- Beitritt
- 01.07.2006
- Beiträge
- 1.007
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 39
Reproduktion
In grauer Vorzeit, nein, nicht in grauer Vorzeit, sondern einfach nur früher, denn in der Zeit, in der diese Geschichte beginnt, gab es bereits Kultur: Religion und Architektur, also einfach sehr viel früher als jetzt fand in einer kleinen Kapelle in einem abgelegenen Waldtal eine Taufe statt. Der Säugling, der gerade, als das Wasser seine Stirn benetzte, blaurot anlief vor Wut, war das Kind einfacher Bauern.
Es war erst wenige Tage alt, und ein dichter Schopf pechschwarzer Haare bedeckte seinen kleinen Kopf. Das Wasser rann nun darüber und schwemmte, gleichsam als Pfand für die Götter, ach so, nein, nur für den einen Gott, einige dieser schwarzen Haare in das Taufbecken, auf dessen Grund bereits einige braune Fichten- und Tannennadeln lagen, die der hier oft heftige Wind in das Innere der Kapelle geweht hatte. Die Bewegung des rinnenden Wassers ließ diese Haare, ein paar nur, für einige Momente hin und her schweben, bevor sie mit ihren Wurzeln an den porösen Stellen des kaum behandelten Steines hängen blieben, aus dem das einfache Taufbecken bestand.
Jahrhunderte gingen dahin, die Zellen des Kindes und auch die seiner Nachfahren waren längst zu Staub zerfallen und in andere Formen übergegangen. Die Kapelle war im Lauf der Zeiten einem Bergsturz zum Opfer gefallen, Tonnen von Steinen lasteten nun auf ihr, ihre Lage, ja ihre schiere Existenz, war völlig in Vergessenheit geraten.
Jetzt ging ein junger Mann missmutig durch einen lichten Nadelwald ziemlich steil bergauf. Er studierte Geologie und sollte hier für ein Praktikum einige Gesteinsproben sammeln. Missmutig deshalb, weil er allein gehen musste. Seine Freundin, die infolge einer falsch verstandenen Liebe den gleichen Studiengang wie er belegte, hatte am Morgen über verstörende Träume und Kopfschmerzen geklagt und sich geweigert, mitzukommen. Kurz nachdem er endlich abgehauen war, sank sie wieder in tiefen, schweren Schlaf. Es ist ja vielleicht nicht ungewöhnlich, wenn eine werdende Geologin von Steinen träumt, ich weiß es nicht, ich war nie eine, aber die ganze Nacht war sie das Gefühl nicht losgeworden, dass diese stark glänzenden Felsbrocken, die sich da in ihrem Unterbewusstsein auftürmten, sich von ihrem Kehlkopf bis zum Ansatz ihrer Geschlechtsspalte mit aller Macht auf sie legten, ja, mit ihren scharfkantigen Molekülen bereits begonnen hatten, ihre weiche, warme Haut zu durchdringen. Noch verstörender war, dass die Kordel ihrer Pyjamahose am Morgen auf ihrem Bauch ein deutlich sichtbares, an Kristalle erinnerndes Muster hinterlassen hatte.
Während sie schläft, stapft also der junge Mann zuerst über Gras, über Moos, über Fels, über Sand. Er denkt lieber an die Weichheit seiner Freundin als an das, was er gleich einsammeln wird. Er schwitzt bereits stark und setzt sich für eine kurze Pause auf eine etwas schräg liegende, sonnenbeschienene Felsplatte. Zuerst trinkt er Wasser aus einer Plastikflasche, dann wirft er einen kurzen Blick auf die Bäume ringsum, schließlich lässt er, noch immer übelgelaunt, seinen Kopf sinken und verliert sich mit seinen Gedanken in den Äderungen, die der Fels, auf dem er sitzt, aufweist. Zwischen einigen Spalten haben sich Reste von abgestorbenen Pflanzen angesammelt. Nein, ich sag´s gleich, es sind keine Reste von Pflanzen, sondern es sind Haare. Ihm fällt es noch nicht auf, er ist in Gedanken anderswo, aber ich muss schon sagen, als Geologe sollte seine optische Wahrnehmung besser funktionieren.
Die Haare, die vor langer Zeit vom Kopf des Säuglings in das Taufbecken geschwemmt worden waren, hatten unter dem Druck der Felsmassen, genährt durch das geweihte Wasser und die Mineralien des Steines, aus dem das Taufbecken bestanden hatte, und natürlich aus einer Laune Gottes heraus, und was weiß denn ich, welche Faktoren da noch mitspielten, Wurzeln geschlagen. Die Kapelle war durch den Bergsturz nicht ganz eingestürzt, sondern es blieb unter den Felsbrocken, die sie bedeckten, eine Kaverne zurück, die mit der Zeit völlig von den wuchernden Haaren ausgefüllt worden war. Lebloses hatte sich mit organischem Material vermählt und war etwas Neues geworden. Was ist schon Besonderes daran? Zu Anbeginn gab es nur tote Materie und trotzdem ist Leben daraus entstanden.
Die Augen des jungen Mannes folgten also den Brüchen im Fels und endlich wurde er stutzig. Das, was da in den Rillen war, sah nicht nach toten, vertrockneten Pflanzen aus, sondern schimmerte und glänzte, hatte einen wundervoll goldenen Ton. Er fasste es an, aber statt Härte zu spüren, wie er es erwartet hatte, ließ sich das Material von seinem forschenden Finger leicht teilen und legte sich sanft und anschmiegsam um diesen. Als er begann, es herauszuziehen, bemerkte er, dass es einfach Haare waren. Er zog immer weiter, aber es hörte nicht auf. Endlich saß er da, umflossen von seidigem, goldschimmerndem Haar. Es war ihm nicht unheimlich, er war einfach nur ratlos. Schließlich aber ließ er sich hineinsinken, verlor sich in dem unglaublichen Wohlgeruch, der dem Haar entströmte, vergaß seinen Auftrag und träumte ...
Dann nahm er sein Spyderco aus der Tasche und schnippelte sich, so gut das eben mit einem Messer geht, eine dicke Strähne ab. Die abgeschnittenen Haare kringelten sich sofort, so, als ob sie vorher unter einer enormen Spannung gestanden hätten, zu einer dicken Locke zusammen. Die Tasche, die er eigentlich für die Gesteinsproben mitgenommen hatte, war jetzt ganz mit dieser dicken Haarlocke ausgefüllt. Da es schon zu dämmern begann, beschloss er, gleich nach Hause zu gehen, na ja, nach Hause, zurück in das kleine Pensionszimmer, in dem seine Freundin munter, aber mit einem von zuviel Schlaf blöden Kopf auf ihn wartete.
Er erzählte ihr sofort, was passiert war, und sie fühlte ein leises Grauen in sich hochsteigen. Als er jedoch das Haar aus der Tasche gezogen und ihre Hand darauf gelegt hatte, damit sie dessen Beschaffenheit fühlte, wich die Beklemmung einem ganz anderen Gefühl. Sie bekam eine Gänsehaut, aber eine äußerst wohltuende. Dieses Gefühl kannte sie vom Friseur. Wenn jemand mit zärtlicher Konzentriertheit an ihren Haarspitzen schnitt, besonders rund ums Ohr, fühlte sie in ihrem Unterleib eine beinah schmerzhafte, aber süße Entspannung, die sich von dort über ihren ganzen Körper ausbreitete und ihre Glieder weich machte.
Sie teilte die Haare mit ihren Fingern und ließ sie wie einen kostbaren Stoff immer wieder über ihre Handinnenfläche gleiten. Ihre Wangen wurden rosig dabei und ihr Blick strahlend. Da sie den ganzen Tag nicht aus dem Zimmer gekommen war, trug sie noch immer ihren Pyjama. Gedankenverloren zog sie sich zuerst die Hose und dann das Oberteil aus, ohne die Haare wegzulegen. Dann strich sie sich mit dem Haar beginnend vom Hals an der Außenseite ihres Körpers hinunter bis zu den Knöcheln und dann an der Innenseite der Beine wieder hinauf bis zu dem schwarzen Buschen ihrer Schamhaare, der einen schönen Kontrast zum milden Glanz der dicken Locke bildete.
Sie beachtete ihren Freund nicht mehr. So wenig ihn das Erlebnis mit den Haaren aus seinem Gleichgewicht gebracht hatte, so fassungslos war er jetzt über das Verhalten seiner Freundin. Wie sehr hatte er sich immer gewünscht, dass sie sich ein bisschen mehr wie die Mädchen in den Pornofilmen benehmen würde. Oft, wenn sie wieder einmal bereits um neun Uhr abends ohne ihn ins Bett gegangen war, weil sie einige Stunden mehr Schlaf brauchte als er, hatte er sich vorgestellt, dass sie sich im Schlafzimmer Dessous anziehen würde. Er hatte sich vorgestellt, dass sie vor dem Spiegel aufreizende Posen für ihn einüben und ihn dann mit vor Geilheit brüchiger Stimme zu sich rufen würde. Und wenn er dann ins Zimmer getreten wäre, hätte sie sich vor ihm auf dem Bett mit aller Hingabe geräkelt, all ihre Öffnungen ohne Scheu präsentierend. Es war aber nie etwas geschehen, was dieser Fantasie auch nur im Entferntesten nahe kam.
Jetzt aber wand sie sich auf dem Bett und hielt ihm ihr hochgerecktes Hinterteil entgegen wie eine läufige Katze. Er hatte, als er sich ihrer schnell erbarmte und seinen geäderten Schwanz hineinschob, das irritierende Gefühl, dass sie sich der ganzen Welt präsentierte und absolut nicht nur ihn meinte. Und selbst wenn statt ihm dieser alte, geile Fettsack, der Mann der Pensionswirtin, der seiner Freundin immer unverblümt auf ihren Busen starrte, im Zimmer gewesen wäre, er war sich sicher: Dessen stinkenden, grauhaarigen Schwanz hätte sie ebenso bereitwillig und mit ebenso lautem Stöhnen aufgenommen wie seinen. Trotz dieses eher störenden Gedankens war sein Schwanz hart wie Granit.
Während der nächsten Stunden fiel das Haar unbeachtet aus dem Bett. Als er am Morgen aufstand, um ins Bad zu gehen, trat er darauf. Es ekelte ihn davor. Es erinnerte ihn an eine mumifizierte Heilige, die er einmal in einer italienischen Kirche gesehen hatte. Deren Locken hatten den halben Glassarg, der auf einem eigens dafür errichteten Altar präsentiert worden war, wie bleicher Schimmel ausgefüllt. Er warf das Haar in den Abfallkübel, wusch sich anschließend gründlich die Hände; seine Freundin, als sie endlich auch aufgewacht war, fragte nicht mehr danach.
An diesem Morgen schien sie so wie immer zu sein. Obwohl er sie während des Frühstücks argwöhnisch beobachtete, konnte er sie kein einziges Mal dabei erwischen, dass sie irgendeinen anderen Mann im Raum auch nur bemerkte, sie hatte nur Augen für ihn. Was sie ihm, verdammt noch mal, auch schuldig war, denn er hatte sie die halbe Nacht lang mit seinem Saft vollgepumpt. Trotzdem war er fassungslos, wie wenig sie diese Nacht verändert hatte. Ihr Blick war so sauber und klar wie der der Jungfrau Maria, nie strich sie sich während des Frühstücks wie zufällig über ihre Brüste, um deren Schwellung nochmals genussvoll nachzuspüren, und als sie aufstand, um sich noch zwei Semmeln zu holen, ließ sie ihre Hüften um keinen Zentimeter breiter schwingen als sonst.
Dennoch hatte die Nacht etwas bewirkt, seine Freundin wurde schwanger. Da sie aus der tiefsten Provinz stammte und ihr derartige Rituale noch immer wichtig waren, ließen sie das Kind einige Monate nach der Geburt in einer großen Kirche der Hauptstadt taufen. Aufmerksam verfolgten dessen Augen die Bewegungen des Priesters, als dieser mit einem kleinen, goldenen Becher das Wasser über seinen Kopf goss. Es schrie nicht. Die Haare des Säuglings hatten die gleiche Farbe wie das Taufbecken, das aus fein geschliffenem, rostrotem Marmor bestand.
Einige Tage später kam die letzte große Bombe über uns und ließ diese Kirche einstürzen. Ob auch hier ein Hohlraum blieb, in dem, zusätzlich angeregt durch radioaktive Strahlung, wieder etwas wachsen konnte, kann ich nicht mehr sagen, denn wer könnte jetzt noch darüber schreiben? Aber einige Äonen später wurde unser Planet von den Keschtaren entdeckt, die ihn daraufhin als Lieferanten für den Rohstoff von Perücken nutzten. Diese Perücken fanden reißenden Absatz in ihrer Heimat, da deren rote Farbe die vanillefarbene Haut der keschtarischen Frauen, dort ein Zeichen für Fruchtbarkeit, wunderbar zum Leuchten brachte.