Mitglied
- Beitritt
- 08.12.2007
- Beiträge
- 12
Requiem
Es war keine besonders kalte, keine besonders dunkle oder stille Nacht. Nein, die Nacht in der ich starb, war ganz normal.
Hätte ich damals als ich aus der Haustür trat gewusst, dass ich dies zum letzen mal in meinem Leben tue, aus der Haustür treten, dann hätte ich das mit weiß Gott mehr Bedacht getan.
Aber man weiß eben nur selten, wann man etwas zum letzten Mal tut.
Ich hätte mich natürlich auch verabschiedet. Ich habe mich zwar verabschiedet, aber nicht auf die Weise, auf die man sich verabschiedet, wenn man weiß, dass es für ein ganzes Menschenleben ist.
Ich habe einfach „Tschüss“ gesagt, nicht lebe wohl, machs gut, bis die Tage.
Und rückblickend war das eigentlich auch gut. Für mich zumindest.
Meine Familie macht sich natürlich Vorwürfe, dass Abschiedsrituale bei uns immer so knapp ausfielen, bisher. Und bevor meine Mutter nun Jemanden gehen lässt (sofern sie das überhaupt tut), wird sich erst umarmt, am liebsten mit Tränen in den Augen.
Als ich ging, da hatte Niemand Tränen in den Augen. Und das wollte und will ich auch nicht. Nein, man beachtete mich fast gar nicht, fuhr einfach fort mit dem Alltag.
Als ich durch die Haustür in die Nacht hinaus ging, einfach so, ohne Vorahnung, ganz einfach so wie immer, da bemerkte ich nicht, dass es eigentlich doch eine besondere Nacht war. Eigentlich war es doch besonders dunkel, besonders kalt. Es lag Regen in der Luft. Eiskalter.
Ich bemerkte das nicht. Denn eigentlich konnte ich nur daran denken, dass ich tatsächlich dich besuchen würde.
Du, die du ein eigenes Kapitel bist, in meinem Roman des Lebens, das in dieser Nacht auf Kurzgeschichtenlänge gekürzt wurde.
Zu dem Zeitpunkt, als der junge Fahranfänger, etwa in meinem Alter, die Kontrolle über sein Auto verlor, als er auf der Straße auf mich zu rutschte, auf der Straße, durch die genau 3 Minuten, 14 Sekunden und 143 Millisekunden später ein Streufahrzeug fahren sollte, um sie von jeglicher Glätte zu befreien, zu diesem Zeitpunkt kannte ich dich zwei Jahre, drei Wochen und 4 Tage.
Ich glaube, in dem Moment, als die Stoßstange meine Beine berührte, ich durch die Luft gewirbelt wurde und mir beim Aufprall mein Genick brach, ich glaube, ich dachte in diesem Moment an deine Haare. Schwarz, seidig.