen weinte um die Menschen auf dem Weg aus Scherben.

„Ach,“, rief es. „Es ist vergebens! Der Weg aus Rosen ist schön, aber falsch und der Weg aus Scherben ist einsam! Ich will mich nicht entscheiden. Ich will einen dritten Weg finden, die Menschen mag ich nicht mehr sehen in ihrem ziellosen Elend.“
Und blind lief es in den tiefen Wald neben den Wegen. Der Wald war ruhig und es freute sich, denn es sah nicht die Wölfe, die in dem Wald lebten. Die Wölfe aber beobachteten das Mädchen und leckten sich ihre langen Schnauzen. Ein Wolf trat vor und rief: "Du kleiner Mensch, was suchst du hier im tiefen Wald? Für die Menschen gibt es die beiden Wege, der Wald ist für uns Wölfe da!"
Und das Mädchen, das nicht wusste, was ein Wolf ist, antwortete schüchtern: "Lieber Wolf, ein Weg für Menschen, genau das ist es, was ich in eurem Wald suche. Ich denke, ich habe ihn gefunden: Hier ist es schön und friedlich, warum ist noch niemand vor mir ihn gegangen?"
"Die Menschen fürchten sich vor Wölfen", sagte der Wolf.
"Warum fürchten sie sich?", fragte das Mädchen, das das weiche Fell des Wolfes streichelte und nicht seine Zähne sah.
"Sie fürchten uns, weil wir die Wahrheit sind. Die Menschen fürchten sich schon immer vor der Wahrheit. Ich kann sie dir zeigen, wenn du möchtest, sie erspart dir viele Wege."
"Wenn ihr die Wahrheit seid, so ist sie sicher friedlich wie der Wald und weich wie dein Fell. Oh, und wenn sie mir nur die beiden Wege erspart, will ich sie schon kennenlernen!" rief das Mädchen.
Die Wahrheit aber ist, dass Wölfe Zähne haben und während sie ihren kleinen Körper fraßen, weinte die Welt um das Mädchen. Sie weinte, doch die Menschen auf dem Weg der Rosen hörten sie nicht und die Menschen auf dem Weg der Scherben fanden keine Worte.

 

*Ich möchte anmerken, dass dies der Titel eines Liedes von Dornenreich und nicht meinen Gedanken entsprungen ist.

 

Salut Dornenkind!

Tatsächlich bin ich durch den Titel der Geschichte auf sie aufmerksam geworden. Ich liebe Dornenreich.

Das Gespräch zwischen der Welt und dem Mädchen ist ein interessanter Einstieg.

Ich denke ich kann ich die aussichtslose Lage des Mädchens nachvollziehen. Beide Wege führen in den Tod, aber auch beide Wege machen nicht glücklich. Weshalb sie den dritten Weg sucht. Und dieser dritte Weg führt auch in den Tod, allerdings viel schneller, ohne das Elend, was einem beim Beschreiten der Wege begleitet.

Wie aber schon die Rubrik weist: Die Geschichte ist etwas Seltsam. Gerade das Ende verwirrt mich. Ich finde es zu dem Rest der Geschichte auch etwas Unpassend. Vielleicht muss ich aber auch nur noch einmal genauer über jenes Nachdenken. Ansonsten würde ich mich freuen, wenn Du mir (vllt per PM) schreibst, was Du Dir bei der Interpretation des Endes gedacht hast.

Mich würde auch interessieren, wieso Du gerade diesen Titel für Deine Geschichte gewählt hast.

schlaflos träumend
Thorn

 

Nun, das Ende soll zeigen, das es keine anderen Weg gibt. Man hat keine Wahl, niemals. Entweder man geht den oberflächlichen Weg oder man leidet.
Den Titel habe ich genommen, weil das eines meiner Liebingslieder von Dornenreich ist und weil die Geschichte ja wie ein Märchen beginnt

 

Mal abgesehen davon, dass ich Deine Message keinesfalls so stehenlassen würde, hast Du meine Frage nicht beantwortet: Ist das nicht eher ein Märchen?

 
Zuletzt bearbeitet:

Sicherlich kein Kindermärchen und auch nicht als solches gemeint. Die Struktur (der Anfang etc.) soll natürlich an ein Märchen erinnern, es geht mir um die Diskrepanz von harmlos-naivem Erzählstil und eigentlichem Inhalt.

 

Hallo dornenkind,

ziemlich interessante Geschichte, die Du da geschrieben hast, auch wenn ich sie ebenfalls als Märchen einodnen würde.
Die Idee, auf der die Geschichte basiert ist gut und besonders gefallen hat mir der hierzu sehr gut passende Erzählstil.

Aber was soll ich nur zu dem Ende sagen. Nicht nur, dass es für den Leser entäuschend ist, es passt auch so gar nicht zu Deiner Geschichte. Vielleicht solltest Du es doch noch einmal überdenken.

Viele Grüße,
Gunnar

 

Was habt ihr erwartet? Den großartigen, schönen dritten Weg? Natürlich ist es enttäuschend, denn es gibt ihn nicht.

 

Hallo dornenkind,

deinen Text in die Form eines Märchens zu kleiden, halte ich für eine passende Idee: Das Märchen erlaubt (streng genommen) unrealistische Gesprächspartner, täuscht oberflächlich gesehen mit seiner naiven Sprache über ernste Aussagen weg.

„Sie führen doch beide zum selben Ziel?“ „Ja.“ sagte die Welt. „Wo führen sie hin?“ „Sie führen beide in Nichts. Deshalb ist der Weg entscheidend.“

Das ist ein interessantes Paradox, das, wie dein Schluss zeigt, nicht auflösbar ist, wie so manches in unserem Leben. (Demnach ist deine Geschichte gar nicht so seltsam).

Tschüß... Woltochinon

 

dornenkind schrieb:
Was habt ihr erwartet? Den großartigen, schönen dritten Weg? Natürlich ist es enttäuschend, denn es gibt ihn nicht.

Für mich war nicht enttäuschend, dass es keinen großartigen dritten Weg gibt. Nur denke ich hätte Dein Ende ausführlicher, origineller sein können.
Enttäuschend war so gesehen eher, dass Dein gewähltes Ende nicht zum Rest der Geschichte passt, imho.

 

Nun gut ich bin neu hier, aber ich hoffe trotzdem meine Meinung hier kundtun zu dürfen. Ich würde nicht direkt sagen, dass es sich um ein Märchen handelt, denn dort stirbt der Held/in doch nicht, und ich denke auch nicht, dass man bei dieser Geschichte von einer Heldin sprechen kann. Ich finde eher es handelt sich um eine Parabel.

Ich halte die Geschichte für gelungen, das Ende war vielleicht etwas zu plötzlich, aber ich finde für die Aussage des Textes durchaus passend.

Lg Mara

 

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