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Reime faucht der Märchensarg*
Es war einmal ein Mädchen, dass auf der Erde saß. Es war gerade erst geboren worden und rieb sich verschlafen seine Augen. „Wo bin ich hier?“ „In der Welt“, antwortete die Welt. „Oh, Verzeihung.“ Das Mädchen lächelte entschuldigend. „Ich habe dich noch nie zuvor gesehen, ich habe dich nicht gleich erkannt.“
„Das macht nichts. Ich werde selten erkannt, ich bin mehr ein Rahmen für sie.“
„Wer sind sie?“
„Die Menschen“. Das Mädchen sah sich um, konnte aber niemanden entdecken. „Oh du wirst sie noch früh genug sehen. Aber erst musst du dich entscheiden, welchen Weg du gehen möchtest.“ Das Mädchen blickte auf die zwei Wege, die nebeneinander durch den Wald vor ihr verliefen. „Sie führen doch beide zum selben Ziel?“ „Ja.“ sagte die Welt. „Wo führen sie hin?“ „Sie führen beide in Nichts. Deshalb ist der Weg entscheidend.“ Das Mädchen wurde traurig.Es war gerade erst angekommen und sollte sich schon wieder auf den Weg ins Nichts machen.
„Nun,“ sagte die Welt nach einer Weile. „Schau sie dir genau an: Wählst du den Weg aus Rosen oder den Weg aus Scherben?“
Das Mädchen stand auf und trat näher an die Wege heran. Auf dem Weg aus Rosen gingen viele Menschen.
Auf dem anderen Weg konnte es nur zwei erblicken.
„Die Rosen sind hübsch, was ist, wenn ich den Weg aus Rosen gehe?“
„Wer den Weg aus Rosen geht, der geht ihn taub.“ Das Mädchen dachte über dies Worte nach.
„Wenn ich doch taub bin, wie soll ich dann hören, was die Menschen sprechen?“
„Sie werden nicht zu dir sprechen. Sie haben sich nichts zu sagen auf dem Weg aus Rosen.“
Und das Mädchen schaute sich die Menschen genau an:
Sie liefen auf den Rosen und lächelten, während Tränen über ihre Wangen rannen. Ihre Füße waren wund von den Dornen, doch schrie einer, so wandte niemand seinen Kopf.
Das Mädchen weinte um die Menschen auf dem Weg aus Rosen.
„So ist also der Weg aus Scherben der Richtige?“
„Wer den Weg aus Scherben geht, der geht ihn stumm.“ Das Mädchen dachte auch über dieses nach.
„Wenn die Scherben mich schmerzen, wie soll ich dann schreien, wenn ich doch stumm bin?“
„Du brauchst nicht schreien. Die Menschen auf dem Weg aus Rosen können dich nicht hören und die, die auf dem Weg aus Scherben gehen, können dir keinen Trost zusprechen.“
Und das Mädchen blickte auf die Menschen auf dem Weg aus Scherben:
Ihre Füße bluteten, oft stürzten sie und warfen auf den Knien ihre zerschnittenen Hände klagend gen Himmel.
Das Mädchen weinte um die Menschen auf dem Weg aus Scherben.
„Ach,“, rief es. „Es ist vergebens! Der Weg aus Rosen ist schön, aber falsch und der Weg aus Scherben ist einsam! Ich will mich nicht entscheiden. Ich will einen dritten Weg finden, die Menschen mag ich nicht mehr sehen in ihrem ziellosen Elend.“
Und blind lief es in den tiefen Wald neben den Wegen. Der Wald war ruhig und es freute sich, denn es sah nicht die Wölfe, die in dem Wald lebten. Die Wölfe aber beobachteten das Mädchen und leckten sich ihre langen Schnauzen. Ein Wolf trat vor und rief: "Du kleiner Mensch, was suchst du hier im tiefen Wald? Für die Menschen gibt es die beiden Wege, der Wald ist für uns Wölfe da!"
Und das Mädchen, das nicht wusste, was ein Wolf ist, antwortete schüchtern: "Lieber Wolf, ein Weg für Menschen, genau das ist es, was ich in eurem Wald suche. Ich denke, ich habe ihn gefunden: Hier ist es schön und friedlich, warum ist noch niemand vor mir ihn gegangen?"
"Die Menschen fürchten sich vor Wölfen", sagte der Wolf.
"Warum fürchten sie sich?", fragte das Mädchen, das das weiche Fell des Wolfes streichelte und nicht seine Zähne sah.
"Sie fürchten uns, weil wir die Wahrheit sind. Die Menschen fürchten sich schon immer vor der Wahrheit. Ich kann sie dir zeigen, wenn du möchtest, sie erspart dir viele Wege."
"Wenn ihr die Wahrheit seid, so ist sie sicher friedlich wie der Wald und weich wie dein Fell. Oh, und wenn sie mir nur die beiden Wege erspart, will ich sie schon kennenlernen!" rief das Mädchen.
Die Wahrheit aber ist, dass Wölfe Zähne haben und während sie ihren kleinen Körper fraßen, weinte die Welt um das Mädchen. Sie weinte, doch die Menschen auf dem Weg der Rosen hörten sie nicht und die Menschen auf dem Weg der Scherben fanden keine Worte.