Republik Insel
Republik Insel
"Can I have some shoes please?" Nix da fauler Arbeiter! Da schlurfen die rum, ich hab keine Kohle und von rechts rollen vier Overlord Panzer an. Blöde Chinesen.
Naja, ich hab mal wieder verloren. Scheiss Computerzockerei. Langweilt mich sowieso.
"Ey, du fauler Arsch! Putz mal die Küche!", aus Renes Zimmer kommt ein freundlich gebrülltes:"Leck mich am Arsch, geh nicht rein, wenn es dich stört." Ich aber muss ja rein. In der Küche steht die Kaffeemaschine. Der Kaffee in der Glaskanne steht jetzt auch schon sieben Stunden, Mist, schon wieder soviel Zeit vor dem doofen Kasten verschwendet. Die Küche sieht aus wie Sau. Auf dem Herd beginnt es im Wok zu leben. Auf dem Tisch auch, allerdings nicht im Wok sondern in den Tellern, die mittlerweile untrennbar miteinander verwachsen sind. Das Wunder des Lebens! Hier kann man es hautnah miterleben... ich könnte kotzen. Dieses mal verkneif ich mir das, schütte die bittere Plörre von der Kaffeekanne ins dreckige Waschbecken um und klemm mir die Kaffeemaschine. Kaffeepulver ist alle, Filtertüten auch! Nur Probleme heute. Vielleicht hätte ich mir das Kotzen doch nicht verkneifen sollen.
Probleme sind bekanntlich da um sie zu lösen! Ich knall die Küchentür hinter mir zu. Der Geruch aus der Küche wabert mit zwar hinterher, die Tür hat mittlerweile unten einen zehn Zentimeter hohen Spalt, seitdem ich die Kreissäge dort angesetzt habe, damit ich sie schliessen kann. Wie ich die Stümper hasse, die die Fliesen in der Küche gelegt haben! Man kann dort keinen Schritt gehen, ohne daß irgendwas knackt. Entweder Müll oder aber die Fliesen die einfach auf den Holzboden geklebt sind. Wenn ich mal Lust habe werde ich den Scheiss rausreissen. Mir wird wieder mal klar, warum wir keine Kaution bezahlt haben.
Nachdem ich jetzt ein Problem gelöst habe, stehen nur noch drei zur Lösung an.
Nummer eins: Langeweile.
Ich betrete die Höhle des Löwen. Wenigstens riecht es so, wie ich mir die vorstelle. Renes Zimmer. Mein geliebter Mitbewohner sitzt wie festgeklebt in seinem Stuhl. Mittlerweile ist der Teil von Renes Anatomie, scheint mir. Ich kann mich nicht erinnern wann ich ihn das letzte mal ohne den Stuhl am Arsch gesehen habe. Ein unwiderstehliches Bukett aus Käsefüßen, trockenem Schweiss,einem leichten Geruch nach Pups oder Scheisse, ich bin mir nicht so sicher und kettengerauchter West umhüllt das Stilleben eines Computerspielers. Unwillkürlich muss ich meine eigenen Achseln olfaktorisch unter die Lupe nehmen, aber die sind glücklicherweise okay. Der Aufschlag meiner Faust auf Renes Schulter löst eine Welle aus, die sich über den Speckbauch bis zur Hüfte fortsetzt und alles in Bewegung versetzt. Das irritiert mich. Renes "I'll snipe für Bantwidth!" Shirt sitzt so eng, jedenfalls soweit es den Körper bedeckt, daß ich nicht damit gerechnet hätte, daß es eine so große Amplitüde der Welle zulässt. Ich schreie:"Tittenhub!" und geb ihm noch einen Fausthieb. Das vertreibt zwar äusserst effektiv, aber leider nur sehr kurz die Langweile. "Alter ist dir langweilig oder was?" Rene schreit mich an. "Natürlich ist mir langweilig, mir ist immer langweilig." antworte ich, während ich den Stapel Kippenpäckchen nach einer Zigarette durchsuche, der sich links neben dem, rechts von maushändig geführten Zigaretten gegelbten Monitor befindet. Keiner raucht gerne West, aber jeder schnorrt sie von Rene, ich jetzt auch, nachdem ich eine gefunden habe. "Warum schleppst du eigentlich die Kaffeemaschine mit dir rum?"
"Gib mal Feuer!"
"Komm wir machen noch ein Spiel."
"GIb mal Feuer, wie soll ich sonst deine Kippen rauchen?"
"Warum schleppst du die Kaffeemaschine mit dir rum?"
"Kaffee ist alle."
"Komm wir gehen einkaufen!"
"Yay, we shop till we drop! Gib Feuer, Rene!"
Nummer zwei: Kaffeepulver.
Ich hab Rene duschen geschickt. Das hat gerade mal zehn Minuten gedauert. Ich bin etwas heiser von der Schreierei, dafür hab ich mehr Wests gefunden. Ich setz die Kaffeemaschine in meinem Zimmer ab und dringe in Jasmins Zimmer ein. Ach Jasmin, komm zurück! Die ist jetzt schon zwei Wochen weg, in Italien. Wir gehen hier zugrunde ohne unsere Mitbewohnermama die alles organisiert. Ich glaub ich hab mich in sie verliebt, die kann voll gut kochen. Nach einer Minute habe ich in den Bananenkisten in der ihre ganze Habe verstaut ist, das gefunden was ich gesucht habe. Die Bialetti, leider nur so ein Miniteil und den scheisse teuren Illy Kaffee. Erst mal Kaffee kochen. Mir wird die Schwäche des Plans klar, als ich feststelle, daß ich dafür in die Küche muss. Schlimmer noch, ich muss den Wok anfassen! Was tut man nicht für eine Tasse Kaffee. Ich würde meinen Körper dafür verkaufen, wenn ihn jemand haben wollen würde.
Nummer drei: Filter und mehr Kaffeepulver.
Zwei West und einen unglaublich leckeren, unglaublich starken Kaffee später. Rene kommt aus der Dusche. Ein neuer Mensch. Er riecht nur noch leicht nach Schweiss und Pups und er hat sich rasiert. Nicole nennt ihn nur das Biest. Jetzt sieht er eher aus wie ein glatzköpfiges Monchichi. Dicke Tränensäcke unter den leicht gelb hinterlegten Augen. Darüber eine Stirn die bis zur Fontanelle reicht. Ich frag mich jedes mal wie seine frischgewaschenen langzotteligen Haare so fettig aussehen können. Sein "Global Domination" Shirt, in das er jetzt gewechselt hat, passt sogar ganz gut, man sieht nur ganz wenig Arschritze rauslugen.
"Lass uns einkaufen!" Renes Augen strahlen und er grinst. Schliesslich machen wir uns auf den Weg Kauflandwärts, ho.
Madonna hat uns vor die Tür gekotzt! Mal wieder. Ich frage Rene, wann er das letzte mal draussen war. Er riecht an der Katzenkotze und sagt:"Muss schon eine ganze Weile her sein." Ich nehm den Türvorleger und werfe ihn die Hintertür raus. Jetzt kommt der anstrengende Teil. Wir müssen den Einkaufswagen der vor der Wohnungstür steht den einen Treppenabsatz zur Strasse runterwuchten. Die leeren Flaschen darin machen ein Höllenspektakel. Wer säuft eigentlich soviel?
Es ist geschafft, die tiefstehende Sonne spitzt gerade rechterhand über dem Krankenhausdach raus. Rechts war Osten glaub ich. Also muss morgen sein. Ich schiebe den Wagen, der verdammt nach links zieht, über den mit Knochensteinen gepflasterten Gehweg, schon wieder Lärm. Vorm Kaufland rauchen wir noch eine und stärken uns mit einem Fleischkäsebrötchen von der Bäckerei. Dann zehn Minuten Pfandflaschen abgeben. Kapitalbeschaffung. Was für ein Glück, daß der Laden schon um sechs öffnet.
Wir entern den Laden. Blau-weiss gestreifte Liegestühle im Angebot! Palettenweise! Unglaublich. Wir müssen einfach zwei Stück mitnehmen. Weiter gehts. Eine Kiste Bier im Wagen. Woher? Keine Ahnung. Eine Kaminwurze. Östereichische Wurst. Chorizo. Fünf Minuten Terrinen. Anderthalb Liter Frischmilch. Snickers. Der totale Konsumrausch. Ich hab gar keine Kohle einstecken. Oder einen Geldbeutel. Und auch keinen Schlüssel! Scheisse, naja Rene hat bestimmt einen. Bis wir an der Kasse sind, liegt da noch ein Kopfhörer im Wagen, CD-Rohlinge, Chips, verschiedene Sorten, eine Packung Fonduekäse, Brezeln, Toastbrot und Dr. Oetkers Schüttelshakes. Das Pfandgeld reicht da wohl eher weniger. Glücklicherweise hat Rene seine wunderbare Visakarte dabei. Eine magische Handbewegung und wir sind auf dem Weg nachhause.
Vor der Tür sagt Rene:"Schliess auf, ich hab keinen Schlüssel dabei."
Wir klingeln bei uns, aber wir sind nicht zuhause.
"Lass uns ein Bier trinken." Sag ich und reiss eine Flasche an der Kiste auf. "Gib mal ne Kippe her." Wir rauchen und trinken.
Rene spricht:"Komm wir probieren die Liegestühle aus."
Gesagt, getan. Wir kreuzen die Straße mit dem Einkaufswagen und machen es uns auf der Verkehrsinsel bequem, die für sonst nichts Nütze ist. Mein Liegestuhl ist etwas klein, aber groß genug um die Bierkiste zu beschatten. Ich mach die Flasche leer und halte ein Nickerchen.
Fanci plumpst auf meinen Schoss. Davon wache ich auf. "Na du Penner? Hast du es endlich geschafft auf der Strasse schlafen zu müssen?" Das regt mich auf. "DAS hier ist doch nicht die Strasse. Die Strasse ist dort wo die Autos fahren. Das hier ist die Verkehrsinsel. Wir machen Urlaub auf der Insel." Sie dampft ab. Ich mache mir noch ein Bier auf. Wo ist eigentlich dieser Rene hin? Nirgends zu sehen.
Zeit vergeht.
Etwas mehr Zeit vergeht.
Langsam bekomme ich einen Rausch und Langeweile. Ausserdem nervt mich die Sonne die anfängt zu brennen.
Mein Handy bimmelt. Das nervt mich auch. Es ist Philipe.
"Hola, que tal? Bist du da?".
"Ja ach ja, ganz gut, mir ist langweilig und die Sonne brennt mir auf die Blesse."
"Was treibst du?"
"Urlaub auf der Insel. Komm vorbei, ich hab Bier. Bring Bier mit."
"Alles klar, bis gleich"
"Ach, bring einen Sonnenschirm mit."
Rene kommt. Er hat einen Laptop, eine Stange West und Jan dabei.
"Hey, Jan, na wie läufts?"
"Gut, danke. Sag mal du kannst doch ein Grillfeuer anmachen? Bei mir wird das immer nie was."
"Ja klar, Mann macht Feuer!"
"Komm mal mit zum Auto und helf mir den Grill zu holen."
Als Philipe zusammen mit Nicole auftaucht, brennt der Grill und wir rauchen alle Renes West Kippen und trinken Bier, ausser Jan der keinen Alkohol trinkt.
Natürlich hat Philipe keinen Sonnenschirm dabei. Nicole ist sehr hübsch, darum ist das okay.
Ich ruf Franci auf dem Handy an. Sie soll Grillgut und Sonnenschirm mitbringen.
Zehn Minuten später ist sie da und hat Schafskäse zum Grillen dabei, aber keinen Sonnenschirm. Ich hab vergessen, daß sie Vegetarierin ist!
Zusätzlich ist sie Katholikin, aber ich mag sie trotzdem ziemlich gern.
Poochie kommt auf dem Fahrrad. Er ist Jasmins Freund und hat natürlich auch keinen Schlüssel dabei. Dafür hat er gesehen, daß mein Fenster offen steht. Er steigt auf den Mülleimer, den immer noch niemand reingeholt hat, und klettert in mein Zimmer.
Franci und Poochie schleppen die Eckbank aus der Küche an und meinen Schlüssel.
Um fünf kommt die hungrig blickende Mittfuffzigerin die "Die Hexe" hat, die Kneipe in der Seitenstrasse, die an der Verkehrsinsel von der Hauptstrasse abgeht, und schliesst auf.
"Die Hexe" ist viel näher als unsere Wohnung, darum geh ich dort pissen. Beim rausgehen frage ich die hungrig blickende Frau, ob sie uns einen Sonnenschirm leihen kann. Ich zerre das Ding, mitsamt dem komischen Wasserbehälter unten, auf die Verkehrsinsel. Mittlerweile brennt aber die Sonne nicht mehr.
Dajana taucht auf. Poochie macht ein Praktikum in der Theaterwerkstatt und Dajana ist dort Theatermalerin. Die beiden lachen und verschwinden in der Wohnung.
Sie kommen zurück, eine halbe Stunde später, und haben eine Fahne gemalt. Darauf ist eine kleine Insel mit einer Palme. Aussen rum im Kreis gepinselt steht der Spruch:"Insula insula est. Homo non insula est."
Wir hissen die Fahne an einem Laternenmast.
Um sechs fährt ein Polizeiauto vorbei. Der Fahrer macht langsam, schaut grinsend auf die Fahne und stösst seinen Kollegen an, der auch schaut.
Um sieben rufe ich die Republik Insel aus.
Rene wird Informationsminister, weil er den Laptop hat. Mittlerweile hat er zusammen mit Jan unsere Insel mit dem WG Netzwerk verbunden und zockt Counter Strike.
Die hungrig blickende Frau wird in ihrer Abwesenheit zur Wirtschaftsministerin gemacht. Schliesslich führt sie ja eine Wirtschaft, auch wenn die mies läuft.
Franci ernenne ich zu Familienministerin, weil sie schliesslich Katholikin ist und ich gerne mit ihr Trockenübungen in der Familiengründung machen würde.
Aussenminister wird Philipe, weil er Engländer ist und seine Mutter Hippie war, deshalb ist er in Spanien, Südafrika und England aufgewachsen.
Und ich werde natürlich Kanzlerdiktator, weil ich den meisten Scheiss laber.
Um acht kommt Stefan von der Arbeit. Er ist betrunken und unser vierter Mitbewohner. Allerdings darf er erstmal nicht auf die Insel, weil er kein Visum hat. Zuerst muss er auf der Homepage eins beantragen. Jan war fleissig und hat uns schon eine offizielle Republik Insel Homepage gebastelt. Stefan muss also erstmal heim und sich ein Visum ausdrucken. Die Flasche Rotwein die er ins Land schmuggeln will, wird sofort konfisziert und geprüft. Nach der Prüfung ist sie leider leer, trotzdem wird sie, nachdem Stefan sie verzollt hat und seine Strafe bezahlt hat indem er zwei Tüten gedreht hat und sie zum Wohl des Volkes der Republik Insel der Allgemeinheit gestiftet hat, zurückerstattet. Wir begrüßen unseren neuesten Bürger, ich habe ihn ganz unbürokratisch und ungefragt für seine Verdienste eingebürgert.
So beginnt das goldene Zeitalter der Republik Insel. Eine herrliche Zeit, des Friedens, der Zufriedenheit und der Wonne.
Um halb eins hat die Republik Insel ihre erste aussenpolitische Krise. Die Polizei der Bundesrepublik Deutschland taucht auf. Sie betritt, vertreten von einem Herrn Schmitt, ohne offizielle Genehmigung die Republik Insel. Schon wieder greift der Staat Deutschland aggressiv in die Belange ihrer friedfertigen Nachbarn ein! Haben die nichts aus der Vergangenheit gelernt? Der Unterhändler verlangt die sofortige Übergabe und Räumung des Staatsgebietes der Republik! Eine Kriegserklärung! Nach einiger Diskussion, willige ich, als Kanzler der Republik ein, die Insel zu räumen.
Alle waffenfähigen Männer verlassen das Land gen Wohnung. Die Frauen bilden spontan und aufopfernd, wei es ihre Art ist, eine Arbeitsgruppe um nichts in feindliche Hände fallen zu lassen unserer Ressourcen.
Wir ziehen uns zurück.
Als allerletztes schleppe ich den Sonnenschirm zurück und hole die Fahne ein.
Unsere Utopie ist gescheitert! Der erste Konflikt hat sie zerstört!
Was solls, mittlerweile ist es schon spät und ich bin müde.
Ich denke ich probiere Franci ins Bett zu kriegen. Wenn das nicht klappt, kann ich ja mit Jan und Rene noch eine Runde Command and Conquer spielen.
Mist, wir haben keinen Kaffee mehr und die Filtertüten sind auch alle.