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Reise
Windstill brandet der Applaus während das Ruder des kleinen Schiffes die milchige See entzwei schneidet. Die feinen Umrisse des Holzes graben sich grob durch die miteinanderkämpfenden Strudel, welche das glatte Wasser in einen verzerrten Spiegel verwandeln. Immer wieder befreit die Spitze des Schiffes Luft aus weißen Bergen, in die es sticht; alles in Begleitung des tosenden Applauses, der sich in der Entfernung erhebt und doch so nahe scheint. Bei sinkendem Spiegel verliert das Ruder wieder die Kontrolle, als wäre es gebrochen und das Schiff treibt auf die blassen Klippen im Norden zu, bevor sich das Land zu heben beginnt und den braunen Rumpf wieder in die Ferne trägt. Dort hält es inne, dreht sich nur geduldig im Kreis und wartet auf den nächsten Zug der Lunge. Es wartet, bis ein neuer Schwall dampfgeschwängerter Luft seinen Platz in der Brust des Mannes, der jeder sein könnte, beansprucht. Sein Körper ist gezeichnet; ohne Farbe. Seine Augen sind geschlossen und blicken in die ihm Friede bringende Unendlichkeit der selbst erzwungenen Finsternis.
Ein kurzer Friede, der gebrochen wird von dem Bild klatschender Hände. Immer wieder schlagen unzählige Handflächen ineinander. Der Applaus schwillt zu einem wilden Rauschen an, dass dem des Meeres gleicht; dessen Wellen brechen sich an seinem Geist und unterhöhlen das Gestein, das feste Gefüge seines Verstandes. Ich möchte Reisen, flüstern seine Lippen. Ich möchte fort von hier.
Ein kalter Luftzug bringt die Flucht, als sich Wolken von Dampf und Schwermut mit der Welt hinter den Türen vermischt. Und mit ihm schwebt ein Ton, der im grauen Rauschen erst untergeht. Doch er ist da und kämpft sich vom Grund herauf an sein Ohr. Der Ton wandelt sich zur Melodie einer Stimme. „Hallo mein Süßer“, spricht sie zu ihm; verschwindet dann und lässt den Applaus zurück; das weite Meer. Der Mann wendet seinen Kopf zur Seite und kleine Wellen laufen durch das milchige Wasser, auf denen das Schiff leicht zu tanzen beginnt. Herein kommt eine Frau, in deren Blick etwas erkennendes und etwas verlorenes liegt. Etwas, dass gefunden werden möchte. Sie schließt die Tür hinter sich und blendet die Welt dahinter für sie beide aus. Ihre Schritte sind kurz, aber bestimmt. Vor der Badewanne geht sie leicht in die Hocke und dieser für ihn wissende Blick streift mehr, als nur seinen schlaff daliegenden Körper. Der Mann beginnt zu sprechen und hinter seinen Worten verschwindet für einen Augenblick das Meer, so dass sie nicht verloren gehen können. Er erzählt ihr von den klatschenden Händen, die ihn unermüdlich verfolgen, so als sei seine bloße Anwesenheit ein Grund zum Jubel. Es ist das Klatschen der ganzen Welt, nur darauf bedacht ein gutes Bild von sich selbst zu malen. Es ist das Klatschen seiner Kollegen, die alles mit einem dazugehörigen, wohlwollenden Nicken gutheißen. Und es ist sein eigener Applaus, der höhnisch hinter den unsichtbaren Wellen der anderen läuft.
Mitleidig blickt die Frau hinunter und fühlt selbst den Schmerz. Sie richtet sich auf und ihre rechte Hand gleitet langsam zu ihm, wühlt das Wasser auf und durchschneidet es wie das Ruder des Schiffes, dass nun hilflos in der See schlingert.
Sie findet ihr Ziel und beginnt langsam sich fest und sanft zugleich zu bewegen. Erst langsam, dann immer schneller. Und mit ihren Bewegungen verschwindet der Applaus und das Meer ist nichts weiter als eine blasse Erinnerung. Reise. Lust ergießt sich.
Sein Mund fährt zu ihrem und ein gekeuchtes Danke entspringt seiner Kehle, als eine Stimme zu den beiden dringt.
Klamm und feucht hängt der Bademantel auf der Haut des Mannes, der mit gesenktem Kopf in der Mitte eines Esszimmer steht und den vorwurfsvollen Blicken seiner Frau ausweicht, die ironisch in die Hände klatscht. Applaus. Sie redet unaufhaltsam auf ihn ein, während neben ihr ein kleines Kind steht, dass sich klammernd an ihrer Hand hält. Er hatte etwas vergessen. Er war nicht da. In diesem Augenblick geht eine zweite Frau an ihm vorbei. Eine Frau mit wissendem Blick, die kurz stehen bleibt und verabschiedend nickt, dem Kind jedoch einen liebevollen Blick zuwirft. „Verabschiede deine Tante,“ flüstert die Mutter und das Kind gehorcht, unterdessen ein kleines Schiff, ohne Ruder, verloren in kaltem Wasser treibt, über dem das Rauschen des Meeres liegt.