Revanche
Revanche
Er wußte, daß dieser Moment irgendwann kommen würde, ja kommen mußte, auch wenn er mit fortschreitender Zeit immer inniger wünschte, daß er nie kommen würde. Aber nun war es eben so weit. Aber er mußte damit rechnen. Ihm war damals ja schon klar gewesen, daß eine Gegenleistung, sei sie auch noch so schwer irgendwann kommen mußte. Doch damals war er verzweifelt und es war ja auch für seine Familie, für seine Frau und die drei kleinen Kinder, sonst hätte er den Padrone sicher nie darum gebeten ihm die 170.000.000 Lira für den Laden zu geben, doch es mußte sein um sein Geschäft nach dem Feuer notdürftig wieder herzurichten und er wußte damals auch schon sehr genau, daß er das Geld nie würde zurückzahlen können und also irgendwann der Padrone kommen und ihn um etwas „bitten“ würde. Jetzt stand er also vor ihm mit seinen zwei Schlägern und jedes seiner Worte bohrte sich wie ein Pfeil in sein Herz. Na ja, jetzt kannte er also seinen Auftrag und er wußte was geschehen würde falls er ihn nicht ausführte, er hatte es ja bei seinem Nachbarn gesehen. Wie waren ihm die Bilder der schaurig zugerichteten Familie plötzlich wieder präsent. Es war alles bis ins Kleinste geplant. Die passende Waffe wurde gleich mitgeliefert. Er wußte, er mußte es tun, wollte er seine Familie nicht ins Unglück, ja in einen grausamen Tod stürzen.
Der Tag war gekommen. Er stand mit seinem alten Gewehr am Fenster der alten Fabrikhalle und wartete auf sein Opfer, er wußte bis jetzt nicht wer es sein sollte, der Padrone hatte ihm nur gesagt wann und wo er es finden würde und nicht um wen es sich handelte. Und obwohl er sich schon seit Tagen versucht hatte sich geistig auf diesen entscheidenden Moment vorbereitet hatte, kamen seine Gefühle wieder hoch die er seit dem Tag an dem der Padrone in sein Geschäft trat zu unterdrücken suchte. Und dann ganz plötzlich erschien sie. Sie, mußte dem Padrone wohl immer wieder Ärger gemacht haben. Er mußte den Finger krümmen, mußte die Kugel auf ihre tödliche Mission schicken, mußte sie niederschießen, wollte er nicht seine Familie einem grausamen Schicksal ausliefern. Er betrachtete sie nun genauer, musterte sie von oben bis unten. Aber von woher kannte er dieses eigenartige Farbe der Haare? Nicht wirklich blond und nicht richtig rot, eine Farbe wie sie nur äußerst selten in der Natur vorkommt und nun fiel sein Augenmerk auf ihren Gang, ihren so seltsam schlacksigen Gang der doch so voller Eleganz war. Ja, jetzt war er sich ganz sicher, er kannte sie. Sie mußte es sein, sie, die er von Kindesbeinen an kannte, mit der er zusammen im Sandkasten gespielt hatte, sie war es, der er seinen ersten Kuß gab. Doch nun stand sie vor ihm im Fadenkreuz seines Gewehres und er zitterte und haderte. Sollte er abdrücken um sein eigenes Leben und das seiner Familie zu retten oder sollte er sie schonen und sein reines Gewissen behalten aber dadurch den sicheren Verderb seiner Familie verantworten? Er wußte, egal für wen er sich entscheiden würde, so oder so müßte er mindestens einen Tod verantworten. Nun mußte er den Finger krümmen, mußte die Kugel auf ihre tödliche Mission schicken, mußte sie niederschießen, wollte er nicht seine Familie einem grausamen Schicksal ausliefern. Er wußte nicht weiter. Sein Herz wurde ihm schwer und Tränen rannen ihm über seine Wangen. Doch dann setzte mit einem mal sein klares Denken aus und er krümmte den Finger und schoß. In dem Moment in dem er der Kugel den freien, zerstörerischen Lauf gab bereute er auch schon seine Tat. Er meinte die Flugbahn der Kugel genau mitzuverfolgen und den Moment ihres Einschlags auf ihrem Körper genau wahrzunehmen. Er hatte auf ihren Kopf gezielt und so hörte er keinen Schrei sondern nur das zermatschende Geräusch als die Kugel ihren Schädel durchbrach und die Masse ihres Gehirns zur Explosion brachte und er sah, wie ihr Kopf förmlich zersprang und sie ohne weitere Reaktion in sich zusammensackte wie eine Marionette deren Fäden man im Moment durchschnitt. Und dann spürte er, daß er nicht nur seine einstige Freundin getötet hatte sondern auch sich selbst. Er fühlte sich plötzlich so leer und hatte nur noch den einen Gedanken sich auch selbst auszulöschen und also drehte er seine Waffe und richtete sie gegen sich selbst, steckte den Lauf in seinen Mund, drückte ab und wartete darauf, nicht mehr warten zu müssen, ja nie mehr warten zu müssen aber es tat sich nichts. So oft er auch am Abzug zog, er hörte nur ein leises, viel zu leises Klicken. Doch da fiel es ihm ein, er hatte ja nur eine Kugel geladen und so rannte er die Treppe des Treppenhauses in dem er sich aufhielt hinauf. Er rannte so schnell er nur konnte. Schwere Tränen in den Augen raubten ihm immer wieder die Sicht. Er entledigte sich nun mit einem weiten Wurf seiner Waffe und rannte. Rannte, schrie und weinte gleichzeitig. Er war so erfüllt von Reue und Haß. Haß gegen sich selbst, gegen den Padrone und auch gegen sie. Warum? Warum mußte sie sich ausgerechnet mit dem Padrone anlegen und so auch sein Leben verwirken? Wieso mußte der Padrone gerade ihn für diese Tat wählen und warum war er so feige gewesen sich nicht gegen diesen Zwang der Gewalt zu wehren und auf dem Pfad der Tugend zu bleiben. All dies und tausend andere Gedanken gingen ihm durch den Kopf als er sich des höchst gelegenen Fensters des Treppenhauses näherte, es öffnete, auf die Fensterbank stieg und plötzlich verharrte. Von einem Augenblick auf den Anderen wurde es ihm wieder seltsam klar im Kopf und er stieg zurück ins Haus. Er wußte nun was er zu tun hatte. Nun rannte er wieder. Rannte die Treppe hinab und es war ihm als würde er mehr fliegen als rennen. Im Bewußtsein nun nichts mehr verlieren zu können hetzte er quer durch die halbe Stadt in den Palast des Padrone. Er rannte, die Schläger am Eingang einfach ignorierend und stürmte in den Saal in dem der Padrone seiner Gewohnheit nach „Audienz“ hielt und auf verzweifelte Seelen wartete, die er mit ein paar Gefälligkeiten kaufen konnte, um dann noch mehr Macht durch noch mehr Marionetten zu bekommen, die ihm einen Gefallen schuldig waren. Er rannte also, rannte wie er nur konnte, so daß seine Beine schmerzten auf den Padrone zu, zog ein Messer aus seinem Stiefel und stach mit all seiner Macht auf den Padrone ein, bevor dieser auch nur reagieren konnte. Er stach und stach und sah voller Genus wie sich seine Hände rot färbten und die Schreie seines einstigen Peinigers immer leiser wurden, erst zu einem röcheln wechselten und dann völlig verstummten. Als ihn die Salven der Maschinenpistolen der Bewacher des Padrone trafen fühlte er schlagartig nichts mehr außer einem solchen Glücksgefühl wie er es noch nie empfunden hatte und dem sicheren Wissen, seine Kinder davor bewahrt zu haben unter der ewigen Knechtschaft eines Verbrechers aufwachsen zu müssen und er lächelte und starb in tiefem Frieden.