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Richard und Kate

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24.08.2007
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Richard und Kate

Meine Schritte kommen mir lautlos vor, als ich das Zimmer verlasse, obwohl ich mir keine besondere Mühe gebe, leise zu sein. Ich weiß, dass man ein halbes Orchester braucht, um Kate aus ihrer Traumwelt zu holen. Ihr Gesicht sieht schmerzverzerrt aus, sie wälzt sich von einer Seite auf die andere. Ich küsse sie und verlasse dann ihre Wohnung, steige ins Auto, fahre los. Als Carina mir die Tür öffnet, trägt sie nichts außer einem Haarband. Sie lässt mir keine Zeit, sie zu begrüßen, sondern zieht mich sofort an sich. Ich könnte es mir nicht verzeihen mit einem anderen zu schlafen, Richard. Du machst mich komplett, oh Gott, Richard, ich kann nicht ohne dich!, hatte mir Kate eine Stunde zuvor ins Ohr geflüstert und geweint.

Ich muss den Zug bekommen. Ich darf diesen Zug auf keinen Fall verpassen. Richard bringt mich zum Bahnhof, doch er fährt langsam, vielleicht 20 km/h. Außer uns ist niemand auf der Straße, doch Richards Auto kriecht beinahe. „Schneller!“, brülle ich und werde panisch. Es wird etwas sehr, sehr schlimmes passieren, wenn ich nicht rechtzeitig da bin. Nach einer Ewigkeit kommen wir beim Bahnhof an. Vielleicht ist es schon zu spät? Ich will losrennen, doch meine Füße fühlen sich an, als seien sie aus Beton, ich komme nur langsam voran, stoße hilflose Schreie aus. Der Zug ist bestimmt schon weg.
Nein. Er ist noch da.
Doch weder hat er Fenster, noch hat er Türen. Ich fange an zu brüllen und sinke auf dem Boden zusammen, als ich sehe, wie der Zug wegfährt. Das ist mein Ende. Richard schüttelt lachend den Kopf und lässt mich am Bahnsteig zurück.

Ich wache auf, froh, dass es nur ein Traum war. Doch das Gefühl der Hilflosigkeit verfolgt mich weit in den Wachzustand. „Schatz?“, sage ich unsicher in Richtung der Seite des Bettes, an der Richard eingeschlafen war. War er das? Ich bekomme keine Antwort. Er ist weg. Mit dem Zorn einer Zurückgelassenen versuche ich wieder einzuschlafen, was mir allerdings erst gelingt, als die Sonne wieder aufgeht.

Ich sitze in Carinas Wohnzimmer, fühle mich erschöpft und rauche. Durch das Fenster kann ich sehen, wie einige Betrunkene nach Hause und einige andere Leute zur Arbeit gehen. Auch ich mache mich jetzt auf den Weg nach Hause, denn ich will duschen und mich nicht schon wieder mit Kate auseinandersetzen.
„Wie konntest du nur so rücksichtslos sein! Ist dir klar, wie sehr du sie damit verletzt haben musst?“, Kate war entrüstet. „Meine Mutter wird es überleben“, gab er tonlos zurück. „Du hast vor diesen ganzen Leuten ihren Freund lächerlich gemacht, Richard! Was hast du dir dabei gedacht, verdammt?“, schrie sie. „Dass er so fett ist, dass er seinen eigenen Schwanz nicht mehr sehen kann“, lachte Richard.

Wo ist er? Als ich ihn anrufe, sagt mir eine Tonbandstimme, ich solle es später noch einmal versuchen.
Ein Sommer zuvor. Kate fuhr zur Polizeiwache, um Richard abzuholen. Nachdem ein Polizist den alkoholisierten Richard angehalten hatte, drohte er dem Ordnungshüter, ihm die Fresse einzuschlagen, wenn er ihn nicht weiterfahren ließe. Er war schon zornig ausgestiegen, doch dann blickte er in den Lauf einer Pistole und entschied sich dagegen, seine Fäuste zu benutzen. „Hättest du es getan?“, fragte sie ihn später mit zitternder Stimme. „Ja.“ „Warum, Richard? Warum? Was hat er dir bloß getan?“, Kate war den Tränen nahe, unfähig, ihren Freund zu verstehen, betroffen. „Ich wollte weiterfahren. Einfach weiterfahren. Er war mir egal.“ Eine einsame Träne kullerte Kate die Wange herunter. „Ich weiß, du hältst mich für ein Monster. Ich kann das verstehen“, sagte er sanft und strich ihr über das Haar. Wie wunderschön sie war, dachte er. „Auch wenn das heute passiert ist, oh verdammt, ich würde es nie im Leben fertigbringen, dir so etwas anzutun, bitte glaub mir.“ Das war die Wahrheit. Er war nicht fähig, ihr so etwas anzutun.

Ich halte es nicht lange an einem Ort aus, ich muss das Leben immer wieder aus neuen Perspektiven sehen, damit es lebenswert bleibt. Gerade laufe ich an der Elbchaussee entlang, während andere Leute arbeiten. Keine Arbeit zu haben ist, wie ich finde, gar nicht so schlecht, zumal ich nicht als Hartz-IV-Empfänger auf meiner durchgescheuerten Matratze billigen Korn trinke. Als mein Vater letztes Jahr starb, hat er mir sein Haus hinterlassen, welches ich für eine hohe Summe verkauft habe. Er muss ein schreckliches Leben geführt haben, denn ich war sein einziger Erbe, was bedeutet, dass er es nicht geschafft hat, in den fast zwei Jahrzehnten, die meine Mutter nun schon von ihm getrennt ist, sich eine neue Familie aufzubauen. Wahrscheinlich hatte er all seine Leidenschaft in die Arbeit gelegt. Sein Tod rief mir damals ins Gedächtnis, dass er überhaupt existierte; ich hatte ihn vergessen.
Jedenfalls lebe ich gut von seinem Geld und manchmal übernehme ich Nebenjobs, um die Masse von Zeit in meinem Leben zu füllen. Ich behalte sie nie für länger. Erstens fehlt es mir an Durchhalte- und Anpassungsvermögen und zweitens habe ich das auch nicht nötig.
Richard und Kate waren bei Kates Eltern eingeladen. Sie unterhielt sich mit ihrem Vater.
Oh Gott, sie sind sich so vertraut, dachte er. Er spürte Eifersucht und traurige Wut, seine Wut wollte sich ein Ziel suchen, aber es gab keins. Niemand war Schuld, dass er eine verdammte Halbwaise war. Die beiden redeten über ihr Studium. Kate wollte Kinderärztin werden, genau wie ihr Vater Mediziner war; Richard konnte das nie nachvollziehen. „Du tust es doch bloß wegen deinem Vater. Was, wenn er ein Förster wäre? Würdest du dann auch fröhlich durch den Wald laufen?“, blaffte er sie an, als sie die Tür des Elternhauses hinter sich zugezogen hatte. So sehr er sich die ganzen Jahre auch einen Vater gewünscht hatte, wäre er nicht fähig, sich einem in allem unterzuordnen. Er glaubte, dass Kate genau das tat. „Richard, ich will Menschen mit meiner Arbeit helfen. Was tust du denn? Sie zerstören? Ist das besser?“

Eigentlich ist er ein kleiner Junge, der das Gesicht eines selbstsicheren Mannes trägt. Ich weiß, dass ich ihm nie ganz vertrauen kann, weil er ein Mensch ist, der ohne Muster tut, was er will und sich nicht dazu verpflichtet fühlt, seine Taten zu rechtfertigen. Er geht mitten in der Nacht und meldet sich tagelang nicht, und umarmt mich dann liebevoll und küsst mich zärtlich, als wäre nichts gewesen. Ich frage mich, wie lange ich diesmal nichts von ihm hören werde. Doch es ist so, als hätte er einen Bann über mich gelegt, als gäbe es etwas, dass mich an ihm festklebt, egal was er getan hat, egal wie sehr er auf der Würde anderer Menschen herumtrampelt, egal wie sehr ich ihn in dem Moment dafür hasse.
„Kate, was ist los mit dir?“, sagte ihre Freundin, „was bitte hat dieser Typ an sich, dass du dein Leben mit ihm teilen willst?“ Kate lächelte abwesend in sich hinein, dachte an seine unglaublich zärtlichen Berührungen, seine Augen, sein Blick, mit dem er sie zu lieben schien, seine Tränen, als er von seinen Sehnsüchten sprach, erinnerte sich, wie er von seinen Reisen erzählte, wie er Menschen von etwas begeistern konnte. Oh Gott, er hatte so viel in sich. So viel Gutes und so viel Schlechtes.

Ich sitze auf der Parkbank und telefoniere mit Carina, die mich heute Abend schon wieder sehen möchte.
Richard ist zwölf oder dreizehn. Seine Mutter sitzt auf dem Boden, schlägt immer wieder den Kopf gegen die Wand, immer wieder. Er sieht, wie sie leidet, doch es dringt nicht wirklich zu ihm durch. „Ich brauche dich jetzt, Richard. Wo bist du? Richard, ich…“ Sie fängt an, heftig zu schluchzen, will nach seiner Hand greifen, doch es ekelt ihn an. Er findet ihr Selbstmitleid widerlich. Erneut versucht sie, seine Hand zu fassen zu kriegen, doch Richard geht. Er dreht die Musik auf, um ihre Laute nicht mehr hören zu müssen.

Nach meiner Vorlesung laufe ich etwas im Park herum, um meinen Kopf freizukriegen. Ich habe mir fest vorgenommen, mir nicht den ganzen Tag den Kopf über Richard zu zerbrechen, doch dann sehe ich eine Jacke, die seiner von hinten ähnlich sieht. Er wird es bestimmt nicht sein. Ich nähere mich der Parkbank, und freue mich, als ich ihn erkenne, mein Schritt wird schneller, ich lächle – doch dann höre ich seine Worte. „Ich weiß nicht, Carina. Es ist wegen Kate – was? – nein, sie
ist absolut ahnungslos.“ Er lacht. „Was?“ Er scheint einen Moment zu überlegen. „Ja, okay. Heute Abend, sobald ich sie loswerden kann. Wie? Spitze? Nein. Du wirst keinen Stoff brauchen.“ Er lacht, bis ich vor ihm stehe.
Er schaut mich erstaunt und sichtlich geschockt an, dann wandert sein Blick zum Boden, kein Wort erreicht mein Ohr. Wahrscheinlich weiß er, dass „es ist nicht so, wie du denkst“ ihn nicht retten wird. Ich hasse ihn dafür, dass er es mir unmöglich macht, ihn einfach zu lieben. Ich hasse ihn dafür, dass er mich dazu bringt, ihn zu hassen. In schmerzlicher Erinnerung laufen all die Stunden vor meinem inneren Auge wie ein Film ab, in denen ich glaubte, ich wäre 'die' für ihn. Das zu glauben war ein Fehler. Ich bin bloß Teil einer Welt, die ihm gleichgültig ist. Jetzt stehe ich am Bahnsteig, versuche Gedanken zu ordnen, die unmöglich zu ordnen sind und steige in den nächsten Zug.

 

Hallo Addison,

Jetzt stehe ich am Bahnsteig, versuche Gedanken zu ordnen, die unmöglich zu ordnen sind und steige in den nächsten Zug.
Das scheint der Schlüsselsatz zu sein, denn trotz versuchter Ordnung geht in diesem Text irgendwie alles kreuz und quer. Auch macht das Ende ihn zu einem langen Tagebucheintrag einer selbstmitleidigen Frau, die sich selbst für einen Mann aufgegeben hat, weil sie Sucht und Liebe verwechselt hat.
Du versuchst, die Geschichte aus beiden Perspektiven zu schreiben, Richards und Kates. Richards Perspektive liest sich dabei weniger nach seiner eigenen, als nach Kates Vorstellung von seiner Perspektive. Die beiden unterscheiden sich im Tonfall wenig von einander. Dadurch wird der Text auf dem kurzen Raum Perspektivwechsel (manchmal auch noch in der dritten Person) und Wechsel zwischen Handlung und kursiven Gedanken unübersichtlich, so richtig folgen kann ich da nicht immer.
Auch fehlt mir die Erzählabsicht. Weshalb wird die Geschichte erzählt?
Der Ansatz ist interessant, der Inhalt scheint mir aber nicht zur Form zu passen und andersherum, eher hat man das Gefühl, ein banaler Inhalt wird durch eine unnötig komplizierte Struktur kaschiert. Vernebeln statt erzählen.
In sofern hat es mir leider im Endeffekt nicht gefalen.
Details:
Ich küsse sie, und verlasse dann ihre Wohnung, steige ins Auto und fahre los.
Wenn die Reihenfolge aus der Satzgestaltung hervorgeht, brauchst du kein "dann"
als ich sehe, wie der Zug wegfährt.
"wie leitet eine Beschreibung der Art und Weise ein, in der der Zug wegfährt. "als ich den Zug wegfahren sehe" ist nicht nur verdichtereres, sondern auch besseres und vor allem richtiges Deutsch.
„Schatz?“, sage ich unsicher in Richtung der Seite des Bettes, an der Richard eingeschlafen war.
an der Seite? Muss der arme Richard auf dem Fußboden schlafen?
Er ist weg. Mit dem Zorn einer Zurückgelassenen versuche ich wieder einzuschlafen, was mir allerdings erst gelingt, als die Sonne wieder aufgeht.
das zweite "wieder" ist nicht nur eine Wiederholung, sondern auch völlig überflüssig.
Wie wunderschön sie war, dachte er.
das ist das Problem, wenn man auf sowas spießiges wie Anführungsstriche verzichtet. Zwar dachte er, aber doch nicht in der Vergangenheit. Oder ist die Frau nicht mehr schön, während er ihr über das Haar streicht?

Lieben Gruß
sim

 

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